Die Welt unter unseren Schuhen - eine Bodenkunde Peter Laufmann nimmt den Leser mit in die Tiefe. Wenige Zentimeter von unserer Schuhsohle entfernt beginnt ein Kosmos, der fremdartig ist wie eine verschlossene Kapsel, mit einzigartigem Klima und geheimnisvollen Bewohnern. Neben die Theorie (Urgeschichte, Geophysik, Chemie, Wasserhaushalt etc.) und die Beschreibung des Lebensraums treten Porträts derjenigen, die berufsmäßig Bodenkundige sind, etwa Kleingärtner, Bauern und Bauarbeiter. Laufmann zeigt, wie wir vom Boden abhängen, wie verletzlich er ist und wie sich die Menschheit einen Wettlauf um diese wichtige Ressource liefert, aber auch, was wir zu seiner Erhaltung tun können.
Das Buch wird einen 16-seitigen Farbbildteil enthalten, das die wesentlichen Erkenntnisse des Buches veranschaulicht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2020Wo Pilze auf die Jagd gehen
Du heiliger Regenwurm: Schon die Römer wussten, dass guter Boden gepflegt werden muss. Aber wir brauchen ihn nicht nur für unsere Nahrung, sondern auch für den Erhalt der Natur. Peter Laufmann taucht in das faszinierende Erdreich ab.
Der Erdboden hat ein Imageproblem, ist er doch weder niedlich wie ein Eisbärenbaby noch erhaben wie ein Mammutbaum oder schön wie ein Korallenriff. Das mag dazu beitragen, dass er kaum eine Lobby hat, obwohl seit langem klar ist, dass der Verlust von Boden durch Überbauung, Erosion und Verschmutzung zu den großen Problemen unserer Zeit gehört. Um dem ein wenig abzuhelfen, zeigt Peter Laufmann, Journalist und gelernter Forstwissenschaftler, in seinem neuen Buch, auf welch einer wundersamen Welt wir oft ahnungs- und gedankenlos herumstiefeln.
Der Regenwurm, der den Boden verbessert, indem er Gänge gräbt und organisches Material unter die Erde befördert, ist noch das bekannteste der seltsamen Wesen, die Laufmann dem Leser vorstellt. Doch auch manchem, der die Würmer längst als Hilfsgärtner schätzt, dürfte neu sein, dass der Badische Riesenregenwurm bis zu einem halben Meter lang wird, seine Wohnröhre zwei Meter tief in den Boden gräbt und es fertigbringt, selbst Tannennadeln zu verdauen. Und es geht natürlich noch viel exotischer, von all den Spinnen, Käfern und Asseln, die das Erdreich bevölkern, über Springschwänze, die klein genug sind, um in den Hohlräumen des Bodens Salti zu schlagen, bis zu Pilzen, die im Boden winzige Schlingen auslegen, um mit ihnen Fadenwürmer zu fangen. Hinzu kommen Milben und Geißeltierchen, Algen und Bakterien. Diese Wesen aufzulisten ist das eine. Erst der Einblick in ihr Zusammenwirken macht freilich die Komplexität der Vorgänge im Boden deutlich: Laufmann berichtet etwa, wie Pilze um die Wurzeln der Bäume herum- oder sogar in sie hineinwachsen. Sie liefern den Bäumen Wasser und Nährstoffe aus Bodenfragmenten, in die gröbere Wurzeln nicht eindringen könnten. Als Gegenleistung bekommen sie Kohlenstoffverbindungen, die die Bäume bei der Fotosynthese erzeugen. Forscher konnten sogar nachweisen, dass Pilze Nährstoffe zwischen Birken und Douglasien austauschen. Vermutlich haben solche Kooperationen die Entstehung von Landpflanzen überhaupt erst möglich gemacht, so der Autor.
