Dem Evangelium treu, den Menschen nah, der Zukunft zugewandt.
- Für die, die religiöse Orientierung suchen und das Zweifeln nicht verlernt haben
- Ein sehr persönliches Buch über den Glauben als Lebenshaltung in der Welt
- Eine evangelische Orientierung - Protestantismus für die Gegenwart
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.08.2008Nachhaltiges Schwarzbrot
Bischof Wolfgang Huber erklärt seinen christlichen Glauben
Zwei Drittel der Deutschen gehören den christlichen Kirchen an. Nur wenige von ihnen sind mit dem Kirchenglauben gut vertraut. Wolfgang Huber will Abhilfe schaffen und „besonders den zweifelnden und suchenden Menschen” „die großen Worte und Bilder des christlichen Glaubens in unverstellter Frische” nahebringen. In drei Hauptteilen „Glaube”, „Hoffnung”, „Liebe” geht es neben „Grund und Inhalt des Glaubens” auch um dessen „Lebensform”, also Gebet, Andacht, Spiritualität, Gemeindegottesdienst und „ethische Verbindlichkeit”. Der Vorsitzende des Rates der EKD orientiert sich „an der reformatorischen Wiederentdeckung des Evangeliums, an der befreienden Entdeckung, dass Gott uns Menschen ins Recht setzt und nicht wir selbst”. Er ist peinlich bemüht, nur ja nicht bei den besonders Frommen im Lande anzuecken. Der Autor schreibt apodiktisch, affirmativ und politisch immer ganz korrekt. Den entscheidenden Fragen weicht er aalglatt aus. Die großen kritischen Traditionen protestantischer Theologie sind hier von vornherein entsorgt. Wolfgang Huber präsentiert seinen Christenglauben als eine Gutmenschenreligion für Sinnhungrige, die Gott brauchen, um nachhaltig ihren Müll zu trennen und den gerechten Frieden zu fördern. Diese Theologie kennt weder harte Arbeit am Begriff noch Selbstironie. Ob man so die Zweifler ernst nimmt?
Ganz klassisch ist die Glaubenslehre trinitarisch aufgebaut, beginnend beim Schöpfergott. Die Bibel liest Huber als „Gotteswort im Menschenwort”. So will er die Schöpfungsmythen der Genesis nicht „wortwörtlich für wahr halten, sondern in ihnen eine Wahrheit entdecken, die über ihre zeitgebundene Gestalt hinausgeht”. Daher bestehe auch keinerlei Konkurrenz zwischen biblischer Schöpfungssicht aufs Leben und moderner Naturwissenschaft. Kreationisten und Vordenker des intelligent design teilten nur den fatalen Fehler ihrer Gegner, der neuen Weltanschauungsdarwinisten um Richard Dawkins, Schöpfungsglaube als eine Form der Welterklärung misszuverstehen. Er erschließe aber eine elementare „Weltgewissheit” und „Daseinsgewissheit, die meinem Leben Sinn verleihen”.
Im Schöpfungsglauben gewinne man einen Zugang zum „inneren Sinn” der Wirklichkeit im Ganzen. Als Ebenbild Gottes trage der Mensch Verantwortung für die Welt. Ebenbildlichkeit nimmt Huber als Äquivalent für die Würde des Menschen, die nur durch ihre Verankerung in Gott wirklich unantastbar sei. Die uralten Debatten, was den Menschen zum Ebenbilde Gottes mache, etwa seine Vernunft, hält er für obsolet. Ebenbildlichkeit sei keine Eigenschaft des Menschen, sondern eine Beziehung, eben sein Immer-schon-auf-Gott-Bezogensein.
