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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Anschreiben gegen den Judenhass: Ernst Osterkamp erzählt das Leben des Dramatikers Michael Beer
Im neunzehnten Jahrhundert ergoss sich eine unermessliche Flut an Romanen, Schauspielen und Gedichten über das Publikum; niemals zuvor wurde soviel gedruckt und gelesen. Und doch sind von den Schriftstellern des bürgerlichen Jahrhunderts kaum ein Dutzend im allgemeinen Gedächtnis geblieben. Naturgemäß sind noch weniger Schriftstellerinnen zu Klassikerinnen avanciert. Das konstatierte der Germanist Ernst Osterkamp bereits 2019 in seinem Buch über den seinerzeitigen Erfolgsschriftsteller Felix Dahn, den heute zu recht kaum jemand kennt, und es trifft mehr noch zu auf den Dichter Michael Beer, dem Osterkamp nun eine ebenso spannende wie vergnügliche Monographie gewidmet hat.
Osterkamps Faible für vergessene Autoren der Literaturgeschichte ist wohlbegründet. In Felix Dahn sehen wir den kuriosen Fall eines Autors, der, von Depressionen geplagt, auf dem Schlachtfeld von Sedan eine Art psychotherapeutische Heilung erfährt und fortan ebendieses Heil in die (deutsche) Welt trägt: das eines ausgeprägten und engstirnigen Nationalismus.
Auch Michael Beer, gut eine Generation älter als Dahn, befindet sich im "Limbus" der Literaturgeschichte, und es ist auch gar nicht das Ziel Ernst Osterkamps, ihn daraus zu befreien. Beer interessiert ihn als eine, wie er schreibt, repräsentative Gestalt des ersten Jahrhundertdrittels. Repräsentativ oder exemplarisch ist Beer insofern, als er an Dramen im Geiste Goethes und Schillers schreibt und inmitten eines großen literarischen Netzwerks agiert: Er korrespondierte mit Goethe selbst, kannte Heinrich Heine, Viktor Hugo und Franz Grillparzer, stand in Kontakt mit dem bayrischen König Ludwig I. und dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Mit Karl Immermann verband ihn eine intensive Dichterfreundschaft, wobei die gegenseitige, offen geführte Kritik an den Werken des jeweils anderen zeitweise zu Eintrübungen der Freundschaft führte.
Auch mit Ludwig Börne war der Sohn eines wohlhabenden Zuckerfabrikanten bekannt. Dieser allerdings hielt ganz und gar nichts von Beer: "So ein Hanswurst gibt es nicht mehr", schreibt Börne an Jeanette Wohl, "und er hat gar keine Ahndung davon, daß er einer sei. Nach seiner Meinung hat Gott bloß die Welt geschaffen, um ihm 'Stoffe' zu Tragödien zu geben, und wenn er, blind und dumm, nicht sieht und nichts findet, nennt er Gott einen Stümper und seine Schöpfung eine Pfuscherei."
Im Grunde schließt sich Osterkamp diesem (literarischen) Urteil an. Auch er sieht in Michael Beer einen Epigonen "dass es epigonaler nicht" geht. Aber er ordnet diese Epigonalität in den Geist der Zeit ein (der nicht unbedingt Börnes war). Das Publikum habe gar nichts anderes erwartet, als dass ein Dramatiker auf den Pfaden Goethes und Schillers wandele. Die Tragödie Beers sei gewesen, dass er kein Epigonalitätsbewusstsein ausgebildet und sich in produktive Distanz zu den Vorbildern gesetzt habe.
Michael Beer war der jüngste Bruder des Komponisten Giacomo Meyerbeer und wuchs wie dieser als Sohn theaterbegeisterter Eltern auf. Die Eltern führten in Berlin einen Salon, in dem die großen Schauspieler der Zeit ein und aus gingen und selbst Iffland Verse deklamierte. Mit großem Ehrgeiz förderte die Mutter die Karriere ihres frühbegabten Sohnes (dessen erstes Drama "Klytemnestra" kam auf die Bühne, als er gerade neunzehn Jahre alt war), und der viel ältere Komponistenbruder suchte seinen Rat.
Interessant ist nicht nur die steile Karriere und das schnelle Vergessen, dem Beer anheimfiel; spannend ist, wie Osterkamp anhand der beerschen Werke und kaum hundert erhaltener Briefe auf geradezu detektivische Art und Weise dessen Leben und Denken anschaulich macht, ihn in seine Zeit einordnet und diese wiederum aus der speziellen Perspektive Beers beleuchtet.
Speziell war die Perspektive insbesondere, weil Beer einer jüdischen Familie entstammte, die sich, wie sein heute viel berühmterer Bruder schrieb, erhoffte, dass "durch die Kraft der Kunst" die geistige Gleichheit der Juden anerkannt und der Antisemitismus überwunden würde. "Risches" nannte Beer den Judenhass, und die Beschäftigung mit dem Antisemitismus führte zu seiner einzigen originären Schöpfung, dem Einakter "Der Paria".
Gleichnishaft geht es in diesem Stück um die durch Kastengrenzen verhinderte Liebe zwischen dem Sohn eines Paria und der Tochter eines brahmanischen Oberpriester. Goethe, der zur selben Zeit an seiner "Paria"-Ballade arbeitete, brachte das Stück in Weimar auf die Bühne, blendete den antisemitismuskritischen Aspekt aber völlig aus. Auch Immermann zeigte sich komplett blind auf diesem Auge, als er in einem seiner eigenen Stücke mit antisemitischen Ressentiments spielte - ohne gewahr zu werden, dass sein enger Freund Jude war und sich schwer getroffen fühlen musste.
Im "Paria" verhandelte Beer ausnahmsweise Erfahrungen aus seinem eigenen Leben, dem eigenen, jenseits der Bücher liegenden Erfahrungshintergrund. Ansonsten schöpfte er seine Literatur einzig aus Literatur und stellte dabei, wie Osterkamp in Hinblick auf das Trauerspiel "Die Bräute von Aragonien" mit spürbar Spaß an der Sache schreibt, an die Plausibiliätsbedürfnisse des Publikums die höchsten Anforderungen: "Seine Handlung ist, mit einem Wort, ein beträchtlicher Unfug." Auch Lyrik schrieb Beer ohne innere Notwendigkeit und einzig aus dem Grund, weil es damals zum Bild der Schriftstellers gehörte, eben auch Gedichte zu schreiben.
Inwiefern die überwiegende Mehrzahl der Bücher und Theaterstücke heutiger Tage ihrer Zeit verhaftet ist und in den Limbus der Literatur eingehen wird, beantwortet Osterkamps ebenso instruktive wie unterhaltsame Studie freilich nicht. Wie sehr jüdische Schriftsteller auch heute, fast zweihundert Jahre nach Beers Tod, mit antisemitischen Anfeindungen zu kämpfen haben, liegt dagegen leider auf der Hand. TOBIAS LEHMKUHL
Ernst Osterkamp: "Der Dichter und der Risches". Leben und Werk des Michael Beer (1800-1833).
Wallstein Verlag, Göttingen 2024. 256 S., Abb., geb., 24,- Euro.
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