Der Leser staunt und ahnt einmal mehr, wie leicht ein so komplexes System aus der Balance geraten kann. Die Klage über die Zerstörung der Böden kommt aber erst später. Erst einmal erklärt der Autor, beginnend bei der Entstehung der Erde, wie Böden sich überhaupt entwickelt haben, wie unterschiedlich sie zusammengesetzt sind und wie schwer sich die Forscher im Laufe der Jahrhunderte damit getan haben, die Zeiträume realistisch einzuschätzen, die nötig sind, damit ein paar Zentimeter fruchtbarer Boden entstehen können. Auch die treibenden Kräfte dieser Prozesse waren lange unklar. So stritten etwa im achtzehnten Jahrhundert die Schule der Vulkanier und die der Neptunier darüber, ob Feuer oder Wasser bei der Herausbildung der Erdoberfläche entscheidend gewesen sei.
Viel früher war den Menschen allerdings klar, dass sie Böden, von denen sie über längere Zeit ernten wollen, pflegen müssen. Schon den Ägyptern war Laufmann zufolge der Regenwurm heilig, die Bibel kennt das siebte Jahr, in dem der Boden ruhen soll, die Römer diskutierten über Fruchtfolgen, es entstand erst die Zweifelder-, später die Dreifelderwirtschaft, die immer einem Teil des Bodens Zeit zu Erholung ließ. Vor eintausendfünfhundert Jahren war offenbar schon bekannt, was heute vergessen oder ignoriert wird: Gerade die Böden der so üppigen Regenwälder sind nicht sehr nährstoffreich und bedürfen einer besonderen Pflege. Hätten die Bewohner des Amazonasbeckens den Boden nicht mit Knochen, Fleisch- und Fischresten, Fäkalien, Kompost und anderem aufgebessert, wäre nie eine Hochkultur entstanden, so Laufmann. Noch heute finden Forscher Spuren dieser frühen Düngemaßnahmen.
Allerdings hat es trotz aller Bemühungen auch in der Vergangenheit oft nicht dauerhaft geklappt mit der Bodenpflege. So seien die Pontinischen Sümpfe entstanden, weil die Hügel um Rom schlecht beackert wurden und der Boden in den Tiber rutschte. Die Entwaldung der Hänge rund um das Mittelmeer für den Flottenbau wurde oft beschrieben, ebenso die Staubstürme der amerikanischen Dust Bowl. Noch im neunzehnten Jahrhundert sei Lüneburg durch Wanderdünen bedroht gewesen, nachdem man zu viel Holz geschlagen hatte. Bis heute arbeiten Forscher daran, die komplexen Prozesse, die eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft ausmachen, zu verstehen.
Guter Boden ist wichtig für den Anbau von Nahrungsmitteln und den Erhalt der Natur; man kann ihn aber auch noch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten: Er ist, wenn man ihn zu lesen versteht, ein Zeuge all dessen, was sich auf ihm abspielt. Laufmann berichtet von Historikern und ihrer Suche nach den Spuren von Schlachten, aber auch davon, wie die Bodenanalyse kundigen Kriminologen bei der Aufklärung von Verbrechen hilft.
Je stärker die Weltbevölkerung wächst, je mehr Grund bebaut wird, desto dringender wird es, richtig mit dem verbliebenen Boden umzugehen. Es gibt dem Autor zufolge drei Möglichkeiten: den Boden, den wir haben, pfleglicher behandeln, zerstörte Böden heilen und neuen Boden schaffen. Im letzten Kapitel beschreibt Laufmann vielversprechende und eher unrealistische Ansätze, um die Grundlage unserer Nahrungsproduktion zu retten. Zu den unrealistischen rechnet er die Landwirtschaft auf dem Mars, zu den realistischen die Umweltgesetzgebung und die moderne Smart-Farming-Technik, die es ermöglicht, nur dort zu düngen, wo es unbedingt nötig ist.
