Gesund leben muss nicht kompliziert sein, kleine Veränderungen in unseren Gewohnheiten machen einen riesigen Unterschied. Rangan Chatterjee zeigt, wie es geht. Entspannung, Ernährung, Bewegung und Schlaf - auf diesen vier Säulen ruht unsere Gesundheit. Wenn wir mehr entspannen, klug essen, uns besser bewegen und richtig schlafen, werden wir fitter und gesünder. Für jeden Bereich empfiehlt er fünf Maßnahmen, die jeder in seinem Alltag umsetzen kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2019Ich habe mich optimiert
Ein gesünderes Leben mit simplen Tricks - das versprechen viele Ratgeber. Felix Hooß war deshalb skeptisch, ob sich sein Wohlbefinden allein durch eine Lektüre verbessern würde. Aber das Buch eines Arztes, das in England ein großer Erfolg ist, hat was mit ihm gemacht.
Noch vor einer Weile haben mich die typischen Symptome unserer digitalen Leistungsgesellschaft geplagt: Ich fühlte mich oft unruhig und gestresst, körperlich unfit, konnte nachts nicht schlafen, was mich tagsüber noch schlapper und reizbarer machte. Der Stress zeigte sich auch in ständigen Rückenschmerzen - mein Körper war kein Tempel, mein Körper war eine Baustelle. Dann fiel mir der "Vier-Säulen-Plan" des englischen Arztes und Autors Rangan Chatterjee in die Hände. Das in England bereits erfolgreiche Buch hat im Deutschen den etwas esoterischen Untertitel aus dem Original gleich beibehalten: "Relax, Eat, Move, Sleep - Dein Weg zu einem längeren, gesünderen Leben". Das klang doch mal vielversprechend! Ich begann damit, mein Leben umzukrempeln.
Dabei ist mir bewusst, dass Selbstoptimierung nicht nur ein Megatrend ist, sondern auch ein Riesenmarkt - allein in den Vereinigten Staaten werden jährlich schätzungsweise neun Milliarden Euro mit Meditations-Apps, Ayurveda-Detox-Kuren und Fitness-Trackern umgesetzt. Das Versprechen: Wir alle haben es selbst in der Hand, wie sehr wir uns von den Widrigkeiten des Alltags unterbuttern lassen, alles ist eine Frage der inneren Einstellung. Autoren wie der amerikanische Professor Ronald E. Purser, Verfasser des Buchs "McMindfulness", kritisieren den Hype um die Achtsamkeit als "Religion des Selbst": Stress werde als selbstverschuldet "outgesourct", Achtsamkeit als Allheilmittel propagiert. Es gibt regalweise Literatur dazu, wie wir mehr entspannen, gesünder essen, besser schlafen, uns mehr bewegen. Warum ich beschloss, einem Ratgeber zu folgen, der sich mit all diesen Dingen auf einmal auseinandersetzt, hat viel mit dem Autor des Buchs zu tun.
Rangan Chatterjee stammt aus Manchester, arbeitet seit rund 20 Jahren als Allgemeinmediziner und besucht in der BBC-Fernsehserie "Doctor in the House" Familien in deren Wohnungen, um ihnen zu zeigen, wie sie gesünder leben können. Er wird schon mit Jamie Oliver verglichen, der den Briten beibrachte, dass man keine Kochausbildung braucht, um ein leckeres Essen zuzubereiten. Der "Vier-Säulen-Plan" hat sich in England, den Vereinigten Staaten und Schweden insgesamt bislang eine Viertelmillion Mal verkauft, auf Basis des Buchs hat die Berufsorganisation für Allgemeinmediziner im Vereinigten Königreich sogar einen Ausbildungskurs für Ärzte aufgelegt.
Chatterjee erzählt mir am Telefon, was ihn antreibt: Nach einem geschäftigen Arbeitstag in seiner Praxis habe er sich abends hingesetzt und gefragt, wie vielen Patienten er wirklich geholfen hatte. "Und ich hatte das Gefühl, das waren vielleicht 20 Prozent. Den anderen 80 habe ich höchstens ein Pflaster für ihre Symptome verpasst. Da habe ich gedacht: Das kann ich nicht die nächsten 40 Jahre als Doktor machen." Moderne Medizin sei gut bei akuten Befunden, viele chronische Beschwerden jedoch - Diabetes, Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Depressionen - hingen häufig mit unserer Lebensweise zusammen.
