In Ernst-Wilhelm Händlers »Der absoloute Feind« erhält ein Schriftsteller einen ungewöhnlichen Auftrag: Er soll über den erfolgsgewöhnten Berliner Galeristen Georg Voigtländer schreiben und herausfinden, warum dieser nach fünfjährigem Aufenthalt in einer kalifornischen Psychiatrie Galerist geworden ist. Auf Einladung Voigtländers besucht der Schriftsteller die Kunstmesse Art Basel in Hongkong und die Armory Show in New York, wo die Galerie jeweils vertreten ist, und die Biennale in Venedig. Er lernt die ungewöhnliche Familie Voigtländers kennen und setzt sich in Italien auf die Spur des Malers Schelchshorn, der für die Galerie offenbar von großer nichtkommerzieller Wichtigkeit ist, aber jetzt von einer Mega-Galerie umworben wird. Der Schriftsteller unternimmt alles, um sich in den Galeristen einzufühlen. Doch Georg Voigtländer wird nicht weniger rätselhaft. Macht er sein Leben zum Kunstwerk? »Die Gegenwartskunst als Ganzes lässt sich nur über das Ökonomische betrachten« Ernst-Wilhelm Händler
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In Händlers Roman sind es die Sphären der Kunst und Literatur, die einen epischen Kampf austragen Richard Kämmerlings Welt am Sonntag 20230924
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Die Kunst hat keine Feinde
Ist das so? Ernst- Wilhelm Händler stellt in seinem neuen Roman "Der absolute Feind" die Literatur diesbezüglich auf die Probe.
Von Rose-Maria Gropp
Von Rose-Maria Gropp
Ernst-Wilhelm Händler ist der Mann für die Ökonomie (finance) im Literaturzirkus, und das seit nun bald drei Jahrzehnten. Das steht ihm so gut wie ein Anzug von Prada. Man weiß, dass er selbst sowohl im Unternehmertum als auch in der Philosophie beheimatet ist, dass er ein Kunstsammler ist, zudem ausgesprochen modeaffin (fashion).
Schon 2006 hat Robert Habeck in seinem Essay "Die Deregulierung der Literatur" über Händler befunden: "Nach wie vor gelten Stile als ihrer Zeit angemessen, drücken Befindlichkeiten aus, sind der Kampfplatz, auf dem Autoren ihre Potenz messen. Dieses Kräftemessen hat Händler in vielerlei Hinsicht für sich entschieden, indem er sich ihm nicht gestellt hat. Statt dessen führen seine Bücher das Mißlingen eines hermeneutischen Stildiskurses vor; nicht zuletzt, indem sie immer wieder aufzeigen, daß seine Voraussetzungen, ein vollständiger Subjektbegriff, ein gesicherter Weltzugang, ein ontologisches Literaturverhältnis, intellektuell nicht belastbar genug sind." Gerade weil Händler sich auf diesen Schaukampf um den Stil nicht eingelassen hat, kann er brillieren, unverwechselbar - mit seinem eigenen Stil.
Für ihn ist es ausgemachte Sache, dass das Subjekt als Effekt von Diskursen existiert. Das gilt explizit auch für seinen aktuellen Roman "Der absolute Feind", wenn dessen Icherzähler - ein namenloser Schriftsteller, der sich selbst einmal als "the Obscure" bezeichnet - sinniert: "Die Körper von Georg Voigtländer, von John, von Amrei, mein Körper Rohmaterial für Algorithmen und Prozesse, das Netzwerk der Kunst als medialer Raum, Koppelung, aber ich war kein Kunstkritiker und kein Künstler, der so was als erhellende Erkenntnis verbreiten durfte, Disclaimer."
Damit ist das wesentliche Personal des Romans beinahe vollständig erwähnt: Georg Voigtländer, in seinen Sechzigern wie der Icherzähler und Inhaber einer international renommierten Galerie in Berlin-Mitte, sein Sohn John, der wie dessen Schwester Carla in der Galerie arbeitet, und die Angestellte Amrei. Dazu kommt noch der ökonomisch gänzlich unergiebige Künstler Frank Schelchshorn als opaker Signifikant ins Spiel.
