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Wie lässt sich ein Wirtschaftssystem erklären, in dem Geld durch Geld erzeugt wird? Angesichts eines Informationskapitalismus, in dem Warenproduktion und körperliche Arbeit nur noch als Reminiszenz an alte Zeiten mitgeschleppt werden, zeigt der italienische Philosoph "Bifo" Berardi, dass wir es mit einem System zu tun haben, das vor hundert Jahren bereits von Dichtern wie Mallarmé antizipiert wurde: Der Signifikant hat den Bezug zu seinem Referenten verloren, "Schulden sind ein bloßer Akt der Sprache, ein Versprechen." Daher müssen wir zunächst lernen, die Zeichen zu lesen, sie so zu…mehr

Produktbeschreibung
Wie lässt sich ein Wirtschaftssystem erklären, in dem Geld durch Geld erzeugt wird? Angesichts eines Informationskapitalismus, in dem Warenproduktion und körperliche Arbeit nur noch als Reminiszenz an alte Zeiten mitgeschleppt werden, zeigt der italienische Philosoph "Bifo" Berardi, dass wir es mit einem System zu tun haben, das vor hundert Jahren bereits von Dichtern wie Mallarmé antizipiert wurde: Der Signifikant hat den Bezug zu seinem Referenten verloren, "Schulden sind ein bloßer Akt der Sprache, ein Versprechen." Daher müssen wir zunächst lernen, die Zeichen zu lesen, sie so zu interpretieren, wie man Poesie interpretiert. Der Akt der Interpretation lehrt uns Empathie, er ist der erste Schritt zu einer neuen Solidarität, die den "erotischen Körper des gesellschaftlichen Lebens" reaktivieren kann.Ausgehend von der Finanzkrise 2008 und dem europäischen Kollaps dekonstruiert Berardi die Sprache und die Mythen des Neoliberalismus und ruft zu einer Revolution der Langsamkeit und des Rückzugs auf, mit der wir den Niedergang nicht zu fürchten brauchen.
Autorenporträt
Franco "Bifo" Berardi, geboren 1949 in Bologna, ist Philosoph und Medientheoretiker und war früher in der revolutionären Autonomia-Bewegung in Italien aktiv. Er publizierte (u. a. mit Félix Guattari) diverse Bücher zur Verschränkung von Kommunikation, Psychologie und Ökonomie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015

Bringt eure Wörter zum Explodieren!

Geld und Sprache haben eines gemein: Sie sind nichts und bewegen alles. Die Lösung der Krise muss in der Sprache liegen, schreibt der Philosoph Franco "Bifo" Berardi

Er hat keine Manieren. Er trägt keine Krawatten. Sein Hemd hängt aus der Hose. Er redet zu viel, "halbstarke Sätze", heißt es, wo doch Demut angebracht wäre, und Schuldbewusstsein natürlich. Wenn in diesen Tagen vom griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis die Rede ist, geht es fast ausschließlich um solche Zeichen, um Stil und um Rhetorik. Die reflexhafte Interpretation einer solchen Semantik ist bekannt: Wer derart gegen die herrschenden Konventionen verstößt, kann die Probleme, um die es geht, nicht ernst nehmen. Im schlimmsten Fall legt man ein solches Auftreten als Inkompetenz aus, im besten Fall als ein durchschaubares Manöver, das davon ablenken soll, dass hinter der Maske des Rebellen keine politischen Konzepte stecken.