Für jede der vier Säulen, also Entspannung, Ernährung, Bewegung und Schlaf, stellt Chatterjee fünf Maßnahmen vor, die der Leser sofort umsetzen kann. Die erste Säule im Buch ist die "Entspannung". Und sie steht nicht ohne Grund am Anfang, denn das, so Chatterjee, sei der Bereich unseres Lebens, den wir am häufigsten vernachlässigten: "Wir leben in einer Kultur, die uns weismacht, Entspannung sei etwas für Weicheier. Wir denken, wenn wir beschäftigt sind, wenn wir früh aufstehen, dann bekommen wir eine Ehrenmedaille." Dabei bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation Stress als das größte Gesundheitsrisiko des 21. Jahrhunderts, das allein die amerikanische Wirtschaft bis zu 270 Milliarden Euro im Jahr kostet. Eine Studie in Amerika hat 2013 festgestellt, dass 70 bis 90 Prozent der Fälle, die ein Arzt behandelt, mit Stress zusammenhängen. Das Stresshormon Cortisol spielt dabei eine wichtige Rolle: In früheren Zeiten half es uns, wenn plötzlich der Löwe vor der Höhle auftauchte und wir schnelle Entscheidungen treffen mussten, heute sind wir ständig im Kampf-oder-Flucht-Modus, unser Cortisolspiegel dauernd erhöht, auch wenn wir nicht mehr gegen den Löwen kämpfen, sondern mit unserem Leben.
Die erste Maßnahme im Buch für mehr Entspannung ist eine kleine Übung in Egoismus: Man soll sich jeden Tag mindestens fünfzehn Minuten nur für sich nehmen. Was man tut, bleibt einem selbst überlassen - ein Bad nehmen, spazieren gehen, in einem Café etwas trinken, ein Buch lesen. Klingt supereinfach, wichtig dabei ist aber: Es muss etwas sein, das man nur für sich tut, und darf nichts mit dem Smartphone, Tablet oder Computer zu tun haben. Nebenbei noch schnell die neue Podcast-Folge zu Ende zu hören gilt nicht. Ich versuche also, mir für Dinge, die ich mag, bewusst Zeit zu nehmen: Musik hören, Zeitung lesen, Gitarre spielen. Und die bewusste "Ich-Zeit" tut definitiv gut. Schaffe ich es jeden Tag, sie mir zu nehmen? Nein, manchmal ist einfach zwischen Arbeit und abendlichen Verabredungen keine Zeit. Chatterjee empfiehlt deshalb, sich sogar einen festen Termin im Kalender zu blocken, nur für sich selbst.
Bei den Maßnahmen, die der Arzt vorschlägt, geht es nicht darum, in jedem Teilbereich alles umzusetzen: Zwei Verbesserungen in jeder Säule bringen mehr, als einfach nur alle Punkte in einer Säule abzuhaken. Chatterjee sagt, viele Menschen fokussierten sich zu stark auf ein Gebiet, wollten etwa unbedingt ihre Ernährung verbessern und machten sich dabei verrückt. "Denen sage ich: Verbessere erst mal 50 Prozent bei der Ernährung und verwende die anderen 50 dafür herauszufinden, warum du nicht schlafen kannst." Denn: "Wenn du nicht genug geschlafen hast, wird dein Blutzuckerspiegel steigen, du wirst ein größeres Verlangen nach ungesundem Essen haben." Schlechte Ernährung wiederum erhöhe das Risiko, an Diabetes zu erkranken. Die vier Säulen wirkten also stark aufeinander ein.
