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21. Januar 1983: Eine unwahrscheinliche Begegnung bahnt sich an. Michael Kühnen – Wortführer der Neonazi-Szene – und Erich Fried – jüdischer Dichter und glühender Antifaschist – sollten sich in einer Fernsehtalkshow begegnen. Doch kurzfristig wurde Kühnen ausgeladen. Die Überraschung war groß, als gerade Fried erklärte, dies sei ein Fehler gewesen. Es war der Beginn einer unglaublichen, ja verstörenden Freundschaft. Thomas Wagner erzählt die verblüffende Geschichte, wie aus einer unerwarteten Wendung ein über Jahre andauernder Austausch entstand. Die ungleiche Beziehung zwischen dem…mehr

Produktbeschreibung
21. Januar 1983: Eine unwahrscheinliche Begegnung bahnt sich an. Michael Kühnen – Wortführer der Neonazi-Szene – und Erich Fried – jüdischer Dichter und glühender Antifaschist – sollten sich in einer Fernsehtalkshow begegnen. Doch kurzfristig wurde Kühnen ausgeladen. Die Überraschung war groß, als gerade Fried erklärte, dies sei ein Fehler gewesen. Es war der Beginn einer unglaublichen, ja verstörenden Freundschaft. Thomas Wagner erzählt die verblüffende Geschichte, wie aus einer unerwarteten Wendung ein über Jahre andauernder Austausch entstand. Die ungleiche Beziehung zwischen dem verurteilten Neonazi und besessenen Hitlerverehrer und dem Dichter, dessen Großmutter in Auschwitz ermordet worden war. Wagner nähert sich dabei einer der zentralen gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit an: Wie soll man umgehen mit dem Wiedererstarken des Faschismus in Deutschland, Europa und der Welt? Zudem lernen wir zu seinem 100. Geburtstag Erich Fried neu kennen: als einen Linken, der unverbrüchlich an die Möglichkeit des politischen Austauschs zwischen Links und Rechts glaubte. Als den Verfechter einer offenen Streitkultur, die auch dort nicht zurückschreckt, wo radikale, teils schwer zu ertragende Positionen aufeinandertreffen.

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Autorenporträt
Thomas Wagner, geboren 1967 in Rheinberg, ist Kultursoziologe. Als freier Autor schrieb er unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt,der Freitag, Junge Welt und das ND. Zuletzt veröffentlichte er die Sachbücher »Der Dichter und der Neonazi« (2021) und »Fahnenflucht in die Freiheit« (2022).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit einiger Herablassung gegenüber Erich Fried bespricht Rezensent Alexander Cammann dieses Buch. Über den Inhalt, also neben der Wiedergabe der 16 Briefe Einschätzungen und Überlegungen von Thomas Wagner, erfährt man relativ wenig. Dafür umso mehr von Cammanns offenbar herzlicher Abneigung gegen Erich Fried, seine Dichtung, Haltung und sein Bemühen um Diskussion mit einem ausgewiesenen, sogar verurteilten Neo-Nazi. So schreibt Cammann vom "Irrsinn" des Dichters, den sein Verleger Wagenbach auch gesehen habe. Immerhin aber erfahren wir, dass seine Witwe, Catherine Fried, Wagner gegenüber davon gesprochen hat, ihr Mann habe in Michael Kühnen einen jener "Nazi-Jungs seiner Wiener Kindheit" gesehen, die für ihn immer auch Verführte gewesen seien. Das aber berührt Cammann nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2021

Zwei
Idealisten
Der Lyriker und Menschenfreund
Erich Fried führte eine
Brieffreundschaft mit dem Neonazi
Michael Kühnen. Lässt sich daraus
heute noch etwas lernen?
VON WILLI WINKLER
Erich Fried war schon gut, ehe der Gutmensch erfunden war, er war der fleißigste und deshalb zeitweise der bekannteste deutsche Dichter und zugleich berüchtigt für seine Selbstlosigkeit. Helmut Heißenbüttel hat erzählt, wie ihm bei einer gemeinsamen Autofahrt schlecht wurde, und Fried, da der Wagen auf der Autobahn nicht halten konnte, aus der Tasche, in der er sein Geschriebenes mit sich führte, Papier hervorholte, die Gedichte rasch memorierte, und ihm die Blätter dann als Kotztüte reichte.
Für jemanden, dessen Vater als Jude von der Gestapo totgeprügelt wurde, war Fried von einer geradezu übermenschlichen Nächstenliebe beseelt. In seinem Londoner Haus in Hampstead nahm der politische Flüchtling Fried politische Flüchtlinge wie Rudi Dutschke und als Terroristen gesuchte Gewalttäter wie Astrid Proll auf. 1975 verteidigte er sogar Albert Speer, dem Jean Améry vorgeworfen hatte, er bereue „aufs Lukrativste“: „Ich glaube außerdem, um Menschlichkeit, Recht und Gerechtigkeit steht es heute in der Bundesrepublik leider nicht so gut, daß wir irgendeinem Menschen raten sollten, nur in Einsamkeit zu bereuen und zu sühnen.“ Hier jedoch kam Frieds Intervention zu spät: Hitlers Rüstungsminister wurde durch das deutsche Bürgertum rehabilitiert, das ihm seine öffentliche Reue mit hohen Auflagen vergalt.
