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Hort des Trostes oder Paradiesgarten der Terroristen? Amy Waldmans Roman "Der amerikanische Architekt" erzählt vom Ringen um die Gedenkstätte für "Ground Zero"
Zwei Jahre nach dem Anschlag vom 11. September auf das World Trade Center diskutiert eine Jury über Entwürfe für die Gedenkstätte. Man entscheidet sich für den "Garten", ohne den Namen des Architekten zu kennen - der Wettbewerb war anonym. Feierlich wird dann der Umschlag geöffnet: Mohammed Khan heißt der Gewinner. Ein Muslim als Fürsprecher der Trauernden?
Das ist eine Eröffnung wie für ein Bühnenstück. Und tatsächlich erweist sich Amy Waldman als souveräne Choreographin. Die 1969 geborene Autorin - unter anderem leitete sie als Journalistin das Südasien-Büro der "New York Times" - lebt in Brooklyn, und die Wirklichkeit dürfte sie zumindest inspiriert haben. In New York ist um "Ground Zero" zwar eine Lösung gefunden, mit zwei Wassertanks, welche in die Fußstapfen der verschwundenen Gebäude eingelassen sind. Doch das geplante Museum und dessen Kosten sind weiterhin Streitobjekt. Was sich im Hintergrund alles abspielt, lässt sich im Detail nur erahnen.
Waldmans Roman "The Submission", was doppeldeutig "Einreichung" wie "Unterwerfung" heißt, ist in den Vereinigten Staaten sehr erfolgreich, weil er sehr genau die Krater eines tief verwundeten Landes durchmisst. Bei uns heißt das Buch "Der amerikanische Architekt".
Obwohl dialoglastig - es wird ausdauernd argumentiert - ist der Roman zügig erzählt und klug komponiert. Jede Figur hat eine Gegenfigur, eine Gegenmeinung. Immer neue Perspektiven stellen die Empathie auf die Probe. Man sieht sich immer tiefer hinabgezogen in den Sumpf einer Gesellschaft, die vor allem um eigene Bedürfnisse kreist. Nicht umsonst wird Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" zitiert. Das Mahnmal ist bald nur noch Kulisse. Im Vordergrund lässt Waldman die einzelnen Akteure wie Marionetten agieren: die skrupellose Schmierenjournalistin, die nichts kümmert außer ihrem eigenen Bauchfett; den Bankmanager, der um seinen guten Ruf fürchtet. Oder die Bildhauerin Ariane, ein Jurymitglied, berühmt, einflussreich und gekränkt, weil ihr Favorit verliert: das "Nichts" mit den Namen der Toten auf einem gigantischen Quader aus schwarzem Granit.
Der "Garten" ist dagegen ein Ort der Stille, genau das Richtige für Claire, die ihren Mann bei dem Anschlag verloren hat. Der "Garten", das sagt sie auch ihrem sechsjährigen Sohn, sei ein besonderer Ort, an dem er seinen Vater wiederfinden könne. Aber auch sie beginnt unter dem Druck der Öffentlichkeit zu wanken. Und wir begegnen Asma, deren Mann illegal in den Zwillingstürmen arbeitete - die reinste Stimme des Romans. Man sieht sie alle von außen, aber immer wieder auch allein, gefangen in Selbstzweifel und beeinflusst von einem Umfeld, das seinerseits Extremismus schürt.
Angst und Rachegefühle verquicken sich unheilvoll zu einer Bewegung, deren Anführer selbst zu Tätern werden. Auf offener Straße reißen sie Passanten Kopftücher herunter. Selbstschutzgruppen bilden sich. Opfer werden gegeneinander aufgerechnet, Fakten erfunden. Khan sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, sein "Garten", der Trost spenden soll, sei als Paradies für die Terroristen geplant, weil er islamische Elemente integriere. Man unterstellt ihm einen verdeckten Versuch der Islamisierung. Religiöse Muslime hingegen fragen ihn scharf: "Die Terroristen waren zumindest gläubig. Welche Entschuldigung haben Sie?" Eine Schlinge aus Vorurteilen legt sich um seinen Hals, während er darum ringt, nicht hinter Religion und Herkunft zu verschwinden. Doch Mohammed Khan ist, ob er will oder nicht, zum Feindbild gefroren und als Individuum kaum mehr erkennbar.
Vielleicht wirkt der amerikanische Architekt in seiner leicht arroganten Art auch etwas ungeschickt. Mo nennen ihn Freunde. Geboren in Virginia, Yale-Absolvent, ist ihm religiöses Leben nebensächlich. Schon nach dem Anschlag aber beginnen Schikanen. Am Flughafen wird er unverschämt verhört. Ein Aufenthalt in Kabul, wo er an einem Wettbewerb für den Bau der amerikanischen Botschaft teilnahm, wirkt sofort verdächtig. Er ist die interessanteste Figur im Roman, verstrickt und in der Lage, sich selbst dabei zu beobachten. Waldman gelingt es, inmitten aller Konflikte tonlos die Trauer zu bebildern, die Verlorenheit angesichts einer Ohnmacht, die alle miteinander verbindet. "Eines Abends ging Mo zu Fuß zum Ort der Zerstörung. Das Mondlicht beleuchtete einen seltsamen feinen Staub, der Blätter und Äste überzog; sein Fuß trat auf einen Fetzen Papier mit angesengtem Rand. Die sonst rund um die Uhr beleuchteten Bürotürme in der Nähe waren dunkel, als seien die Lebensgeister der Stadt bezwungen worden. Ein Flickenteppich der Vermissten überzog Zäune und Baustellenabsperrungen, aber die Straßen waren leer, und zum ersten Mal, soweit er sich erinnern konnte, hörte er in New York den Klang seiner eigenen Schritte."
Man spürt Zug um Zug diese selbstzerstörerische Kraft einer paranoiden, zu Manipulationen jederzeit bereiten Gesellschaft, wie sie etwa auch Dave Eggers Reportage-Roman "Zeitoun" fesselnd zeigte. Waldmans Porträt ist absurder, in manchen Passagen fast satirisch, gnadenloser auch im Vorführen der prinzipientreuen Figuren. Und natürlich spiegelt ihr Roman die uramerikanische Sehnsucht, dass es nach dem Bruch schnell aufwärtsgeht. Ihre Diagnose ist kritisch und durchaus übertragbar, weil sie daneben immer auch vom Einzelnen erzählt, vom abgewehrten Fremden an sich. Für den ambitionierten Architekten schließlich eine bedrückende Erfahrung: "Amerika hatte seinen eingewanderten Eltern die Freiheit geboten, sich selbst neu zu erfinden. Mo dagegen war von anderen neu erfunden worden, war von ihnen so verzerrt worden, dass er sich selbst kaum noch erkannte." Scharfzüngig erzählt Amy Waldman vom schlingernden Selbstfindungsprozess eines zersplitterten Landes. Fragwürdige Werte wie Patriotismus und Ehrgeiz werden skelettiert. Obdach gibt es am Ende für niemanden.
ANJA HIRSCH.
Amy Waldman: "Der amerikanische Architekt". Roman.
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Schöffling Verlag, Frankfurt a.M. 2013. 507 S., geb., 24,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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