Eine weitere Maßnahme aus der Entspannungs-Säule trägt sofort Früchte bei mir: das Sich-in-Stille-Üben. Ich fange an zu meditieren, konzentriere mich auf meinen Atem, sonst auf gar nichts. Ich werde entspannt und merke: So habe ich mich schon ganz lange nicht mehr gefühlt. Und das Praktische ist: Ich kann mir diesen Zustand in Erinnerung rufen, wenn es mal stressiger wird. Das läuft ohne Schneidersitz und "Om" ab, bringt aber trotzdem - oder gerade deswegen - richtig viel. Einfach einatmen. Ausatmen.
Als ebenfalls effektiv erweist sich, das Handy schrittweise zu verbannen. Ich verbringe viel zu viel Zeit am Smartphone, fühle mich durch die ständigen Reize, die es aussendet, oft schon gestresst, wenn ich morgens ins Büro komme. Mit Hilfe der "siebentägigen digitalen Entgiftung" deaktiviere ich Push-Benachrichtigungen auf dem Handy und melde mich von Newslettern ab. Außerdem sorge ich dafür, dass sich die E-Mail-Postfächer auf meinem Telefon nicht mehr automatisch aktualisieren, und schränke die Nutzungszeit verschiedener Apps ein. Welche Ruhe!
Die zweite Säule, Ernährung, ist vielleicht die komplexeste des Buchs. Hier warten jede Menge Informationen: über die Gefahren durch Zucker und mein Typ-2-Diabetes-Risiko, die Rolle des Mikrobioms im Darm und die Bedeutung des "Zirkadianrhythmus" für meinen Körper. Kurz zusammengefasst: Zucker ist schlecht und gehört eigentlich ganz aus dem Haushalt verbannt, ebenso verarbeitete Lebensmittel. Mit dem Zucker habe ich wenig Probleme, da ich im Alltag sowieso schon versuche, so gut es geht auf Süßkram zu verzichten. Bei den verarbeiteten Produkten ist das schon schwieriger, allein das Brot aus dem Supermarkt enthält mehr Zutaten, als man ahnt, und natürlich esse ich Fertigpesto zur Pasta. Die Erläuterungen des Docs sind in jedem Fall hilfreich, vor allem stellt er sich gegen vermeintlich perfekte Ernährungsmethoden - No Carb, Low Fat und so weiter soll man direkt vergessen. Dafür lerne ich "Minifasten" kennen: Wer seine gesamte Nahrung innerhalb eines Zwölf-Stunden-Fensters zu sich nimmt und danach nichts mehr isst, gibt dem Körper angeblich mehr Zeit, kleinere Reparaturprozesse durchzuführen sowie Fett und Cholesterin abzubauen.
Und dann sind da noch die fünf Portionen Gemüse: verschiedene Sorten Gemüse, versteht sich, in fünf verschiedenen Farben. Das soll den Darmbakterien guttun, das Immunsystem stärken und Entzündungen im Körper vorbeugen. Chatterjees Buch liefert sogar eine Regenbogentabelle zum Ausfüllen und An-den-Kühlschrank-Heften, die einem den Gemüsekonsum erleichtern soll: Avocados (grün), Radieschen (rot), Karotten (orange), Paprika (gelb) und Blumenkohl (weiß) etwa machen den Regenbogen fast komplett, bei Violett sind sogar Heidelbeeren erlaubt, um das Farbspektrum zu vervollständigen. Doch so sinnvoll die Ernährung nach dem Regenbogenprinzip erscheint, so viel Systematik bekomme ich auf Dauer nicht in meinen Alltag eingebaut. Sorry, Doc!
Was zu meiner Verwunderung im Buch vollständig fehlt, ist ein Hinweis zum Umgang mit Alkohol. Doch hier hat der Arzt am Telefon eine Erklärung: "Ich hatte das Gefühl, die meisten Leute wissen, dass zu viel Alkohol nicht gut für sie ist. Ich wollte keinen Punkt bearbeiten, den sie bereits kannten." Außerdem herrsche rund um das Thema Gesundheit schon genug Negativität. Er wolle die Leser eher durch positive Anreize motivieren, daher auch der Fokus auf die Dinge, die sich aktiv verbessern lassen, daher "Entspannung" statt "Stress", "Schlaf" statt "Unruhe", "Bewegung" statt "Kalorienzählen".
