Souverän und facettenreich schildert Kathryn Lomas die römische Geschichte von den allerersten Anfängen bis zum Beginn der Punischen Kriege. Glänzend gelingt es ihr, diese Geschichte in ihrer Besonderheit verständlich zu machen, und sie gibt überraschende Antworten auf die historische Frage aller Fragen: Wie und warum gelang einer kleinen Stadt der erstaunliche, in keiner Weise vorgezeichnete Aufstieg zur Weltmacht? In der späten Eisenzeit war Rom eine kleine Ansammlung von Hütten auf einigen Hügeln am Tiber. Im 3. Jahrhundert v. Chr. war es bereits eine große and mächtige Stadt mit monumentalen Tempeln und öffentlichen Gebäuden. Rom hatte ganz Italien erobert, schickte sich an, ein Weltreich zu errichten. Aber wie und mit welchen Mitteln gelang den Römern diese weltgeschichtlich bedeutsame Leistung? Wie verwandelte sich eine Ansammlung von Dörfern in eine Weltstadt? Kathryn Lomas schildert die Geschichte und Entwicklung Roms von den mythischen Anfängen bis zu dem Beginn der Kriege mit Karthago, zeigt, wie die Römer ihre Herrschaft errichteten und wie sie Italien sich unterwarfen. Rom unterschied sich in wichtigen Punkten von seinen Nachbarn, zumal in den neuartigen Beziehungen zu anderen Staaten. Auf beeindruckende Weise gelingt es der Autorin, die Welt der Römer und ihrer Nachbarn in allen Facetten darzustellen (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Militär). Das ebenso differenzierte wie lebensnahe Panorama einer der aufregendsten Epochen der Weltgeschichte, die bis in unsere Gegenwart nachwirkt. »Lomas' klare Sprache und ihr brandaktuelles archäologisches Wissen sind genau die richtige Kombination, um die faszinierende Geschichte des Aufstiegs Roms zur Weltmacht zu beleuchten.« Christopher Smith, St Andrews
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2019Warlords und Wasserleitungen
Ein paar Hütten am Tiber, sieben Hügel, sieben Könige – und die Vorzüge einer Republik:
Die britische Althistorikerin Kathryn Lomas erzählt souverän von den Anfängen und vom Aufstieg Roms
VON STEFAN REBENICH
Sieben, fünf, drei – Rom schlüpft aus dem Ei. Der alte Merkspruch hat Generationen von Altertumswissenschaftlern nur noch ein müdes Lächeln entlockt. Gerade deutsche Forscher haben längst die Hoffnung aufgegeben, Licht in das Dunkel der Gründung Roms zu bringen. Worauf sollte man sich auch stützen? Die literarischen Nachrichten zur legendären Königszeit (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) und zur frühen Geschichte der römischen Republik (5. und 4. Jahrhundert v. Chr.) entstammen fast durchweg einer wesentlich späteren historiographischen Tradition und (re-)konstruieren die römische Frühzeit unter den Bedingungen ihrer eigenen Zeit. Sie sind damit eine wichtige Quelle für das zeitgenössische Verständnis eines lange vergangenen Äons, nicht aber für die Epoche, die zu schildern sie vorgeben.
Enthalten wenigstens die vertrauten Gründungsmythen einen wahren Kern? Wir kennen sie alle: die Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja, die Fürsorge der Wölfin für die ausgesetzten Zwillinge, die Gründung der Stadt durch den Brudermörder Romulus, die Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus, der Selbstmord der Lucretia und der Beginn der Republik. Seit dem 19. Jahrhundert wissen wir, dass auch diese Erzählungen das Ergebnis späterer Überformungen sind.
Bleiben die archäologischen Quellen, die durch Grabungen in den letzten Jahrzehnten immer zahlreicher, aber auch vielfältiger geworden sind. Doch die Bodenfunde werden erst durch die literarische Tradition zum Sprechen gebracht und können folglich die Einseitigkeit des historischen Materials nicht ohne Weiteres korrigieren.
Soll man also auf die Rekonstruktion der frühen Geschichte Roms verzichten und die Diskussion um die Entstehung der Ewigen Stadt anderen überlassen? Die glänzende Monografie der britischen Althistorikerin Kathryn Lomas, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt, belehrt uns eines Besseren. Sie ist in mehrfacher Hinsicht richtungweisend.
Zunächst wird keine römische, sondern eine italische Geschichte entworfen. Die Ausgangsprämisse ist damit offenkundig: Roms Entwicklung kann nur im Kontext der übergreifenden Prozesse in ganz Italien verstanden werden. Also vergleicht Lomas die Siedlung am Tiber systematisch mit den nördlichen Regionen, die zuerst die Etrusker und dann die Kelten prägten, sowie mit den blühenden griechischen Städten im Süden der Halbinsel. Wesentliche Transformationen seit der Bronzezeit beschreibt die Autorin an Beispielen in Italien und prüft ihre Ergebnisse dann an den spärlichen Quellen, die für die römische Frühzeit existieren. Der komparatistische Ansatz erlaubt überzeugendere Aussagen als eine strikte Fokussierung auf die stadtrömische Evidenz.
