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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Gott macht Pause: Ivica Prtenjacas "Der Berg"
Sie hatten alles so schön geplant, die Esoteriker vom Festland. Sie waren mit ihren Trommeln und Räucherstäbchen auf die dalmatinische Ferieninsel gekommen, dann hatten sie sich einen ruhigen Fleck im Bergwald gesucht und ihre Séance begonnen, in der festen Erwartung, einen Naturgeist heraufzubeschwören. Stattdessen kam ein Mann mit einem Esel durch das Gebüsch gerannt, der rumbrüllte und das Feuer löschte. Mit der Zeremonie war es dann vorbei, und auch die Einladung des Störenfrieds in seine Behausung konnte nichts mehr retten. Doch auch der Gastgeber fühlte sich unwohl, als er seine einfache, teils verwahrloste Unterkunft auf einmal mit den Augen derer sah, die er noch vor wenigen Wochen als seinesgleichen betrachtet hatte - oder zumindest als Nachbarn in der kroatischen Hauptstadt Zagreb.
Dass der etwa vierzigjährige Erzähler von Ivica Prtenjacas Roman "Der Berg" vor Menschen wie diesen geflohen ist, als er sich darum bewarb, einen Sommer lang auf einer felsigen Insel vor der kroatischen Küste als Feuerwächter zu dienen, betont er oft. Er rekapituliert seine jüngste Vergangenheit, die Scheidung von einer erfolgreichen Anwältin, den Ekel angesichts seiner Jobs in der Kulturindustrie, schließlich die Arbeit als freier Autor für das Fernsehen. Er schildert die kurzen Begegnungen mit den Einheimischen zu Beginn seiner Tätigkeit auf der Insel, den Aufstieg durch die Hitze bis zu dem Betonbau, in dem er drei Monate lang leben wird, und schließlich die Fürsorge, die er an einen Esel wendet, der ihm zur Unterstützung dagelassen wird und den er Visconti tauft. Nur selten, vor allem am Schluss, gibt er leider der Versuchung nach, den Aufenthalt auf der Insel auf dessen Bedeutung für sein eigenes Leben, das bisherige und das künftige, zu befragen und damit den meist nüchternen Erzählstil zu unterlaufen.
Ein Tagebuch führt er nicht, und so verschwimmen die Bilder des Sommers in einer Art Suada, die sich auf die Geschehnisse in der unmittelbaren Umgebung konzentriert: die Rundgänge durch Gebüsch und Wald, Begegnungen mit den Schlangen, die er abzuwehren versucht, kleine Arbeiten wie sporadisches Brotbacken, ausgedehnte Ruhepausen, andrängende Erinnerungen und Reflexionen bis hin zur Frage der Existenz Gottes, die er bejaht, allerdings mit dem Vorbehalt, dass Gott wohl sehr spezielle Arbeitszeiten haben müsse.
Das gilt auch für ihn selbst, und so wie er einerseits als Brandwächter ständig angespannt ist, nimmt er seinen selbstverordneten Abstand von der bisherigen Umgebung sehr ernst - einen Hilferuf seiner geschiedenen Frau, die sich seine Teilnahme am Begräbnis ihrer Mutter wünscht, beantwortet er nicht einmal. Er ist Zuschauer, sei es ganz buchstäblich mit dem Fernrohr, das er über die Insel und deren Siedlungen wandern lässt, oder während sporadischer Besuche im nächsten Ort, wo sich ein Drama anbahnt, das schließlich in einen verzweifelten Vatermord mündet.
Noch ein anderer kommt zu Tode, der Veteran Tomo, der fünf Jahre lang im jugoslawischen Bürgerkrieg kämpfte und nun nicht nur durch zahllose Granatsplitter in seinem Körper gezeichnet ist. Tomo, der den Sommer über nachts Wildschweinen auflauert und sie zu Dutzenden erlegt, lädt den Erzähler einmal in den Keller seines Steinhauses am Rande der Ortschaft ein, wo es vor Waffen wimmelt und auch vor Jagdtrophäen. Der Erzähler weigert sich, das Offensichtliche zu benennen, der Autor aber lässt die innere Verwandtschaft der beiden umso deutlicher durchblicken und auch das Privileg des Brandwächters, mit der eigenen Vergangenheit zu brechen und sie aus der Distanz zu betrachten.
So stellt sich der Roman in vielfacher Hinsicht in eine lange literarische Tradition der Zivilisationsflucht, ohne die Illusion zu nähren, diese Abkehr von allem ließe sich dauerhaft und in letzter Konsequenz durchführen - kaum zufällig sucht sich der Erzähler eine Tätigkeit jenseits der Gemeinschaft und zugleich in deren Dienst.
Dass er auf diese Weise nichts retten kann, was schon dem Untergang geweiht ist, dass der Bauwahn auf der Insel weiter die Traditionen zerstören wird, die sich noch gehalten haben, ist ihm klar. Und auch, dass wenigstens für ihn selbst auf der Habenseite einige ausgetriebene Dämonen stehen.
TILMAN SPRECKELSEN
Ivica Prtenjaca: "Der Berg". Roman.
Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Bozen 2021. 184 S., geb., 22,- [Euro].
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