Womit wir bei der dritten Säule wären. Und hier kommt Chatterjee mit einem ungewöhnlichen Vorschlag: Er will, dass wir unsere Abos im Fitnessstudio kündigen. Viele Menschen powerten sich tagsüber auf der Arbeit aus, um abends noch die letzten Kraftreserven in der Muckibude zu erschöpfen. Kardiologen seien sogar überzeugt, dass regelmäßiger Ausdauersport wie Marathonlaufen das Herz schädigen kann. Stattdessen soll die Welt zum eigenen Fitnessstudio werden. Das erste Ziel lautet, mehr zu laufen, möglichst 10000 Schritte pro Tag. Das ist gar nicht so wenig, stelle ich nach kurzer Zeit fest, aber machbar: Ich lasse jetzt den Bus öfter sausen, laufe stattdessen die letzten tausend Schritte von der U-Bahn. Auch die weiteren Tipps empfinde ich als hilfreich: Kraft aufbauen, Intervalltraining, also kurze, intensive Trainingseinheiten einstreuen, die Gesäßmuskeln aufwecken. Statt im Studio abzuhängen, sehe ich zu, dass ich meine Laufrunde im Park mit ein paar Kniebeugen, Klimmzügen und Liegestützen aufpeppe. Überall sind kurze Bewegungseinheiten drin, selbst am Schreibtisch im Büro.
Alles in allem nicht schlecht, aber nicht vergleichbar mit meinen Erfolgen in der vierten Säule: Schlaf. Ich bin von Hause aus ein schlechter Schläfer, tue mich schwer, abends einzuschlafen, wache nachts oft auf und liege dann wach. Die Tipps führen zu sofortiger Verbesserung. Schon lange hat mich gestört, dass es im Schlafzimmer nie richtig dunkel ist. Nun schaffe ich neue Rollos an und schmeiße den Wecker mit der leuchtenden Digitalanzeige raus. Das Handy hat ab sofort keinen Zutritt mehr. Auch für mein neues Einschlafritual spielt das Smartphone eine Rolle, ich schränke meine Bildschirmzeit ab sofort so ein, dass ich es nach 22 Uhr nicht mehr nutzen kann. Danach versuche ich auch keine Serien mehr zu schauen, richte mich gedanklich aufs Zubettgehen ein und achte darauf, dass ich zu einigermaßen regelmäßigen Uhrzeiten schlafen gehe. Und es scheint zu helfen: Ich nehme die Qualität meines Schlafs jetzt wirklich ernst, schlafe dadurch tiefer und länger, fühle mich morgens richtig erholt.
Fazit: Nach knapp fünf Monaten mit dem Vier-Säulen-Plan ist erstaunlich viel hängengeblieben: die 10 000 Schritte, die Übungen im Freien, die Ich-Zeit und vor allem die Vorkehrungen für besseren Schlaf. Ich habe das Gefühl, ausgeglichener, wacher, fitter zu sein. Und auch objektive Beobachter bescheinigen: Ich habe tatsächlich etwas für mich getan. Der jährliche Check beim Arzt zeigt jedenfalls, dass meine Werte alle top sind, besonders wohlwollend bemerkt er, dass ich offensichtlich genug trinke - ein Ergebnis der Säule "Ernährung". Und die Physiotherapeutin, die mich regelmäßig einrenkt, findet, dass mein Rücken so geschmeidig sei wie nie. Danke, Kniebeugen! Und auch wenn ich den kompletten Regenbogen nicht esse, kein Dankbarkeits-Tagebuch schreibe und den bildschirmfreien Sonntag nicht hinbekomme: Der Ansatz des Buches ist gar nicht, jeden Punkt zu perfektionieren, wie Rangan Chatterjee sagt: "Versuch es für eine Woche, sieh, wie du es findest. Wenn es für dich funktioniert, großartig, wenn nicht, geh weiter zu etwas anderem." Was definitiv immer funktioniert: Einatmen. Ausatmen.