Sodann überschreitet die Historikerin die traditionelle Grenze zwischen dem monarchischen Rom der ersten Jahrhunderte und der frühen römischen Republik. Ihre Darstellung reicht bis zur Niederwerfung der Samniten zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr., die Roms Anspruch auf Vorherrschaft in Italien infrage stellten, und dem Sieg über den König Pyrrhus von Epirus 275 v. Chr., der in Süditalien ein eigenes Reich gründen wollte. Aus Institutionen der späteren Zeit zieht Lomas Rückschlüsse auf ältere Verhältnisse.
Sie zeigt zugleich, dass die Gründe für Roms Aufstieg zunächst zur Regional- und dann zur Weltmacht nur überzeugend zu benennen sind, wenn die Anfänge des Stadtstaates in den Blick genommen werden. Das Buch ist mithin ein starkes Plädoyer für die Einheit der römischen Frühgeschichte – über die Zäsur des Jahres 509 v. Chr. hinweg, als die res publica das Licht der Weltgeschichte erblickte.
Schließlich fasst Kathryn Lomas die inzwischen weitverzweigte Forschung souverän zusammen und nimmt unaufgeregt Stellung zu zahlreichen Kontroversen. Dabei hat sie das Glück, mit Uwe Walter einen althistorischen Kollegen als Übersetzer gefunden zu haben, der nicht nur selbst den behandelten Gegenstand hervorragend beherrscht, sondern auch ein glänzender Stilist ist, dem es gelingt, die deutsche Fassung zu einem Lektüregenuss zu machen. Walter hat auch ein informatives Nachwort verfasst, das die Positionen der britischen Historikerin pointiert zusammenfasst und in eine über zweihundertjährige Forschungsgeschichte integriert.
Das weit ausgreifende archäologische Panorama setzt mit der mittleren Bronzezeit (ca. 1700 bis 1350 v. Chr.) und den ersten nachweisbaren Siedlungen auf dem Gebiet der späteren Stadt ein. Über die nächsten Jahrhunderte war Rom nichts anderes als eine unbedeutende Ansammlung von strohbedeckten Hütten am südlichen Ufer des Tibers. Hinweise auf eine urbane Gemeinschaft, die komplexer organisiert war, finden sich erst im 6. Jahrhundert v. Chr. Die Stadt war durch Immigration rasch gewachsen. Ein gepflastertes Forum bildete das Zentrum, in dessen unmittelbarer Nähe Häuser reicher Aristokraten nachgewiesen werden konnten.
Imposante Tempel schmückten die prosperierende Stadt. Zu dieser Zeit entstanden in ganz Italien Stadtstaaten, deren Geschicke eine wohlhabende Elite lenkte. Ihren Anspruch auf Exzellenz leiteten diese Eliten nicht allein von kriegerischen Leistungen, sondern von Herkunft, Reichtum und Ämtern ab. Ethnische und kulturelle Diversität kennzeichneten diese Gemeinwesen. Rom bildete keine Ausnahme. Eine dauerhafte monarchische Ordnung wurde jedoch nicht errichtet. Die sieben kanonischen Könige waren eher „warlords“, die mobile Kriegergruppen anführten, oder Clanführer mit schwankender Machtbasis, die vom lokalen Adel teils unterstützt, teils bekämpft wurden. Alleinherrschaft im frühen Rom war folglich immer prekär.
Die Vertreibung der letzten Herrscher aus der Tarquinierdynastie am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. führte zu Unruhen, die Roms Position als Regionalmacht gefährdeten. Doch das Experiment einer gewählten Regierung, so argumentiert Lomas schlüssig, stabilisierte die politische Ordnung, in der monarchische wie aristokratische Elemente miteinander verbunden wurden. Der Anspruch auf exklusive Herrschaft war nicht durch dynastische Sukzession oder einen göttlichen Auftrag zu begründen, sondern musste immer wieder neu erkämpft und durch Wahl bestätigt werden.
Es wäre indes ein Fehler, eine lineare Entwicklung zu postulieren. Die frühe Republik war vielmehr eine Phase des Ausprobierens. Gesellschaftliche Verwerfungen und Versorgungskrisen erschütterten die Stadt, und über die Frage, wer die politische Verantwortung zu übernehmen habe, gab es heftigen Streit. Soziale Konflikte mussten entschärft werden. Die Zahl, Befugnisse und Bezeichnungen der obersten Amtsträger – Konsuln und Prätoren – wurden erst 367 v. Chr. festgesetzt. Wichtig für den weiteren Aufstieg Roms war der Wandel der soziopolitischen Elite von einem patrizischen Erbadel zu einer oligarchischen Nobilität; zu diesem „Amtsadel“, der durch die Übernahme von zeitlich befristeten Magistraturen charakterisiert war, hatten auch ambitionierte und vermögende Aufsteiger Zugang. Zugleich schützte sich das Volk zwischen dem 5. und 3. Jahrhundert v. Chr. durch eigene Institutionen gegen die Willkür der Mächtigen und gewann Anteil an politischen Entscheidungsprozessen. Durch diesen „Sonderweg“ konnten blutige Bürgerkriege, wie sie viele griechische Stadtstaaten damals erschütterten, vermieden werden.
