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Eine gründliche neue Geschichte der Unternehmerdynastie Quandt zeigt, wie das Firmenimperium vom Nationalsozialismus profitierte
„Quandt ist kein ‚Mitläufer‘, wie ihn später das Entnazifizierungsgericht nannte, und erst recht nicht ein Förderer des Nationalsozialismus gewesen. Er hat Hitlers Aufstieg weder mit Geld noch auf andere Art unterstützt.“ Das ist zwar gelogen, aber immerhin von einem bis heute renommierten Wirtschaftshistoriker. Wilhelm Treue legte diese entlastenden Worte über Günther Quandt in einem Buch nieder, das allerdings nie in den Handel gelangte, sondern 1980 wie ein kostbarer Gedichtband unter dem Titel „Herbert Quandt. Ein Unternehmer der dritten Generation“ im Eigenverlag (Varta AG, Seedammsweg 55, 6380 Bad Homburg v.d.Höhe und Altana Industrie-Aktien und Anlagen AG, Seedammweg 55, 6380 Bad Homburg v. d. Höhe) erschienen ist.
Treue beschränkte sich aber nicht aufs Dichten. Indem der Weißwäscher das gewünschte Bild der Familie Quandt zeichnete, schaffte er auch Fakten oder das, was damals im Hause dafür gehalten wurde. „Warum ist Hitler an die Macht gekommen?“ lässt er seinen Auftraggeber Herbert Quandt räsonieren. „Weil er doch, ich scheue mich nicht, das hier zu sagen, in sehr eindrucksvoller und kerniger Weise immer und immer wieder dem Kommunismus in Deutschland den Kampf angesagt hat.“
Leider, so kann und soll man daraus folgern, leider hat Hitler es nicht dabei belassen, sondern den Mann, der am Ende seines Lebens einer der reichsten Deutschen war, 1933 ins Gefängnis werfen lassen, aus dem er angeblich erst nach vier Monaten wieder freigekommen ist. Vielleicht, so überlegt Treue, hat Quandt zu offen seine Meinung über Hitler geäußert. Jedenfalls sei er erschüttert gewesen über den „bis dahin unbekannten Zustand der Rechtsunsicherheit“. Das klingt schön, fast so schön wie die Worte, die der nämliche Quandt, seit dem 1. Mai 1933 Parteigenosse (Nr. 2 636 406) und selbstverständlich auch Parteispender, Ende 1940 an seine neuerdings in Feldgrau operierenden Arbeiter in den eroberten Gebieten richtete: „Angesichts der bevorstehenden Jahreswende blicken wir nochmals zurück auf die unvergleichlichen Waffentaten unserer herrlichen Wehrmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft, und dankerfüllten Herzens schauen wir stolz auf den größten Deutschen aller Zeiten: Unseren geliebten Führer!“
Nach dem Krieg und nunmehr führerlos, behauptete Quandt, er sei „jahrelang auf das schwerste verfolgt“ worden. Seine nur mit der Friedrich Flicks vergleichbare Erfolgsbahn hat ihm ergebene Anhänger bis in die Wissenschaft gewonnen. Ansonsten wurde eisern geschwiegen. Die Familie Quandt ist noch immer eine der reichsten in Deutschland und sicherlich die verschwiegenste. Erst als sie vor vier Jahren der später mehrfach ausgezeichnete NDR-Film über das „Schweigen der Quandts“ von Eric Friedler ins Gerede brachte, als öffentlich erörtert wurde, warum sich die Familie weigere, zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich Stellung zu nehmen, überhaupt Fragen nach den Quellen des heutigen Reichtums zuzulassen, änderte sich diese Haltung.
