Behemoth und Leviathan. Rebellion und Friedensordnung, Bürgerkrieg und souveräne Staatsperson. Die politische Theorie kommt nicht los von den beiden biblischen Ungeheuern, in deren Bildern Thomas Hobbes die politische Moderne bannte. Am Beginn der neueren Deutungen steht Horst Bredekamps Geschichte jenes »Urbilds des modernen Staates« und seiner Mutationen (Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder, 1651–2001. Berlin 1999, 2006). Doch der Leviathan lässt sich nicht ohne seinen Doppelgänger verstehen, das Landtier Behemoth, das politische Symbol der »revolutionären anarchischen Kraft des Naturzustandes« (Carl Schmitt), dessen Bildgeschichte nicht weniger verwickelt ist. In seinem neuen Buch setzt Horst Bredekamp die politische Geschichte der beiden Untiere fort, indem er den historischen Wandel des hiobschen Monstrums in den Mittelpunkt stellt. Es ist zugleich der Start der neuen Reihe »Carl-Schmitt-Vorlesungen«, in denen die von der Carl-Schmitt-Gesellschaft jährlich in Berlin veranstalteten Vorlesungen veröffentlicht werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2016Von Berlin nach Santiago: Die Besiegten lächeln
Horst Bredekamp interpretiert noch einmal Carl Schmitts Beschäftigung mit den biblischen Monstra Leviathan und Behemoth als den Urbildern politischer Machtverhältnisse.
In seinem neuen Buch "Der Behemoth. Metamorphosen des Anti-Leviathan" (Duncker & Humblot, Berlin 2016) greift Horst Bredekamp wieder auf ein Untier und seine ikonographische Karriere zurück. Nun ist es das Gegenstück zum Leviathan, das wir, wie diesen, aus dem Buch Hiob des Alten Testaments kennen. Leviathan ist das endzeitliche Ungeheuer als Beherrscher des Wassers, Behemoth das, übrigens vegetarische, endzeitliche Untier als Beherrscher der Erde, plump und eigentlich bildresistent wie ein Flusspferd oder Nashorn, zugleich gefährlich bezahnt wie ein Wildschwein. Einen endzeitlichen Beherrscher der Lüfte gibt es bei Hiob nicht, wohl aber in der rabbinischen Tradition, das ist der Riesenvogel Ziz (der für Carl Schmitt in den vierziger Jahren zum Tiersymbol des Luftkrieges wurde, wie sein Briefwechsel mit Ernst Jünger belegt).
Der Ikonographie des Leviathan hat Bredekamp bereits 2003 eine Interpretation im Anschluss an das Frontispiz des gleichnamigen Buches von Thomas Hobbes gewidmet. Nun also widmet er sich dem Gegenstück Behemoth, zu dem Hobbes ebenfalls einen Text hinterließ, allerdings ohne Bild. Auf beide Texte nahm Carl Schmitt in eigenen Schriften Bezug, auf den Leviathan, um seine Staatstheorie vorzustellen, auf den Behemoth, um sich und unserer Zeit den Spiegel vorzuhalten. Eingebettet in die altägyptische, mittelalterliche und neuzeitliche Ikonographie des Behemoth (hier insbesondere von William Blake), präsentiert Bredekamp auch die bekannte aufschlussreiche Neuaufnahme dieses Untiers durch den emigrierten Soziologen, Politologen und Juristen Franz L. Neumann (1900 bis 1954), der unter dem Titel "Behemoth. The structure and practice of National Socialism" (Deutsch: "Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus", 1984) in den Vereinigten Staaten eine prägnante Strukturanalyse des nationalsozialistischen Systems vorgelegt hatte, das seiner hellsichtigen Auffassung nach geradezu zwangsläufig im Desaster enden müsse (lawlessness).
Neumann war vor seiner Emigration 1933 mit Schmitt zwar nicht befreundet, aber bekannt, ja vertraut, und bat ihn um Unterstützung in Habilitationsfragen. Seine politische Vision des Behemoth ist, wiewohl der Text nach seiner Emigration natürlich kritisch zu Schmitt steht, dennoch nicht weit entfernt von Schmitts Auslegung des Leviathan von 1938. Bredekamp sieht es so: "Der ,Behemoth' war in Frontstellung gegen Schmitt verfasst, nutzte aber dessen Zerfallsanalyse des Staates." So bleibt es zumindest denkwürdig und klingt nicht gar so selbstexkulpativ, dass Schmitt 1948 das Erscheinen seines Leviathan 1938 rückblickend als "Mutprobe" bezeichnete.