Die leistungsorientierte und kompetitive Nobilität bewirkte seit Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. den rücksichtslosen Aufstieg Roms zur Hegemonialmacht erst in Latium, dann in Italien und schließlich im gesamten Mittelmeerraum. Das aristokratische Standesethos beruhte vor allem auf dem Nachweis von Verdiensten für die res publica, und hier in erster Linie von militärischen Leistungen. Eroberungskriege, aber auch Beutezüge waren damit programmiert.
Im dritten Jahrhundert war Rom zu einer der größten Städte in ganz Italien geworden. Eine mächtige Befestigungsanlage schützte die Siedlung vor Angriffen. Monumentale Tempel und repräsentative öffentliche Bauten waren errichtet worden. Ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem, ausgebaute Straßen und verzweigte Wasserleitungen gehörten zu den Annehmlichkeiten der stetig wachsenden Bevölkerung, zu der zahlreiche Zuwanderer aus anderen Teilen Italiens und der Welt zählten.
Lomas nennt einen letzten Grund für Roms Aufstieg, der bis in die Frühzeit zurückreicht: Roms Offenheit für Fremde und die offensive Vergabe des Bürgerrechts, wovon nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gruppen und gar Gemeinwesen profitierten. Damit wurde die Bürgerschaft vergrößert und die Wehrkraft gestärkt. Parallel baute Rom ein höchst differenziertes und effizientes politisches, militärisches und völkerrechtliches Bündnissystem auf, das ganz Italien umfasste und seine hegemonialen Ansprüche stützte. Das Buch ist ein großer Wurf. Der spannenden Rekonstruktion des Aufstiegs der Stadt am Tiber zur italischen Hegemonialmacht wünscht man viele Leserinnen und Leser.
Die Gründungsmythen Roms gehören zu den großen europäischen Erzählungen. Claude Lorrain malte 1675 die Szene der „Aeneis“ des Vergil, in der Aeneas, am Ende seiner Flucht aus Troja, vom Tiber aus dem italischen König Evander und seinem Sohn einen Olivenzweig entgegenhält.
Foto: National Trust Photographic Library
Die Kapitolinische Wölfin mit Romulus und Remus, gezeichnet von Antonio Lafreri im Jahr 1552.
Foto: The Stapleton Collection
Kathryn Lomas: Der Aufstieg Roms. Von Romulus bis Pyrrhus. Aus dem Englischen von Uwe Walter. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019.
541 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein paar Hütten am Tiber, sieben Hügel, sieben Könige – und die Vorzüge einer Republik:
Die britische Althistorikerin Kathryn Lomas erzählt souverän von den Anfängen und vom Aufstieg Roms
VON STEFAN REBENICH
Sieben, fünf, drei – Rom schlüpft aus dem Ei. Der alte Merkspruch hat Generationen von Altertumswissenschaftlern nur noch ein müdes Lächeln entlockt. Gerade deutsche Forscher haben längst die Hoffnung aufgegeben, Licht in das Dunkel der Gründung Roms zu bringen. Worauf sollte man sich auch stützen? Die literarischen Nachrichten zur legendären Königszeit (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) und zur frühen Geschichte der römischen Republik (5. und 4. Jahrhundert v. Chr.) entstammen fast durchweg einer wesentlich späteren historiographischen Tradition und (re-)konstruieren die römische Frühzeit unter den Bedingungen ihrer eigenen Zeit. Sie sind damit eine wichtige Quelle für das zeitgenössische Verständnis eines lange vergangenen Äons, nicht aber für die Epoche, die zu schildern sie vorgeben.
Enthalten wenigstens die vertrauten Gründungsmythen einen wahren Kern? Wir kennen sie alle: die Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja, die Fürsorge der Wölfin für die ausgesetzten Zwillinge, die Gründung der Stadt durch den Brudermörder Romulus, die Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus, der Selbstmord der Lucretia und der Beginn der Republik. Seit dem 19. Jahrhundert wissen wir, dass auch diese Erzählungen das Ergebnis späterer Überformungen sind.
Bleiben die archäologischen Quellen, die durch Grabungen in den letzten Jahrzehnten immer zahlreicher, aber auch vielfältiger geworden sind. Doch die Bodenfunde werden erst durch die literarische Tradition zum Sprechen gebracht und können folglich die Einseitigkeit des historischen Materials nicht ohne Weiteres korrigieren.
Soll man also auf die Rekonstruktion der frühen Geschichte Roms verzichten und die Diskussion um die Entstehung der Ewigen Stadt anderen überlassen? Die glänzende Monografie der britischen Althistorikerin Kathryn Lomas, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt, belehrt uns eines Besseren. Sie ist in mehrfacher Hinsicht richtungweisend.
Zunächst wird keine römische, sondern eine italische Geschichte entworfen. Die Ausgangsprämisse ist damit offenkundig: Roms Entwicklung kann nur im Kontext der übergreifenden Prozesse in ganz Italien verstanden werden. Also vergleicht Lomas die Siedlung am Tiber systematisch mit den nördlichen Regionen, die zuerst die Etrusker und dann die Kelten prägten, sowie mit den blühenden griechischen Städten im Süden der Halbinsel. Wesentliche Transformationen seit der Bronzezeit beschreibt die Autorin an Beispielen in Italien und prüft ihre Ergebnisse dann an den spärlichen Quellen, die für die römische Frühzeit existieren. Der komparatistische Ansatz erlaubt überzeugendere Aussagen als eine strikte Fokussierung auf die stadtrömische Evidenz.
