1896 kehrt Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi mit seiner japanischen Ehefrau Mitsuko und den beiden Söhnen Richard und Johannes aus dem diplomatischen Dienst in Japan zurück. Jahre später findet sich Johannes in einem tschechischen Internierungslager wieder, durch die "Beneš-Dekrete" hat die Familie alles verloren - nur nicht ihre große Geschichte. Und so beginnt "Graf Hansi" zu erzählen … Im Schicksal der Familie Coudenhove-Kalergi begegnen einander kosmopolitisches Denken und provinzieller Nationalismus, fernöstliche und mitteleuropäische Kultur, und die glamouröse Ära der Jahrhundertwende-Aristokratie trifft auf die neuen Zeiten von Technik und Fortschritt. Mit leichter Hand erzählt Bernhard Setzwein die Geschichte dieser ungewöhnlichen Familie an der Schwelle vom alten zum neuen Europa - geistreich, lebendig und höchst unterhaltsam.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2017Als Japan nach
Ronsperg kam
Mit Bernhard Setzwein am Schauplatz seines
neuen Romans „Der böhmische Samurai“
VON SABINE REITHMAIER
Der Frohnauer Pass hat es in sich. Seine eisglatten Kurven nur als rutschig zu bezeichnen, ist untertrieben. Jetzt versperrt auch noch ein schwerer Lastwagen die Straße. Das dauert, bis alle Holzstämme aufgeladen sind. Bernhard Setzwein zögert einen Moment, wägt ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, im Graben zu versinken, und lenkt dann sein Auto schwungvoll durch tiefen Furchenmatsch. Geht doch. Aber falls sich Mitsuko Aoyama ihrer künftigen Heimat im Jahr 1896 auf dieser Böhmerwaldstraße annäherte – per Kutsche natürlich – lassen sich die gemischten Gefühle der 22-jährigen Japanerin gut erahnen. Sie und ihr Mann, Heinrich Graf von Coudenhove-Kalergi, zählen zu den Hauptfiguren in Setzweins neuem, fulminant geschriebenen Familienroman „Der böhmische Samurai“.
Das ehemalige Kloster Pivoň (Stockau) kommt in Sicht. Die Augustinermönche waren lange weg, als Mitsuko das alte Gemäuer zu ihrer Sommerresidenz erkor und einen japanischen Garten anlegte. Von ihm ist nichts geblieben. Nur fünf Kilometer hatte sie von hier nach Pobežovice (Ronsperg) zum Schloss. Ruhig ist es hier auf dem Stadtplatz, keiner der 1600 Einwohner ist an diesem windigen Tag zu sehen, die Kirche abgesperrt. Das Tor zum Schloss bewachen zwei steinerne Eber. Die saßen hier schon, als seinerzeit die Vorhut des Ehepaars ankam, zwei kleine Buben namens Johann und Richard, in Kimonos gekleidet und mit „Schlitzaugen“, wie die Spalier stehenden Ronsperger fanden.
So schildert die Szene zumindest Setzwein, der in seinem Roman die akribisch recherchierten Fakten genüsslich mit Fiktion anreichert. Er mag es, große Geschichte in kleinen Geschichten zu vergegenwärtigen. Schloss Ronsperg entdeckte er 1993. „Da war hier alles verrammelt.“ Die Gedenktafel, die jetzt an Richard als „Vater des Gedanken des geeinten Europas“ erinnert, hing auch noch nicht am Torpfeiler. Richard Coudenhove-Kalergi gründete nämlich, erschüttert von den Gräueln des Ersten Weltkriegs, die Paneuropa-Union und warb lebenslang für einen Zusammenschluss der einstigen Kriegsgegner.
Das verwinkelte Schloss, in dem er seine Kindheit verlebte, ähnelt dem aktuellen Zustand Europas. Sieht man von der schmucken Vorderseite ab, ist vieles baufällig, klappert es an allen Ecken und Enden. Der Sturm zerrt am neu gedeckten Dach, krachend zersplittert immer wieder eine Ziegel im Hof. Jana Podskalská kommt mit dem Schlüssel. Die junge Frau arbeitet in der Touristinfo, untergebracht im Mauerring um das Schloss. Sie ist die Vorsitzende des Vereins „Pobežovice – Ronsperg“ und kämpft leidenschaftlich für die Renovierung des Gebäudes. Ihr liegt viel daran, es wieder in die Stätte zu verwandeln, an die sich Richard in seinen Memoiren erinnert: eine „Oase kosmopolitischer Geister – mitten in einer Welt, die immer stärker von Nationalismus besessen war“.