Es wäre leicht, sich vom Gegenteil zu überzeugen: Wie besessen sich Varoufakis seit Jahren mit der Finanzkrise beschäftigt, könnte man sehen, indem man seine Bücher und Vorträge zur Kenntnis nimmt, den von der Konferenz in Zagreb zum Beispiel, von dem die meisten leider nur den Mittelfinger kennen. Aber am Ende ist das gar nicht entscheidend. Denn tatsächlich besteht Varoufakis' größte Leistung genau in dieser Pose, weil sie die Beschränktheit des politischen Denkens viel besser sichtbar macht als jede finanzpolitische Kritik. Es geht nicht nur darum zu sagen: "Ich spiele euer Spiel nicht mit", sondern zuallererst darum, noch einmal deutlich zu machen, was seit dem Ausbruch der Finanzkrise doch offensichtlich sein sollte: dass es sich auch bei der Ökonomie nur um ein Spiel handelt. Dass das Finanzwesen nichts mit der Realität zu tun hat, nicht einmal mit einer Realwirtschaft. Dass auch die herrschenden Regeln nichts anderes sind als Konventionen, die keiner der Krawattenpolitiker in Frage stellt, weil sie schon wieder vergessen haben, dass sie eben nicht "alternativlos" sind, sondern nur das Ergebnis einer mit aller Macht aufrechterhaltenen Fiktion. Es sind nicht die deutschen Steuerzahler, denen Varoufakis den Mittelfinger zeigt, sondern all jene Politiker, die es für eine Unverschämtheit halten, wenn man sie daran erinnert, dass Politik die Regeln der Ökonomie bestimmen sollte, nicht umgekehrt. In all den Beschwerden über Varoufakis' Benehmen sprechen das Programm und seine Akteure, die selbst nur noch in einer Sprache kommunizieren, die mit den Prozessen der Finanzwirtschaft kompatibel ist, einer Sprache, die, wie das Geld, längst jeden Bezug zur Realität verloren hat. Ein Politikautomat, der jede Alternative nur als Angriff interpretieren kann, als Virus sozusagen, als Störung des Systems.

Der Wert des Geldes ist, genauso wie es Schulden sind, nur ein Versprechen, ein Akt der Sprache. Und deshalb muss, wer diese Regeln ändern will, auf der Ebene der Zeichen agieren. Eine ganze Reihe hellsichtiger Bücher haben sich in den vergangenen Jahren mit der Fiktionalität der Ökonomie beschäftigt, von Christian Marazzis "Verbranntes Geld" bis zu Josef Vogls "Das Gespenst des Kapitals". Der italienische Philosoph Franco "Bifo" Berardi denkt in seinem Buch "Der Aufstand" nun diese Ansätze konsequent weiter, indem er auch die Lösung der Krise im Bereich der Sprache sucht. "Der Aufstand" verdankt seinen Titel den verschiedenen Protesten, die im Jahr 2011 gegen die Herrschaft des Finanzkapitalismus kämpften, zu der Zeit, als Berardi an dem Buch schrieb. Aber Berardi geht es gar nicht um solche "spätmodernen Formen der proletarischen Revolution". Diese Bewegungen, schreibt er im Vorwort zur deutschen Ausgabe, haben "ihr Ziel verfehlt". "Deshalb ist es nun an der gesellschaftlichen Fantasie, die Sache ganz anders anzugehen. (. . .) Anstatt überhaupt noch über ökonomische Dinge zu verhandeln, flüchten wir aus der Ökonomie, um nicht-ökonomische Räume des symbolischen Handelns zu schaffen."

Welche symbolischen Räume er meint, das beschreibt der Untertitel seines Buches wesentlich besser: "Über Poesie und Finanzwirtschaft". Poesie ist die Kraft, auf die Berardi im Kampf gegen eine von ökonomischer Pragmatik durchdrungene Sprache setzt, gegen "techno-linguistische" vom "Semio-Kapital" geschaffene Automatismen. Wenn wir reden, heißt das, spricht nur noch das Kapital. Und zwar nicht nur auf einer Ebene der Begriffe, also überall dort, wo das Vokabular und damit die Logik der Wirtschaft menschliche Gespräche infiziert, wo Bedürfnisse privatisiert werden, wo ökonomisches Kalkül die Aussagen bestimmt oder wo die Kommunikation an rhetorischen Gewinnen interessiert ist. Mit Semio-Kapitalismus meint Berardi auch die Bereitschaft der Informationsgesellschaft, die Sprache mathematischer Algorithmen als verbindliche Beschreibung der sozialen Realität zu akzeptieren. Die Märkte, die sichtbarste Manifestation solcher algorithmischen Anweisungen, "formulieren Sätze, die das Schicksal des lebenden Körpers verändern", Automatismen, Handlungsmuster, Beschränkungen des Denkens, die die Gesellschaft längst internalisiert hat.