Tatsächlich formte sich gerade über Neumann eine Art Links-Schmittianismus in den Vereinigten Staaten. Das Motiv war, so Bredekamp, dass seinerzeit einer politischen (und, so darf man ergänzen, einer metaphysischen) Entkernung der Philosophie im Siegeszug der analytischen Philosophie entgegenzutreten war. Der Links-Schmittianismus warf jedenfalls seinen untergründigen und wieder verengten Schatten bis zu Samuel P. Huntingtons "Clash of Civilizations" (1996), und vorher schon, verstärkt durch Walter Benjamins Bewunderung für Schmitt, auf die Theoretiker der deutschen Achtundsechziger. Allerdings war wohl, was Bredekamp nicht ausführt, Schmitts "Nomos der Erde" (1950) für die amerikanische Realpolitik noch bei weitem wichtiger, insbesondere wenn man an die Kriege in Vietnam und später im Irak denkt.
Solche Perspektiven erschließen sich übrigens nur, wenn man mit Josef Isensee den Blick von Verfassungsvoraussetzungen auf Verfassungserwartungen freigibt: Verfassungen selbst bleiben immer ein between. Ihr Sinn erschließt sich nicht nur aus ihren Buchstaben, sondern stets auch aus Voraussetzungen, in die sie eingebettet sind, und aus Erwartungen an ihre Adressaten. Erst wenn man das eingesehen hat, wird Carl Schmitt als Gegenwartsdiagnostiker sichtbar. Warum? Weil er stets daran erinnert, dass solche Bezüge für eine Einsicht in das, was staatsrechtlich ist, unentbehrlich sind. Das ist sein Erbe Hegels.
Spektakulär werden Bredekamps ikonographische Analysen da, wo sie die späte Wende Schmitts vom Leviathan zu Behemoth in den Blick nehmen. Darüber hat sich Schmitt auch mit dem Philosophen Walter Warnach (1910 bis 2000), der an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte und ebenso enger Freund von Joseph Beuys war, brieflich ausgetauscht. Der Drehpunkt der Wende war Schmitts Neujustierung des Verhältnisses von Innen und Außen, gelesen als Differenz von staatlichem Wesen und seiner Erscheinung. Das klingt sehr abstrakt, besagt aber nur, dass Carl Schmitt über eine plastische Intellektualität verfügte, die Macht nicht nur strategisch, sondern sinnbildlich zu denken verstand. Daher rückt hier, sonst wäre seine Neujustierung in ikonographischer Lesart gar nicht möglich, eine Stadt in den Mittelpunkt.
Und diese Stadt ist Santiago de Compostela mit ihrer Kathedrale (um 1100). Schmitt kannte Spanien schon vor dem Krieg sehr gut, insbesondere Santiago, vor allem seit sich seine Tochter Anima nach ihrer Heirat 1957 mit dem Rechtshistoriker Alfonso Otero dort niedergelassen hatte. Hier also kam es bei Schmitt zu einer bemerkenswerten Idee: Der Leviathan ist fassadenfähig, Behemoth aber nicht. Was heißt das?
Wenn das Monstrum Leviathan gleichsam eine nach außen getragene, barocke Monstranz der staatlichen Macht ist, erzeugt er in sich sofort ein Vakuum, das die Energien seines Unterganges geradezu selbst ansaugt. Macht bleibt Fassade. Genau dafür eignet sich sinnbildlich das kompakte Wesen des Behemoth gerade nicht, es ist undurchdringliche Präsenz, in den Worten von Schmitt: "Der Behemoth ist merkwürdigerweise nicht als Fassade geeignet wie der Leviathan." Damit eröffnet sich eine Spannung zwischen den beiden sinnbildlichen Untieren, die in einem finalen Kampf zwischen Leviathan (Fassade) und Behemoth (Präsenz) münden müsste. Dazu gibt es außerhalb des Talmud wohl nur einen Beleg aus dem fünften bis sechsten Jahrhundert n. Chr. bei Eleazar be-Rabbi Quallir, von dem man nicht weiß, ob Schmitt ihn gekannt hat. Die Quellen im "Glossarium" (Aufzeichnungen 1947 bis 1958), das Gerd Giesler und Martin Tielke in einer meisterhaften Neuausgabe 2015 ediert und kommentiert haben, dokumentieren jedenfalls Carl Schmitts Neubewertung des Behemoth als Prinzip einer undurchdringlichen Präsenz, an der die Innen-Außen-Differenz zerschellt. Was das politisch konkret bedeutet, bleibt bei Schmitt, auch über die Analysen von Samuel Salzborn hinaus, am Ende offen. Er bietet nur das bildliche Material, um politische Verhältnisse zwischen Fassade und undurchdringlicher Kompaktheit zu deuten. Es böte sich heute an beispielsweise der Kontrast zwischen einer volatilen Politik und einer kompakten, das heißt funktionierenden und nicht korrupten Verwaltung. Schmitt aber war, wie schon Hegel, kein utopischer Eschatologe.