Sodann überschreitet die Historikerin die traditionelle Grenze zwischen dem monarchischen Rom der ersten Jahrhunderte und der frühen römischen Republik. Ihre Darstellung reicht bis zur Niederwerfung der Samniten zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr., die Roms Anspruch auf Vorherrschaft in Italien infrage stellten, und dem Sieg über den König Pyrrhus von Epirus 275 v. Chr., der in Süditalien ein eigenes Reich gründen wollte. Aus Institutionen der späteren Zeit zieht Lomas Rückschlüsse auf ältere Verhältnisse.
Sie zeigt zugleich, dass die Gründe für Roms Aufstieg zunächst zur Regional- und dann zur Weltmacht nur überzeugend zu benennen sind, wenn die Anfänge des Stadtstaates in den Blick genommen werden. Das Buch ist mithin ein starkes Plädoyer für die Einheit der römischen Frühgeschichte – über die Zäsur des Jahres 509 v. Chr. hinweg, als die res publica das Licht der Weltgeschichte erblickte.
Schließlich fasst Kathryn Lomas die inzwischen weitverzweigte Forschung souverän zusammen und nimmt unaufgeregt Stellung zu zahlreichen Kontroversen. Dabei hat sie das Glück, mit Uwe Walter einen althistorischen Kollegen als Übersetzer gefunden zu haben, der nicht nur selbst den behandelten Gegenstand hervorragend beherrscht, sondern auch ein glänzender Stilist ist, dem es gelingt, die deutsche Fassung zu einem Lektüregenuss zu machen. Walter hat auch ein informatives Nachwort verfasst, das die Positionen der britischen Historikerin pointiert zusammenfasst und in eine über zweihundertjährige Forschungsgeschichte integriert.
Das weit ausgreifende archäologische Panorama setzt mit der mittleren Bronzezeit (ca. 1700 bis 1350 v. Chr.) und den ersten nachweisbaren Siedlungen auf dem Gebiet der späteren Stadt ein. Über die nächsten Jahrhunderte war Rom nichts anderes als eine unbedeutende Ansammlung von strohbedeckten Hütten am südlichen Ufer des Tibers. Hinweise auf eine urbane Gemeinschaft, die komplexer organisiert war, finden sich erst im 6. Jahrhundert v. Chr. Die Stadt war durch Immigration rasch gewachsen. Ein gepflastertes Forum bildete das Zentrum, in dessen unmittelbarer Nähe Häuser reicher Aristokraten nachgewiesen werden konnten.
Imposante Tempel schmückten die prosperierende Stadt. Zu dieser Zeit entstanden in ganz Italien Stadtstaaten, deren Geschicke eine wohlhabende Elite lenkte. Ihren Anspruch auf Exzellenz leiteten diese Eliten nicht allein von kriegerischen Leistungen, sondern von Herkunft, Reichtum und Ämtern ab. Ethnische und kulturelle Diversität kennzeichneten diese Gemeinwesen. Rom bildete keine Ausnahme. Eine dauerhafte monarchische Ordnung wurde jedoch nicht errichtet. Die sieben kanonischen Könige waren eher „warlords“, die mobile Kriegergruppen anführten, oder Clanführer mit schwankender Machtbasis, die vom lokalen Adel teils unterstützt, teils bekämpft wurden. Alleinherrschaft im frühen Rom war folglich immer prekär.
Die Vertreibung der letzten Herrscher aus der Tarquinierdynastie am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. führte zu Unruhen, die Roms Position als Regionalmacht gefährdeten. Doch das Experiment einer gewählten Regierung, so argumentiert Lomas schlüssig, stabilisierte die politische Ordnung, in der monarchische wie aristokratische Elemente miteinander verbunden wurden. Der Anspruch auf exklusive Herrschaft war nicht durch dynastische Sukzession oder einen göttlichen Auftrag zu begründen, sondern musste immer wieder neu erkämpft und durch Wahl bestätigt werden.
Es wäre indes ein Fehler, eine lineare Entwicklung zu postulieren. Die frühe Republik war vielmehr eine Phase des Ausprobierens. Gesellschaftliche Verwerfungen und Versorgungskrisen erschütterten die Stadt, und über die Frage, wer die politische Verantwortung zu übernehmen habe, gab es heftigen Streit. Soziale Konflikte mussten entschärft werden. Die Zahl, Befugnisse und Bezeichnungen der obersten Amtsträger – Konsuln und Prätoren – wurden erst 367 v. Chr. festgesetzt. Wichtig für den weiteren Aufstieg Roms war der Wandel der soziopolitischen Elite von einem patrizischen Erbadel zu einer oligarchischen Nobilität; zu diesem „Amtsadel“, der durch die Übernahme von zeitlich befristeten Magistraturen charakterisiert war, hatten auch ambitionierte und vermögende Aufsteiger Zugang. Zugleich schützte sich das Volk zwischen dem 5. und 3. Jahrhundert v. Chr. durch eigene Institutionen gegen die Willkür der Mächtigen und gewann Anteil an politischen Entscheidungsprozessen. Durch diesen „Sonderweg“ konnten blutige Bürgerkriege, wie sie viele griechische Stadtstaaten damals erschütterten, vermieden werden.