In der leeren Empfangshalle ist es düster, die Wände nackt, unverputzt, rissig. Drei Gemächer im Obergeschoss sind renoviert, angeblich jene, die die Gräfin am liebsten mochte. Das Geld stifteten japanische Sponsoren. Mitsuko ist dort ungefähr so berühmt wie Kaiserin Sisi hierzulande. Schließlich war sie eine der ersten, vielleicht sogar die erste Japanerin, die eine Heirat nach Europa verschlug. Glücklich wurde sie hier nicht, daher eignet sich ihr Schicksal gut als Filmstoff. Sogar ein Musical und eine Manga-Serie gibt es.
17 war sie alt, als sie den 32-jährigen Grafen kennenlernte, damals k. u. k. Legationssekretär im Dienst des Kaisers. Ihr Vater war Antiquitätenhändler in Tokio und behauptete, vom legendären Schwertadel der Samuraikrieger abzustammen. Die Heirat gefiel ihm nicht. Aber da der japanische Kaiser und das österreichisch-ungarische Außenministerium die Ehe genehmigten, musste er nachgeben. Das Paar wollte in Japan bleiben, doch dann zwangen Tod und Testament von Heinrichs Vater diesen zur Rückkehr.
Jana klettert die Wendeltreppe abwärts in die Bibliothek, erzählt von den Schuttbergen, die bis vor wenigen Jahren hier noch lagerten. Schwer vorstellbar, dass Heinrich, der als Diplomat zeitweise in Athen, Rio de Janeiro, Konstantinopel und Buenos Aires gelebt hatte, hier mit Muslimen, Juden und Christen diskutierte. Er plante, die Irrationalität antijüdischer Affekte wissenschaftlich nachzuweisen, schaffte es aber nicht, sein Buch zu vollenden. Das erledigte Richard, der es 1929 in Wien unter dem Titel „Antisemitismus. Von den Zeiten der Bibel bis zu Ende des 19. Jahrhunderts“ veröffentlichte, noch heute ein wichtiger Beitrag zur Antisemitismusforschung.
Heinrich starb überraschend 1906, erst 46 Jahre alt. Ob es ein Herzinfarkt oder ein Selbstmord war – darüber lässt Setzwein seine Figuren spekulieren. Mitsuko verließ postwendend mit inzwischen sieben Kindern Ronsperg und zog ganz nach Stockau. Das Schloss erbte „Hansi“, der böhmische Samurai, der sich lieber „Duca di Ventigloria“, Herzog der 100 Siege, nannte und seine eigenen Münzen prägen ließ. Er baute den quadratischen Schlossturm, dessen Spitze unbedingt höher sein musste als die des Ronsperger Kirchturms. Und ließ sich im Morgenmantel vom Keramikkünstler Willi Russ als übergroßen Kachelofen nachbauen. Immerhin hat Jana die Scherben in einem Bauschuttcontainer gefunden; jetzt liegen sie verpackt auf dem Speicher der Touristinfo. Verschwunden auch die meisten der wertvollen Bücher und Schriften der Bibliothek. Jana zuckt bedauernd die Schultern. Darum habe sich lang niemand gekümmert, sagt sie. Jeder nahm sich, was er brauchte, auch vom Mobiliar. Die ägyptische Mumie dagegen, die der exzentrische Graf häufig mitschleppte, ruht in einem Museum in Prag.
Bernhard Setzwein hat sich monatelang in die Details eingearbeitet. Der gebürtige Münchner lebt seit 1990 in der Oberpfalz, erst in Waldmünchen, seit einem Jahr in Cham. Geschrieben hat er schon als Schüler. „Vareck“, dem ersten schmalen Bändchen mit Gedichten, Prosa, Szenen (1978) ist vieles gefolgt, nicht nur Gedichte, Romane. Gefragt sind auch seine Theaterstücke, ob „3165 – Monolog eines Henkers“ über den letzten Scharfrichter Bayerns oder „Später Besuch – Dietrich Bonhoeffer redivivus“. Er hat aber auch keine Probleme damit, Gebrauchsliteratur zu fabrizieren: Rezensionen, Reiseberichte oder Features für den BR. Herausragend ist seine Fähigkeit, Gespräche, die zwar stattfanden, deren Ablauf aber nicht überliefert ist, plausibel zu erdichten. Graf Hansi wurde 1945 verhaftet und landete im Sammellager Chrastavice in der Nähe von Domažlice. Eine harte Zeit für einen Adeligen, der die Nazis in Berlin zu rauschenden Festen lud, auch wenn er später behauptete, er habe sie nur verulken wollen. Hansis Monate im Lager hat Setzwein als zweite Erzählebene in den Roman eingebaut. Als der enteignete Graf freikam, rettete er sich nach Regensburg. Alles, was er besaß, schleppte er in einem Köfferchen mit, stets mit einem Lorgnon vor dem linken Auge. Ein stadtbekannter Paradiesvogel, der 1965 starb. Mutter Mitsuko war 1924 nach Mödling bei Wien gezogen, wo Tochter Olga sie bis zu ihrem Tod 1941 betreute. Richard überlebte im amerikanischen Exil.