Voigtländer, der eine komplizierte Vorgeschichte als ehemaliger Unternehmer mit identifikatorischem Hang zur Literatur (von Thomas Bernhard) und sich in Kalifornien freiwillig fünf Jahre lang einer Psychiatrisierung unterzogen hat (man kennt ihn aus Händlers Roman "Fall" von 1997), hat dem Schriftsteller einen Auftrag erteilt: "Erfinden Sie mich." Es geht also um eine völlig offengelassene Form seiner Fiktionalisierung, keinesfalls um eine klassische Biographie. Entsprechend komplex gestaltet sich diese "Erfindung" - Raum genug für Händler, seine Vorstellungskraft, Beschreibungslust und intimen Kenntnisse von Finanz- und Kunstwelt in ihren nachgerade mythischen Verflechtungen mit der Conditio humana walten zu lassen: "Im Verhältnis zwischen Geschäft und Kunst haben Wirklichkeit und Unwirklichkeit die Seiten gewechselt. Es war einmal: Das Geschäft war für Wirklichkeit zuständig, die Kunst für Unwirklichkeit." Denn "die - eigentlich nur - Geld verdienen möchten, bauen Unwirklichkeiten in ihre Kalküle ein. Die Kunst machen wollen, reichern ihre Werke mit Wirklichkeiten an. Die Künste spenden Wirklichkeitstrost, das Geld spendet Unwirklichkeitstrost."
Damit ist jeder Glaube an einen "gesicherten Weltzugang", schon gar der Irrglaube an die Vernunft der Ökonomie, ausradiert. Aber die "absolute Feindschaft", die der Titel behauptet, besteht nicht zwischen Ökonomie und Kunst (was ja gern behauptet wird). Der Widerstreit, den Händler auf gut vierhundert Seiten - verdeckt gleichsam - durchexerziert, herrscht zwischen Literatur und Kunst, in Sonderheit radikal zeitgenössischer Kunst.
Daraus macht Händler aber nicht einen fleischlosen Thesenroman, auch wenn er das, übrigens erhellende, Dozieren nicht völlig sein lassen mag. Unter der Benutzeroberfläche des Gesellschaftsromans führt er in die Welt des globalen Kunstmarkts: zur Kunstmesse in Hongkong, der Biennale in Venedig oder der Armory Show in New York. Er (der Autor? der Icherzähler?) macht dort Beobachtungen, nichts ist seiner Aufzeichnungsakribie zu marginal. Das Ergebnis ist ein artifizieller Kosmos mit sämtlichen denkbaren Exaltiertheiten, was Passagen von enorm unterhaltsamer Qualität generiert.
Wer noch nicht an solchen Orten war, wird sich in manchem Soupçon bestätigt sehen. Wer diese Menagerie ein wenig kennt, weiß, dass Händler mitunter übertreibt - was das Vergnügen naturgemäß steigert. Dabei ist die herrschende Anspannung hinter den diversen Modelabel-Maskeraden den Körpern der in diesem Universum Handelnden buchstäblich eingeschrieben. Sie befinden sich im Schwebezustand zwischen digitaler Welt und Wirklichkeit (Händler benutzt kategorisch das Kürzel "IRL"). Das gilt auch für die Frauen im Buch, nicht nur für die schillernd androgyne Amrei, sondern vor allem für Carla, Voigtländers rätselhafte Tochter, mit ihren irritierenden Anfällen von Authentizität.