"Der 4-Säulen-Plan - Relax, Eat, Move, Sleep - Dein Weg zu einem längeren, gesünderen Leben" von Dr. Rangan Chatterjee erscheint am 16. September im Goldmann-Verlag und kostet 15,00 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein gesünderes Leben mit simplen Tricks - das versprechen viele Ratgeber. Felix Hooß war deshalb skeptisch, ob sich sein Wohlbefinden allein durch eine Lektüre verbessern würde. Aber das Buch eines Arztes, das in England ein großer Erfolg ist, hat was mit ihm gemacht.
Noch vor einer Weile haben mich die typischen Symptome unserer digitalen Leistungsgesellschaft geplagt: Ich fühlte mich oft unruhig und gestresst, körperlich unfit, konnte nachts nicht schlafen, was mich tagsüber noch schlapper und reizbarer machte. Der Stress zeigte sich auch in ständigen Rückenschmerzen - mein Körper war kein Tempel, mein Körper war eine Baustelle. Dann fiel mir der "Vier-Säulen-Plan" des englischen Arztes und Autors Rangan Chatterjee in die Hände. Das in England bereits erfolgreiche Buch hat im Deutschen den etwas esoterischen Untertitel aus dem Original gleich beibehalten: "Relax, Eat, Move, Sleep - Dein Weg zu einem längeren, gesünderen Leben". Das klang doch mal vielversprechend! Ich begann damit, mein Leben umzukrempeln.
Dabei ist mir bewusst, dass Selbstoptimierung nicht nur ein Megatrend ist, sondern auch ein Riesenmarkt - allein in den Vereinigten Staaten werden jährlich schätzungsweise neun Milliarden Euro mit Meditations-Apps, Ayurveda-Detox-Kuren und Fitness-Trackern umgesetzt. Das Versprechen: Wir alle haben es selbst in der Hand, wie sehr wir uns von den Widrigkeiten des Alltags unterbuttern lassen, alles ist eine Frage der inneren Einstellung. Autoren wie der amerikanische Professor Ronald E. Purser, Verfasser des Buchs "McMindfulness", kritisieren den Hype um die Achtsamkeit als "Religion des Selbst": Stress werde als selbstverschuldet "outgesourct", Achtsamkeit als Allheilmittel propagiert. Es gibt regalweise Literatur dazu, wie wir mehr entspannen, gesünder essen, besser schlafen, uns mehr bewegen. Warum ich beschloss, einem Ratgeber zu folgen, der sich mit all diesen Dingen auf einmal auseinandersetzt, hat viel mit dem Autor des Buchs zu tun.
Rangan Chatterjee stammt aus Manchester, arbeitet seit rund 20 Jahren als Allgemeinmediziner und besucht in der BBC-Fernsehserie "Doctor in the House" Familien in deren Wohnungen, um ihnen zu zeigen, wie sie gesünder leben können. Er wird schon mit Jamie Oliver verglichen, der den Briten beibrachte, dass man keine Kochausbildung braucht, um ein leckeres Essen zuzubereiten. Der "Vier-Säulen-Plan" hat sich in England, den Vereinigten Staaten und Schweden insgesamt bislang eine Viertelmillion Mal verkauft, auf Basis des Buchs hat die Berufsorganisation für Allgemeinmediziner im Vereinigten Königreich sogar einen Ausbildungskurs für Ärzte aufgelegt.
Chatterjee erzählt mir am Telefon, was ihn antreibt: Nach einem geschäftigen Arbeitstag in seiner Praxis habe er sich abends hingesetzt und gefragt, wie vielen Patienten er wirklich geholfen hatte. "Und ich hatte das Gefühl, das waren vielleicht 20 Prozent. Den anderen 80 habe ich höchstens ein Pflaster für ihre Symptome verpasst. Da habe ich gedacht: Das kann ich nicht die nächsten 40 Jahre als Doktor machen." Moderne Medizin sei gut bei akuten Befunden, viele chronische Beschwerden jedoch - Diabetes, Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Depressionen - hingen häufig mit unserer Lebensweise zusammen.
