Warum Hannah Arendt die Denkerin der Stunde ist.
»Ein wunderbares Buch.« Jerome Kohn
»Begreifen«, schreibt Hannah Arendt in ihrem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, bedeute, »sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit zu stellen, was immer sie ist oder war«. Zur Lebenswirklichkeit der 1906 geborenen Arendt gehörten Antisemitismus und Gestapo-Haft ebenso wie Flucht, Staatenlosigkeit und die Erfahrung, von der US-Regierung systematisch über den Vietnamkrieg belogen worden zu sein. 45 Jahre nach ihrem Tod gehören zu unserer Gegenwart die schrecklichen Zustände in Flüchtlingslagern auf Lesbos oder in Libyen, der Aufstieg autoritärer Bewegungen und ein US-Präsident, der selten die Wahrheit sagt. »Liest man Hannah Arendt heute«, so Richard J. Bernstein, »überkommt einen ein fast schon unheimliches Gefühl zeitgenössischer Relevanz.« Bernstein, der Arendt als junger Professor noch selbst kennengelernt hat, bietet anhand zentraler Themen einen kompakten Überblick über das Denken der Theoretikerin und zeigt, inwiefern ihr Werk die heutigen finsteren Zeiten erhellen kann.
»Ein wunderbares Buch.« Jerome Kohn
»Begreifen«, schreibt Hannah Arendt in ihrem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, bedeute, »sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit zu stellen, was immer sie ist oder war«. Zur Lebenswirklichkeit der 1906 geborenen Arendt gehörten Antisemitismus und Gestapo-Haft ebenso wie Flucht, Staatenlosigkeit und die Erfahrung, von der US-Regierung systematisch über den Vietnamkrieg belogen worden zu sein. 45 Jahre nach ihrem Tod gehören zu unserer Gegenwart die schrecklichen Zustände in Flüchtlingslagern auf Lesbos oder in Libyen, der Aufstieg autoritärer Bewegungen und ein US-Präsident, der selten die Wahrheit sagt. »Liest man Hannah Arendt heute«, so Richard J. Bernstein, »überkommt einen ein fast schon unheimliches Gefühl zeitgenössischer Relevanz.« Bernstein, der Arendt als junger Professor noch selbst kennengelernt hat, bietet anhand zentraler Themen einen kompakten Überblick über das Denken der Theoretikerin und zeigt, inwiefern ihr Werk die heutigen finsteren Zeiten erhellen kann.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Dieter Thomä empfiehlt dieses Buch des amerikanischen Philosophen Richard J. Bernstein als Wegweiser durch jene Werke Hannah Arendts, die gerade wieder an Aktualität gewinnen: Ganz gleich, ob Bernstein hier aus Arendts Aufsatz "Wir Flüchtlinge" von 1943, ihrer Analyse des Totalitarismus von 1951 oder aus ihrem Buch "Über die Revolution von 1963" zitiert - immer ist es für den Kritiker ein Fest, Arendt zu lauschen. Bernsteins "kluge" Erklärungen liest der Rezensent ebenfalls mit Gewinn, allerdings vermisst er hier jegliche Form von Kritik. Und darüber, was Arendt zum Verhältnis von Politik und Wirtschaft zu sagen hatte, hätte Thomä auch gern etwas gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2021Festprogramm für eine Philosophin
Keine Einwände mehr: Richard Bernstein schreibt eine intellektuelle Liebeserklärung an Hannah Arendt
Was darf jemand erwarten, der mit seinem Buch offene Türen einrennt? Eine freundliche Begrüßung, begleitet von einer leichten Verwunderung darüber, warum er sich überhaupt so heftig ins Zeug legt. Richard Bernstein, einer der großen alten Männer der amerikanischen Philosophie, hat ein solches Buch vorgelegt. Er feiert in ihm Hannah Arendt als "Denkerin der Stunde" - im Wissen darum, dass sich sowieso schon "überall auf der Welt Menschen leidenschaftlich für ihr Werk interessieren".
Das Verdienst dieses Plädoyers besteht darin, eine Tagesordnung vorzulegen, an der sich die derzeit laufende globale Festveranstaltung für Hannah Arendt orientieren kann. Die Liste der Programmpunkte ist beeindruckend und lang: Sie umfasst unter anderem Arendts Aufsatz "Wir Flüchtlinge" von 1943 und dessen Aktualität für die laufenden Migrationsdebatten, ihre Analyse des Totalitarismus von 1951 und die Hinweise darauf, wie fragil Demokratien sind und warum sich gerade heute totalitäre Tendenzen in ihnen breitmachen können, Arendts Feier der demokratischen Partizipation in ihrem Buch "Über die Revolution" von 1963, die sich dem heutigen Niedergang öffentlicher Debatten und der Politikverdrossenheit entgegenhalten lässt, sowie ihre Warnung vor Politik als "Public Relations" und vor der Ausbreitung der "Lüge in der Politik" (1972), die im Zeitalter von Fake News aktueller ist denn je.
Bernstein lässt Arendt selbst ausführlich zu Wort kommen, und es ist ein Genuss, ihre ebenso umsichtigen wie entschiedenen Voten und seine klugen Erläuterungen zu lesen. Der Tenor liegt dabei weniger auf Lösungen als darauf, dass "Probleme, die Arendt thematisiert" oder "brillant benannt" hat, sich weiter "verstärkt und verschärft" haben.