"Der absolute Feind" ist ein abenteuerlicher Hybrid aus erzählerischen Spannungsbögen und scharfer Observation diverser Psychosomatiken "IRL", die sich gebrochen in der (Selbst-)Reflexion des Icherzählers spiegeln. Dem klandestinen Leitthema gilt der letzte Absatz: "Wenn die Literatur Stärke zeigen will, ist das uncool. Eine Mischung aus Conceitedness und schlechtem Gewissen. Wenn die Kunst stark tut, ist das Kunst, und Kunst ist immer cool. Nur jemand wie ich - den es gar nicht gibt - kann darauf verfallen, dass Kunst und Literatur Feinde sind. Die Kunst hat keine Feinde, denn sie hat alle Feinde besiegt." Ist es aber nicht vielmehr so, dass der Ökonomieliterat Ernst-Wilhelm Händler mit seiner Suada das Gegenteil beweist? Genauer: Er zeigt vor, was nur Sprache kann, was eben Literatur unvergleichbar und unentbehrlich macht. Der "absolute Feind" schmilzt dahin wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. Wer durchhält, wird mit großem Spaß belohnt.
Ernst-Wilhelm Händler: "Der absolute Feind".
Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 414 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist das so? Ernst- Wilhelm Händler stellt in seinem neuen Roman "Der absolute Feind" die Literatur diesbezüglich auf die Probe.
Von Rose-Maria Gropp
Von Rose-Maria Gropp
Ernst-Wilhelm Händler ist der Mann für die Ökonomie (finance) im Literaturzirkus, und das seit nun bald drei Jahrzehnten. Das steht ihm so gut wie ein Anzug von Prada. Man weiß, dass er selbst sowohl im Unternehmertum als auch in der Philosophie beheimatet ist, dass er ein Kunstsammler ist, zudem ausgesprochen modeaffin (fashion).
Schon 2006 hat Robert Habeck in seinem Essay "Die Deregulierung der Literatur" über Händler befunden: "Nach wie vor gelten Stile als ihrer Zeit angemessen, drücken Befindlichkeiten aus, sind der Kampfplatz, auf dem Autoren ihre Potenz messen. Dieses Kräftemessen hat Händler in vielerlei Hinsicht für sich entschieden, indem er sich ihm nicht gestellt hat. Statt dessen führen seine Bücher das Mißlingen eines hermeneutischen Stildiskurses vor; nicht zuletzt, indem sie immer wieder aufzeigen, daß seine Voraussetzungen, ein vollständiger Subjektbegriff, ein gesicherter Weltzugang, ein ontologisches Literaturverhältnis, intellektuell nicht belastbar genug sind." Gerade weil Händler sich auf diesen Schaukampf um den Stil nicht eingelassen hat, kann er brillieren, unverwechselbar - mit seinem eigenen Stil.
Für ihn ist es ausgemachte Sache, dass das Subjekt als Effekt von Diskursen existiert. Das gilt explizit auch für seinen aktuellen Roman "Der absolute Feind", wenn dessen Icherzähler - ein namenloser Schriftsteller, der sich selbst einmal als "the Obscure" bezeichnet - sinniert: "Die Körper von Georg Voigtländer, von John, von Amrei, mein Körper Rohmaterial für Algorithmen und Prozesse, das Netzwerk der Kunst als medialer Raum, Koppelung, aber ich war kein Kunstkritiker und kein Künstler, der so was als erhellende Erkenntnis verbreiten durfte, Disclaimer."
Damit ist das wesentliche Personal des Romans beinahe vollständig erwähnt: Georg Voigtländer, in seinen Sechzigern wie der Icherzähler und Inhaber einer international renommierten Galerie in Berlin-Mitte, sein Sohn John, der wie dessen Schwester Carla in der Galerie arbeitet, und die Angestellte Amrei. Dazu kommt noch der ökonomisch gänzlich unergiebige Künstler Frank Schelchshorn als opaker Signifikant ins Spiel.