Was aus dem Schloss werden soll – so es gelingt, Geld aufzutreiben – ist unklar. Ein europäisches Begegnungszentrum? Oder besser ein Museum, in dem jedem Familienmitglied einen Saal gewidmet ist. Hansis Schwester Ida Görres zum Beispiel, die sich als katholische Schriftstellerin einen Namen machte. Oder Hansis erster Ehefrau, Lilly Steinschneider aus Budapest. Die Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie verstand sich als „Aviatikerin“ und machte als zweite Frau des Habsburgerreichs den Pilotenschein. Oder Ida Roland, Richards Frau und berühmte Wiener Schauspielerin. So viele Namen, so viele Geschichten. Schon ein Glück, dass Bernhard Setzwein sie jetzt alle in einen grandiosen Roman gepackt und vor dem Vergessen gerettet hat.
Bernhard Setzwein: „Der böhmische Samurai“, erscheint am 7. März im Haymon Verlag
Begegnungszentrum oder
Museum? Was aus dem Schloss
werden soll, ist unklar
Der Schriftsteller Bernhard Setzwein vor Schloss Ronsperg.
Foto: Jana Podskalská
Die Sisi Japans: Gräfin Mitsuko gelang es trotz ihrer sieben Kinder nicht, auf dem böhmischen Schloss Ronsperg heimisch zu werden.
Foto: Hans Beer
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ronsperg kam
Mit Bernhard Setzwein am Schauplatz seines
neuen Romans „Der böhmische Samurai“
VON SABINE REITHMAIER
Der Frohnauer Pass hat es in sich. Seine eisglatten Kurven nur als rutschig zu bezeichnen, ist untertrieben. Jetzt versperrt auch noch ein schwerer Lastwagen die Straße. Das dauert, bis alle Holzstämme aufgeladen sind. Bernhard Setzwein zögert einen Moment, wägt ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, im Graben zu versinken, und lenkt dann sein Auto schwungvoll durch tiefen Furchenmatsch. Geht doch. Aber falls sich Mitsuko Aoyama ihrer künftigen Heimat im Jahr 1896 auf dieser Böhmerwaldstraße annäherte – per Kutsche natürlich – lassen sich die gemischten Gefühle der 22-jährigen Japanerin gut erahnen. Sie und ihr Mann, Heinrich Graf von Coudenhove-Kalergi, zählen zu den Hauptfiguren in Setzweins neuem, fulminant geschriebenen Familienroman „Der böhmische Samurai“.
Das ehemalige Kloster Pivoň (Stockau) kommt in Sicht. Die Augustinermönche waren lange weg, als Mitsuko das alte Gemäuer zu ihrer Sommerresidenz erkor und einen japanischen Garten anlegte. Von ihm ist nichts geblieben. Nur fünf Kilometer hatte sie von hier nach Pobežovice (Ronsperg) zum Schloss. Ruhig ist es hier auf dem Stadtplatz, keiner der 1600 Einwohner ist an diesem windigen Tag zu sehen, die Kirche abgesperrt. Das Tor zum Schloss bewachen zwei steinerne Eber. Die saßen hier schon, als seinerzeit die Vorhut des Ehepaars ankam, zwei kleine Buben namens Johann und Richard, in Kimonos gekleidet und mit „Schlitzaugen“, wie die Spalier stehenden Ronsperger fanden.