Frieds erdrückender Feindesliebe entging auch Michael Kühnen nicht. Der bekennende Nazi entfloh seinem bürgerlichen Elternhaus, indem er sich bei der Bundeswehr als Zeitsoldat verpflichtete. Selbst die verkraftete ihn nicht auf Dauer, 1977 wurde er wegen seiner rechtsextremen Propaganda entlassen und gründete, angeleitet vom amerikanischen Neo-Nazi und Auschwitz-Leugner Gary Lauck, eine „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“. Hitler war für ihn ein „Heros, ein halb göttlicher Mensch, der von besonderen Energien beseelt war und eine spezielle Mission auf dieser Welt hatte“.
Obwohl sich Kühnen redlich um die Nachfolge bemühte, musste er doch zugeben: „Das bin ich nicht.“ Wegen Volksverhetzung und Verbreitung von NS-Propaganda wurde er zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und konnte demonstrieren, dass an ihm die „Erziehung nach Auschwitz“ vollständig gescheitert war. „Erziehung“, hatte Adorno 1966 in seinem berühmten Radiovortrag gefordert, müsse Ernst damit machen, „dass man Angst nicht verdrängen soll“. Kühnen, das bestätigen ihm seine Anhänger noch heute, war komplett angstfrei.
Thomas Wagner nennt sein Buch über das Verhältnis zwischen dem „Dichter und dem Neonazi“ im Untertitel „eine deutsche Freundschaft“, was vielleicht doch ein Ideechen zu großartig ist. Sie duzten und sie schrieben sich, aber insgesamt waren es nur sechzehn Briefe.
Die Bekanntschaft begann mit der Ausladung Kühnens aus der Talkshow „3 nach 9“ im Januar 1983. Da sollte im gepflegten Format die Frage begrübelt werden, ob der aktuelle Faschismus neo oder doch der alte sei. In vorletzter Minute befielen den Programmdirektor Zweifel, der illustriertenbekannte Nazi Kühnen musste leider draußen bleiben. Möglicherweise hat Bernd Neumann, der spätere Liebling der deutschen Filmschaffenden, damals CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bremischen Bürgerschaft, ein wenig nachgeholfen. 1977 hatte er sich nämlich blamiert, als er sein Urteil über die Gedichte Frieds nach alter Weise fällte: „So etwas hätte ich lieber verbrannt gesehen.“
Erich Fried, ebenfalls eingeladen, sagte in der Sendung, in der dann die Ausladung zum Hauptthema wurde: „Wir trauen uns offenbar nicht, mit so etwas fertig zu werden.“ In diesem Wir wollte Fried nicht eingeschlossen sein. Die neuerdings wieder Podien und Talkshows vollbeschäftigende Frage, ob man mit Rechten reden solle, war für den guten Fried keine, er musste es einfach tun. Er besuchte Kühnen im Gefängnis und wollte vom Glauben an das Gute auch im Nazi nicht lassen.
Der unverbesserliche Menschenfreund gestand auch einem Rechtsradikalen zu, dass er ein Mensch „mit Idealen und seiner eigenen Ehrlichkeit“ sein könne, und Kühnen stieg begeistert ein: „Idealisten können sich achten – und wenn nötig ritterlich kämpfen und – wichtiger noch – ritterlich siegen!“ Der Dialog wurde ein Musterbeispiel des deklamierenden Aneinandervorbeiredens. Auch wenn Wagner eine „Kameradschaft des Schmerzes“ konstatiert (Fried hat eine Krebsoperation, bei Kühnen zeigen sich erste Symptome der Aids-Erkrankung) und von „emotionaler Nähe“ spricht, springt bei der Bewertung dieser Beziehung nicht mehr als ein angedeutetes Vater-Sohn-Verhältnis heraus.
Peinlich, wie Fried mit Hinweis auf seine Großmutter, die vergast wurde, Kühnen von dessen Idealismus abzubringen versucht. Unter diesem Druck kann Kühnen das als Einzelfall zugeben, aber an die systematische Ausrottung der Juden, an eine „Endlösung“, mag er nicht glauben. Fried gibt nicht auf: „Michael, Deine Arbeit, das sind die Auffassungen eines Menschen, der zu wenig Liebe und Wärme gehabt hat.“ Kühnen ist diese Wohnküchenpsychologie ein Graus, er haut zurück und sagt Fried, dass verglichen damit (Freud war ja auch schon wieder Jude) das Menschenbild des Nationalsozialismus „doch im Kern idealistisch“ sei.