Voigtländer, der eine komplizierte Vorgeschichte als ehemaliger Unternehmer mit identifikatorischem Hang zur Literatur (von Thomas Bernhard) und sich in Kalifornien freiwillig fünf Jahre lang einer Psychiatrisierung unterzogen hat (man kennt ihn aus Händlers Roman "Fall" von 1997), hat dem Schriftsteller einen Auftrag erteilt: "Erfinden Sie mich." Es geht also um eine völlig offengelassene Form seiner Fiktionalisierung, keinesfalls um eine klassische Biographie. Entsprechend komplex gestaltet sich diese "Erfindung" - Raum genug für Händler, seine Vorstellungskraft, Beschreibungslust und intimen Kenntnisse von Finanz- und Kunstwelt in ihren nachgerade mythischen Verflechtungen mit der Conditio humana walten zu lassen: "Im Verhältnis zwischen Geschäft und Kunst haben Wirklichkeit und Unwirklichkeit die Seiten gewechselt. Es war einmal: Das Geschäft war für Wirklichkeit zuständig, die Kunst für Unwirklichkeit." Denn "die - eigentlich nur - Geld verdienen möchten, bauen Unwirklichkeiten in ihre Kalküle ein. Die Kunst machen wollen, reichern ihre Werke mit Wirklichkeiten an. Die Künste spenden Wirklichkeitstrost, das Geld spendet Unwirklichkeitstrost."
Damit ist jeder Glaube an einen "gesicherten Weltzugang", schon gar der Irrglaube an die Vernunft der Ökonomie, ausradiert. Aber die "absolute Feindschaft", die der Titel behauptet, besteht nicht zwischen Ökonomie und Kunst (was ja gern behauptet wird). Der Widerstreit, den Händler auf gut vierhundert Seiten - verdeckt gleichsam - durchexerziert, herrscht zwischen Literatur und Kunst, in Sonderheit radikal zeitgenössischer Kunst.
Daraus macht Händler aber nicht einen fleischlosen Thesenroman, auch wenn er das, übrigens erhellende, Dozieren nicht völlig sein lassen mag. Unter der Benutzeroberfläche des Gesellschaftsromans führt er in die Welt des globalen Kunstmarkts: zur Kunstmesse in Hongkong, der Biennale in Venedig oder der Armory Show in New York. Er (der Autor? der Icherzähler?) macht dort Beobachtungen, nichts ist seiner Aufzeichnungsakribie zu marginal. Das Ergebnis ist ein artifizieller Kosmos mit sämtlichen denkbaren Exaltiertheiten, was Passagen von enorm unterhaltsamer Qualität generiert.
Wer noch nicht an solchen Orten war, wird sich in manchem Soupçon bestätigt sehen. Wer diese Menagerie ein wenig kennt, weiß, dass Händler mitunter übertreibt - was das Vergnügen naturgemäß steigert. Dabei ist die herrschende Anspannung hinter den diversen Modelabel-Maskeraden den Körpern der in diesem Universum Handelnden buchstäblich eingeschrieben. Sie befinden sich im Schwebezustand zwischen digitaler Welt und Wirklichkeit (Händler benutzt kategorisch das Kürzel "IRL"). Das gilt auch für die Frauen im Buch, nicht nur für die schillernd androgyne Amrei, sondern vor allem für Carla, Voigtländers rätselhafte Tochter, mit ihren irritierenden Anfällen von Authentizität.
"Der absolute Feind" ist ein abenteuerlicher Hybrid aus erzählerischen Spannungsbögen und scharfer Observation diverser Psychosomatiken "IRL", die sich gebrochen in der (Selbst-)Reflexion des Icherzählers spiegeln. Dem klandestinen Leitthema gilt der letzte Absatz: "Wenn die Literatur Stärke zeigen will, ist das uncool. Eine Mischung aus Conceitedness und schlechtem Gewissen. Wenn die Kunst stark tut, ist das Kunst, und Kunst ist immer cool. Nur jemand wie ich - den es gar nicht gibt - kann darauf verfallen, dass Kunst und Literatur Feinde sind. Die Kunst hat keine Feinde, denn sie hat alle Feinde besiegt." Ist es aber nicht vielmehr so, dass der Ökonomieliterat Ernst-Wilhelm Händler mit seiner Suada das Gegenteil beweist? Genauer: Er zeigt vor, was nur Sprache kann, was eben Literatur unvergleichbar und unentbehrlich macht. Der "absolute Feind" schmilzt dahin wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. Wer durchhält, wird mit großem Spaß belohnt.