Bernstein kommt nicht ganz ohne Kritik an Arendt aus, tut sich freilich schwer damit. Weil sie sich 1959 gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten wandte, das die Rassentrennung in öffentlichen Schulen aufhob, nennt er sie "blauäugig" und "unsensibel", beeilt sich aber hinzuzufügen, wie "hellsichtig" ihre Auffassung doch gewesen sei. Der mit Arendt befreundete und von ihr bewunderte Walter Benjamin hat einmal bemerkt, dass sich die Liebe zu einem Menschen oft gerade in dessen "Runzeln" einniste, also in dessen kleinen "Makeln". Wenn das stimmt, dann muss sich auch eine intellektuelle Liebeserklärung Seltsamkeiten und Schwächen zuwenden.
Daran hält Bernstein sich nicht. Kein Wort verliert er über die Jahrzehnte währende Anhänglichkeit an ihren Lehrer Martin Heidegger, die bei einer so selbstbewussten Denkerin besonders auffällt. Er diskutiert auch nicht, was Arendt zu einem brennenden Probleme der neuesten Geschichte und Gegenwart zu sagen hat - nämlich zum Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. (Die kürzeste Antwort darauf lautet: nichts.)
Eigentlich will Bernstein nicht nur Arendt-Stammwähler, sondern auch philosophisch-politische Wechselwähler gewinnen, doch die legen Wert darauf, dass Licht und Schatten, Zwischen- und Grautöne erkennbar werden. Übrigens gehörte Bernstein selbst einst zu diesen Wechselwählern. 1986 entdeckte er im "Kern ihres Werkes" noch "flagrante Widersprüche" und "Spannungen". Seine Eloge wäre überzeugender ausgefallen, wenn er die Leser an seinem Lernprozess hätte Anteil nehmen lassen.
DIETER THOMÄ
Richard J. Bernstein:
"Denkerin der Stunde". Über Hannah Arendt.
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 141 S., geb., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Einwände mehr: Richard Bernstein schreibt eine intellektuelle Liebeserklärung an Hannah Arendt
Was darf jemand erwarten, der mit seinem Buch offene Türen einrennt? Eine freundliche Begrüßung, begleitet von einer leichten Verwunderung darüber, warum er sich überhaupt so heftig ins Zeug legt. Richard Bernstein, einer der großen alten Männer der amerikanischen Philosophie, hat ein solches Buch vorgelegt. Er feiert in ihm Hannah Arendt als "Denkerin der Stunde" - im Wissen darum, dass sich sowieso schon "überall auf der Welt Menschen leidenschaftlich für ihr Werk interessieren".
Das Verdienst dieses Plädoyers besteht darin, eine Tagesordnung vorzulegen, an der sich die derzeit laufende globale Festveranstaltung für Hannah Arendt orientieren kann. Die Liste der Programmpunkte ist beeindruckend und lang: Sie umfasst unter anderem Arendts Aufsatz "Wir Flüchtlinge" von 1943 und dessen Aktualität für die laufenden Migrationsdebatten, ihre Analyse des Totalitarismus von 1951 und die Hinweise darauf, wie fragil Demokratien sind und warum sich gerade heute totalitäre Tendenzen in ihnen breitmachen können, Arendts Feier der demokratischen Partizipation in ihrem Buch "Über die Revolution" von 1963, die sich dem heutigen Niedergang öffentlicher Debatten und der Politikverdrossenheit entgegenhalten lässt, sowie ihre Warnung vor Politik als "Public Relations" und vor der Ausbreitung der "Lüge in der Politik" (1972), die im Zeitalter von Fake News aktueller ist denn je.
Bernstein lässt Arendt selbst ausführlich zu Wort kommen, und es ist ein Genuss, ihre ebenso umsichtigen wie entschiedenen Voten und seine klugen Erläuterungen zu lesen. Der Tenor liegt dabei weniger auf Lösungen als darauf, dass "Probleme, die Arendt thematisiert" oder "brillant benannt" hat, sich weiter "verstärkt und verschärft" haben.
Bernstein kommt nicht ganz ohne Kritik an Arendt aus, tut sich freilich schwer damit. Weil sie sich 1959 gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten wandte, das die Rassentrennung in öffentlichen Schulen aufhob, nennt er sie "blauäugig" und "unsensibel", beeilt sich aber hinzuzufügen, wie "hellsichtig" ihre Auffassung doch gewesen sei. Der mit Arendt befreundete und von ihr bewunderte Walter Benjamin hat einmal bemerkt, dass sich die Liebe zu einem Menschen oft gerade in dessen "Runzeln" einniste, also in dessen kleinen "Makeln". Wenn das stimmt, dann muss sich auch eine intellektuelle Liebeserklärung Seltsamkeiten und Schwächen zuwenden.
Daran hält Bernstein sich nicht. Kein Wort verliert er über die Jahrzehnte währende Anhänglichkeit an ihren Lehrer Martin Heidegger, die bei einer so selbstbewussten Denkerin besonders auffällt. Er diskutiert auch nicht, was Arendt zu einem brennenden Probleme der neuesten Geschichte und Gegenwart zu sagen hat - nämlich zum Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. (Die kürzeste Antwort darauf lautet: nichts.)
Eigentlich will Bernstein nicht nur Arendt-Stammwähler, sondern auch philosophisch-politische Wechselwähler gewinnen, doch die legen Wert darauf, dass Licht und Schatten, Zwischen- und Grautöne erkennbar werden. Übrigens gehörte Bernstein selbst einst zu diesen Wechselwählern. 1986 entdeckte er im "Kern ihres Werkes" noch "flagrante Widersprüche" und "Spannungen". Seine Eloge wäre überzeugender ausgefallen, wenn er die Leser an seinem Lernprozess hätte Anteil nehmen lassen.
DIETER THOMÄ
Richard J. Bernstein:
"Denkerin der Stunde". Über Hannah Arendt.
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 141 S., geb., 14,- [Euro].
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»[Bernsteins] Buch ist eine hervorragende Einführung in die politische Theorie Hannah Arendts ...« Meike Fessmann Der Tagesspiegel 20210120