Die leistungsorientierte und kompetitive Nobilität bewirkte seit Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. den rücksichtslosen Aufstieg Roms zur Hegemonialmacht erst in Latium, dann in Italien und schließlich im gesamten Mittelmeerraum. Das aristokratische Standesethos beruhte vor allem auf dem Nachweis von Verdiensten für die res publica, und hier in erster Linie von militärischen Leistungen. Eroberungskriege, aber auch Beutezüge waren damit programmiert.
Im dritten Jahrhundert war Rom zu einer der größten Städte in ganz Italien geworden. Eine mächtige Befestigungsanlage schützte die Siedlung vor Angriffen. Monumentale Tempel und repräsentative öffentliche Bauten waren errichtet worden. Ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem, ausgebaute Straßen und verzweigte Wasserleitungen gehörten zu den Annehmlichkeiten der stetig wachsenden Bevölkerung, zu der zahlreiche Zuwanderer aus anderen Teilen Italiens und der Welt zählten.
Lomas nennt einen letzten Grund für Roms Aufstieg, der bis in die Frühzeit zurückreicht: Roms Offenheit für Fremde und die offensive Vergabe des Bürgerrechts, wovon nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gruppen und gar Gemeinwesen profitierten. Damit wurde die Bürgerschaft vergrößert und die Wehrkraft gestärkt. Parallel baute Rom ein höchst differenziertes und effizientes politisches, militärisches und völkerrechtliches Bündnissystem auf, das ganz Italien umfasste und seine hegemonialen Ansprüche stützte. Das Buch ist ein großer Wurf. Der spannenden Rekonstruktion des Aufstiegs der Stadt am Tiber zur italischen Hegemonialmacht wünscht man viele Leserinnen und Leser.
Die Gründungsmythen Roms gehören zu den großen europäischen Erzählungen. Claude Lorrain malte 1675 die Szene der „Aeneis“ des Vergil, in der Aeneas, am Ende seiner Flucht aus Troja, vom Tiber aus dem italischen König Evander und seinem Sohn einen Olivenzweig entgegenhält.
Foto: National Trust Photographic Library
Die Kapitolinische Wölfin mit Romulus und Remus, gezeichnet von Antonio Lafreri im Jahr 1552.
Foto: The Stapleton Collection
Kathryn Lomas: Der Aufstieg Roms. Von Romulus bis Pyrrhus. Aus dem Englischen von Uwe Walter. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019.
541 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2019Eine gut organisierte Beutegemeinschaft
Die Karriere des Warlords Mastarna: Kathryn Lomas sucht die Ursprünge der römischen Weltmacht.
Wer an der Südwestecke des Kapitolshügels, schräg gegenüber vom Haus des Cola di Rienzo, das Ausgrabungsgelände von Sant' Omobono betritt, läuft durch eine Wildnis aus Stein. Ziegel- und Basaltmauern, gepflasterte Wegstücke, Fundamentblöcke und Säulentrommeln liegen scheinbar regellos nebeneinander. Eine Erläuterungstafel macht die Trümmerstätte lesbar: Hier erhoben sich schon im sechsten vorchristlichen Jahrhundert die Zwillingstempel der Fortuna und der Mater Matuta, neben dem Jupitertempel die ältesten Heiligtümer Roms.
Um 500 vor Christus wurde die Anlage zerstört, nur um wenig später noch prachtvoller und um sechs Meter erhöht wiederaufgebaut zu werden; im Füllmaterial der Fundamente fand sich Keramik aus der Bronzezeit, sechshundert Jahre vor Romulus. Im Ersten Punischen Krieg bekamen die Tempel ihre endgültige Form mit hufeisenförmigen Altären und einem Donarium für Weihgeschenke. In der Kaiserzeit wurden sie noch zweimal restauriert, bevor sie in der Spätantike dem christlichen Kult zufielen.
Die Anlage von Sant' Omobono macht die erzählerische Herausforderung augenfällig, der sich die britische Historikerin Kathryn Lomas in ihrer Studie über den "Aufstieg Roms" ebenso wie jeder andere Autor einer Überblicksdarstellung gegenübersieht. Lange Zeiten kontinuierlicher Entwicklung eines Gemeinwesens wechseln mit plötzlichen Verschiebungen im Gefüge; die Struktur behält die Oberhand, aber das Ereignis erschüttert und verändert die Struktur. Entsprechend haben die Historiker der frühen Römischen Republik seit Niebuhr und Mommsen ihre Darstellungen zwischen Struktur- und Politikgeschichte oszillieren lassen, und noch Tim Cornell, der wichtigste Experte zum Thema im angelsächsischen Sprachraum, folgt diesem Muster: einerseits Analyse ("Wer war Servius Tullius?"), andererseits Kriegsbericht ("Die Schlacht von Sentinum und ihre Folgen"). Sie alle folgen dabei dem Vorbild des Livius, dessen Hauptwerk "Ab urbe condita" zwar mit Legenden und Vermutungen vollgestopft, aber dennoch die umfassendste erhaltene Quelle zur römischen Frühgeschichte ist.