Für jede der vier Säulen, also Entspannung, Ernährung, Bewegung und Schlaf, stellt Chatterjee fünf Maßnahmen vor, die der Leser sofort umsetzen kann. Die erste Säule im Buch ist die "Entspannung". Und sie steht nicht ohne Grund am Anfang, denn das, so Chatterjee, sei der Bereich unseres Lebens, den wir am häufigsten vernachlässigten: "Wir leben in einer Kultur, die uns weismacht, Entspannung sei etwas für Weicheier. Wir denken, wenn wir beschäftigt sind, wenn wir früh aufstehen, dann bekommen wir eine Ehrenmedaille." Dabei bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation Stress als das größte Gesundheitsrisiko des 21. Jahrhunderts, das allein die amerikanische Wirtschaft bis zu 270 Milliarden Euro im Jahr kostet. Eine Studie in Amerika hat 2013 festgestellt, dass 70 bis 90 Prozent der Fälle, die ein Arzt behandelt, mit Stress zusammenhängen. Das Stresshormon Cortisol spielt dabei eine wichtige Rolle: In früheren Zeiten half es uns, wenn plötzlich der Löwe vor der Höhle auftauchte und wir schnelle Entscheidungen treffen mussten, heute sind wir ständig im Kampf-oder-Flucht-Modus, unser Cortisolspiegel dauernd erhöht, auch wenn wir nicht mehr gegen den Löwen kämpfen, sondern mit unserem Leben.
Die erste Maßnahme im Buch für mehr Entspannung ist eine kleine Übung in Egoismus: Man soll sich jeden Tag mindestens fünfzehn Minuten nur für sich nehmen. Was man tut, bleibt einem selbst überlassen - ein Bad nehmen, spazieren gehen, in einem Café etwas trinken, ein Buch lesen. Klingt supereinfach, wichtig dabei ist aber: Es muss etwas sein, das man nur für sich tut, und darf nichts mit dem Smartphone, Tablet oder Computer zu tun haben. Nebenbei noch schnell die neue Podcast-Folge zu Ende zu hören gilt nicht. Ich versuche also, mir für Dinge, die ich mag, bewusst Zeit zu nehmen: Musik hören, Zeitung lesen, Gitarre spielen. Und die bewusste "Ich-Zeit" tut definitiv gut. Schaffe ich es jeden Tag, sie mir zu nehmen? Nein, manchmal ist einfach zwischen Arbeit und abendlichen Verabredungen keine Zeit. Chatterjee empfiehlt deshalb, sich sogar einen festen Termin im Kalender zu blocken, nur für sich selbst.
Bei den Maßnahmen, die der Arzt vorschlägt, geht es nicht darum, in jedem Teilbereich alles umzusetzen: Zwei Verbesserungen in jeder Säule bringen mehr, als einfach nur alle Punkte in einer Säule abzuhaken. Chatterjee sagt, viele Menschen fokussierten sich zu stark auf ein Gebiet, wollten etwa unbedingt ihre Ernährung verbessern und machten sich dabei verrückt. "Denen sage ich: Verbessere erst mal 50 Prozent bei der Ernährung und verwende die anderen 50 dafür herauszufinden, warum du nicht schlafen kannst." Denn: "Wenn du nicht genug geschlafen hast, wird dein Blutzuckerspiegel steigen, du wirst ein größeres Verlangen nach ungesundem Essen haben." Schlechte Ernährung wiederum erhöhe das Risiko, an Diabetes zu erkranken. Die vier Säulen wirkten also stark aufeinander ein.
Eine weitere Maßnahme aus der Entspannungs-Säule trägt sofort Früchte bei mir: das Sich-in-Stille-Üben. Ich fange an zu meditieren, konzentriere mich auf meinen Atem, sonst auf gar nichts. Ich werde entspannt und merke: So habe ich mich schon ganz lange nicht mehr gefühlt. Und das Praktische ist: Ich kann mir diesen Zustand in Erinnerung rufen, wenn es mal stressiger wird. Das läuft ohne Schneidersitz und "Om" ab, bringt aber trotzdem - oder gerade deswegen - richtig viel. Einfach einatmen. Ausatmen.
