Deutscher Krimipreis 2018 (3. Platz International) Blutige Aufstände in den französischen Vorstädten, die Zahl der Toten steigt unaufhörlich. Die Partei der äußersten Rechten - der Patriotische Block - steht kurz vor dem Einzug in die Regierung. In dieser Nacht kann das Schicksal Frankreichs kippen, und sie ist für drei Menschen der Höhepunkt einer 25-jährigen Geschichte aus Gewalt, Geheimnissen und Manipulation. Agnès führt als Parteivorsitzende die Verhandlungen. Ihr Ehemann Antoine wartet in seiner luxuriösen Pariser Wohnung auf das Ergebnis, Stanko, der Chef des paramilitärischen Ordnerdienstes der Partei, versteckt sich in einem schäbigen Hotelzimmer. Antoine ist morgen vielleicht Staatssekretär - Stanko jedenfalls soll morgen tot sein. Ein Vierteljahrhundert lang waren die beiden wie Brüder. Ein Vierteljahrhundert lang waren sie bei allen Aktionen dabei, die den Patriotischen Block an die Macht gebracht haben. Ein Vierteljahrhundert lang sind sie vor nichts zurückgeschreckt. Sie haben dieses Leben geliebt, und sie bereuen nichts. Jérôme Leroy legt mit Der Block eine atemberaubende Milieustudie vor; eine Innenansicht der Strömungen, die sich in der extremen Rechten verbünden. Ein hochaktueller und literarischer Thriller aus einem Milieu, das unter Hochdruck steht - nicht nur in Frankreich.
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buecher-magazin.deFrankreich in einer nicht allzu fernen Zukunft. Banlieue und Staatsgewalt liefern sich blutige Schlachten, aber die konservative Regierung will nicht nachgeben, sondern als Zeichen der Stärke ein Bündnis mit dem patriotischen Block eingehen, einer Partei der äußersten Rechten. Bei einem nächtlichen Treffen werden die Ministerposten verhandelt - und in dieser Nacht erinnern sich zwei Männer des patriotischen Blocks an ihre Vergangenheit: der rechte Intellektuelle, Schriftsteller und Ehemann der Parteivorsitzenden Antoine Maynard und sein Waffen- und Blutsbruder Stéphane "Stanko" Stankowiak, der für die Partei einen paramilitärischen Ordnerdienst aufgebaut und die Drecksarbeit erledigt hat. Sie wissen beide, dass Stanko sterben muss - und mit ihm die schmutzigen Geheimnisse der Partei. In wechselnden Erzählsträngen schildert Leroy die Erinnerungen der beiden Männer, in denen sie über ihre Radikalisierung und vergangenen Taten nachdenken. Dabei spiegelt sich in ihren Erfahrungen der Zustand des politischen Milieus in Frankreich wider. Deshalb ist "Der Block" weniger ein Schlüsselroman zum Front National als vielmehr eine realistische und exzellent erzählte Abhandlung über das Sterben von Ideologien und die fortgesetzte Destabilisierung der Gesellschaft eines Landes.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2017Keiner wird als Faschist geboren?
Wenn sie erst an der Macht sind, sprechen sie eine andere Sprache: In seinem Roman "Der Block" schaut Jérôme Leroy in die Eingeweide einer faschistoiden Partei - und fördert Entsetzliches zutage.
Es geschieht in Frankreich, in einer unbestimmten, nahen Zukunft. Was vor sich geht, ist in unser aller Köpfe, so nah wie nie. Der Bloc Patriotique, eine rechtspopulistische Partei, hat bei den Wahlen genug Zuspruch gefunden, um zehn Ministerien zu beanspruchen. Der Block ist der Zusammenschluss unterschiedlicher faschistoider Gruppierungen, geschmiedet von Roland Dorgelles, einem alten Mann, der als Söldner auf den Schlachtfeldern der Welt kämpfte. Wer dahinter den französischen "Front National" vermutet, liegt richtig. Zum überwältigenden Wahlerfolg hat Dorgelles' Tochter Agnès dieses Bündnis geführt. Agnès, die schlanke dunkelhaarige Wiedergängerin der blonden Chefin des Front National, übt mit ihren Paladinen jetzt Druck auf die noch amtierende Regierung aus.