Kathryn Lomas gibt erkennbar der Strukturgeschichte den Vorzug. Das hat sicher auch damit zu tun, dass sie ihr Buch eher als Zusammenfassung denn als Neudeutung des Forschungsstands versteht, aber ebenso mit der Tatsache, dass sie sich mehr für die Mentalität der handelnden Personen interessiert als für ihre im trüben Licht der Überlieferung schillernden Taten. Auf die Frage beispielsweise, wer Servius Tullius war, dem die Römer den Bau ihrer ersten Stadtmauer zuschrieben, gibt sie eine überraschende, aber plausible Antwort. Sie hält ihn, einem Hinweis des historisch interessierten Kaisers Claudius folgend, für identisch mit einem etruskischen Warlord namens Mastarna.
Den Beleg dafür findet sie auf den Fresken eines Grabs aus Vulci, die ebenjenen Mastarna im Handgemenge neben Aulus und Caelius Vibenna, Gnaeus Tarquinius Rumach ("dem Römer"), Marcus Camillus und anderen notorischen Kämpen seiner Zeit zeigen. Diese Männer, so Lomas, stehen für ein in der frühen Antike verbreitetes Phänomen gemischter Kriegerverbände, die von verschiedenen Städten in Mittelitalien rekrutiert wurden und dort die Macht übernahmen wie die Condottieri der Frührenaissance. Servius Tullius alias Mastarna wurde der sechste König Roms, und Caelius Vibenna lieh seinen Namen einem Hügel der Ewigen Stadt.
Überraschend ist, was im Lauf des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts aus den Kriegersippen in der Stadt der sieben Hügel wurde. Denn in einer Zeit der Hungersnöte und dramatischen politischen Verschiebungen - die Etrusker verloren ihre Seemacht an die Karthager, die Griechenstädte in Unteritalien wurden von oskischen und samnitischen Bergvölkern bedrängt - verwandelten sich die Führer der alteingesessenen und der zugezogenen Clans in tragende Säulen der res publica, des römischen Gemeinwesens. Sie wurden Konsuln, Prätoren, Quästoren und Ädile, und sie lernten, die Macht nicht nur mit ihresgleichen zu teilen, sondern auch mit den gewöhnlichen Stadtbürgern, den Plebejern, auch wenn diese durch den Abstimmungsmodus in den Komitien, den drei Volksversammlungen, grundsätzlich benachteiligt blieben.
In der Schilderung dieses langwierigen, durch Unruhen, Niederlagen und ökonomische Krisen immer wieder unterbrochenen Prozesses bewährt sich die nüchterne Betrachtungsweise der Autorin. In regelmäßigen Abständen unterbricht sie ihre historische Erzählung durch Betrachtungen zur Architektur, Bevölkerungszahl, Wirtschaft und Kultur, so dass der Leser Gelegenheit bekommt, seine imaginäre Stadtkarte Roms auf den jeweils neuesten Stand zu bringen.
Manchmal würde man sich allerdings mehr analytische Schärfe wünschen, etwa bei der Schilderung der 494 ausgebrochenen Ständekämpfe, die erst mit der Feststellung der Gesetzeskraft von Plebisziten in der Lex Hortensia im Jahr 287 zu Ende gingen. Der Dialektik von Liberalisierung und Erstarrung, die in diesem Prozess zutage tritt, schenkt Lomas zu wenig Aufmerksamkeit.
Denn je mehr Teilhabe an öffentlichen Ämtern die Patrizier den Plebejern einräumten, desto stärker schotteten sie zugleich den Senat als ständisches Gremium gegen die Aufnahme neuer Mitglieder ab. Ein ähnlicher Widerspruch prägte Roms Verhältnis zu seinen Bundesgenossen, die für die Beteiligung an den Eroberungszügen ihres Hegemons mit dem Verlust der Selbstverwaltung zahlen mussten. Die Spannungen, die sich dergestalt aufbauten, entluden sich in der letzten Phase der Republik, zum einen im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla, zum anderen im militärischen Aufstand der Bundesgenossen. Beide Konflikte liegen außerhalb des Zeitrahmens dieser Studie, hätten aber dennoch eine Erwähnung verdient.
Die knappste Bilanz der frühen Jahre Roms zieht Uwe Walter, der den Band auch vorbildlich übersetzt hat, im Nachwort: Der Staat des Romulus war eine "bandenmäßig organisierte Beutegemeinschaft". Im dritten vorchristlichen Jahrhundert, mit dem Lomas' Darstellung endet, schickte sich dieses Beutekollektiv an, mit Hilfe eines raffiniert gestaffelten Systems von Kolonien, Bundesgenossen und abhängigen Staaten den ganzen Mittelmeerraum zu erobern. Historisch einzigartig war dabei die Bereitschaft der römischen Eliten, zugunsten des Nachruhms materielle Vorteile hintanzustellen.