Als ebenfalls effektiv erweist sich, das Handy schrittweise zu verbannen. Ich verbringe viel zu viel Zeit am Smartphone, fühle mich durch die ständigen Reize, die es aussendet, oft schon gestresst, wenn ich morgens ins Büro komme. Mit Hilfe der "siebentägigen digitalen Entgiftung" deaktiviere ich Push-Benachrichtigungen auf dem Handy und melde mich von Newslettern ab. Außerdem sorge ich dafür, dass sich die E-Mail-Postfächer auf meinem Telefon nicht mehr automatisch aktualisieren, und schränke die Nutzungszeit verschiedener Apps ein. Welche Ruhe!
Die zweite Säule, Ernährung, ist vielleicht die komplexeste des Buchs. Hier warten jede Menge Informationen: über die Gefahren durch Zucker und mein Typ-2-Diabetes-Risiko, die Rolle des Mikrobioms im Darm und die Bedeutung des "Zirkadianrhythmus" für meinen Körper. Kurz zusammengefasst: Zucker ist schlecht und gehört eigentlich ganz aus dem Haushalt verbannt, ebenso verarbeitete Lebensmittel. Mit dem Zucker habe ich wenig Probleme, da ich im Alltag sowieso schon versuche, so gut es geht auf Süßkram zu verzichten. Bei den verarbeiteten Produkten ist das schon schwieriger, allein das Brot aus dem Supermarkt enthält mehr Zutaten, als man ahnt, und natürlich esse ich Fertigpesto zur Pasta. Die Erläuterungen des Docs sind in jedem Fall hilfreich, vor allem stellt er sich gegen vermeintlich perfekte Ernährungsmethoden - No Carb, Low Fat und so weiter soll man direkt vergessen. Dafür lerne ich "Minifasten" kennen: Wer seine gesamte Nahrung innerhalb eines Zwölf-Stunden-Fensters zu sich nimmt und danach nichts mehr isst, gibt dem Körper angeblich mehr Zeit, kleinere Reparaturprozesse durchzuführen sowie Fett und Cholesterin abzubauen.
Und dann sind da noch die fünf Portionen Gemüse: verschiedene Sorten Gemüse, versteht sich, in fünf verschiedenen Farben. Das soll den Darmbakterien guttun, das Immunsystem stärken und Entzündungen im Körper vorbeugen. Chatterjees Buch liefert sogar eine Regenbogentabelle zum Ausfüllen und An-den-Kühlschrank-Heften, die einem den Gemüsekonsum erleichtern soll: Avocados (grün), Radieschen (rot), Karotten (orange), Paprika (gelb) und Blumenkohl (weiß) etwa machen den Regenbogen fast komplett, bei Violett sind sogar Heidelbeeren erlaubt, um das Farbspektrum zu vervollständigen. Doch so sinnvoll die Ernährung nach dem Regenbogenprinzip erscheint, so viel Systematik bekomme ich auf Dauer nicht in meinen Alltag eingebaut. Sorry, Doc!
Was zu meiner Verwunderung im Buch vollständig fehlt, ist ein Hinweis zum Umgang mit Alkohol. Doch hier hat der Arzt am Telefon eine Erklärung: "Ich hatte das Gefühl, die meisten Leute wissen, dass zu viel Alkohol nicht gut für sie ist. Ich wollte keinen Punkt bearbeiten, den sie bereits kannten." Außerdem herrsche rund um das Thema Gesundheit schon genug Negativität. Er wolle die Leser eher durch positive Anreize motivieren, daher auch der Fokus auf die Dinge, die sich aktiv verbessern lassen, daher "Entspannung" statt "Stress", "Schlaf" statt "Unruhe", "Bewegung" statt "Kalorienzählen".