Bredekamp nutzt diese Gelegenheit jedenfalls, um auf seine von ihm und Stefan Trinks vorgetragene These von der kompakten, einer Renaissance unbedürftigen Fortsetzung der Antike in der spanischen Romanik Santiagos aufmerksam zu machen. Das steinerne Lächeln, Erbe der frühesten Antike, wanderte von Griechenland aus bruchlos nach Santiago, von dort über Reims bis nach Naumburg. Dieses steinerne Lächeln des folglich von Beginn an besiegten Homo sapiens, in der Kathedrale von Santiago de Compostela am eindrucksvollsten von der Figur des Daniel repräsentiert, traf Schmitt bis ins Mark, wie seine Aufzeichnungen "Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47" (1950) bezeugen. In diesem Lächeln fühlte er sich offenbar, wie auch im Gelächter Gelimers nach seiner Niederlage durch Belisarius, von dem uns der byzantinische Historiker Prokop berichtet, durch eine unvermutete Seligpreisung getröstet: "Selig, die ihr jetzt weint! Ihr werdet lachen." (Lukas 6,21).
Was hier geschehen ist, bleibt, wie so oft bei Carl Schmitt, einigermaßen rätselhaft. Daher stammt das metaphysische Aroma seiner Schriften. Sie laufen im Sinnbezirk eines Bildes stets auf ein Rätsel zu, das man nicht hinter sich lassen kann. Bredekamp stützt diese Rätselhaftigkeit noch durch den Hinweis, dass Schmitt schon 1938 Isaac de La Peyrère zitierte, der darauf hingewiesen hatte, dass man aus den Quellen (Genesis 1,27 gegenüber 2,16) mit einer verfehlten ersten Schöpfung zu rechnen habe, deren Relikte die Monstra Leviathan und Behemoth sind. Bredekamp nennt diese Spur bei Schmitt geradezu "abgründig". Gottes erster Versuch einer Schöpfung wäre demnach schiefgegangen, so dass er aufs Neue, und zwar mit Adam, beginnen musste. Politisch gelesen wäre dies 1938 ein großkalibriges Menetekel. Aber, wie gesagt, sicher kann man sich darin nicht sein.
Schmitt verriet einmal, wie wir von Christian Meier wissen, dass sich sein Lernen "auf dem Wege der Entdeckung von Mythen" vollziehe. Wer sich zum Nachdenken mit Unterstützung von Bildern bereitfindet, sollte sich eine Lektüre dieses gehaltvollen kleinen Buches von Bredekamp nicht entgehen lassen. Er wird dann mehr über sich und unsere Zeit erfahren, als es ihm und uns "Schlafwandlern" lieb sein könnte. Ohne dieses Risiko ist die Lektüre nicht zu haben.
WOLFRAM HOGREBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Horst Bredekamp interpretiert noch einmal Carl Schmitts Beschäftigung mit den biblischen Monstra Leviathan und Behemoth als den Urbildern politischer Machtverhältnisse.
In seinem neuen Buch "Der Behemoth. Metamorphosen des Anti-Leviathan" (Duncker & Humblot, Berlin 2016) greift Horst Bredekamp wieder auf ein Untier und seine ikonographische Karriere zurück. Nun ist es das Gegenstück zum Leviathan, das wir, wie diesen, aus dem Buch Hiob des Alten Testaments kennen. Leviathan ist das endzeitliche Ungeheuer als Beherrscher des Wassers, Behemoth das, übrigens vegetarische, endzeitliche Untier als Beherrscher der Erde, plump und eigentlich bildresistent wie ein Flusspferd oder Nashorn, zugleich gefährlich bezahnt wie ein Wildschwein. Einen endzeitlichen Beherrscher der Lüfte gibt es bei Hiob nicht, wohl aber in der rabbinischen Tradition, das ist der Riesenvogel Ziz (der für Carl Schmitt in den vierziger Jahren zum Tiersymbol des Luftkrieges wurde, wie sein Briefwechsel mit Ernst Jünger belegt).