Erschienen ist "Le Bloc" von Jérôme Leroy in Frankreich bereits 2011, in der "Série Noire" bei Gallimard. Damals waren die von der Pariser Banlieue aufs ganze Land übergreifenden Unruhen noch in frischer Erinnerung. "Der Block" ist weniger ein Kriminalroman als eine Abrechnung mit den gewalttätigen und kriminellen Energien, die den Siegeszug an die Macht eskortieren. Eine atemraubend dichte Dystopie, die in den vergangenen sechs Jahren an Aktualität eher zugenommen hat. Dass er die Realität aus juristischen Gründen habe "verpixeln" müssen, schreibt der Autor im Nachwort zur deutschen Ausgabe. Damit allerdings wird die Wirklichkeit - und die Wirkmacht - der von ihm geschilderten Vorgänge nur noch dramatischer offenbar.
In Anlehnung an die klassische Tragödie hat Leroy die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gewählt. Alles geschieht in einer einzigen Nacht, der Nacht nach der Wahl. Während Agnès Dorgelles über die Regierungsbeteiligung verhandelt, wartet ihr Mann Antoine Maynard, der geborene Bourgeois, der einmal Lehrer und ambitionierter Romanautor war, in der gemeinsamen Wohnung in der Pariser Rue La Boétie auf ihre Rückkehr. Gleichzeitig versteckt sich Antoines enger Freund Stéphane Stankowiak, genannt Stanko, den er beim Militär kennenlernte, in einem miesen Hotel der Stadt. Stanko mit seiner Herkunft aus dem Proletariat ist seit Jahren der Führer der "Groupes de Protection du Parti", wie das mobile Schlägerkommando des Blocks heißt. Die GPP scheuen keine Greuel, sie machen die physische Drecksarbeit für die Partei. Aber noch in der Nacht soll Stanko von seinen eigenen Leuten liquidiert werden, der Block braucht eine saubere Visage, zu der passt der einstige Skin und Mörder nicht.
Leroy wählt einen genialen Trick, er erzählt aus gedoppelter Perspektive. Stankos Handlungen und Gedanken sind in der Ich-Form wiedergegeben. Antoine ist als ein Du angesprochen, genauer: Er spricht sich selbst in einer Art innerem Monolog an. So gelingt es dem Autor, gut vier Jahrzehnte dieser beiden so unterschiedlichen Lebensläufe sichtbar zu machen. Leroy hat sich in die Hirne seiner Protagonisten gebohrt. Was ihnen durch den Sinn rauscht, wird zur Blaupause der historischen und gesellschaftlichen Konstellationen, die dem faschistoiden Populismus in die Hände gespielt haben. Der beabsichtigte Nebeneffekt solch tiefer Introspektion liegt auf der Hand: Wenngleich nicht sympathisch, so werden diese Männer - die nicht als Typen, sondern als Charaktere ausgearbeitet sind - in Teilen jedenfalls nachvollziehbar. An die Stelle reflexhafter Ablehnung muss im Idealfall Reflexion treten. So stellt sich Leroy, vielleicht, in die Tradition der Aufklärung.