So schildert die Szene zumindest Setzwein, der in seinem Roman die akribisch recherchierten Fakten genüsslich mit Fiktion anreichert. Er mag es, große Geschichte in kleinen Geschichten zu vergegenwärtigen. Schloss Ronsperg entdeckte er 1993. „Da war hier alles verrammelt.“ Die Gedenktafel, die jetzt an Richard als „Vater des Gedanken des geeinten Europas“ erinnert, hing auch noch nicht am Torpfeiler. Richard Coudenhove-Kalergi gründete nämlich, erschüttert von den Gräueln des Ersten Weltkriegs, die Paneuropa-Union und warb lebenslang für einen Zusammenschluss der einstigen Kriegsgegner.
Das verwinkelte Schloss, in dem er seine Kindheit verlebte, ähnelt dem aktuellen Zustand Europas. Sieht man von der schmucken Vorderseite ab, ist vieles baufällig, klappert es an allen Ecken und Enden. Der Sturm zerrt am neu gedeckten Dach, krachend zersplittert immer wieder eine Ziegel im Hof. Jana Podskalská kommt mit dem Schlüssel. Die junge Frau arbeitet in der Touristinfo, untergebracht im Mauerring um das Schloss. Sie ist die Vorsitzende des Vereins „Pobežovice – Ronsperg“ und kämpft leidenschaftlich für die Renovierung des Gebäudes. Ihr liegt viel daran, es wieder in die Stätte zu verwandeln, an die sich Richard in seinen Memoiren erinnert: eine „Oase kosmopolitischer Geister – mitten in einer Welt, die immer stärker von Nationalismus besessen war“.
In der leeren Empfangshalle ist es düster, die Wände nackt, unverputzt, rissig. Drei Gemächer im Obergeschoss sind renoviert, angeblich jene, die die Gräfin am liebsten mochte. Das Geld stifteten japanische Sponsoren. Mitsuko ist dort ungefähr so berühmt wie Kaiserin Sisi hierzulande. Schließlich war sie eine der ersten, vielleicht sogar die erste Japanerin, die eine Heirat nach Europa verschlug. Glücklich wurde sie hier nicht, daher eignet sich ihr Schicksal gut als Filmstoff. Sogar ein Musical und eine Manga-Serie gibt es.
17 war sie alt, als sie den 32-jährigen Grafen kennenlernte, damals k. u. k. Legationssekretär im Dienst des Kaisers. Ihr Vater war Antiquitätenhändler in Tokio und behauptete, vom legendären Schwertadel der Samuraikrieger abzustammen. Die Heirat gefiel ihm nicht. Aber da der japanische Kaiser und das österreichisch-ungarische Außenministerium die Ehe genehmigten, musste er nachgeben. Das Paar wollte in Japan bleiben, doch dann zwangen Tod und Testament von Heinrichs Vater diesen zur Rückkehr.
Jana klettert die Wendeltreppe abwärts in die Bibliothek, erzählt von den Schuttbergen, die bis vor wenigen Jahren hier noch lagerten. Schwer vorstellbar, dass Heinrich, der als Diplomat zeitweise in Athen, Rio de Janeiro, Konstantinopel und Buenos Aires gelebt hatte, hier mit Muslimen, Juden und Christen diskutierte. Er plante, die Irrationalität antijüdischer Affekte wissenschaftlich nachzuweisen, schaffte es aber nicht, sein Buch zu vollenden. Das erledigte Richard, der es 1929 in Wien unter dem Titel „Antisemitismus. Von den Zeiten der Bibel bis zu Ende des 19. Jahrhunderts“ veröffentlichte, noch heute ein wichtiger Beitrag zur Antisemitismusforschung.
Heinrich starb überraschend 1906, erst 46 Jahre alt. Ob es ein Herzinfarkt oder ein Selbstmord war – darüber lässt Setzwein seine Figuren spekulieren. Mitsuko verließ postwendend mit inzwischen sieben Kindern Ronsperg und zog ganz nach Stockau. Das Schloss erbte „Hansi“, der böhmische Samurai, der sich lieber „Duca di Ventigloria“, Herzog der 100 Siege, nannte und seine eigenen Münzen prägen ließ. Er baute den quadratischen Schlossturm, dessen Spitze unbedingt höher sein musste als die des Ronsperger Kirchturms. Und ließ sich im Morgenmantel vom Keramikkünstler Willi Russ als übergroßen Kachelofen nachbauen. Immerhin hat Jana die Scherben in einem Bauschuttcontainer gefunden; jetzt liegen sie verpackt auf dem Speicher der Touristinfo. Verschwunden auch die meisten der wertvollen Bücher und Schriften der Bibliothek. Jana zuckt bedauernd die Schultern. Darum habe sich lang niemand gekümmert, sagt sie. Jeder nahm sich, was er brauchte, auch vom Mobiliar. Die ägyptische Mumie dagegen, die der exzentrische Graf häufig mitschleppte, ruht in einem Museum in Prag.