In der plebejischen Sippe der Decier etwa gehörte die Devotio, eine rituelle Form des Schlachtentods, bei der ein Feldherr sich selbst und das Heer des Feindes den Göttern der Unterwelt weihte, zur Familientradition. Nicht weniger als drei Konsuln namens Publius Decius Mus, Großvater, Vater und Sohn, sollen sich auf diese Weise für die Republik geopfert haben; das Opfer des mittleren entschied die Schlacht bei Sentinum und damit den letzten Samnitenkrieg. Auch wenn zwei dieser Heldentaten postume Erfindungen sind, wie einige Historiker vermuten, bleibt die staunenswerte Tatsache, dass römische Politiker den eigenen Tod als angemessenen Preis für die erfolgreiche Ausübung ihres Amtes betrachteten. Über die historische Entstehung dieser Mentalität hätte man bei Kathryn Lomas gern mehr erfahren.
Der letzte bekannte Decier, weit hinter dem Horizont dieses Buchs, war übrigens ein Kaiser im dritten Jahrhundert. Er starb im Kampf gegen die Goten, die späteren Eroberer Roms.
ANDREAS KILB
Kathryn Lomas: "Der Aufstieg Roms". Von Romulus bis Pyrrhus.
Aus dem Englischen von Uwe Walter.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019. 541 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Karriere des Warlords Mastarna: Kathryn Lomas sucht die Ursprünge der römischen Weltmacht.
Wer an der Südwestecke des Kapitolshügels, schräg gegenüber vom Haus des Cola di Rienzo, das Ausgrabungsgelände von Sant' Omobono betritt, läuft durch eine Wildnis aus Stein. Ziegel- und Basaltmauern, gepflasterte Wegstücke, Fundamentblöcke und Säulentrommeln liegen scheinbar regellos nebeneinander. Eine Erläuterungstafel macht die Trümmerstätte lesbar: Hier erhoben sich schon im sechsten vorchristlichen Jahrhundert die Zwillingstempel der Fortuna und der Mater Matuta, neben dem Jupitertempel die ältesten Heiligtümer Roms.
Um 500 vor Christus wurde die Anlage zerstört, nur um wenig später noch prachtvoller und um sechs Meter erhöht wiederaufgebaut zu werden; im Füllmaterial der Fundamente fand sich Keramik aus der Bronzezeit, sechshundert Jahre vor Romulus. Im Ersten Punischen Krieg bekamen die Tempel ihre endgültige Form mit hufeisenförmigen Altären und einem Donarium für Weihgeschenke. In der Kaiserzeit wurden sie noch zweimal restauriert, bevor sie in der Spätantike dem christlichen Kult zufielen.
Die Anlage von Sant' Omobono macht die erzählerische Herausforderung augenfällig, der sich die britische Historikerin Kathryn Lomas in ihrer Studie über den "Aufstieg Roms" ebenso wie jeder andere Autor einer Überblicksdarstellung gegenübersieht. Lange Zeiten kontinuierlicher Entwicklung eines Gemeinwesens wechseln mit plötzlichen Verschiebungen im Gefüge; die Struktur behält die Oberhand, aber das Ereignis erschüttert und verändert die Struktur. Entsprechend haben die Historiker der frühen Römischen Republik seit Niebuhr und Mommsen ihre Darstellungen zwischen Struktur- und Politikgeschichte oszillieren lassen, und noch Tim Cornell, der wichtigste Experte zum Thema im angelsächsischen Sprachraum, folgt diesem Muster: einerseits Analyse ("Wer war Servius Tullius?"), andererseits Kriegsbericht ("Die Schlacht von Sentinum und ihre Folgen"). Sie alle folgen dabei dem Vorbild des Livius, dessen Hauptwerk "Ab urbe condita" zwar mit Legenden und Vermutungen vollgestopft, aber dennoch die umfassendste erhaltene Quelle zur römischen Frühgeschichte ist.
Kathryn Lomas gibt erkennbar der Strukturgeschichte den Vorzug. Das hat sicher auch damit zu tun, dass sie ihr Buch eher als Zusammenfassung denn als Neudeutung des Forschungsstands versteht, aber ebenso mit der Tatsache, dass sie sich mehr für die Mentalität der handelnden Personen interessiert als für ihre im trüben Licht der Überlieferung schillernden Taten. Auf die Frage beispielsweise, wer Servius Tullius war, dem die Römer den Bau ihrer ersten Stadtmauer zuschrieben, gibt sie eine überraschende, aber plausible Antwort. Sie hält ihn, einem Hinweis des historisch interessierten Kaisers Claudius folgend, für identisch mit einem etruskischen Warlord namens Mastarna.
Den Beleg dafür findet sie auf den Fresken eines Grabs aus Vulci, die ebenjenen Mastarna im Handgemenge neben Aulus und Caelius Vibenna, Gnaeus Tarquinius Rumach ("dem Römer"), Marcus Camillus und anderen notorischen Kämpen seiner Zeit zeigen. Diese Männer, so Lomas, stehen für ein in der frühen Antike verbreitetes Phänomen gemischter Kriegerverbände, die von verschiedenen Städten in Mittelitalien rekrutiert wurden und dort die Macht übernahmen wie die Condottieri der Frührenaissance. Servius Tullius alias Mastarna wurde der sechste König Roms, und Caelius Vibenna lieh seinen Namen einem Hügel der Ewigen Stadt.