Laufmanns Buch liefert keine neuen Erkenntnisse oder Perspektiven, es zeigt aber, dass man nur ein wenig graben muss, um auf eine Welt zu stoßen, die auf der Prioritätenliste unserer Aufmerksamkeit und unserer Schutzbemühungen nicht nur aus Eigennutz einen Spitzenplatz verdient.
MANUELA LENZEN.
Peter Laufmann: "Der Boden". Das Universum unter unseren Füßen.
C. Bertelsmann Verlag, München 2020. 192 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Du heiliger Regenwurm: Schon die Römer wussten, dass guter Boden gepflegt werden muss. Aber wir brauchen ihn nicht nur für unsere Nahrung, sondern auch für den Erhalt der Natur. Peter Laufmann taucht in das faszinierende Erdreich ab.
Der Erdboden hat ein Imageproblem, ist er doch weder niedlich wie ein Eisbärenbaby noch erhaben wie ein Mammutbaum oder schön wie ein Korallenriff. Das mag dazu beitragen, dass er kaum eine Lobby hat, obwohl seit langem klar ist, dass der Verlust von Boden durch Überbauung, Erosion und Verschmutzung zu den großen Problemen unserer Zeit gehört. Um dem ein wenig abzuhelfen, zeigt Peter Laufmann, Journalist und gelernter Forstwissenschaftler, in seinem neuen Buch, auf welch einer wundersamen Welt wir oft ahnungs- und gedankenlos herumstiefeln.
Der Regenwurm, der den Boden verbessert, indem er Gänge gräbt und organisches Material unter die Erde befördert, ist noch das bekannteste der seltsamen Wesen, die Laufmann dem Leser vorstellt. Doch auch manchem, der die Würmer längst als Hilfsgärtner schätzt, dürfte neu sein, dass der Badische Riesenregenwurm bis zu einem halben Meter lang wird, seine Wohnröhre zwei Meter tief in den Boden gräbt und es fertigbringt, selbst Tannennadeln zu verdauen. Und es geht natürlich noch viel exotischer, von all den Spinnen, Käfern und Asseln, die das Erdreich bevölkern, über Springschwänze, die klein genug sind, um in den Hohlräumen des Bodens Salti zu schlagen, bis zu Pilzen, die im Boden winzige Schlingen auslegen, um mit ihnen Fadenwürmer zu fangen. Hinzu kommen Milben und Geißeltierchen, Algen und Bakterien. Diese Wesen aufzulisten ist das eine. Erst der Einblick in ihr Zusammenwirken macht freilich die Komplexität der Vorgänge im Boden deutlich: Laufmann berichtet etwa, wie Pilze um die Wurzeln der Bäume herum- oder sogar in sie hineinwachsen. Sie liefern den Bäumen Wasser und Nährstoffe aus Bodenfragmenten, in die gröbere Wurzeln nicht eindringen könnten. Als Gegenleistung bekommen sie Kohlenstoffverbindungen, die die Bäume bei der Fotosynthese erzeugen. Forscher konnten sogar nachweisen, dass Pilze Nährstoffe zwischen Birken und Douglasien austauschen. Vermutlich haben solche Kooperationen die Entstehung von Landpflanzen überhaupt erst möglich gemacht, so der Autor.
Der Leser staunt und ahnt einmal mehr, wie leicht ein so komplexes System aus der Balance geraten kann. Die Klage über die Zerstörung der Böden kommt aber erst später. Erst einmal erklärt der Autor, beginnend bei der Entstehung der Erde, wie Böden sich überhaupt entwickelt haben, wie unterschiedlich sie zusammengesetzt sind und wie schwer sich die Forscher im Laufe der Jahrhunderte damit getan haben, die Zeiträume realistisch einzuschätzen, die nötig sind, damit ein paar Zentimeter fruchtbarer Boden entstehen können. Auch die treibenden Kräfte dieser Prozesse waren lange unklar. So stritten etwa im achtzehnten Jahrhundert die Schule der Vulkanier und die der Neptunier darüber, ob Feuer oder Wasser bei der Herausbildung der Erdoberfläche entscheidend gewesen sei.