Ernst-Wilhelm Händler: "Der absolute Feind".
Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 414 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Ziemlich begeistert ist Rezensent Christian Metz von Ernst-Wilhelm Händlers neuem Roman, in dem ein Schriftsteller den Versuch unternimmt, einen Kunstgaleristen zu porträtieren. Genauer gesagt, lernen wir, handelt es sich bei dem Porträtierten um den bereits aus Händlers Werk bekannten Georg Voigtländer, der mit seiner Familie alles dem Erfolg unterordnet. Es gibt im Buch allerdings drei Störsender, führt Metz aus, die die Sache komplizierter machen: Erstens ein Kontrahent der Voigtländers, der deren Starkünstler abwerben will; zweitens Voigtländers Neid auf die Literatur, die er höher schätzt als sein eigenes Metier, die Kunst; drittens die ursprünglich wenig glamourösen Lebensumstände des Schriftstellers, der plötzlich mit dem Geld der Kunstwelt um sich werfen kann. Herausgekommen ist bei all dem ein komplexes Vexierspiel zwischen Theorie und Leben, das raffiniert geschrieben ist und viel von unserer Gegenwart zu fassen bekommt, lobt begeistert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Kunst hat keine Feinde
Ist das so? Ernst- Wilhelm Händler stellt in seinem neuen Roman "Der absolute Feind" die Literatur diesbezüglich auf die Probe.
Von Rose-Maria Gropp
Von Rose-Maria Gropp
Ernst-Wilhelm Händler ist der Mann für die Ökonomie (finance) im Literaturzirkus, und das seit nun bald drei Jahrzehnten. Das steht ihm so gut wie ein Anzug von Prada. Man weiß, dass er selbst sowohl im Unternehmertum als auch in der Philosophie beheimatet ist, dass er ein Kunstsammler ist, zudem ausgesprochen modeaffin (fashion).
Schon 2006 hat Robert Habeck in seinem Essay "Die Deregulierung der Literatur" über Händler befunden: "Nach wie vor gelten Stile als ihrer Zeit angemessen, drücken Befindlichkeiten aus, sind der Kampfplatz, auf dem Autoren ihre Potenz messen. Dieses Kräftemessen hat Händler in vielerlei Hinsicht für sich entschieden, indem er sich ihm nicht gestellt hat. Statt dessen führen seine Bücher das Mißlingen eines hermeneutischen Stildiskurses vor; nicht zuletzt, indem sie immer wieder aufzeigen, daß seine Voraussetzungen, ein vollständiger Subjektbegriff, ein gesicherter Weltzugang, ein ontologisches Literaturverhältnis, intellektuell nicht belastbar genug sind." Gerade weil Händler sich auf diesen Schaukampf um den Stil nicht eingelassen hat, kann er brillieren, unverwechselbar - mit seinem eigenen Stil.
Für ihn ist es ausgemachte Sache, dass das Subjekt als Effekt von Diskursen existiert. Das gilt explizit auch für seinen aktuellen Roman "Der absolute Feind", wenn dessen Icherzähler - ein namenloser Schriftsteller, der sich selbst einmal als "the Obscure" bezeichnet - sinniert: "Die Körper von Georg Voigtländer, von John, von Amrei, mein Körper Rohmaterial für Algorithmen und Prozesse, das Netzwerk der Kunst als medialer Raum, Koppelung, aber ich war kein Kunstkritiker und kein Künstler, der so was als erhellende Erkenntnis verbreiten durfte, Disclaimer."
Damit ist das wesentliche Personal des Romans beinahe vollständig erwähnt: Georg Voigtländer, in seinen Sechzigern wie der Icherzähler und Inhaber einer international renommierten Galerie in Berlin-Mitte, sein Sohn John, der wie dessen Schwester Carla in der Galerie arbeitet, und die Angestellte Amrei. Dazu kommt noch der ökonomisch gänzlich unergiebige Künstler Frank Schelchshorn als opaker Signifikant ins Spiel.