Der Ikonographie des Leviathan hat Bredekamp bereits 2003 eine Interpretation im Anschluss an das Frontispiz des gleichnamigen Buches von Thomas Hobbes gewidmet. Nun also widmet er sich dem Gegenstück Behemoth, zu dem Hobbes ebenfalls einen Text hinterließ, allerdings ohne Bild. Auf beide Texte nahm Carl Schmitt in eigenen Schriften Bezug, auf den Leviathan, um seine Staatstheorie vorzustellen, auf den Behemoth, um sich und unserer Zeit den Spiegel vorzuhalten. Eingebettet in die altägyptische, mittelalterliche und neuzeitliche Ikonographie des Behemoth (hier insbesondere von William Blake), präsentiert Bredekamp auch die bekannte aufschlussreiche Neuaufnahme dieses Untiers durch den emigrierten Soziologen, Politologen und Juristen Franz L. Neumann (1900 bis 1954), der unter dem Titel "Behemoth. The structure and practice of National Socialism" (Deutsch: "Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus", 1984) in den Vereinigten Staaten eine prägnante Strukturanalyse des nationalsozialistischen Systems vorgelegt hatte, das seiner hellsichtigen Auffassung nach geradezu zwangsläufig im Desaster enden müsse (lawlessness).
Neumann war vor seiner Emigration 1933 mit Schmitt zwar nicht befreundet, aber bekannt, ja vertraut, und bat ihn um Unterstützung in Habilitationsfragen. Seine politische Vision des Behemoth ist, wiewohl der Text nach seiner Emigration natürlich kritisch zu Schmitt steht, dennoch nicht weit entfernt von Schmitts Auslegung des Leviathan von 1938. Bredekamp sieht es so: "Der ,Behemoth' war in Frontstellung gegen Schmitt verfasst, nutzte aber dessen Zerfallsanalyse des Staates." So bleibt es zumindest denkwürdig und klingt nicht gar so selbstexkulpativ, dass Schmitt 1948 das Erscheinen seines Leviathan 1938 rückblickend als "Mutprobe" bezeichnete.
Tatsächlich formte sich gerade über Neumann eine Art Links-Schmittianismus in den Vereinigten Staaten. Das Motiv war, so Bredekamp, dass seinerzeit einer politischen (und, so darf man ergänzen, einer metaphysischen) Entkernung der Philosophie im Siegeszug der analytischen Philosophie entgegenzutreten war. Der Links-Schmittianismus warf jedenfalls seinen untergründigen und wieder verengten Schatten bis zu Samuel P. Huntingtons "Clash of Civilizations" (1996), und vorher schon, verstärkt durch Walter Benjamins Bewunderung für Schmitt, auf die Theoretiker der deutschen Achtundsechziger. Allerdings war wohl, was Bredekamp nicht ausführt, Schmitts "Nomos der Erde" (1950) für die amerikanische Realpolitik noch bei weitem wichtiger, insbesondere wenn man an die Kriege in Vietnam und später im Irak denkt.
Solche Perspektiven erschließen sich übrigens nur, wenn man mit Josef Isensee den Blick von Verfassungsvoraussetzungen auf Verfassungserwartungen freigibt: Verfassungen selbst bleiben immer ein between. Ihr Sinn erschließt sich nicht nur aus ihren Buchstaben, sondern stets auch aus Voraussetzungen, in die sie eingebettet sind, und aus Erwartungen an ihre Adressaten. Erst wenn man das eingesehen hat, wird Carl Schmitt als Gegenwartsdiagnostiker sichtbar. Warum? Weil er stets daran erinnert, dass solche Bezüge für eine Einsicht in das, was staatsrechtlich ist, unentbehrlich sind. Das ist sein Erbe Hegels.
Spektakulär werden Bredekamps ikonographische Analysen da, wo sie die späte Wende Schmitts vom Leviathan zu Behemoth in den Blick nehmen. Darüber hat sich Schmitt auch mit dem Philosophen Walter Warnach (1910 bis 2000), der an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte und ebenso enger Freund von Joseph Beuys war, brieflich ausgetauscht. Der Drehpunkt der Wende war Schmitts Neujustierung des Verhältnisses von Innen und Außen, gelesen als Differenz von staatlichem Wesen und seiner Erscheinung. Das klingt sehr abstrakt, besagt aber nur, dass Carl Schmitt über eine plastische Intellektualität verfügte, die Macht nicht nur strategisch, sondern sinnbildlich zu denken verstand. Daher rückt hier, sonst wäre seine Neujustierung in ikonographischer Lesart gar nicht möglich, eine Stadt in den Mittelpunkt.
