Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2015Unverschämtheit! Töricht! Dumm!
Reich-Ranickis und Rühmkorfs Briefe
Der eine, dünner Dichter mit dünnem Haar und großer Brille, sitzt oben in seinem Hamburger Dachkämmerchen an der Elbe, trinkt Prosecco aus blauen Gläsern und schnipselt Filter von den Zigaretten, bevor er sie raucht. Der andere, Kritiker an seinem Schreibtisch im Frankfurter Gallusviertel, trinkt nicht, redigiert Texte, vergibt Aufträge, regiert die Welt der deutschen Literatur mit Hilfe seiner Mitarbeiter Ulrich Greiner, Volker Hage, Franz Josef Görtz und seiner Sekretärin Monika Kunz. "MRR/M.K." ist das Regierungssiegel, das auf jedem seiner Briefe oben prankt.
Der eine wirbt, lobt, befiehlt, regt an, schimpft, wütet, preist und fordert. Der andere lässt loben, schweigt, lässt sich umschmeicheln, steckt Würdigungen ein, lässt den Regenten warten, warten, warten.
Die Briefe, die der Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008) und der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über 43 Jahre hin- und herschickten sind jetzt als Buch erschienen. Ein herrliches Buch, dramatisch, lustig, eilig. Ein Freundschaftsbuch, Dienstbuch, voller Missverständnisse und voller Einvernehmen. Eigentlich geht es nur darum: Wie bringt ein Kritiker, der ein Literaturressort verwaltet, das er zum größten, wichtigsten, ja einzig bedeutenden des Landes machen will, einen Dichter, den er bewundert, dessen Gedichte er bewundert, dessen literaturkritische Essays er schätzt und die er für sein Projekt unbedingt unbedingt unbedingt braucht, wie bringt er den zum Schreiben.
Klingt einfach, ist es aber nicht, da dieser Dichter - so die Meinung Reich-Ranickis - erstens faul ist, zweitens weltfremd und drittens - so nun wiederum der Dichter selbst - so stolz links, dass er in der rechten F.A.Z. eigentlich nicht schreiben will. Ja, eigentlich. Denn Marcel Reich-Ranicki kennt da ein paar Tricks, und ihm stehen auch einige Hilfsmittel zur Verfügung.
Zum Beispiel Geld. Das ist von Anfang an eines der Leitmotive dieses Briefwechsels. Es sind ganz schöne Sümmchen, die Reich-Ranicki dem umworbenen Mitarbeiter da anbietet. Wir sind hier Mitte der siebziger Jahre, vierzig Jahre her: 600 Mark für eine Gedichtinterpretation, 800 Mark für einen Ringelnatz-Aufsatz. "Ich weiß, das interessiert Sie eigentlich gar nicht", schreibt Reich-Ranicki immer schlau - und nennt dann doch immer wieder noch eine etwas größere Summe. Und Rühmkorf lässt sich immer wieder erweichen im politisch verachteten Zentralorgan des Konservativismus seine Gedichte erscheinen zu lassen, seine Essays zu veröffentlichen.
Doch Rühmkorf bleibt im Modus des Verdachts, immer wieder mutmaßt er, ein linker Autor wie er werde in der F.A.Z. doch vielleicht in seinen Freiheiten beschnitten. Als ihm 1983, fast zehn Jahre schreibt er da schon für die F.A.Z., ein Beitrag für die Frankfurter Anthologie zurückgeschickt wird, weil er ungefähr die doppelte Länge des erlaubten Umfangs hat, weiß er sofort: Zensur! Der Wind hat sich gedreht! Postwendend erhält er einen tollen Explosionsbrief zurück: "Ihr Brief ist eine Unverschämtheit", schreibt Reich-Ranicki. "Es ist noch viel schlimmer: Ihr Brief ist töricht." Und er erklärt ihm, was Freiheit und Toleranz in dieser Zeitung bedeutet hat und immer bedeutet: "Ich bin in dieser Zeitung nun bald zehn Jahre, und es gibt noch keinen einzigen Artikel, keinen einzigen Absatz, den ich hier gedruckt sehen wollte und der unveröffentlicht geblieben wäre. Die Freiheit, von der ich hier übrigens dankbar profitiere, ist heute genauso groß wie vor fünf oder acht Jahren."
Ja, das ist dieser Briefwechsel vor allem auch: eine Liebeserklärung an diese Institution F.A.Z., die Marcel Reich-Ranicki immer als gigantische Ermöglichungsmaschine erlebt und genutzt hat. Ermöglichung von Literatur, Erweiterung, Bestärkung, Verteidigung des als richtig und wichtig und gut Erkannten. Die Besten müssen hier schreiben, die besten Dichter, die besten Essayisten. "Jetzt ist Ihnen ja auch der Enzensberger an die Angel gegangen", schreibt Rühmkorf zu Anfang bewundernd. Er wollte sie alle. Und wer nebenbei auch noch woanders schrieb, beging so etwas wie eine Beleidigung. Fritz J. Raddatz in seinen Jahren als Feuilletonchef bei der "Zeit" war da ein besonders ungeliebter und widerstandskräftiger Gegner. Immer wieder schnappt der ihm einen Rühmkorf-Text weg. Reich-Ranicki nimmt es dem Dichter übel. Aber immer nur bis zum nächsten Gedicht.