Der Roman ist über Strecken extrem brutal, vor allem in den Details der Vorgeschichte dieser beiden Körperkarrieren. Die expliziten Gewaltexzesse sind schwer aushaltbar. Während Stanko in Nibelungentreue wütet und drischt, zumal unter dem ständigem Druck seiner Homosexualität im Männerbund, den er selbst geformt hat, suhlt sich Antoine im Selbstbild des luxurierenden zynischen Intellektuellen, dem schon im Elternhaus von den Therapeuten pathologische Gewaltbereitschaft bescheinigt wurde. Dazu passend evoziert die von Leroy aus der Sicht seiner dramatis personae gewählte Sprache ständig Brutalität, in "Neger", "Musels", "Itzig", "Prolo", "Luder" gerinnen Fremdenhass, Antisemitismus, soziale Verachtung und Misogynie: Dass Sprachgebrauch Wahrnehmung codiert, und damit Handeln, ist bekannt. Weshalb ja in rechtspopulistischen Kreisen, sobald sie nach der Macht greifen, wie derzeit zu beobachten, solche Ausfälle inzwischen sanktioniert werden.
Um einen Satz kommt man nicht herum: "Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden." Es ist der erste Satz und der letzte Satz von Antoine Maynard. Er ist blanker Sarkasmus, doch seine Wahrheit liegt da, wo keiner als Faschist geboren sein will, er will es durch die Verhältnisse geworden sein, und sei es das Begehren einer Frau. So gibt es auch nicht das eine faschistoide Milieu. Es ist nicht fassbar, eine amorphe Masse ohne wahrhaftige Überzeugungen, in Form gebracht durch Machtgeilheit. "Der Block" exerziert das durch. Es ist ein entsetzlicher, großartiger Roman - und ein scharfkantiger Thriller. Der Film im Kopf läuft weiter. Eine Katharsis hat nicht stattgefunden.
ROSE-MARIA GROPP
Jérôme Leroy: "Der Block".
Kriminalroman
Aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, Hamburg 2017. 320 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn sie erst an der Macht sind, sprechen sie eine andere Sprache: In seinem Roman "Der Block" schaut Jérôme Leroy in die Eingeweide einer faschistoiden Partei - und fördert Entsetzliches zutage.
Es geschieht in Frankreich, in einer unbestimmten, nahen Zukunft. Was vor sich geht, ist in unser aller Köpfe, so nah wie nie. Der Bloc Patriotique, eine rechtspopulistische Partei, hat bei den Wahlen genug Zuspruch gefunden, um zehn Ministerien zu beanspruchen. Der Block ist der Zusammenschluss unterschiedlicher faschistoider Gruppierungen, geschmiedet von Roland Dorgelles, einem alten Mann, der als Söldner auf den Schlachtfeldern der Welt kämpfte. Wer dahinter den französischen "Front National" vermutet, liegt richtig. Zum überwältigenden Wahlerfolg hat Dorgelles' Tochter Agnès dieses Bündnis geführt. Agnès, die schlanke dunkelhaarige Wiedergängerin der blonden Chefin des Front National, übt mit ihren Paladinen jetzt Druck auf die noch amtierende Regierung aus.
Erschienen ist "Le Bloc" von Jérôme Leroy in Frankreich bereits 2011, in der "Série Noire" bei Gallimard. Damals waren die von der Pariser Banlieue aufs ganze Land übergreifenden Unruhen noch in frischer Erinnerung. "Der Block" ist weniger ein Kriminalroman als eine Abrechnung mit den gewalttätigen und kriminellen Energien, die den Siegeszug an die Macht eskortieren. Eine atemraubend dichte Dystopie, die in den vergangenen sechs Jahren an Aktualität eher zugenommen hat. Dass er die Realität aus juristischen Gründen habe "verpixeln" müssen, schreibt der Autor im Nachwort zur deutschen Ausgabe. Damit allerdings wird die Wirklichkeit - und die Wirkmacht - der von ihm geschilderten Vorgänge nur noch dramatischer offenbar.
