Paris in den 1960er Jahren. Michel, gerade erst zwölf Jahre alt geworden, taucht ein in ein ganz neues Leben: Er entdeckt die Welt der Jugend und des Rock'n'Roll, atmet die Luft der Intellektuellen und Literaten, die mit Gitanes-Zigaretten und Sartre-Bändchen in den Cafés und auf den Boulevards eine neue Zeit diskutieren. Er wandert durch die Stadt, fängt durch die Linse seiner Kamera alle Winkel und Gassen ein und erlebt seinen ersten Kinofilm wie eine Erweckung ... Eines Tages stößt er im Hinterzimmer eines Bistros zufällig auf den »Club der unverbesserlichen Optimisten«. Hier trifft er auf Menschen, die zu Freunden werden, zu Vertrauten und Begleitern. Als er schließlich seine erste große Liebe erlebt, verändert sich alles ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2012Der Club der fallenden Flaschen
Jean-Michel Guenassia singt das Lob der Pariser Optimisten der sechziger Jahre
Zwei Pariser Beisetzungen: Das ist der leicht morbide Rahmen, den Jean-Michel Guenassia seinem Roman "Der Club der unverbesserlichen Optimisten" gibt. Am Anfang die große: "Heute wird ein Schriftsteller beerdigt." Lapidarer lässt sich das Ende von Jean-Paul Sartre kaum fassen; es dient als Ausgangspunkt für eine Rückschau. Am Ende die kleine: "Nach Saschas Beerdigung wurde das Wetter schön, und der Sommer begann." Die Bestattung von Sascha Markish, ehemals Kommandant des sowjetischen Geheimdienstes und Propagandaexperte, zuletzt Gelegenheitsarbeiter in einem Fotolabor, beendet den Rückblick. Zwischen beiden Grablegungen hat sich ein Panorama entfaltet, das eine komplexe Familien- und Adoleszenzgeschichte mit der des bizarren Clubs verquickt.
Aber von vorn: Man schreibt das Jahr 1959, Michel Marini ist zwölf und begeisterter Tischfußballer. Eines Tages gerät er ins Pariser Bistro "Balto" und dort in den Club: ein Nebenraum, in dem eine Gruppe mittelund osteuropäischer Exilanten Schach spielt. Die Ruhe wird gelegentlich unterbrochen von lautstarken Diskussionen auf Russisch, Ungarisch, Bulgarisch, Deutsch oder Polnisch, in denen sich die Grenzen und Gräben des Kalten Krieges fortsetzen, etwa anlässlich von Gagarins Weltraumflug, der die einen an den Sieg des Sozialismus glauben lässt und die anderen zum Rasen bringt. Hin und wieder beehren Sartre und Joseph Kessel den Club; sie stecken den frustrierten Flüchtlingen, die Spitzenberufe im Osten gegen Handlangerjobs im Westen eingetauscht haben, Geld zu und vermitteln Kontakte.
Kessel und Sartre beeindrucken den Jungen, und die polyglotte Mischung des Clubs ist unwiderstehlich: Michel wird zum jüngsten Mitglied. Guenassia berichtet von den fünf Jahren seiner Pubertät, in denen er den Club besucht. Die tragikomisch veranlagten Mitglieder werden zu Zeugen von Michels Reifeprozess, Krisen inklusive: Sein Elternhaus, in dem Bourgeoisie und Proletariat aufeinanderprallen, zerbricht. Pierre, ein väterlicher Freund, der Michel in die Rockmusik einweiht, muss in den Algerien-Krieg ziehen, verliert seine linken Ideale und fällt im Kampf. Pierres Schwester Cécile wird die Freundin von Michels Bruder Franck; Franck verlässt sie und geht ebenfalls nach Algerien. Michel freundet sich mit Cécile an, sie verzeiht ihm aber seine brüderliche Solidarität nicht. Franck wiederum nimmt seine kommunistischen Ideen zu ernst, tötet einen Offizier und ist fortan auf der Flucht. Schließlich verliebt Michel sich in Camille, die jedoch mit ihrer Familie nach Israel auswandert. Vieles bleibt in der Schwebe, am Ende weiß der Leser nichts über den Verbleib von Franck und Cécile, auch die Beziehung zu Camille bleibt offen.
Die Absicht ist legitim: Die Vielzahl der Figuren und das dichte Geflecht der Handlungslinien sollen ein Epochenporträt zeichnen, der Aufbruchstimmung der sechziger Jahre ein Gesicht geben, ein Intellektuellen-Paris von unten skizzieren. Doch das gelingt nur im Ansatz: Der Roman will zu viele Geschichten erzählen und verdichtet nicht stark genug; er setzt auf Menge, hat selten den Mut zur Ellipse, vertraut zu wenig auf die Kraft von Anekdoten. Es mangelt zwar nicht an gut getroffenen, oft witzigen Szenen, aber sie stehen isoliert; zwischen ihnen plätschert das Geschehen vor sich hin - bei knapp siebenhundert Seiten ist der Effekt: Ermüdung. Das große Lob der französischen Kritik für das Werk überrascht: Anders als Pascal Quignard oder Patrick Modiano meistert Guenassia die hohe Kunst erinnernden Erzählens noch nicht.