Diese gut lutherische Behauptung stellt sicher, dass das Menschsein nicht vom Handeln des Menschen abhängig ist und niemand dem anderen das Menschsein absprechen kann. Huber deutet sie ethisch als Unverfügbarkeit des Lebens und wendet sich gegen jede „eigenmächtige Bestimmung des Todeszeitpunkts”. Man dürfe sein Leben nicht „leichthin aus der Hand geben”. Wer, außer Herrn Kusch und ein paar Dignitas-Geschäftsleuten, tut und will dies? Huber tendiert hier zu Denunziationsrhetorik. Er mag ein Menschenrecht auf selbstbestimmten Tod ablehnen. Aber er sollte Andersdenkenden in einer so ernsten Frage nicht unterstellen, sie handelten „leichthin”. Gut 70 Prozent der Mitglieder der beiden großen Kirchen plädieren in Umfragen für einen selbstbestimmten Tod und wollen sich nicht von Kirchenfunktionären vorschreiben lassen, wie sie zu sterben haben. Dem Ratsvorsitzenden kann auch nicht entgangen sein, dass beide Kirchen noch vor zwanzig Jahren Palliativmedizin massiv bekämpft und so die gegenwärtige Problemlage mit erzeugt haben.
Gott selbst verfuhr bei der Schöpfung politisch korrekt. „Nachhaltigkeit” ist „eine alte, wenn auch lange verschüttete biblische Einsicht”. Auch würden in der Bibel „Verantwortungsgemeinschaften zwischen Menschen gleichen Geschlechts . . . gewürdigt”, was dem Papst und konservativen Anglikanern entgangen zu sein scheint. Huber kennt zudem eine eigene „Würde der Natur”. Meint er den gestirnten Himmel über uns und die erhabene Schönheit der Berge? Oder soll der Nacktschnecke im Garten ein Recht auf Rechte zuerkannt werden?
Gelungen sind die Passagen zum Neuen Testament, in denen Huber Gleichnisse und die Bergpredigt vorstellt. Bei der theologisch zentralen Frage, wie die Kontinuität zwischen dem jüdischen Wanderradikalen Jesus und dem auferstandenen Christus zu denken ist, bleibt jedoch Entscheidendes unklar. Natürlich lehnt Huber den alten kirchlichen Antijudaismus richtig entschieden ab. Dennoch spricht er gern von der „jüdisch-christlichen Tradition”. So werden die Juden semantisch enteignet.
Obendrein nutzt Huber die Schöpfungstexte des Alten Testaments dazu, dem Menschen Rechte zu verweigern, die im jüdischen Diskurs mit denselben Texten anerkannt werden. Weiß der protestantische Bischof besser als jüdische Theologen, was der wahre Sinn altisraelitischer Mythen ist? Antijudaismus zu kritisieren ist leicht. Aber Juden sehen Jesus nun einmal sehr anders als Christen. Gerade wer den Kreuzestod Jesu von Nazareth als „Selbsthingabe” beschreibt und ihm universelle Heilsbedeutung zuerkennt, darf die bleibenden fundamentalen Differenzen nicht verschweigen. Huber zieht unsachliche Polemik gegen muslimische Religionsführer und eine entschiedene Abgrenzung vom römischen Katholizismus vor. Der Ökumeniker der Profile kritisiert heftig die römische Lehre von der Eucharistie als Messopfer. Das platonisierende Vernunftverständnis des Papstes sei unhistorisch abstrakt und das römisch-katholische Kirchenverständnis zutiefst unbiblisch. Die Kirche kenne weder heilige Institutionen noch geistliche Hierarchien, also Ämter sakraler Herrschaft. Hier setzt er sich wohl auch von süddeutschen lutherischen Landesbischöfen ab, die, gegen Luthers Gemeindetheologie, ihrem Amt in katholisierender Eitelkeit eine besondere Eigenwürde zuschreiben.