Als Sprecher der „betroffenen Familie“ meinte Stefan Quandt zunächst noch, man wolle sich nicht damit abfinden, „dass ein einziger kritischer Beitrag für drei Jahre die öffentliche Meinungsbildung dominiert“. Der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck wurde damit beauftragt, eine aktenbasierte Geschichte des Hauses zu schreiben. Er erhielt Zugang zum Familien- und Firmenarchiv und die Freiheit, „ohne das Recht eines inhaltlichen Eingriffs“ seitens der Quandts zu arbeiten. Das Ergebnis dreijähriger Forschungsarbeit ist jedoch weit weniger günstig ausgefallen, als es die Familie erwartet haben wird.
In mancher Hinsicht geht Scholtyseck noch über Rüdiger Jungbluths aufklärendes Buch von 2002 hinaus. Jungbluth war der Erste, der sich von der Bettwärme frei machte, in der Firmenchroniken und Monographien wie die des Wirtschaftshistorikers Treue entstanden. Das Schweigen der Quandts war ja keine Familienspezialität, sondern der Normalfall, nach Wilhelm Hennis sogar die Voraussetzung für den Erfolg der Bundesrepublik. Noch 1971 meinte der Finanzminister Alex Möller (SPD) mit Blick auf die „desolate Haushaltslage“ seliges Vergessen empfehlen zu müssen: „Wir müssen meines Erachtens den Mut und die Kraft haben, die Liquidation des Krieges und der NS-Herrschaft als abgeschlossen anzusehen. Ich habe auch keinen Zweifel, dass nur eine solche Haltung die Zustimmung der breiten Masse unseres Volkes findet.“ Dieses Volk hat dann ein bemerkenswertes Unrechts- und sogar ein verspätetes Schuldbewusstsein entwickelt. Inzwischen gibt es Studien über das Volkswagenwerk, über Krupp, Flick und die Deutsche Bank, gibt es vor allem den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter, die im Dritten Reich eingesetzt wurden.
Das Firmenkonglomerat, dem Günther Quandt vorstand, beschäftigte mehr als fünfzigtausend Zwangsarbeiter. Er wusste, dass in seinen Fabriken Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, und zumindest sein Sohn Herbert wusste auch, unter welchen Bedingungen die Zwangsarbeiter leben mussten, um den Fortbestand der Produktion und damit das Vermögen der Quandts zu sichern und zu mehren. Scholtyseck lehnt es ab, auf der Basis des vorhandenen Materials Aussagen darüber zu treffen, welchen wirtschaftlichen Nutzen die Zwangsarbeit für die Quandt-Gruppe hatte. Dennoch bleibt der Befund: „Der Einsatz von Zwangsarbeit in der Quandt-Gruppe war, losgelöst von der Frage, inwieweit er sich rentierte, enorm und ermöglichte der AFA (Accumulatoren-Fabrik AG) und den DWM (Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken) erst die umfassende Rüstungsproduktion.“ Manchmal äußert sich diese staubtrockene Wissenschaftlichkeit technizistisch, wenn er einen „quantitativen als auch qualitativen Eindruck von der Zwangsarbeit“ geben will. Zum qualitativen gehört beispielsweise die Information, dass KZ-Häftlinge, die bei der Quandt-Firma Pertrix in Berlin arbeiteten, „vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden“.
Anders als der Film vermeidet Scholtyseck fast immer ein moralisches Urteil. Unterstützt von zahlreichen Mitarbeitern hat er sich durch Vorstandsprotokolle, Unternehmensberichte, Gerichtsurteile und Gestapo-Akten gearbeitet und alles ausgewertet, was sich in Archiven nur auffinden ließ. Er beschreibt, wie der Erfolg im brandenburgischen Pritzwalk begann, wo der Wollunternehmer Emil Quandt durch umsichtige Politik zum Lieferanten für preußische Uniformen wurde und die Firma damit an das Auf und Ab der Geschichte band.