NIKLAS BENDER.
Jean-Michel Guenassia: "Der Club der unverbesserlichen Optimisten". Roman.
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Insel Verlag, Berlin 2011. 688 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jean-Michel Guenassia singt das Lob der Pariser Optimisten der sechziger Jahre
Zwei Pariser Beisetzungen: Das ist der leicht morbide Rahmen, den Jean-Michel Guenassia seinem Roman "Der Club der unverbesserlichen Optimisten" gibt. Am Anfang die große: "Heute wird ein Schriftsteller beerdigt." Lapidarer lässt sich das Ende von Jean-Paul Sartre kaum fassen; es dient als Ausgangspunkt für eine Rückschau. Am Ende die kleine: "Nach Saschas Beerdigung wurde das Wetter schön, und der Sommer begann." Die Bestattung von Sascha Markish, ehemals Kommandant des sowjetischen Geheimdienstes und Propagandaexperte, zuletzt Gelegenheitsarbeiter in einem Fotolabor, beendet den Rückblick. Zwischen beiden Grablegungen hat sich ein Panorama entfaltet, das eine komplexe Familien- und Adoleszenzgeschichte mit der des bizarren Clubs verquickt.
Aber von vorn: Man schreibt das Jahr 1959, Michel Marini ist zwölf und begeisterter Tischfußballer. Eines Tages gerät er ins Pariser Bistro "Balto" und dort in den Club: ein Nebenraum, in dem eine Gruppe mittelund osteuropäischer Exilanten Schach spielt. Die Ruhe wird gelegentlich unterbrochen von lautstarken Diskussionen auf Russisch, Ungarisch, Bulgarisch, Deutsch oder Polnisch, in denen sich die Grenzen und Gräben des Kalten Krieges fortsetzen, etwa anlässlich von Gagarins Weltraumflug, der die einen an den Sieg des Sozialismus glauben lässt und die anderen zum Rasen bringt. Hin und wieder beehren Sartre und Joseph Kessel den Club; sie stecken den frustrierten Flüchtlingen, die Spitzenberufe im Osten gegen Handlangerjobs im Westen eingetauscht haben, Geld zu und vermitteln Kontakte.
Kessel und Sartre beeindrucken den Jungen, und die polyglotte Mischung des Clubs ist unwiderstehlich: Michel wird zum jüngsten Mitglied. Guenassia berichtet von den fünf Jahren seiner Pubertät, in denen er den Club besucht. Die tragikomisch veranlagten Mitglieder werden zu Zeugen von Michels Reifeprozess, Krisen inklusive: Sein Elternhaus, in dem Bourgeoisie und Proletariat aufeinanderprallen, zerbricht. Pierre, ein väterlicher Freund, der Michel in die Rockmusik einweiht, muss in den Algerien-Krieg ziehen, verliert seine linken Ideale und fällt im Kampf. Pierres Schwester Cécile wird die Freundin von Michels Bruder Franck; Franck verlässt sie und geht ebenfalls nach Algerien. Michel freundet sich mit Cécile an, sie verzeiht ihm aber seine brüderliche Solidarität nicht. Franck wiederum nimmt seine kommunistischen Ideen zu ernst, tötet einen Offizier und ist fortan auf der Flucht. Schließlich verliebt Michel sich in Camille, die jedoch mit ihrer Familie nach Israel auswandert. Vieles bleibt in der Schwebe, am Ende weiß der Leser nichts über den Verbleib von Franck und Cécile, auch die Beziehung zu Camille bleibt offen.
Die Absicht ist legitim: Die Vielzahl der Figuren und das dichte Geflecht der Handlungslinien sollen ein Epochenporträt zeichnen, der Aufbruchstimmung der sechziger Jahre ein Gesicht geben, ein Intellektuellen-Paris von unten skizzieren. Doch das gelingt nur im Ansatz: Der Roman will zu viele Geschichten erzählen und verdichtet nicht stark genug; er setzt auf Menge, hat selten den Mut zur Ellipse, vertraut zu wenig auf die Kraft von Anekdoten. Es mangelt zwar nicht an gut getroffenen, oft witzigen Szenen, aber sie stehen isoliert; zwischen ihnen plätschert das Geschehen vor sich hin - bei knapp siebenhundert Seiten ist der Effekt: Ermüdung. Das große Lob der französischen Kritik für das Werk überrascht: Anders als Pascal Quignard oder Patrick Modiano meistert Guenassia die hohe Kunst erinnernden Erzählens noch nicht.
NIKLAS BENDER.
Jean-Michel Guenassia: "Der Club der unverbesserlichen Optimisten". Roman.
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Insel Verlag, Berlin 2011. 688 S., geb., 24,90 [Euro].
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»Ein grandioser Roman, der bis zu den letzten der fast 700 Seiten auch sprachlich begeistert.« n-tv 20121019