Und diese Stadt ist Santiago de Compostela mit ihrer Kathedrale (um 1100). Schmitt kannte Spanien schon vor dem Krieg sehr gut, insbesondere Santiago, vor allem seit sich seine Tochter Anima nach ihrer Heirat 1957 mit dem Rechtshistoriker Alfonso Otero dort niedergelassen hatte. Hier also kam es bei Schmitt zu einer bemerkenswerten Idee: Der Leviathan ist fassadenfähig, Behemoth aber nicht. Was heißt das?
Wenn das Monstrum Leviathan gleichsam eine nach außen getragene, barocke Monstranz der staatlichen Macht ist, erzeugt er in sich sofort ein Vakuum, das die Energien seines Unterganges geradezu selbst ansaugt. Macht bleibt Fassade. Genau dafür eignet sich sinnbildlich das kompakte Wesen des Behemoth gerade nicht, es ist undurchdringliche Präsenz, in den Worten von Schmitt: "Der Behemoth ist merkwürdigerweise nicht als Fassade geeignet wie der Leviathan." Damit eröffnet sich eine Spannung zwischen den beiden sinnbildlichen Untieren, die in einem finalen Kampf zwischen Leviathan (Fassade) und Behemoth (Präsenz) münden müsste. Dazu gibt es außerhalb des Talmud wohl nur einen Beleg aus dem fünften bis sechsten Jahrhundert n. Chr. bei Eleazar be-Rabbi Quallir, von dem man nicht weiß, ob Schmitt ihn gekannt hat. Die Quellen im "Glossarium" (Aufzeichnungen 1947 bis 1958), das Gerd Giesler und Martin Tielke in einer meisterhaften Neuausgabe 2015 ediert und kommentiert haben, dokumentieren jedenfalls Carl Schmitts Neubewertung des Behemoth als Prinzip einer undurchdringlichen Präsenz, an der die Innen-Außen-Differenz zerschellt. Was das politisch konkret bedeutet, bleibt bei Schmitt, auch über die Analysen von Samuel Salzborn hinaus, am Ende offen. Er bietet nur das bildliche Material, um politische Verhältnisse zwischen Fassade und undurchdringlicher Kompaktheit zu deuten. Es böte sich heute an beispielsweise der Kontrast zwischen einer volatilen Politik und einer kompakten, das heißt funktionierenden und nicht korrupten Verwaltung. Schmitt aber war, wie schon Hegel, kein utopischer Eschatologe.
Bredekamp nutzt diese Gelegenheit jedenfalls, um auf seine von ihm und Stefan Trinks vorgetragene These von der kompakten, einer Renaissance unbedürftigen Fortsetzung der Antike in der spanischen Romanik Santiagos aufmerksam zu machen. Das steinerne Lächeln, Erbe der frühesten Antike, wanderte von Griechenland aus bruchlos nach Santiago, von dort über Reims bis nach Naumburg. Dieses steinerne Lächeln des folglich von Beginn an besiegten Homo sapiens, in der Kathedrale von Santiago de Compostela am eindrucksvollsten von der Figur des Daniel repräsentiert, traf Schmitt bis ins Mark, wie seine Aufzeichnungen "Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47" (1950) bezeugen. In diesem Lächeln fühlte er sich offenbar, wie auch im Gelächter Gelimers nach seiner Niederlage durch Belisarius, von dem uns der byzantinische Historiker Prokop berichtet, durch eine unvermutete Seligpreisung getröstet: "Selig, die ihr jetzt weint! Ihr werdet lachen." (Lukas 6,21).