Bernhard Setzwein hat sich monatelang in die Details eingearbeitet. Der gebürtige Münchner lebt seit 1990 in der Oberpfalz, erst in Waldmünchen, seit einem Jahr in Cham. Geschrieben hat er schon als Schüler. „Vareck“, dem ersten schmalen Bändchen mit Gedichten, Prosa, Szenen (1978) ist vieles gefolgt, nicht nur Gedichte, Romane. Gefragt sind auch seine Theaterstücke, ob „3165 – Monolog eines Henkers“ über den letzten Scharfrichter Bayerns oder „Später Besuch – Dietrich Bonhoeffer redivivus“. Er hat aber auch keine Probleme damit, Gebrauchsliteratur zu fabrizieren: Rezensionen, Reiseberichte oder Features für den BR. Herausragend ist seine Fähigkeit, Gespräche, die zwar stattfanden, deren Ablauf aber nicht überliefert ist, plausibel zu erdichten. Graf Hansi wurde 1945 verhaftet und landete im Sammellager Chrastavice in der Nähe von Domažlice. Eine harte Zeit für einen Adeligen, der die Nazis in Berlin zu rauschenden Festen lud, auch wenn er später behauptete, er habe sie nur verulken wollen. Hansis Monate im Lager hat Setzwein als zweite Erzählebene in den Roman eingebaut. Als der enteignete Graf freikam, rettete er sich nach Regensburg. Alles, was er besaß, schleppte er in einem Köfferchen mit, stets mit einem Lorgnon vor dem linken Auge. Ein stadtbekannter Paradiesvogel, der 1965 starb. Mutter Mitsuko war 1924 nach Mödling bei Wien gezogen, wo Tochter Olga sie bis zu ihrem Tod 1941 betreute. Richard überlebte im amerikanischen Exil.
Was aus dem Schloss werden soll – so es gelingt, Geld aufzutreiben – ist unklar. Ein europäisches Begegnungszentrum? Oder besser ein Museum, in dem jedem Familienmitglied einen Saal gewidmet ist. Hansis Schwester Ida Görres zum Beispiel, die sich als katholische Schriftstellerin einen Namen machte. Oder Hansis erster Ehefrau, Lilly Steinschneider aus Budapest. Die Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie verstand sich als „Aviatikerin“ und machte als zweite Frau des Habsburgerreichs den Pilotenschein. Oder Ida Roland, Richards Frau und berühmte Wiener Schauspielerin. So viele Namen, so viele Geschichten. Schon ein Glück, dass Bernhard Setzwein sie jetzt alle in einen grandiosen Roman gepackt und vor dem Vergessen gerettet hat.
Bernhard Setzwein: „Der böhmische Samurai“, erscheint am 7. März im Haymon Verlag
Begegnungszentrum oder
Museum? Was aus dem Schloss
werden soll, ist unklar
Der Schriftsteller Bernhard Setzwein vor Schloss Ronsperg.
Foto: Jana Podskalská
Die Sisi Japans: Gräfin Mitsuko gelang es trotz ihrer sieben Kinder nicht, auf dem böhmischen Schloss Ronsperg heimisch zu werden.
Foto: Hans Beer
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"So viele Namen, so viele Geschichten. Schon ein Glück, dass Bernhard Setzwein sie jetzt alle in einen grandiosen Roman gepackt und vor dem Vergessen gerettet hat." Süddeutsche Zeitung, Sabine Reithmaier "Virtuose Mischung von Authentizität und Dichtung" Die Presse, Spectrum, Thomas Rothschild "eine informative und unterhaltende Lektüre" Ö1 Ex libris, Grudrun Hamböck "Setzwein findet und erfindet dieses Leben. In einem sich unglaublich flüssig lesenden, abenteuerlichen Roman breitet er über fast 500 Seiten Anekdote um Anekdote aus, bringt ein vergessenes Kapitel mitteleuropäischer Historie in Erinnerung." Passauer Neue Presse, Stefan Rammer "eine Familiensaga, die Stoff für Hollywood böte." Mittelbayrische, Petra Schoplocher