Zur selben Zeit wird der Japaner Fumio Onishi von seiner Yakuza-Organisation nach Berlin beordert, um Yuki O.s Tod aufzuklären und Vergeltung zu üben. Fumio Onishi ist ein Meister im Handwerk des Tötens und sieht sich doch nicht als eiskalten Killer, sondern als Erbe japanischer Traditionen, wie sie die Samurai der alten Zeit verkörpert haben. Bald schon zieht er eine Blutspur durch die vietnamesische Parallelgesellschaft im Prenzlauer Berg. Schließlich versucht Annegret Bartsch, ihm mit Hilfe eines vietnamesischen Kontaktmanns eine Falle zu stellen ...
»Der Arm des Kraken« ist ein fulminanter Großstadtroman und actiongeladener literarischer Thriller zugleich. Und er ist in dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen der deutschen Kommissarin und dem japanischen Killer das bestechende Psychogramm zweier vielfach gebrochener Menschen, die gefangen sind in den Zwängen und Absurditäten ihres jeweiligen Lebensentwurfs.
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© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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Chaotische Berliner Kommissarin jagt coolen japanischen Killer: Christoph Peters inszeniert in seinem ersten Thriller einen messerscharfen Kampf der Kulturen.
Ein guter Krimi erzählt meistens auch Zeitgeschichte. Als ein toter Japaner im Erich-Mühsam-Park gefunden wird, muss sich Annegret Bartsch, seit fünfzehn Jahren Kommissarin im Vietnam-Dezernat bei der Berliner Polizei, erst einmal mit dem naheliegenden Verdacht auseinandersetzen, dass es sich um die ausländerfeindliche Tat von Terroristen vom Schlage der NSU handeln könnte. Er spüre schon, sagt einer der Vietnamesen, die sie verhört, "gerade wenn er weiter in den Osten fahre, dass er nicht willkommen sei als Ausländer". Und die Kommissarin, deren Bewusstseinsstrom ohne Punkt, aber mit vielen Kommata wir da schon einige Zeit gefolgt sind, denkt: "Ich muss zugeben, dass er mich ein bisschen kalt erwischt hatte, diese Möglichkeit war überhaupt nicht auf meiner Rechnung gewesen, normalerweise würde ich bei einem muskelbepackten Japaner mit Ganzkörpertätowierung nie auf die Idee kommen, es könnte einen rassistischen Hintergrund geben."
Das wäre in diesem Fall auch die langweiligste, weil erwartbarste Lösung. Stattdessen führt uns Christoph Peters in seinem Roman "Der Arm des Kraken" tief in eine Berliner Parallelwelt, eine Schattenwirtschaft, in der die Restaurants und Lebensmittelläden im Osten der Stadt von einigen mächtigen Vietnamesen kontrolliert werden, die dort Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Menschenhandel betreiben. Annegret Bartsch kennt diese mafiösen Verstrickungen - in der Theorie. Praktisch ist es mit ihren Insiderinformationen mangels Informanten nicht mehr weit her; die letzte Verurteilung, die ihre Abteilung erwirkt hat, liegt schon Jahre zurück.
Inzwischen ist ihr Job, wie sie gleich zu Beginn wissen lässt, "wahnsinnig langweilig, meistens passiert gar nichts, du sitzt da, wertest irgendwelche Ermittlungsakten oder Protokolle aus, was halt auf deinem Schreibtisch landet, dann Arbeitsgruppensitzungen, Hintergrundanalysen, Fortbildungen hier, Schulungen da, ab und zu ein paar Zeugenvernehmungen". 1996 hingegen, als sie im Dezernat angefangen hat, war "richtig was los hier, fast jede Woche Messerstechereien, Schusswechsel, oder es tauchten irgendwo Leichen auf".
Über einen Mangel an Leichen kann sich Annegret Bartsch bald nach Beginn des Romans nicht mehr beklagen, denn kurz nach dem Fund der ersten, des über und über tätowierten Japaners Yuki, gesellen sich jede Menge Vietnamesen dazu - und schon sind wir mittendrin im Kampf der japanischen gegen die vietnamesische Mafia um Ehre, Einzugsgebiete und Einkünfte. Angerichtet wird das Blutbad, von Peters so deutlich wie dezent gehandhabt, von einem Samurai-geschulten Profikiller namens Fumio Onishi, der den Tod Yukis nicht nur im Namen der Yakuza rächen, sondern auch herausfinden soll, auf welche Geschäfte sich Yuki eingelassen hat und warum er sterben musste.
Der Schriftsteller Christoph Peters legt mit knapp neunundvierzig und nach gefeierten Romanen wie "Das Tuch aus Nacht", "Mitsukos Restaurant", "Wir in Kahlenbeck" und zuletzt "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" mit "Der Arm des Kraken" seinen ersten Thriller vor. Dass er es dabei vor allem auf den kommerziellen Erfolg abgesehen hat, den das Genre verheißt, steht nach der Lektüre nicht zu befürchten. Denn Peters hält sich an die Regeln des Genres, ohne seine eigene literarische Herkunft dabei zu verraten. Erzählt wird abwechselnd aus der Perspektive Fumios und jener der Kommissarin. Während Fumios Passagen auktorial gehalten sind, um die konzentrierte Disziplin, die Kühle und Präzision der Figur zu betonen, geht im Kopf von Annegret Bartsch alles munter durcheinander und drunter und drüber, sozusagen Sashimi gegen Eintopf.
Leser von Peters schätzen seine Affinität zu Japan, die ihn diesmal nach der Kulinarik von "Mitsukos Restaurant" (das auch einmal erwähnt wird) und der Keramik- und Ofenbaukunst von "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" in ganz andere Gefilde, etwa die des Schwertkampfs, geführt hat. Der äußerst ergiebige Kontrast der Kulturen zwischen dem japanischen Killer und der deutschen Polizistin, der bis in die Denkweisen, Arbeitsmethoden und Lebensentwürfe reicht, sorgt für die eigentliche Spannung des Buchs und findet sein würdiges und überraschendes Finale in der Falle, welche die Berliner Beamtin dem Killer aus Fernost stellt.
Anhand des Katz-und-Maus-Spiels zwischen Annegret Bartsch und Fumio Onishi stellt der Roman die Frage, wie viel Anpassung notwendig ist, um in einem fremden Kulturkreis zu reüssieren, und ab wann diese zur Gefahr wird. Gleich zu Beginn erinnert sich Fumio Onishi an seine frühen Zweifel, ob Yukis rasche Annahme von europäischen Gewohnheiten "sich noch im Rahmen des Nützlichen bewegte oder ob er dabei war, seine japanische Identität zu gefährden". Dass Onishi zusehends selbst Gefahr läuft, diese feine Grenze zu überschreiten, nachdem er sich in die deutsche Freundin seines toten Yakuza-Bruders verguckt hat, macht ihn indes keinen Deut berechenbarer, anders als Annegret Bartsch, die bei Peters den typischen Ermittlerkonflikt zwischen den Anforderungen ihres Jobs und denen ihrer Familie austrägt. Am Ende haben beide Parteien die Ermahnung des Samurai-Meisters missachtet: Vor der Durchführung eines Auftrags soll man sich nicht auf private Streitereien einlassen.
FELICITAS VON LOVENBERG
Christoph Peters:
"Der Arm des Kraken".
Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
352 S., geb., 19,99 [Euro].
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