Die Tuchfabriken lieferten Uniformen, und sie lieferten naturgemäß mehr Uniformen, wenn es in den Krieg ging. Die Waffen- und Rüstungsfabriken florierten bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg. In der Inflationszeit investierte Quandt kühn, entdeckte Firmen, die in der Krise steckten, und kaufte sich über Aktiengesellschaften die Grundlage seines Imperiums zusammen, in dem wahrscheinlich nur mehr der Konzernchef den Überblick besaß. Die beginnende Massenmotorisierung war die Voraussetzung für den Erfolg des Batterienherstellers AFA, der den größten Anteil am Gewinn hatte. Quandt profitierte von der NS-Zollschutzpolitik ebenso wie von einer großzügigen Kartellierung.
Als 1936 verfügt wurde, dass Spezialmaschinen und die Waffenproduktion von den Grenzen weg ins Reichsinnere zu verlegen seien, musste auch dem Wohlmeinendsten klargeworden sein, dass der Krieg vorbereitet wurde. Quandt expandierte und verdiente mit. Der aufrüstende Staat trug gern das Investitionsrisiko und war auch noch der Hauptabnehmer für die Waffensparte. Als Ausrüster der Wehrmacht gehörten die Unternehmen der Quandt-Gruppe zu den größten Transferleistungs-Empfängern. Zeitweise war die Herstellung jedes Mauser-Karabiners mit 6,50 Reichsmark subventioniert. Quandt musste kein Kriegstreiber sein, um zu profitieren, Unternehmer genügte, da, wie Scholtyseck nüchtern formuliert, die „rüstungswirtschaftspolitischen Ziele des Regimes mit den betriebswirtschaftlichen Zielen der Quandt-Rüstungswerke konform“ gingen und die „Aufrüstungspolitik die Möglichkeit zur Produktions- und Gewinnsteigerung bot“. Nur selten verlässt Scholtyseck seinen abwägenden Vortrag, um tatsächlich zu urteilen, etwa um ihm „die bedingungslose Beteiligung am Unrecht“ und damit „moralische Gleichgültigkeit“ zu attestieren.
Günther Quandt, das kann Scholtyseck mit erdrückenden Aktenbelegen nachweisen, war kein Förderer des Nationalsozialismus, aber er hat von ihm profitiert wie kaum ein anderer. Er war auch kein Mitläufer, zu dem ihn die Spruchkammer 1948 erklärte, sondern ein richtiger Kollaborateur: „Der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes.“ Bei Jungbluth heißt es noch, Quandt habe es vermieden, sich jüdische Firmen anzueignen, Scholtyseck zählt ihn aber zu der großen Gruppe von „Arisierern“, die „eine Notlage der jüdischen Besitzer bewusst und kühl ausnutzten, um die zur Verfügung stehenden Unternehmen zu übernehmen“.
Günther Quandts jüngerer Sohn Harald wuchs nach der Scheidung bei Joseph Goebbels auf, wo er nicht ganz unbeeindruckt blieb er nicht von der Macht und Herrlichkeit der Nazi-Welt. Während sein leiblicher Vater die „Arisierung“ der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik betrieb, protzte Harald in seiner Schule mit dem Motorrad, dann mit dem Auto, das ihm Günther Quandt geschenkt hatte. Die jüdischen Besitzer der eroberten Fabrik wurden 1941 nach Litzmannstadt deportiert und im November 1941 in Chelmo ermordet. Ihr verbliebenes Vermögen wurde als „Reichsfluchtsteuer“ einkassiert.
Im Frühsommer 1948, als er noch auf das Urteil der Spruchkammer wartete, plante der knapp 67-jährige Günther Quandt bereits für sein neues Leben: „Bei meiner vielseitigen Tätigkeit in früheren Jahren muss es doch wohl möglich sein, eine wichtige Stellung, von der aus man sich austoben kann, wiederzufinden.“ Das gelang: Quandt erhielt seine überwiegend mit Rüstungskrediten finanzierten Werke zurück; die riesigen Schulden, die er für den wehrwichtigen Ausbau angehäuft hatte, verdampften zum großen Teil durch die Währungsreform; und die gehorteten Rohstoffe lieferten die besten Voraussetzungen für den Start ins Wirtschaftswunder. WILLI WINKLER
JOACHIM SCHOLTYSECK: Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie. Verlag C. H. Beck, München 2011. 1184 Seiten, 39,95 Euro.