Womit wir bei der dritten Säule wären. Und hier kommt Chatterjee mit einem ungewöhnlichen Vorschlag: Er will, dass wir unsere Abos im Fitnessstudio kündigen. Viele Menschen powerten sich tagsüber auf der Arbeit aus, um abends noch die letzten Kraftreserven in der Muckibude zu erschöpfen. Kardiologen seien sogar überzeugt, dass regelmäßiger Ausdauersport wie Marathonlaufen das Herz schädigen kann. Stattdessen soll die Welt zum eigenen Fitnessstudio werden. Das erste Ziel lautet, mehr zu laufen, möglichst 10000 Schritte pro Tag. Das ist gar nicht so wenig, stelle ich nach kurzer Zeit fest, aber machbar: Ich lasse jetzt den Bus öfter sausen, laufe stattdessen die letzten tausend Schritte von der U-Bahn. Auch die weiteren Tipps empfinde ich als hilfreich: Kraft aufbauen, Intervalltraining, also kurze, intensive Trainingseinheiten einstreuen, die Gesäßmuskeln aufwecken. Statt im Studio abzuhängen, sehe ich zu, dass ich meine Laufrunde im Park mit ein paar Kniebeugen, Klimmzügen und Liegestützen aufpeppe. Überall sind kurze Bewegungseinheiten drin, selbst am Schreibtisch im Büro.
Alles in allem nicht schlecht, aber nicht vergleichbar mit meinen Erfolgen in der vierten Säule: Schlaf. Ich bin von Hause aus ein schlechter Schläfer, tue mich schwer, abends einzuschlafen, wache nachts oft auf und liege dann wach. Die Tipps führen zu sofortiger Verbesserung. Schon lange hat mich gestört, dass es im Schlafzimmer nie richtig dunkel ist. Nun schaffe ich neue Rollos an und schmeiße den Wecker mit der leuchtenden Digitalanzeige raus. Das Handy hat ab sofort keinen Zutritt mehr. Auch für mein neues Einschlafritual spielt das Smartphone eine Rolle, ich schränke meine Bildschirmzeit ab sofort so ein, dass ich es nach 22 Uhr nicht mehr nutzen kann. Danach versuche ich auch keine Serien mehr zu schauen, richte mich gedanklich aufs Zubettgehen ein und achte darauf, dass ich zu einigermaßen regelmäßigen Uhrzeiten schlafen gehe. Und es scheint zu helfen: Ich nehme die Qualität meines Schlafs jetzt wirklich ernst, schlafe dadurch tiefer und länger, fühle mich morgens richtig erholt.
Fazit: Nach knapp fünf Monaten mit dem Vier-Säulen-Plan ist erstaunlich viel hängengeblieben: die 10 000 Schritte, die Übungen im Freien, die Ich-Zeit und vor allem die Vorkehrungen für besseren Schlaf. Ich habe das Gefühl, ausgeglichener, wacher, fitter zu sein. Und auch objektive Beobachter bescheinigen: Ich habe tatsächlich etwas für mich getan. Der jährliche Check beim Arzt zeigt jedenfalls, dass meine Werte alle top sind, besonders wohlwollend bemerkt er, dass ich offensichtlich genug trinke - ein Ergebnis der Säule "Ernährung". Und die Physiotherapeutin, die mich regelmäßig einrenkt, findet, dass mein Rücken so geschmeidig sei wie nie. Danke, Kniebeugen! Und auch wenn ich den kompletten Regenbogen nicht esse, kein Dankbarkeits-Tagebuch schreibe und den bildschirmfreien Sonntag nicht hinbekomme: Der Ansatz des Buches ist gar nicht, jeden Punkt zu perfektionieren, wie Rangan Chatterjee sagt: "Versuch es für eine Woche, sieh, wie du es findest. Wenn es für dich funktioniert, großartig, wenn nicht, geh weiter zu etwas anderem." Was definitiv immer funktioniert: Einatmen. Ausatmen.
"Der 4-Säulen-Plan - Relax, Eat, Move, Sleep - Dein Weg zu einem längeren, gesünderen Leben" von Dr. Rangan Chatterjee erscheint am 16. September im Goldmann-Verlag und kostet 15,00 Euro.
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»Chatterjee bezieht sich auf aktuelle Studien und ist am Puls der Zeit. [D]as Buch verdeutlicht überzeugend die Zusammenhänge zwischen Schlaf, Ernährung, Bewegung und Entspannung.« bild.de