Beide haben von dieser professionellen Freundschaft profitiert. In der Rückschau scheint es: Rühmkorf weit mehr als Reich-Ranicki, der ihm Preise verschaffte, Stipendien, der ihn lobte und pries, wie und wo er nur konnte. Selten, leise und vorsichtig mahnt er manchmal so etwas wie Dankbarkeit an. "Es bleibt ein Rest, nicht ganz leicht zu tragen und natürlich nur rein persönlich. Das wärs, nun habe ich mehr gesagt, als ich eigentlich sagen wollte." Rühmkorf weist die Mahnung barsch zurück: "Der Schuldige, den Sie hier suchen, ich bin es nicht."
VOLKER WEIDERMANN
Marcel Reich-Ranicki, Peter Rühmkorf: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Christoph Hilse und Stephan Opitz. Wallstein, 333 Seiten, 22,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reich-Ranickis und Rühmkorfs Briefe
Der eine, dünner Dichter mit dünnem Haar und großer Brille, sitzt oben in seinem Hamburger Dachkämmerchen an der Elbe, trinkt Prosecco aus blauen Gläsern und schnipselt Filter von den Zigaretten, bevor er sie raucht. Der andere, Kritiker an seinem Schreibtisch im Frankfurter Gallusviertel, trinkt nicht, redigiert Texte, vergibt Aufträge, regiert die Welt der deutschen Literatur mit Hilfe seiner Mitarbeiter Ulrich Greiner, Volker Hage, Franz Josef Görtz und seiner Sekretärin Monika Kunz. "MRR/M.K." ist das Regierungssiegel, das auf jedem seiner Briefe oben prankt.
Der eine wirbt, lobt, befiehlt, regt an, schimpft, wütet, preist und fordert. Der andere lässt loben, schweigt, lässt sich umschmeicheln, steckt Würdigungen ein, lässt den Regenten warten, warten, warten.
Die Briefe, die der Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008) und der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über 43 Jahre hin- und herschickten sind jetzt als Buch erschienen. Ein herrliches Buch, dramatisch, lustig, eilig. Ein Freundschaftsbuch, Dienstbuch, voller Missverständnisse und voller Einvernehmen. Eigentlich geht es nur darum: Wie bringt ein Kritiker, der ein Literaturressort verwaltet, das er zum größten, wichtigsten, ja einzig bedeutenden des Landes machen will, einen Dichter, den er bewundert, dessen Gedichte er bewundert, dessen literaturkritische Essays er schätzt und die er für sein Projekt unbedingt unbedingt unbedingt braucht, wie bringt er den zum Schreiben.
Klingt einfach, ist es aber nicht, da dieser Dichter - so die Meinung Reich-Ranickis - erstens faul ist, zweitens weltfremd und drittens - so nun wiederum der Dichter selbst - so stolz links, dass er in der rechten F.A.Z. eigentlich nicht schreiben will. Ja, eigentlich. Denn Marcel Reich-Ranicki kennt da ein paar Tricks, und ihm stehen auch einige Hilfsmittel zur Verfügung.
Zum Beispiel Geld. Das ist von Anfang an eines der Leitmotive dieses Briefwechsels. Es sind ganz schöne Sümmchen, die Reich-Ranicki dem umworbenen Mitarbeiter da anbietet. Wir sind hier Mitte der siebziger Jahre, vierzig Jahre her: 600 Mark für eine Gedichtinterpretation, 800 Mark für einen Ringelnatz-Aufsatz. "Ich weiß, das interessiert Sie eigentlich gar nicht", schreibt Reich-Ranicki immer schlau - und nennt dann doch immer wieder noch eine etwas größere Summe. Und Rühmkorf lässt sich immer wieder erweichen im politisch verachteten Zentralorgan des Konservativismus seine Gedichte erscheinen zu lassen, seine Essays zu veröffentlichen.