Die Familie Quandt, immer noch
eine der reichsten des Landes, hat
lange Zeit eisern geschwiegen
Vom Rüstungsgeschäft bis zur
„Arisierung“ – Günther Quandt
war ein Kollaborateur der Nazis
Adolf Hitler lässt sich 1938 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin von Günther Quandt neueste technische Entwicklungen zeigen. Dahinter (mit Brille) Quandts Sohn Herbert. Abb. aus dem besprochenen Band
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Familie Quandt hat einen steilen Aufstieg hinter sich. Ein neues Buch beleuchtet die Verstrickung in der Nazi-Zeit
Von Jürgen Jeske
Noch immer sind die Quandts eine der reichsten Industriellenfamilien in Deutschland mit Beteiligungen wie an dem Autohersteller BMW oder dem Chemiekonzern Altana. Doch auf sie fällt der Schatten jenes Mannes, der ähnlich wie Friedrich Flick als ideenreicher Unternehmer und geschickter Finanzinvestor eine der größten deutschen Industriegruppen schuf und damit die Grundlage des heutigen Reichtums der Quandts legte. Die "Frankfurter Zeitung" schrieb 1931 über diesen Günther Quandt, er sei ein äußerst gelehriger Instrumentator aller die Herrschaft verschaffenden Möglichkeiten der Aktie. Das lehrte ihn früh zu schweigen, so dass er bald als "der große Unbekannte" galt. In dem Buch "Männer, Mächte, Monopole" von Kurt Pritzkoleit heißt es: "Quandt hat die Begabung, sein Wirken dem Außenstehenden zu entziehen, zu einer Kunstfertigkeit entwickelt, wie sie sich selten findet." Auch die Nachfahren haben es überwiegend so gehalten und ihr Tun, den Familienbesitz und seine Historie so weit als möglich dem Blick der Öffentlichkeit entzogen.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit Mitte der achtziger Jahre haben zahlreiche große Unternehmen ihre Vergangenheit durch renommierte Historiker aufarbeiten lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Quandts ins Blickfeld gerieten. Aufgeschreckt durch einen überaus polemischen (wenn auch preisgekrönten) Fernsehbeitrag hat sich daher die junge Generation der Quandts entschlossen, das Schweigen zu brechen. Sie hat das Familienarchiv geöffnet und eine Studie finanziert über den Aufstieg der Familiengruppe und die Rolle des 1954 verstorbenen Großvaters, vor allem in der Nazizeit. Autor des fundierten, umfangreichen, aber gut lesbaren Buchs ist der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck, der schon über Robert Bosch und den liberalen Widerstand gegen Hitler geschrieben hat und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte ist.
Die Erkenntnisse der Studie sind in ihren Grundzügen nicht wirklich überraschend und bekräftigen nur, was auch schon bei anderen Unternehmen zutage gefördert wurde. Die Familie Quandt wurde jedoch mit unangenehmen und schmerzlichen Wahrheiten konfrontiert. Darüber hinaus ist das Buch zugleich ein weiteres Lehrstück über unternehmerisches Verhalten und unternehmerische Verantwortung. Eine Frage, die sich immer wieder stellt, wie die heutigen Diskussionen über Unternehmerethik und Verhaltenskodizes zeigen. Scholtyseck: "Der ehrbare Kaufmann weiß in normalen Zeiten, was sich gehört. In einer Diktatur verkümmern hingegen die ethischen Maßstäbe, die zur Wahrnehmung der Freiheit gehören. Während in einem Rechtsstaat das Instrumentarium zur Verfügung steht und auch genutzt wird, um unternehmerisches Fehlverhalten zu ahnden, werden in einer Diktatur diese staatlichen Machtmittel nach Gutdünken im Sinne des Regimes eingesetzt. Das erleichtert politischen Opportunismus und einen grenzenlosen Moralverlust."