Bereut hat Kühnen nichts, aber dafür hat ihn Fried aus der Einsamkeit herausgeholt. Zu mehr als einem dialektisch aufgeklärten Antisemitismus gelangt er doch nicht, wenn er verspricht, seine Anhänger würden unter seiner Fuchtel nicht „undifferenziert“ vorgehen. Kühnen findet sich dann mit Fried „in der Frontstellung“, so nennt es Wagner, gegen den „durchschnittlichen, nur an einem bürgerlichen Wohlergehen interessierten BRD-Spießer, der aber vielleicht, weil er keine Türken mag und Angst vor der Zukunft hat, mich einmal wählen wird“. Wirklich ein Jammer, dass Kühnen, der 1991 starb, die AfD nicht mehr erleben durfte!
Erich Fried wäre in diesem Jahr 100 geworden, eine ernsthafte Überprüfung der circa zwei Milliarden Fried-Gedichte auf ihren Karat würde wahrscheinlich auch den geduldigsten Philologen überfordern. Wagner beschränkt sich auf den etwas unterbelichteten Satz, Frieds „einst hell leuchtender Stern am Literaturhimmel“ sei 1983 „bereits ein wenig verblasst“.
Mag sein. Frieds kunstlose, oft willkürlich gebrochene Zeilen eigneten sich für jede Nachrüstung und taugten auch für alle Liebesunfälle. Seine Stärke war die Brecht’sche Dialektik: „Zweifle nicht / an dem / der dir sagt / er hat Angst // aber hab Angst / vor dem / der dir sagt / er kennt keinen Zweifel“. „Hier“, schrieb Peter Rühmkorf 1967 nach dem Erscheinen des Bandes „und Vietnam und“, „kann das von den Meinungstrusts zum Analphabeten zweiten Grades herabgewürdigte Landeskind zum zweiten Male das Lesen lernen“.
Alle Dialektik lässt Fried auffälligerweise in einem Gedicht fahren, das er „M.K.“ widmet und den Adressaten, dem im Knast eingesperrten Korrespondenzpartner Kühnen, darauf hinweist, dass er neben einem Fried-Werk in der Überschrift „Um Klarheit“ auch noch ein Hölderlin-Zitat geschenkt bekommt. „Ich hoffe, dieses Gedicht macht dir ein wenig Freude!“
„Aber am Steilrand der Hoffnungslosigkeit“, beginnt das Gedicht, von dem Fried hofft, dass es seinem Brieffreund „ein wenig Freude“ macht, „lebt noch das Andere weiter / und kann leuchten / nun da es Abend wird / sogar durch Mauern und Gitter / vielleicht auch aus denen / die irren / verwirrt von der Zeit / die aber den Blick ins Weite / und ihren Hunger nach Schönheit / und ihre Liebe / nicht ganz von sich abgetan haben / und auch nicht vergessen im Taumel / die gute Sehnsucht / zu bejahen das Bejahende / auch als Gejagte / auch als Gefangene nicht“.
Auch dieser hohe Ton hat nicht viel erreicht. Im Januar 1989, zehn Wochen nach dem Tod Erich Frieds, erreichten die Republikaner, die im Wahlkampf mit dem Aussterben des deutschen Volkes gemenetekelt hatten, zur überschäumenden Freude Kühnens bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 7,5 Prozent der Stimmen. Kühnen wird vom Magazin Tempo im besten fascist chic in schwarzem Leder fotografiert und erklärt, wie sein Idealismus zu verstehen ist: „Wir sind nicht tolerant. Der Nationalsozialismus schließt alle anderen Ideen aus, denn er ist die einzige lebensbejahende Weltanschauung.“ Fried wird das Kompliment nachgereicht, er sei „fair und aufrichtig“ gewesen. „Ein Ausnahmejude.“
Der 2019 verstorbene Wiglaf Droste, der sich leider in keine Talkshow mehr einladen lässt, hat einmal völlig richtig erkannt, dass man die Rechten nicht unbedingt verstehen muss, schließlich müsse man auch nicht „an jeder Mülltonne schnuppern“.
Thomas Wagner:
Der Dichter und der
Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen – eine deutsche Freundschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 176 Seiten, 20 Euro.
„Michael, Deine Arbeit,
das sind die Auffassungen
eines Menschen, der zu
wenig Liebe und Wärme
gehabt hat.“ – Erich Fried
(oben, 1968) in einem
Brief an Michael Kühnen
(unten).
Foto: Helmut Lohmann/AP;
Rolf Boehm/AP
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»Thomas Wagner schildert erstmals, wie der linke Dichter und Jude Erich Fried den Neonazi Michael Kühnen gefühlvoll zur Umkehr bewegen wollte.« Alexander Cammann, Die Zeit, 03. Februar 2021