Die Hoffnung, Poesie könne als Gegengift gegen die Autorität der mathematisierten Sprache wirken, beruht daher natürlich nicht auf romantischen Vorstellungen von der Kraft der Lyrik. Es geht Berardi nicht darum, mit Rilke-Gedichten gegen die Brutalität der Banken zu protestieren. Poesie ist nur die Chiffre für ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit, für einen Akt der Emanzipation von der berechenbaren Standarderzählung, die zwar selbst auch nur Fiktion ist, aber eine sehr defizitäre: Sie erzählt nicht die ganze Geschichte vom Menschen. Weil Poesie "die Sprache der Nichtaustauschbarkeit" ist, ist sie so wichtig für die "Deautomatisierung des Wortes". "Poesie (ist) ein Übermaß an Sinnlichkeit, das in den Schaltkreis der gesellschaftlichen Kommunikation hinein explodiert und auf diese Weise jene Dynamik des unendlichen Spiels der Interpretation neu beginnen lässt: das Begehren, den Wunsch."

Auch wenn Berardi immer wieder die Bedeutung der sinnlichen Aspekte der Poesie betont, jene von Empathie und von Erotik und von körperlichen Bedürfnissen überhaupt, läuft seine Argumentation nie auf die simple Opposition des Sinnlichen gegen das Sachliche hinaus. Er ist ein Schüler Guattaris und Foucaults, er glaubt nicht an die Rückkehr zur Realität, zu einer Zeit, in der die Dinge noch ihre ordentlichen Namen hatten. Die "Emanzipation des Zeichens", wie Baudrillard es nennt, die sich in der Ökonomie als Loslösung des Geldes von seinem realen Wert bemerkbar macht, hält Berardi tatsächlich für eine Emanzipation. Das ist vor allem deshalb entscheidend, weil dadurch aus seiner Diagnose keine pauschale Technikkritik folgt, kein Aufruf dazu, sein Smartphone wegzuschmeißen und abhörsichere Kommunen zu gründen. "Entsagung oder Langsamkeit sind kein Ausweg", betont er auch im Gespräch, "aber wir müssen Technologie anders denken als in ihrer kapitalistischen Gestalt."

Nur die Poesie, so viel Rilke muss dann doch sein, kennt jenen Ort, den dieser in seiner "Fünften Elegie" beschreibt: den "Platz, den wir nicht wissen". "Die Poesie", schreibt Berardi, "ist die Erneuerung des Unbestimmten, sie ist der ironische Akt des Hinausschießens über die einmal beschlossene Bedeutung der Worte." Ironie ist die wichtigste Qualität dieser Poesie - sofern man nicht dem verbreiteten Missverständnis unterliegt, dass der Ironiker die Welt nicht ernst nimmt. Ironie ist nicht Zynismus, sondern das Wissen um die Uneigentlichkeit der Begriffe, das Vertrauen darauf, dass die Worte immer auch etwas anderes bedeuten können, als es die Konvention vorschreibt. Sie ist die Weigerung, die Regeln einer Wirklichkeit anzuerkennen, die man als Spiel durchschaut. Die Aufhebung der Realität.

Berardis vielleicht schönste Idee ist es, diese Haltung auch in die Sprache des Finanzkapitalismus zu übersetzen: als Insolvenz. "Insolvenz bedeutet die Leugnung der Tatsache, dass der ökonomische Code des Kapitalismus eine Transliteration des wirklichen Lebens sei", schreibt er. Genau darum geht es auch den Frechheiten von Varoufakis. In seinem Buch "Der globale Minotaurus" (Kunstmann, 288 Seiten, 19,95 Euro) beschreibt er die Situation des September 2008 als jenen Moment, in dem die "Großen und Mächtigen zugeben müssen, dass auch sie von den neuen Wendungen der Realität überfordert sind". Er zitiert Alan Greenspan, den ehemaligen Chef der amerikanischen Notenbank, der erklärte, er sehe "einen Fehler in dem Modell, das ich für die entscheidende Struktur gehalten habe, die festlegt, wie die Welt funktioniert". Der Optimismus, den Varoufakis ausstrahlt, verdankt sich dabei der Tatsache, dass ein solcher Zusammenbruch auch immer die Chance bietet, die Wirklichkeit neu zu erfinden: "Nichts macht uns menschlicher als eine Aporie - der Zustand massiver Verwirrung, in den wir geraten, wenn unsere Gewissheiten zu Bruch gehen", schreibt er.

Das Geld ist vernichtet, jetzt kommt es auf die Sprache an. Denn "Geld und Sprache", schreibt Berardi, "haben etwas gemeinsam: Sie sind nichts, und sie bewegen alles."

HARALD STAUN

Franco "Bifo" Berardi: "Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwirtschaft". Matthes & Seitz, 187 Seiten, 22,90 Euro

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