In der Debatte über Unternehmen in der Nazizeit wird aufgrund dieses Moralverlusts oft behauptet, die heutige Wirtschaftskraft von Unternehmen und der Reichtum ihrer Eigentümer resultiere allein aus den Profiten jener Jahre. Das greift zu kurz und lässt außer Acht, dass Gewinnen jener Zeit häufig auch Verluste durch Kriegszerstörungen, Enteignungen und die meist notwendige Neuausrichtung nach dem Krieg gegenüberstehen.
Auch bei den Quandts beginnt der Erfolg und die Vermögensmehrung lange vorher im 19. Jahrhundert, als Emil Quandt, der Vater Günther Quandts, in die Uniformtuch-Fabrik Gebrüder Draeger im märkischen Pritzwalk eintrat und nach etlichen Jahren Mitinhaber wurde. Er schuf das Fundament, auf dem der Sohn aufbaute. Günther Quandt wollte dann höher hinaus und brachte durch Expansion, Kooperation und nach 1914 durch die Einbindung in das System der Kriegswirtschaft im Kaiserreich die Textilfabriken voran. Danach in den Inflations- und Krisenjahren der Weimarer Republik, als die Spekulation ins Kraut schoss und die Flucht in Sachwerte begann, brach sein Instinkt für Geschäfte und Finanzideen durch. Er blieb zwar Tuchfabrikant, spekulierte aber gleichzeitig an der Börse und begann, Finanzinvestitionen zu tätigen. So beteiligte er sich an dem expandierenden Kali- und Chemiekonzern Wintershall, eine Beteiligung, die bis in die 1960er Jahre von den Quandts gehalten wurde und reichen Ertrag abwarf.
Der eigentliche Grundstein für den Aufstieg der Quandts zu Großindustriellen war 1922 der schrittweise Einstieg bei der traditionsreichen Accumulatoren-Fabrik (AFA), die schon damals Weltmarktführer für Akkus und Batterien war. Daraus wurde später der Varta-Konzern. Der nächste große Coup war Ende der 1920er Jahre der Einstieg bei dem großen Rüstungskonzern Berlin-Karlsruher Industriewerke AG. Der Konzern befand sich durch die Verbote des Versailler Friedensvertrags in einer Krise, und Quandt sah die Chancen, die in einer Sanierung lagen. Mit diesem Konglomerat gehörten die Quandts also schon vor der Machtergreifung Hitlers zu den reichen Industriellenfamilien in Deutschland.
In der Nazizeit setzte sich dieser unternehmerische Aufstieg ungebremst fort. Dazu trugen schon der Konjunkturaufschwung und die beginnende Massenmotorisierung bei. Aber mehr noch bot die bald einsetzende Aufrüstung unternehmerische Möglichkeiten, die Günther Quandt wie auch andere Unternehmer konsequent nutzte. Scholtyseck: "(Er) band sich dadurch notwendigerweise an den Nationalsozialismus - ein Arrangement, das mit einer immer tieferen Verstrickung in die Logik des Unrechts verbunden war: der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes."
Gleichwohl war Quandt, wie Scholtyseck meint, kein überzeugter Nazi, obwohl er schon 1933 in die NSDAP eintrat und bald auch in einige andere NS-Organisationen. Später wurde er auch wie andere Unternehmer "Wehrwirtschaftsführer". Doch die von Quandt nach dem Krieg behauptete "Regimeferne" gehört, wie es in dem Buch zu Recht heißt, zu den Entschuldigungsfabeln. Dagegen spricht auch nicht, dass Quandt 1933 von Nazis wegen Korruptionsvorwürfen wochenlang inhaftiert wurde. Es war die Intrige eines übereifrigen Nazis, der in der AFA die Macht übernehmen wollte, ein Coup, der missglückte, weil der Staat Quandt brauchte. Ebenso waren die Konflikte Quandts mit Joseph Goebbels rein privater Natur. Hitlers Propagandaminister hatte Quandts geschiedene zweite Frau Magda geheiratet, die das Sorgerecht für den Sohn Harald beanspruchte und überdies überzeugte Nationalsozialistin geworden war.