Zur „Wertorientierung des christlich geprägten Kulturraums”, ehedem sagte man Abendland, rekurriert Huber auf die Formel vom „christlichen Menschenbild”. Dies klingt dann so: „Denn das biblische und mit ihm auch das christliche Menschenbild hat gerade den ganzen Menschen im Blick.” Gibt es Bilder ohne Perspektivität des Sehens? Doch wie lässt sich in unausweichlich begrenzten Perspektiven der „ganze Mensch” wahrnehmen? Früher lehrten christliche Theologen aus guten Gründen, dass sich „der ganze Mensch” – eine Formel aus der medizinischen Anthropologie des frühen 20. Jahrhunderts – nur sub specie Dei, mit den Augen Gottes wahrnehmen lässt. Und dieser Blick steht selbst klugen Theologen nicht zur Verfügung.
Theologische Deutungen der christlichen Glaubenssymbole spiegeln immer auch den Geist ihrer Zeit. Huber beerbt alte deutsche Traditionen des Leidens an der pluralistischen Moderne. Er spricht vom „verbreiteten Egotrip der Erlebnisgesellschaft” bzw. „Single-Gesellschaft” und „einem durch die Vorherrschaft des Individualismus geprägten Zeitgeist”. „Die Menschen vereinzeln”, und statt der Liebe herrscht „Konkurrenzdenken”. „Beides löst eine weit verbreitete und gefährliche Bindungslosigkeit aus.” Auch gebe es gegenwärtig viele falsche Götzen. „Menschen hängen ihr Herz an die Spekulation mit frei um den Globus rotierendem Kapital, das im wahrsten Sinne des Wortes zu ihrem Gott wird, angebetet und verehrt.”
Gegen „ein komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben”, gegen den „verbreiteten Materialismus unserer Zeit” bilde „Spiritualität” ein Gegengewicht. Wo sie sich aber vagabundierend mit Wellness verbinde, gerate sie selbst „in den Sog des Konsumismus” und leiste so jener „kommerziellen Reduktion” der Seele Vorschub, gegen die die Menschen mit „der neuen Zuwendung zur Religion” rebellierten. Nur christliches „Schwarzbrot” könne den Hunger nach Sinnerfüllung stillen. Ob Huber nicht weiß, dass manch neuer esoterischer Kuschelgott gerade von kirchlichen Verlagen vermarktet wird? Auch dürfte er öfters auf Kirchentagen gewesen sein. Gern polemisiert er gegen die schnelle Medialisierung unserer Kultur und speziell „die verbreitete Neigung, Öffentlichkeit zu suchen, nach Möglichkeit Fernsehöffentlichkeit. Man will gesehen werden. Manche sind süchtig danach”.
In populären Einführungen ist es legitim, den Gedankenball flach zu halten. Aber auch hier müssen Pässe ankommen. Die Auferstehung Jesu von Nazareth deutet Huber als „Übergang in eine andere Sphäre, die der raumzeitlichen Struktur enthoben ist”. Solch hohle Formelsprache dürfte nicht nur die Zweifler ratlos stimmen. Das „Reich Gottes” sei „gelingende Sozialität”, „eine Sozialität, die keine Grenzen und keine Abgrenzungen kennt”. Ist dies wirklich himmlische Vollendung? Wo durch radikale Entgrenzung alle Distanz zum Verschwinden gebracht wird, dürften eher höllische Verhältnisse herrschen. Huber spricht sehr viel von Freiheit, die in Gottes Freiheit fundiert sei. Aber sein Buch zeugt von einem autoritären Gestus des Alleswissens. Wer selbst nicht zweifelt, wird Nachdenklichen nicht viel zu sagen haben. FRIEDRICH WILHELM GRAF
WOLFGANG HUBER: Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008. 288 Seiten, 19,95 Euro.