In Anlehnung an die klassische Tragödie hat Leroy die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gewählt. Alles geschieht in einer einzigen Nacht, der Nacht nach der Wahl. Während Agnès Dorgelles über die Regierungsbeteiligung verhandelt, wartet ihr Mann Antoine Maynard, der geborene Bourgeois, der einmal Lehrer und ambitionierter Romanautor war, in der gemeinsamen Wohnung in der Pariser Rue La Boétie auf ihre Rückkehr. Gleichzeitig versteckt sich Antoines enger Freund Stéphane Stankowiak, genannt Stanko, den er beim Militär kennenlernte, in einem miesen Hotel der Stadt. Stanko mit seiner Herkunft aus dem Proletariat ist seit Jahren der Führer der "Groupes de Protection du Parti", wie das mobile Schlägerkommando des Blocks heißt. Die GPP scheuen keine Greuel, sie machen die physische Drecksarbeit für die Partei. Aber noch in der Nacht soll Stanko von seinen eigenen Leuten liquidiert werden, der Block braucht eine saubere Visage, zu der passt der einstige Skin und Mörder nicht.
Leroy wählt einen genialen Trick, er erzählt aus gedoppelter Perspektive. Stankos Handlungen und Gedanken sind in der Ich-Form wiedergegeben. Antoine ist als ein Du angesprochen, genauer: Er spricht sich selbst in einer Art innerem Monolog an. So gelingt es dem Autor, gut vier Jahrzehnte dieser beiden so unterschiedlichen Lebensläufe sichtbar zu machen. Leroy hat sich in die Hirne seiner Protagonisten gebohrt. Was ihnen durch den Sinn rauscht, wird zur Blaupause der historischen und gesellschaftlichen Konstellationen, die dem faschistoiden Populismus in die Hände gespielt haben. Der beabsichtigte Nebeneffekt solch tiefer Introspektion liegt auf der Hand: Wenngleich nicht sympathisch, so werden diese Männer - die nicht als Typen, sondern als Charaktere ausgearbeitet sind - in Teilen jedenfalls nachvollziehbar. An die Stelle reflexhafter Ablehnung muss im Idealfall Reflexion treten. So stellt sich Leroy, vielleicht, in die Tradition der Aufklärung.
Der Roman ist über Strecken extrem brutal, vor allem in den Details der Vorgeschichte dieser beiden Körperkarrieren. Die expliziten Gewaltexzesse sind schwer aushaltbar. Während Stanko in Nibelungentreue wütet und drischt, zumal unter dem ständigem Druck seiner Homosexualität im Männerbund, den er selbst geformt hat, suhlt sich Antoine im Selbstbild des luxurierenden zynischen Intellektuellen, dem schon im Elternhaus von den Therapeuten pathologische Gewaltbereitschaft bescheinigt wurde. Dazu passend evoziert die von Leroy aus der Sicht seiner dramatis personae gewählte Sprache ständig Brutalität, in "Neger", "Musels", "Itzig", "Prolo", "Luder" gerinnen Fremdenhass, Antisemitismus, soziale Verachtung und Misogynie: Dass Sprachgebrauch Wahrnehmung codiert, und damit Handeln, ist bekannt. Weshalb ja in rechtspopulistischen Kreisen, sobald sie nach der Macht greifen, wie derzeit zu beobachten, solche Ausfälle inzwischen sanktioniert werden.
Um einen Satz kommt man nicht herum: "Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden." Es ist der erste Satz und der letzte Satz von Antoine Maynard. Er ist blanker Sarkasmus, doch seine Wahrheit liegt da, wo keiner als Faschist geboren sein will, er will es durch die Verhältnisse geworden sein, und sei es das Begehren einer Frau. So gibt es auch nicht das eine faschistoide Milieu. Es ist nicht fassbar, eine amorphe Masse ohne wahrhaftige Überzeugungen, in Form gebracht durch Machtgeilheit. "Der Block" exerziert das durch. Es ist ein entsetzlicher, großartiger Roman - und ein scharfkantiger Thriller. Der Film im Kopf läuft weiter. Eine Katharsis hat nicht stattgefunden.
ROSE-MARIA GROPP
Jérôme Leroy: "Der Block".
Kriminalroman
Aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, Hamburg 2017. 320 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main