Voigtländer, der eine komplizierte Vorgeschichte als ehemaliger Unternehmer mit identifikatorischem Hang zur Literatur (von Thomas Bernhard) und sich in Kalifornien freiwillig fünf Jahre lang einer Psychiatrisierung unterzogen hat (man kennt ihn aus Händlers Roman "Fall" von 1997), hat dem Schriftsteller einen Auftrag erteilt: "Erfinden Sie mich." Es geht also um eine völlig offengelassene Form seiner Fiktionalisierung, keinesfalls um eine klassische Biographie. Entsprechend komplex gestaltet sich diese "Erfindung" - Raum genug für Händler, seine Vorstellungskraft, Beschreibungslust und intimen Kenntnisse von Finanz- und Kunstwelt in ihren nachgerade mythischen Verflechtungen mit der Conditio humana walten zu lassen: "Im Verhältnis zwischen Geschäft und Kunst haben Wirklichkeit und Unwirklichkeit die Seiten gewechselt. Es war einmal: Das Geschäft war für Wirklichkeit zuständig, die Kunst für Unwirklichkeit." Denn "die - eigentlich nur - Geld verdienen möchten, bauen Unwirklichkeiten in ihre Kalküle ein. Die Kunst machen wollen, reichern ihre Werke mit Wirklichkeiten an. Die Künste spenden Wirklichkeitstrost, das Geld spendet Unwirklichkeitstrost."
Damit ist jeder Glaube an einen "gesicherten Weltzugang", schon gar der Irrglaube an die Vernunft der Ökonomie, ausradiert. Aber die "absolute Feindschaft", die der Titel behauptet, besteht nicht zwischen Ökonomie und Kunst (was ja gern behauptet wird). Der Widerstreit, den Händler auf gut vierhundert Seiten - verdeckt gleichsam - durchexerziert, herrscht zwischen Literatur und Kunst, in Sonderheit radikal zeitgenössischer Kunst.
Daraus macht Händler aber nicht einen fleischlosen Thesenroman, auch wenn er das, übrigens erhellende, Dozieren nicht völlig sein lassen mag. Unter der Benutzeroberfläche des Gesellschaftsromans führt er in die Welt des globalen Kunstmarkts: zur Kunstmesse in Hongkong, der Biennale in Venedig oder der Armory Show in New York. Er (der Autor? der Icherzähler?) macht dort Beobachtungen, nichts ist seiner Aufzeichnungsakribie zu marginal. Das Ergebnis ist ein artifizieller Kosmos mit sämtlichen denkbaren Exaltiertheiten, was Passagen von enorm unterhaltsamer Qualität generiert.
Wer noch nicht an solchen Orten war, wird sich in manchem Soupçon bestätigt sehen. Wer diese Menagerie ein wenig kennt, weiß, dass Händler mitunter übertreibt - was das Vergnügen naturgemäß steigert. Dabei ist die herrschende Anspannung hinter den diversen Modelabel-Maskeraden den Körpern der in diesem Universum Handelnden buchstäblich eingeschrieben. Sie befinden sich im Schwebezustand zwischen digitaler Welt und Wirklichkeit (Händler benutzt kategorisch das Kürzel "IRL"). Das gilt auch für die Frauen im Buch, nicht nur für die schillernd androgyne Amrei, sondern vor allem für Carla, Voigtländers rätselhafte Tochter, mit ihren irritierenden Anfällen von Authentizität.
"Der absolute Feind" ist ein abenteuerlicher Hybrid aus erzählerischen Spannungsbögen und scharfer Observation diverser Psychosomatiken "IRL", die sich gebrochen in der (Selbst-)Reflexion des Icherzählers spiegeln. Dem klandestinen Leitthema gilt der letzte Absatz: "Wenn die Literatur Stärke zeigen will, ist das uncool. Eine Mischung aus Conceitedness und schlechtem Gewissen. Wenn die Kunst stark tut, ist das Kunst, und Kunst ist immer cool. Nur jemand wie ich - den es gar nicht gibt - kann darauf verfallen, dass Kunst und Literatur Feinde sind. Die Kunst hat keine Feinde, denn sie hat alle Feinde besiegt." Ist es aber nicht vielmehr so, dass der Ökonomieliterat Ernst-Wilhelm Händler mit seiner Suada das Gegenteil beweist? Genauer: Er zeigt vor, was nur Sprache kann, was eben Literatur unvergleichbar und unentbehrlich macht. Der "absolute Feind" schmilzt dahin wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. Wer durchhält, wird mit großem Spaß belohnt.