Als Unternehmer nutzte Quandt alle Möglichkeiten, die das Regime bot. Er griff ohne Bedenken zu bei "Arisierungen". Er erwarb die Kontrolle über Unternehmen im eroberten Ausland. Und in allen Betrieben beschäftigte Quandt während des Kriegs Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, nach Schätzungen über 50000 Menschen. Rüstungsbetriebe wie die der Quandts standen damals unter besonderem Produktionsdruck, und Arbeitskräfte waren knapp. Der britische Historiker Adam Tooze hat in seinem brillanten Buch "Ökonomie der Zerstörung" geschrieben, dass die deutschen Unternehmen Zwangsarbeiter nicht geholt hätten, um Gewinne zu machen, sondern weil sie die einzig verfügbaren Arbeitskräfte waren. Doch festzuhalten bleibt, sie ermöglichten bei Quandt, Flick, Krupp und anderen erst die enorme Rüstungsproduktion, die zugleich eigenen unternehmerischen Interessen diente.
Auch der Zusammenbruch des Hitler-Reichs 1945 hat den Aufstieg der Quandts nur kurz unterbrochen - trotz Zerstörungen, Demontagen und Enteignungen. Wesentliche Vermögenswerte und wertvolle Rohstoffvorräte waren erhalten geblieben. Die hohe Verschuldung verminderte sich durch die Währungsreform. Quandt wurde nach einer Internierung durch die Besatzungsmächte in einem deutschen Entnazifizierungsverfahren nur als "Mitläufer" eingestuft und konnte sich bald wieder um die Zukunft seiner Unternehmen kümmern. Nach Günther Quandts Tod 1954 führten die beiden Söhne Harald und Herbert unterstützt durch eine geschickte Erbfolgeregelung die Unternehmen erfolgreich fort. Harald, der in der Familie Goebbels aufgewachsen war, Soldat wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, hatte seine unternehmerische Tätigkeit erst nach dem Krieg aufnehmen können. Herbert war dagegen bereits seit Kriegsbeginn in die Führung einbezogen worden. Harald kam 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, Herbert Quandt starb 1982. Dass die Quandts heute mit Günthers Enkeln wie Stefan Quandt in der vierten Generation ein großes Familienvermögen gehalten haben und mehren spricht für die unternehmerischen Leistungen der Familie.
Gleichwohl bleiben die Schatten der Vergangenheit. Scholtyseck: "Überblickt man Günther Quandts Schaffensphase vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik, ist es frappierend zu beobachten, wie mühelos er sich mit seiner schnellen Auffassungsgabe mit den jeweiligen politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen zu arrangieren wusste Der Vorrang des Denkens in Kategorien der Besitzmehrung war so dominant, dass für grundsätzliche Fragen nach Recht und Moral kein Raum blieb." Das traf zu einem Teil auch auf Herbert Quandt zu, der Mitverantwortung getragen hatte, bei der Entnazifizierung aber als "entlastet" eingestuft wurde.
Günther Quandt hat sich nach dem Krieg wie viele belastete Deutsche als Opfer und nicht als Schuldiger gesehen. Seine Erinnerungen sind Rechtfertigungen, die weder von Selbstkritik noch von Bedauern, noch von kritischer Selbstreflexion zeugen. Stefan Quandt hat dazu in einem Interview über seinen Großvater gesagt, sein unternehmerischer Gestaltungswille habe leider an moralischen Grenzen nicht haltgemacht. Daraus könne man lernen, dass unternehmerisches Handeln nicht ohne ein stabiles Wertgerüst bleiben darf. Das ist letztlich auch die Botschaft der Quandt-Biographie.
Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts, C. H. Beck, 2011
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