Viel früher war den Menschen allerdings klar, dass sie Böden, von denen sie über längere Zeit ernten wollen, pflegen müssen. Schon den Ägyptern war Laufmann zufolge der Regenwurm heilig, die Bibel kennt das siebte Jahr, in dem der Boden ruhen soll, die Römer diskutierten über Fruchtfolgen, es entstand erst die Zweifelder-, später die Dreifelderwirtschaft, die immer einem Teil des Bodens Zeit zu Erholung ließ. Vor eintausendfünfhundert Jahren war offenbar schon bekannt, was heute vergessen oder ignoriert wird: Gerade die Böden der so üppigen Regenwälder sind nicht sehr nährstoffreich und bedürfen einer besonderen Pflege. Hätten die Bewohner des Amazonasbeckens den Boden nicht mit Knochen, Fleisch- und Fischresten, Fäkalien, Kompost und anderem aufgebessert, wäre nie eine Hochkultur entstanden, so Laufmann. Noch heute finden Forscher Spuren dieser frühen Düngemaßnahmen.
Allerdings hat es trotz aller Bemühungen auch in der Vergangenheit oft nicht dauerhaft geklappt mit der Bodenpflege. So seien die Pontinischen Sümpfe entstanden, weil die Hügel um Rom schlecht beackert wurden und der Boden in den Tiber rutschte. Die Entwaldung der Hänge rund um das Mittelmeer für den Flottenbau wurde oft beschrieben, ebenso die Staubstürme der amerikanischen Dust Bowl. Noch im neunzehnten Jahrhundert sei Lüneburg durch Wanderdünen bedroht gewesen, nachdem man zu viel Holz geschlagen hatte. Bis heute arbeiten Forscher daran, die komplexen Prozesse, die eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft ausmachen, zu verstehen.
Guter Boden ist wichtig für den Anbau von Nahrungsmitteln und den Erhalt der Natur; man kann ihn aber auch noch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten: Er ist, wenn man ihn zu lesen versteht, ein Zeuge all dessen, was sich auf ihm abspielt. Laufmann berichtet von Historikern und ihrer Suche nach den Spuren von Schlachten, aber auch davon, wie die Bodenanalyse kundigen Kriminologen bei der Aufklärung von Verbrechen hilft.
Je stärker die Weltbevölkerung wächst, je mehr Grund bebaut wird, desto dringender wird es, richtig mit dem verbliebenen Boden umzugehen. Es gibt dem Autor zufolge drei Möglichkeiten: den Boden, den wir haben, pfleglicher behandeln, zerstörte Böden heilen und neuen Boden schaffen. Im letzten Kapitel beschreibt Laufmann vielversprechende und eher unrealistische Ansätze, um die Grundlage unserer Nahrungsproduktion zu retten. Zu den unrealistischen rechnet er die Landwirtschaft auf dem Mars, zu den realistischen die Umweltgesetzgebung und die moderne Smart-Farming-Technik, die es ermöglicht, nur dort zu düngen, wo es unbedingt nötig ist.
Laufmanns Buch liefert keine neuen Erkenntnisse oder Perspektiven, es zeigt aber, dass man nur ein wenig graben muss, um auf eine Welt zu stoßen, die auf der Prioritätenliste unserer Aufmerksamkeit und unserer Schutzbemühungen nicht nur aus Eigennutz einen Spitzenplatz verdient.
MANUELA LENZEN.
Peter Laufmann: "Der Boden". Das Universum unter unseren Füßen.
C. Bertelsmann Verlag, München 2020. 192 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Laufmann Buch zeigt, dass man nur ein wenig graben muss, um auf eine Welt zu stoßen, die auf der Prioritätenliste unserer Aufmerksamkeit einen Spitzenplatz verdient.« Frankfurter Allgemeine Zeitung