Überraschend ist, was im Lauf des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts aus den Kriegersippen in der Stadt der sieben Hügel wurde. Denn in einer Zeit der Hungersnöte und dramatischen politischen Verschiebungen - die Etrusker verloren ihre Seemacht an die Karthager, die Griechenstädte in Unteritalien wurden von oskischen und samnitischen Bergvölkern bedrängt - verwandelten sich die Führer der alteingesessenen und der zugezogenen Clans in tragende Säulen der res publica, des römischen Gemeinwesens. Sie wurden Konsuln, Prätoren, Quästoren und Ädile, und sie lernten, die Macht nicht nur mit ihresgleichen zu teilen, sondern auch mit den gewöhnlichen Stadtbürgern, den Plebejern, auch wenn diese durch den Abstimmungsmodus in den Komitien, den drei Volksversammlungen, grundsätzlich benachteiligt blieben.
In der Schilderung dieses langwierigen, durch Unruhen, Niederlagen und ökonomische Krisen immer wieder unterbrochenen Prozesses bewährt sich die nüchterne Betrachtungsweise der Autorin. In regelmäßigen Abständen unterbricht sie ihre historische Erzählung durch Betrachtungen zur Architektur, Bevölkerungszahl, Wirtschaft und Kultur, so dass der Leser Gelegenheit bekommt, seine imaginäre Stadtkarte Roms auf den jeweils neuesten Stand zu bringen.
Manchmal würde man sich allerdings mehr analytische Schärfe wünschen, etwa bei der Schilderung der 494 ausgebrochenen Ständekämpfe, die erst mit der Feststellung der Gesetzeskraft von Plebisziten in der Lex Hortensia im Jahr 287 zu Ende gingen. Der Dialektik von Liberalisierung und Erstarrung, die in diesem Prozess zutage tritt, schenkt Lomas zu wenig Aufmerksamkeit.
Denn je mehr Teilhabe an öffentlichen Ämtern die Patrizier den Plebejern einräumten, desto stärker schotteten sie zugleich den Senat als ständisches Gremium gegen die Aufnahme neuer Mitglieder ab. Ein ähnlicher Widerspruch prägte Roms Verhältnis zu seinen Bundesgenossen, die für die Beteiligung an den Eroberungszügen ihres Hegemons mit dem Verlust der Selbstverwaltung zahlen mussten. Die Spannungen, die sich dergestalt aufbauten, entluden sich in der letzten Phase der Republik, zum einen im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla, zum anderen im militärischen Aufstand der Bundesgenossen. Beide Konflikte liegen außerhalb des Zeitrahmens dieser Studie, hätten aber dennoch eine Erwähnung verdient.
Die knappste Bilanz der frühen Jahre Roms zieht Uwe Walter, der den Band auch vorbildlich übersetzt hat, im Nachwort: Der Staat des Romulus war eine "bandenmäßig organisierte Beutegemeinschaft". Im dritten vorchristlichen Jahrhundert, mit dem Lomas' Darstellung endet, schickte sich dieses Beutekollektiv an, mit Hilfe eines raffiniert gestaffelten Systems von Kolonien, Bundesgenossen und abhängigen Staaten den ganzen Mittelmeerraum zu erobern. Historisch einzigartig war dabei die Bereitschaft der römischen Eliten, zugunsten des Nachruhms materielle Vorteile hintanzustellen.
In der plebejischen Sippe der Decier etwa gehörte die Devotio, eine rituelle Form des Schlachtentods, bei der ein Feldherr sich selbst und das Heer des Feindes den Göttern der Unterwelt weihte, zur Familientradition. Nicht weniger als drei Konsuln namens Publius Decius Mus, Großvater, Vater und Sohn, sollen sich auf diese Weise für die Republik geopfert haben; das Opfer des mittleren entschied die Schlacht bei Sentinum und damit den letzten Samnitenkrieg. Auch wenn zwei dieser Heldentaten postume Erfindungen sind, wie einige Historiker vermuten, bleibt die staunenswerte Tatsache, dass römische Politiker den eigenen Tod als angemessenen Preis für die erfolgreiche Ausübung ihres Amtes betrachteten. Über die historische Entstehung dieser Mentalität hätte man bei Kathryn Lomas gern mehr erfahren.
Der letzte bekannte Decier, weit hinter dem Horizont dieses Buchs, war übrigens ein Kaiser im dritten Jahrhundert. Er starb im Kampf gegen die Goten, die späteren Eroberer Roms.
ANDREAS KILB
Kathryn Lomas: "Der Aufstieg Roms". Von Romulus bis Pyrrhus.
Aus dem Englischen von Uwe Walter.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019. 541 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
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»[D]ieses wichtige Werk [...] [ist] auch für interessierte Laien eine spannende und aufschlussreiche Lektüre.« Hendrik Müller, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 05/2020 Hendrik Müller Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20200501