Der evangelische Ratsvorsitzende entwirft eine Religion für Mülltrenner und Sinnhungrige
Der Protestantismus wird gegen den Papst, muslimische Führer und die Konsumgesellschaft gestellt
Der Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber ist seit 2003 Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Foto: Caro/Ponizak
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Bischof Wolfgang Huber erklärt seinen christlichen Glauben
Zwei Drittel der Deutschen gehören den christlichen Kirchen an. Nur wenige von ihnen sind mit dem Kirchenglauben gut vertraut. Wolfgang Huber will Abhilfe schaffen und „besonders den zweifelnden und suchenden Menschen” „die großen Worte und Bilder des christlichen Glaubens in unverstellter Frische” nahebringen. In drei Hauptteilen „Glaube”, „Hoffnung”, „Liebe” geht es neben „Grund und Inhalt des Glaubens” auch um dessen „Lebensform”, also Gebet, Andacht, Spiritualität, Gemeindegottesdienst und „ethische Verbindlichkeit”. Der Vorsitzende des Rates der EKD orientiert sich „an der reformatorischen Wiederentdeckung des Evangeliums, an der befreienden Entdeckung, dass Gott uns Menschen ins Recht setzt und nicht wir selbst”. Er ist peinlich bemüht, nur ja nicht bei den besonders Frommen im Lande anzuecken. Der Autor schreibt apodiktisch, affirmativ und politisch immer ganz korrekt. Den entscheidenden Fragen weicht er aalglatt aus. Die großen kritischen Traditionen protestantischer Theologie sind hier von vornherein entsorgt. Wolfgang Huber präsentiert seinen Christenglauben als eine Gutmenschenreligion für Sinnhungrige, die Gott brauchen, um nachhaltig ihren Müll zu trennen und den gerechten Frieden zu fördern. Diese Theologie kennt weder harte Arbeit am Begriff noch Selbstironie. Ob man so die Zweifler ernst nimmt?
Ganz klassisch ist die Glaubenslehre trinitarisch aufgebaut, beginnend beim Schöpfergott. Die Bibel liest Huber als „Gotteswort im Menschenwort”. So will er die Schöpfungsmythen der Genesis nicht „wortwörtlich für wahr halten, sondern in ihnen eine Wahrheit entdecken, die über ihre zeitgebundene Gestalt hinausgeht”. Daher bestehe auch keinerlei Konkurrenz zwischen biblischer Schöpfungssicht aufs Leben und moderner Naturwissenschaft. Kreationisten und Vordenker des intelligent design teilten nur den fatalen Fehler ihrer Gegner, der neuen Weltanschauungsdarwinisten um Richard Dawkins, Schöpfungsglaube als eine Form der Welterklärung misszuverstehen. Er erschließe aber eine elementare „Weltgewissheit” und „Daseinsgewissheit, die meinem Leben Sinn verleihen”.
Im Schöpfungsglauben gewinne man einen Zugang zum „inneren Sinn” der Wirklichkeit im Ganzen. Als Ebenbild Gottes trage der Mensch Verantwortung für die Welt. Ebenbildlichkeit nimmt Huber als Äquivalent für die Würde des Menschen, die nur durch ihre Verankerung in Gott wirklich unantastbar sei. Die uralten Debatten, was den Menschen zum Ebenbilde Gottes mache, etwa seine Vernunft, hält er für obsolet. Ebenbildlichkeit sei keine Eigenschaft des Menschen, sondern eine Beziehung, eben sein Immer-schon-auf-Gott-Bezogensein.
Diese gut lutherische Behauptung stellt sicher, dass das Menschsein nicht vom Handeln des Menschen abhängig ist und niemand dem anderen das Menschsein absprechen kann. Huber deutet sie ethisch als Unverfügbarkeit des Lebens und wendet sich gegen jede „eigenmächtige Bestimmung des Todeszeitpunkts”. Man dürfe sein Leben nicht „leichthin aus der Hand geben”. Wer, außer Herrn Kusch und ein paar Dignitas-Geschäftsleuten, tut und will dies? Huber tendiert hier zu Denunziationsrhetorik. Er mag ein Menschenrecht auf selbstbestimmten Tod ablehnen. Aber er sollte Andersdenkenden in einer so ernsten Frage nicht unterstellen, sie handelten „leichthin”. Gut 70 Prozent der Mitglieder der beiden großen Kirchen plädieren in Umfragen für einen selbstbestimmten Tod und wollen sich nicht von Kirchenfunktionären vorschreiben lassen, wie sie zu sterben haben. Dem Ratsvorsitzenden kann auch nicht entgangen sein, dass beide Kirchen noch vor zwanzig Jahren Palliativmedizin massiv bekämpft und so die gegenwärtige Problemlage mit erzeugt haben.