Ernst-Wilhelm Händler: "Der absolute Feind".
Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 414 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist das so? Ernst- Wilhelm Händler stellt in seinem neuen Roman "Der absolute Feind" die Literatur diesbezüglich auf die Probe.
Von Rose-Maria Gropp
Von Rose-Maria Gropp
Ernst-Wilhelm Händler ist der Mann für die Ökonomie (finance) im Literaturzirkus, und das seit nun bald drei Jahrzehnten. Das steht ihm so gut wie ein Anzug von Prada. Man weiß, dass er selbst sowohl im Unternehmertum als auch in der Philosophie beheimatet ist, dass er ein Kunstsammler ist, zudem ausgesprochen modeaffin (fashion).
Schon 2006 hat Robert Habeck in seinem Essay "Die Deregulierung der Literatur" über Händler befunden: "Nach wie vor gelten Stile als ihrer Zeit angemessen, drücken Befindlichkeiten aus, sind der Kampfplatz, auf dem Autoren ihre Potenz messen. Dieses Kräftemessen hat Händler in vielerlei Hinsicht für sich entschieden, indem er sich ihm nicht gestellt hat. Statt dessen führen seine Bücher das Mißlingen eines hermeneutischen Stildiskurses vor; nicht zuletzt, indem sie immer wieder aufzeigen, daß seine Voraussetzungen, ein vollständiger Subjektbegriff, ein gesicherter Weltzugang, ein ontologisches Literaturverhältnis, intellektuell nicht belastbar genug sind." Gerade weil Händler sich auf diesen Schaukampf um den Stil nicht eingelassen hat, kann er brillieren, unverwechselbar - mit seinem eigenen Stil.
Für ihn ist es ausgemachte Sache, dass das Subjekt als Effekt von Diskursen existiert. Das gilt explizit auch für seinen aktuellen Roman "Der absolute Feind", wenn dessen Icherzähler - ein namenloser Schriftsteller, der sich selbst einmal als "the Obscure" bezeichnet - sinniert: "Die Körper von Georg Voigtländer, von John, von Amrei, mein Körper Rohmaterial für Algorithmen und Prozesse, das Netzwerk der Kunst als medialer Raum, Koppelung, aber ich war kein Kunstkritiker und kein Künstler, der so was als erhellende Erkenntnis verbreiten durfte, Disclaimer."
Damit ist das wesentliche Personal des Romans beinahe vollständig erwähnt: Georg Voigtländer, in seinen Sechzigern wie der Icherzähler und Inhaber einer international renommierten Galerie in Berlin-Mitte, sein Sohn John, der wie dessen Schwester Carla in der Galerie arbeitet, und die Angestellte Amrei. Dazu kommt noch der ökonomisch gänzlich unergiebige Künstler Frank Schelchshorn als opaker Signifikant ins Spiel.