Doch Rühmkorf bleibt im Modus des Verdachts, immer wieder mutmaßt er, ein linker Autor wie er werde in der F.A.Z. doch vielleicht in seinen Freiheiten beschnitten. Als ihm 1983, fast zehn Jahre schreibt er da schon für die F.A.Z., ein Beitrag für die Frankfurter Anthologie zurückgeschickt wird, weil er ungefähr die doppelte Länge des erlaubten Umfangs hat, weiß er sofort: Zensur! Der Wind hat sich gedreht! Postwendend erhält er einen tollen Explosionsbrief zurück: "Ihr Brief ist eine Unverschämtheit", schreibt Reich-Ranicki. "Es ist noch viel schlimmer: Ihr Brief ist töricht." Und er erklärt ihm, was Freiheit und Toleranz in dieser Zeitung bedeutet hat und immer bedeutet: "Ich bin in dieser Zeitung nun bald zehn Jahre, und es gibt noch keinen einzigen Artikel, keinen einzigen Absatz, den ich hier gedruckt sehen wollte und der unveröffentlicht geblieben wäre. Die Freiheit, von der ich hier übrigens dankbar profitiere, ist heute genauso groß wie vor fünf oder acht Jahren."
Ja, das ist dieser Briefwechsel vor allem auch: eine Liebeserklärung an diese Institution F.A.Z., die Marcel Reich-Ranicki immer als gigantische Ermöglichungsmaschine erlebt und genutzt hat. Ermöglichung von Literatur, Erweiterung, Bestärkung, Verteidigung des als richtig und wichtig und gut Erkannten. Die Besten müssen hier schreiben, die besten Dichter, die besten Essayisten. "Jetzt ist Ihnen ja auch der Enzensberger an die Angel gegangen", schreibt Rühmkorf zu Anfang bewundernd. Er wollte sie alle. Und wer nebenbei auch noch woanders schrieb, beging so etwas wie eine Beleidigung. Fritz J. Raddatz in seinen Jahren als Feuilletonchef bei der "Zeit" war da ein besonders ungeliebter und widerstandskräftiger Gegner. Immer wieder schnappt der ihm einen Rühmkorf-Text weg. Reich-Ranicki nimmt es dem Dichter übel. Aber immer nur bis zum nächsten Gedicht.
Beide haben von dieser professionellen Freundschaft profitiert. In der Rückschau scheint es: Rühmkorf weit mehr als Reich-Ranicki, der ihm Preise verschaffte, Stipendien, der ihn lobte und pries, wie und wo er nur konnte. Selten, leise und vorsichtig mahnt er manchmal so etwas wie Dankbarkeit an. "Es bleibt ein Rest, nicht ganz leicht zu tragen und natürlich nur rein persönlich. Das wärs, nun habe ich mehr gesagt, als ich eigentlich sagen wollte." Rühmkorf weist die Mahnung barsch zurück: "Der Schuldige, den Sie hier suchen, ich bin es nicht."
VOLKER WEIDERMANN
Marcel Reich-Ranicki, Peter Rühmkorf: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Christoph Hilse und Stephan Opitz. Wallstein, 333 Seiten, 22,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Frank Schäfer hat sich offenbar gut amüsiert mit dieser Korrespondenz. Die Scharmützel und Liebesbezeugungen in der Beziehung zweier eitler Männer mag er als Einsatz und Mühe auf dem Feld der Literatur deuten. Menschenfreundlich scheint ihm immer wieder die Fehde zwischen dem Gönner und dem Dichter, die zwar auch Neuralgien ans Licht holt, wie Schäfer erkennt, zu Unverständnis und gar Zerwürfnis führt, aber letztlich doch vor allem zu guten Texten. Den Band findet Schäfer vorbildlich ediert und kommentiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Marcel Reich-Ranickis Briefwechsel mit Peter Rühmkorf unterhält aufs Beste.« (Marc Reichwein, Die Literarische Welt, 18.07.2015) »Der Briefwechsel bietet die einmalige Chance, in eine Epoche einzutauchen, in der die literarische Öffentlichkeit noch sehr übersichtlich und abgesteckt funktionierte.« (Marc Reichwein, Die Literarische Welt, 18.07.2015) »In ihrem Briefwechsel schenken sich der Literaturpapst und der »Prediger mit der Schiebermütze« nichts - zu unserem Lesevergnügen« (Thomas Feitknecht, NZZ am Sonntag, 19.04.2015) »ein nahezu musikalisches Klangereignis« (Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 13.04.2015) »vorbildlich ediert und konzise kommentiert« (Frank Schäfer, die tageszeitung, 24.03.2015) »Ein herrliches Buch, dramatisch, lustig, eilig.« (Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.03.2015) »Verdienstvoll und spannender als mancher Krimi.« (Walter Gödden, Westfalenspiegel, März 2016) »scharfsinniger und dabei so pointierter Briefwechsel« (Sarah Reul, pinkfisch.net, 06.08.2016) »Die Korrespondenz zwischen 1967 (erst richtig ab 1974) und dem Jahr 2000 lebt von Spannungsreichtum und Lebendigkeit.« (Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 28 (2016)) »Man bekommt einen wunderlich neuen Blick auf die Welt der Literatur.« (Ulrich Joost, Lichtenberg-Jahrbuch 2016)