Gott selbst verfuhr bei der Schöpfung politisch korrekt. „Nachhaltigkeit” ist „eine alte, wenn auch lange verschüttete biblische Einsicht”. Auch würden in der Bibel „Verantwortungsgemeinschaften zwischen Menschen gleichen Geschlechts . . . gewürdigt”, was dem Papst und konservativen Anglikanern entgangen zu sein scheint. Huber kennt zudem eine eigene „Würde der Natur”. Meint er den gestirnten Himmel über uns und die erhabene Schönheit der Berge? Oder soll der Nacktschnecke im Garten ein Recht auf Rechte zuerkannt werden?
Gelungen sind die Passagen zum Neuen Testament, in denen Huber Gleichnisse und die Bergpredigt vorstellt. Bei der theologisch zentralen Frage, wie die Kontinuität zwischen dem jüdischen Wanderradikalen Jesus und dem auferstandenen Christus zu denken ist, bleibt jedoch Entscheidendes unklar. Natürlich lehnt Huber den alten kirchlichen Antijudaismus richtig entschieden ab. Dennoch spricht er gern von der „jüdisch-christlichen Tradition”. So werden die Juden semantisch enteignet.
Obendrein nutzt Huber die Schöpfungstexte des Alten Testaments dazu, dem Menschen Rechte zu verweigern, die im jüdischen Diskurs mit denselben Texten anerkannt werden. Weiß der protestantische Bischof besser als jüdische Theologen, was der wahre Sinn altisraelitischer Mythen ist? Antijudaismus zu kritisieren ist leicht. Aber Juden sehen Jesus nun einmal sehr anders als Christen. Gerade wer den Kreuzestod Jesu von Nazareth als „Selbsthingabe” beschreibt und ihm universelle Heilsbedeutung zuerkennt, darf die bleibenden fundamentalen Differenzen nicht verschweigen. Huber zieht unsachliche Polemik gegen muslimische Religionsführer und eine entschiedene Abgrenzung vom römischen Katholizismus vor. Der Ökumeniker der Profile kritisiert heftig die römische Lehre von der Eucharistie als Messopfer. Das platonisierende Vernunftverständnis des Papstes sei unhistorisch abstrakt und das römisch-katholische Kirchenverständnis zutiefst unbiblisch. Die Kirche kenne weder heilige Institutionen noch geistliche Hierarchien, also Ämter sakraler Herrschaft. Hier setzt er sich wohl auch von süddeutschen lutherischen Landesbischöfen ab, die, gegen Luthers Gemeindetheologie, ihrem Amt in katholisierender Eitelkeit eine besondere Eigenwürde zuschreiben.
Zur „Wertorientierung des christlich geprägten Kulturraums”, ehedem sagte man Abendland, rekurriert Huber auf die Formel vom „christlichen Menschenbild”. Dies klingt dann so: „Denn das biblische und mit ihm auch das christliche Menschenbild hat gerade den ganzen Menschen im Blick.” Gibt es Bilder ohne Perspektivität des Sehens? Doch wie lässt sich in unausweichlich begrenzten Perspektiven der „ganze Mensch” wahrnehmen? Früher lehrten christliche Theologen aus guten Gründen, dass sich „der ganze Mensch” – eine Formel aus der medizinischen Anthropologie des frühen 20. Jahrhunderts – nur sub specie Dei, mit den Augen Gottes wahrnehmen lässt. Und dieser Blick steht selbst klugen Theologen nicht zur Verfügung.