Voigtländer, der eine komplizierte Vorgeschichte als ehemaliger Unternehmer mit identifikatorischem Hang zur Literatur (von Thomas Bernhard) und sich in Kalifornien freiwillig fünf Jahre lang einer Psychiatrisierung unterzogen hat (man kennt ihn aus Händlers Roman "Fall" von 1997), hat dem Schriftsteller einen Auftrag erteilt: "Erfinden Sie mich." Es geht also um eine völlig offengelassene Form seiner Fiktionalisierung, keinesfalls um eine klassische Biographie. Entsprechend komplex gestaltet sich diese "Erfindung" - Raum genug für Händler, seine Vorstellungskraft, Beschreibungslust und intimen Kenntnisse von Finanz- und Kunstwelt in ihren nachgerade mythischen Verflechtungen mit der Conditio humana walten zu lassen: "Im Verhältnis zwischen Geschäft und Kunst haben Wirklichkeit und Unwirklichkeit die Seiten gewechselt. Es war einmal: Das Geschäft war für Wirklichkeit zuständig, die Kunst für Unwirklichkeit." Denn "die - eigentlich nur - Geld verdienen möchten, bauen Unwirklichkeiten in ihre Kalküle ein. Die Kunst machen wollen, reichern ihre Werke mit Wirklichkeiten an. Die Künste spenden Wirklichkeitstrost, das Geld spendet Unwirklichkeitstrost."
Damit ist jeder Glaube an einen "gesicherten Weltzugang", schon gar der Irrglaube an die Vernunft der Ökonomie, ausradiert. Aber die "absolute Feindschaft", die der Titel behauptet, besteht nicht zwischen Ökonomie und Kunst (was ja gern behauptet wird). Der Widerstreit, den Händler auf gut vierhundert Seiten - verdeckt gleichsam - durchexerziert, herrscht zwischen Literatur und Kunst, in Sonderheit radikal zeitgenössischer Kunst.
Daraus macht Händler aber nicht einen fleischlosen Thesenroman, auch wenn er das, übrigens erhellende, Dozieren nicht völlig sein lassen mag. Unter der Benutzeroberfläche des Gesellschaftsromans führt er in die Welt des globalen Kunstmarkts: zur Kunstmesse in Hongkong, der Biennale in Venedig oder der Armory Show in New York. Er (der Autor? der Icherzähler?) macht dort Beobachtungen, nichts ist seiner Aufzeichnungsakribie zu marginal. Das Ergebnis ist ein artifizieller Kosmos mit sämtlichen denkbaren Exaltiertheiten, was Passagen von enorm unterhaltsamer Qualität generiert.
Wer noch nicht an solchen Orten war, wird sich in manchem Soupçon bestätigt sehen. Wer diese Menagerie ein wenig kennt, weiß, dass Händler mitunter übertreibt - was das Vergnügen naturgemäß steigert. Dabei ist die herrschende Anspannung hinter den diversen Modelabel-Maskeraden den Körpern der in diesem Universum Handelnden buchstäblich eingeschrieben. Sie befinden sich im Schwebezustand zwischen digitaler Welt und Wirklichkeit (Händler benutzt kategorisch das Kürzel "IRL"). Das gilt auch für die Frauen im Buch, nicht nur für die schillernd androgyne Amrei, sondern vor allem für Carla, Voigtländers rätselhafte Tochter, mit ihren irritierenden Anfällen von Authentizität.
"Der absolute Feind" ist ein abenteuerlicher Hybrid aus erzählerischen Spannungsbögen und scharfer Observation diverser Psychosomatiken "IRL", die sich gebrochen in der (Selbst-)Reflexion des Icherzählers spiegeln. Dem klandestinen Leitthema gilt der letzte Absatz: "Wenn die Literatur Stärke zeigen will, ist das uncool. Eine Mischung aus Conceitedness und schlechtem Gewissen. Wenn die Kunst stark tut, ist das Kunst, und Kunst ist immer cool. Nur jemand wie ich - den es gar nicht gibt - kann darauf verfallen, dass Kunst und Literatur Feinde sind. Die Kunst hat keine Feinde, denn sie hat alle Feinde besiegt." Ist es aber nicht vielmehr so, dass der Ökonomieliterat Ernst-Wilhelm Händler mit seiner Suada das Gegenteil beweist? Genauer: Er zeigt vor, was nur Sprache kann, was eben Literatur unvergleichbar und unentbehrlich macht. Der "absolute Feind" schmilzt dahin wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. Wer durchhält, wird mit großem Spaß belohnt.
Ernst-Wilhelm Händler: "Der absolute Feind".
Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 414 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main