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Wette gegen die Inflation der Psyche: Klaus-Dietrich Runow packt das Übel an der Darmflora
Ob bei Rückenschmerzen, Migräne oder rumpelstilzhafter Reizbarkeit - gern wird einem gesagt: das ist psychogen, das ist psychosomatisch, da liegt was drunter. Mag der Arzt das auch entlastend meinen (Seien sie doch froh: immerhin nichts Organisches!), so ist es in Wahrheit doch eher bedrückend. Denn für organische Störungen kann man im Zweifel nichts. Wenn dahinter aber einen Krankheit der Seele stecken sollte, lebt man irgendwie falsch - mit dem falschen Job, dem falschen Partner oder (horrible dictu) der falschen Einstellung. Man muss sich in diesen Fällen zurechnen lassen, wenn man sich schlecht fühlt. Selber schuld!, heißt es. Schlimm das ohnmächtige Gefühl, selber schuld zu sein und doch keinen Ausweg aus der Misere zu sehen. Da sehnt man sich nach einer Hilfe zur Selbsthilfe, die nach dem Motto: "Die Seele kann nichts dafür" dem verpönten Reduktionismus verpflichtet ist.
Ein schmales Buch kommt diesem Bedürfnis entgegen. Es macht, kurz gesagt, nicht uns selbst, sondern den Darm verantwortlich, wenn etwas mit uns nicht stimmt. Für den Mediziner Klaus-Dietrich Runow gehört es zu häufigsten ärztlichen Kunstfehlern: das Reizdarmsyndrom, an dem in Deutschland sieben Millionen Menschen leiden, für psychosomatisch zu halten. Viel zu wenig bekannt sei die "massive Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Darm (auch als Bauchhirn bezeichnet) und dem Immunsystem". Selbst bei psychischen Symptomen wie Depression, Schizophrenie oder der Aufmerksamkeitsstörung AHDS tippt Runow deshalb auf die Darmflora als dem zentralen Krisenherd.
Ein paar Kostproben aus dem Inhaltsverzeichnis des Buches: Depressionen und Burn-out-Syndrom durch Störungen der Darmflora (Pilze); Schizophrenie-Symptome durch Weizenbrötchen; Übergewicht durch bakterielle Fehlbesiedelung; Milch und Getreide greifen Psyche an (Peptid-Unverträglichkeiten); Fruchtzucker und Depressionen - Obst und Gemüse als Ursache für Depressionen, Gicht und Vitaminmangel (!); Alzheimer beginnt im Darm; Autismus beginnt im Darm; Parkinson beginnt im Darm.
Natürlich räumt auch Runow ein, dass es keine Therapie für jedermann gibt; die Darm-These trägt nicht immer, aber oft, wie Fallbeispiele aus der Patientenkartei zeigen. Als medizinischer Laie wird man es in weiterer Analogie zum Pascal'schen Wettgedanken auf einen Versuch ankommen lassen - und sei es nur, weil man denkt: schaden kann's ja nicht. Das ist allemal rationaler, als von einem Arzt zum nächsten zu gehen und doch keine Besserung zu erfahren.
Runow selbst steht dem Institut für Umweltmedizin im norddeutschen Wolfhagen als ärztlicher Leiter vor und bietet alles an, was geeignet ist, den Darm als strategisches Zentralorgan des Humanums instand zu setzen: genetische Stuhl- und Verdauungsanalysen, Allergietests, Stoffwechsel- und Nährstoffbedarfsanalysen, Entgiftungstherapie in baubiologisch gestalteten Räumlichkeiten.
Sein Buch "Der Darm denkt mit. Wie Bakterien, Pilze und Allergien das Nervensystem beeinflussen" ist der Nachfolgeband des Basiswerks "Wenn Gifte auf die Nerven gehen. Wie wir Gehirn und Nervensystem durch Entgiftung schützen können". In beiden Büchern werden dem Leser die Augen geöffnet für die Tatsache, dass es zwischen Reizdarmsyndrom und Gehirnstörung einen direkten organischen Zusammenhang gibt. Klaus-Dietrich Runow will Hilfestellung geben, "um die zentrale Rolle der Darm-Hirn-Verbindung für unseren Organismus zu erkennen und hierdurch chronische Beschwerden besser einordnen zu können". Mit der konsequenten Rückführung menschlicher Probleme auf Darmprobleme ist dem Autor ein Befreiungsschlag gelungen. Ein Buch gegen die Inflation der Psyche, das durch den Magen geht.
CHRISTIAN GEYER
Klaus-Dietrich Runow: "Der Darm denkt mit". Wie Bakterien, Pilze und Allergien das Nervensystem beeinflussen.
Südwest Verlag, München 2011. 160 S., geb., 14,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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