Theologische Deutungen der christlichen Glaubenssymbole spiegeln immer auch den Geist ihrer Zeit. Huber beerbt alte deutsche Traditionen des Leidens an der pluralistischen Moderne. Er spricht vom „verbreiteten Egotrip der Erlebnisgesellschaft” bzw. „Single-Gesellschaft” und „einem durch die Vorherrschaft des Individualismus geprägten Zeitgeist”. „Die Menschen vereinzeln”, und statt der Liebe herrscht „Konkurrenzdenken”. „Beides löst eine weit verbreitete und gefährliche Bindungslosigkeit aus.” Auch gebe es gegenwärtig viele falsche Götzen. „Menschen hängen ihr Herz an die Spekulation mit frei um den Globus rotierendem Kapital, das im wahrsten Sinne des Wortes zu ihrem Gott wird, angebetet und verehrt.”
Gegen „ein komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben”, gegen den „verbreiteten Materialismus unserer Zeit” bilde „Spiritualität” ein Gegengewicht. Wo sie sich aber vagabundierend mit Wellness verbinde, gerate sie selbst „in den Sog des Konsumismus” und leiste so jener „kommerziellen Reduktion” der Seele Vorschub, gegen die die Menschen mit „der neuen Zuwendung zur Religion” rebellierten. Nur christliches „Schwarzbrot” könne den Hunger nach Sinnerfüllung stillen. Ob Huber nicht weiß, dass manch neuer esoterischer Kuschelgott gerade von kirchlichen Verlagen vermarktet wird? Auch dürfte er öfters auf Kirchentagen gewesen sein. Gern polemisiert er gegen die schnelle Medialisierung unserer Kultur und speziell „die verbreitete Neigung, Öffentlichkeit zu suchen, nach Möglichkeit Fernsehöffentlichkeit. Man will gesehen werden. Manche sind süchtig danach”.
In populären Einführungen ist es legitim, den Gedankenball flach zu halten. Aber auch hier müssen Pässe ankommen. Die Auferstehung Jesu von Nazareth deutet Huber als „Übergang in eine andere Sphäre, die der raumzeitlichen Struktur enthoben ist”. Solch hohle Formelsprache dürfte nicht nur die Zweifler ratlos stimmen. Das „Reich Gottes” sei „gelingende Sozialität”, „eine Sozialität, die keine Grenzen und keine Abgrenzungen kennt”. Ist dies wirklich himmlische Vollendung? Wo durch radikale Entgrenzung alle Distanz zum Verschwinden gebracht wird, dürften eher höllische Verhältnisse herrschen. Huber spricht sehr viel von Freiheit, die in Gottes Freiheit fundiert sei. Aber sein Buch zeugt von einem autoritären Gestus des Alleswissens. Wer selbst nicht zweifelt, wird Nachdenklichen nicht viel zu sagen haben. FRIEDRICH WILHELM GRAF
WOLFGANG HUBER: Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008. 288 Seiten, 19,95 Euro.
Der evangelische Ratsvorsitzende entwirft eine Religion für Mülltrenner und Sinnhungrige
Der Protestantismus wird gegen den Papst, muslimische Führer und die Konsumgesellschaft gestellt
Der Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber ist seit 2003 Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Foto: Caro/Ponizak
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Höchst instruktiv findet Arno Widmann diese religiöse Unterweisung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Wolfgang Huber. Besonders Ungläubigen kann er die Auseindersetzung mit diesem Buch empfehlen, da Hubers Ausführungen deutlich machten, dass es im Widerstreit der Konfessionen keiner grundlegend verschiedenen Kulturen bedürfe, um sich "bis aufs Blut" zu bekriegen. Interessiert haben den Rezensenten auch die Passagen zur Personalität Gottes sowie Hubers Überzeugung, Glaube sei "Nicht-Wissen", bedingungsloses Vertrauen, und dürfe sich daher auch nicht in wissenschaftliche Kategorien drängen lassen. Antworten auf die aus Sicht Widmanns entscheidenden Fragen, etwa "warum ein zweifelnder Glaube mehr wert als ein zweifelnder Unglaube" sei, bleibe Huber allerdings schuldig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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