Was hier geschehen ist, bleibt, wie so oft bei Carl Schmitt, einigermaßen rätselhaft. Daher stammt das metaphysische Aroma seiner Schriften. Sie laufen im Sinnbezirk eines Bildes stets auf ein Rätsel zu, das man nicht hinter sich lassen kann. Bredekamp stützt diese Rätselhaftigkeit noch durch den Hinweis, dass Schmitt schon 1938 Isaac de La Peyrère zitierte, der darauf hingewiesen hatte, dass man aus den Quellen (Genesis 1,27 gegenüber 2,16) mit einer verfehlten ersten Schöpfung zu rechnen habe, deren Relikte die Monstra Leviathan und Behemoth sind. Bredekamp nennt diese Spur bei Schmitt geradezu "abgründig". Gottes erster Versuch einer Schöpfung wäre demnach schiefgegangen, so dass er aufs Neue, und zwar mit Adam, beginnen musste. Politisch gelesen wäre dies 1938 ein großkalibriges Menetekel. Aber, wie gesagt, sicher kann man sich darin nicht sein.
Schmitt verriet einmal, wie wir von Christian Meier wissen, dass sich sein Lernen "auf dem Wege der Entdeckung von Mythen" vollziehe. Wer sich zum Nachdenken mit Unterstützung von Bildern bereitfindet, sollte sich eine Lektüre dieses gehaltvollen kleinen Buches von Bredekamp nicht entgehen lassen. Er wird dann mehr über sich und unsere Zeit erfahren, als es ihm und uns "Schlafwandlern" lieb sein könnte. Ohne dieses Risiko ist die Lektüre nicht zu haben.
WOLFRAM HOGREBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Bredekamps texthermeneutischer wie ikonologischer Gang durch mehr als zweitausend Jahre Behemoth-Mythologie ist eine vorzügliche Schulung des Blicks für die Nuancen und Details politischen Denkens und dessen bildlichen Darstellens und Kommentierens. Das Buch ist ein großartiger Beleg dafür, wie politische Theorie und Kunstgeschichte voneinander profitieren können, wenn sie enger zusammenarbeiten.« Herfried Münkler, in: Politische Vierteljahresschrift, Bd. 59, Heft 3/2018
»Bredekamp kann (wieder einmal) durch ikonographische Vergleiche versteckte Botschaften sichtbar machen, die sich als konzeptionelle Überraschungen entpuppen. Seine Behemoth-Revue beindruckt daher immer dort, wo sie Bilder zu Geschichten verarbeitet.« Wolfgang Fach, in: BEHEMOTH. A Journal on Civilisation, Vol. 9, Issue 2/2016
»Wer sich zum Nachdenken mit Unterstützung von Bildern bereitfindet, sollte sich eine Lektüre dieses gehaltvollen kleinen Buches von Bredekamp nicht entgehen lassen.« Wolfram Hogrebe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 185, 10.08.2016
»es steht außer Frage, daß Bredekamps recht kurzes, aber gleichwohl ausgesprochen substantielles Buch zu jenen Werken gehört, die man schlicht gelesen haben muß, wenn man sich für Hobbes und Schmitt sowie die von ihnen aufgeworfenen Fragen interessiert.« Till Kinzel, in: Informationsmittel, 24 (2016),3[06]
»Das reichlich, ästhetisch anspruchsvolle, bebilderte Büchlein bietet eine vorzügliche geistesgeschichtliche Auseinandersetzung ab, die bisher nur wenig erforscht und erörtert ist.« Dietmar Herz, in: Das Historisch-Politische Buch, 5/2016
»Bredekamp kann (wieder einmal) durch ikonographische Vergleiche versteckte Botschaften sichtbar machen, die sich als konzeptionelle Überraschungen entpuppen. Seine Behemoth-Revue beindruckt daher immer dort, wo sie Bilder zu Geschichten verarbeitet.« Wolfgang Fach, in: BEHEMOTH. A Journal on Civilisation, Vol. 9, Issue 2/2016
»Wer sich zum Nachdenken mit Unterstützung von Bildern bereitfindet, sollte sich eine Lektüre dieses gehaltvollen kleinen Buches von Bredekamp nicht entgehen lassen.« Wolfram Hogrebe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 185, 10.08.2016
»es steht außer Frage, daß Bredekamps recht kurzes, aber gleichwohl ausgesprochen substantielles Buch zu jenen Werken gehört, die man schlicht gelesen haben muß, wenn man sich für Hobbes und Schmitt sowie die von ihnen aufgeworfenen Fragen interessiert.« Till Kinzel, in: Informationsmittel, 24 (2016),3[06]
»Das reichlich, ästhetisch anspruchsvolle, bebilderte Büchlein bietet eine vorzügliche geistesgeschichtliche Auseinandersetzung ab, die bisher nur wenig erforscht und erörtert ist.« Dietmar Herz, in: Das Historisch-Politische Buch, 5/2016