Nizar Benali hat es geschafft. Er hat Westmarkt verlassen, wo er unter "Schwarzköpfen" aufgewachsen ist und wo Drogenhandel und Schutzgelderpressung florieren. Er arbeitet als Privatermittler für Cyberverbrechen und wird beauftragt, den Darknet-Dealer Toni_meow ausfindig zu machen, an dessen Stoff ein Teenager gestorben ist. Das scheint zunächst ein gut bezahlter, wenn auch aussichtsloser Job. Doch dann präsentiert ihm eine alte Liebschaft ihren siebzehnjährigen Sohn Lesane – ihren gemeinsamen Sohn. Lesane treibt sich in Westmarkt herum, er dealt und hat Schulden. Nizar ahnt, dass Toni_meow zu finden die einzige Möglichkeit sein könnte, Lesane vor dem endgültigen Absturz zu retten. Ein Roman über sozialen Aufstieg und was man dabei verliert. Über den tristen Glamour der Straße. Über Drogenhandel 2.0, der auch auf den vermeintlich cleanen Plattformen des Darknets ein schmutziges Geschäft bleibt – und über verlorene Söhne, die es einmal besser haben sollten.
buecher-magazin.deHarter Stoff. Und zwar sowohl der Gegenstand des Romans als auch die Schreibweise des Autors. Drogen, Rapmusik, Kiezsprache?… Wer Selim Özdogans ersten Krimi „Der die Träume hört“ liest, lässt sich auf eine Tour de Force durch eine Welt ein, die den meisten Lesern ferner sein dürfte, als alles, was sich in amerikanischen oder schwedischen Krimis so abspielt. So richtig sympathisch sind einem Selim Özdogans Figuren nicht, dafür lassen sie bisweilen einen tiefen Blick hinter die Fassade des harten, coolen Typen zu, allerdings immer nur für einen Moment, bis sich der Riss in der Fassade wieder schließt. Der Ermittler Nizar Benali hat es scheinbar geschafft, dem Milieu zu entkommen und eine fast schon bürgerliche Existenz aufzubauen, doch eine anfangs unverfängliche Ermittlung und die Begegnung mit dem Sohn, von dem er nichts wusste, zieht ihn zurück in die Abgründe mit den Dämonen der Vergangenheit. Dabei geben die Beats der unablässig erwähnten Rap-Stücke das Erzähltempo weitestgehend vor und erzeugen damit auch einen gewissen Sog, dem man sich nicht entziehen kann, wenn man sich erst mal auf diese Erzählweise eingelassen hat. Das ist durchaus Geschmackssache und nicht unbedingt massenkompatibel, aber das will Özdogans Buch in seiner Radikalität wohl auch gar nicht sein.
Kein Krimi für jedermann. Wer es rotzig und mit Kiez-Geruch mag, kommt hier
allerdings voll auf seine Kosten.
© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
Kein Krimi für jedermann. Wer es rotzig und mit Kiez-Geruch mag, kommt hier
allerdings voll auf seine Kosten.
© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2019So viele lose Enden und Sackgassen
Krimis in Kürze: Selim Özdogan, Kerstin Ehmer und Wolfgang Kaes
Der Schock kommt schnell, auf der zweiten Seite, und er trägt schwarze Jeans und Air Jordan 33. Siebzehn Jahre nach einem One-Night-Stand erfährt Nizar Benali, "Online-Detektiv" und Ex-Dealer, dass er einen Sohn hat: Lesane, benannt nach dem bürgerlichen Namen des erschossenen Rappers Tupac Shakur. Um das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn, um Drogenhandel im Darknet, um Rap, Familie, Loyalität und wie man am Ende dem Knast entgeht dreht sich alles in Selim Özdogans Kriminalroman "Der die Träume hört" (Edition Nautilus, 288 S., br., 18,- [Euro]).
Es ist ein hartes Buch, das aus seiner Härte nie eine Pose macht und sie schon gar nicht mit Coolness verwechselt. Die Sprache ist knapp und nicht um jeden Preis auf Milieu getrimmt, die Dialoge sind schnell, mal wie ein Schlagabtausch, mal wie das Passspiel beim Basketball, aus dem Özdogan auch die eine oder andere existentielle Metapher gewinnt. Nizar hatte mal davon geträumt, Profi zu werden, es hat nicht gereicht. Aber er hat es immerhin geschafft, aus Westmarkt wegzukommen, wo er in einer türkischstämmigen Pflegefamilie aufgewachsen ist. Es ist ein fiktiver Kiez, irgendwo im Ruhrgebiet, Oberhausen ist nicht weit. Nizar ist ein Kämpfer, der einstecken kann, er kennt die Tricks und Wege im Drogengeschäft, aber er ist nicht glücklich damit, sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe.
Und er weiß: "Wir würden Westmarkt nie aus unseren Knochen und Köpfen kriegen." Aber seine Straßentauglichkeit ist nützlich, weil sein Sohn richtig Mist gemacht hat und bei einem örtlichen Großdealer verschuldet ist. Dass er ihn da wieder herausholen will, obwohl das sehr riskant und sein Sohn nicht gerade kooperativ ist, betrachtet Nizar als eine Art Wiedergutmachung, von der er sich bis zum Schluss nicht abbringen lässt.
Dass Kerstin Ehmer mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Berlin eine Bar betreibt, dass sie als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat, ist ihrem Buch "Die schwarze Fee" (Pendragon, 400 S., br., 18,- [Euro]) gut bekommen. Nicht nur, weil es meist die richtigen Getränke gibt, vom Absinth bis zum Champagner, sondern vor allem, weil sie ein gutes Auge hat für Details, die eine Szene, ein Milieu auf einen Schlag beleuchten und so das Berlin der zwanziger Jahre aufleben lassen. Das Elend, die Armut, den Dreck einer Hinterhauswohnung im Wedding, die von Syphilis zerfressenen Körper auf einer Station im Krankenhaus, die Kneipen russischer Emigranten oder das Restaurant im Adlon.
Trotz Volker Kutscher und "Babylon Berlin", trotz der Inflation historischer Kriminalromane über die Weimarer Republik wird man der Szenerie bei Ehmer nicht überdrüssig. Was auch daran liegt, dass sie sich nicht auf die Perspektive ihres Kommissars Ariel Spiro beschränkt, der schon in "Der weiße Affe" aus Wittenberge in die Hauptstadt kam. Ehmer erzählt, wie man bei Filmen gern sagt, eher character driven als plot driven, mit einer Dringlichkeit, die sich durch das historische Präsens ergibt. So wird der Roman zu einer lockeren Montage verschiedener Perspektiven. Über jedem Kapitel steht der Name der zentralen Person, und wenn die Szenen oft schnell abbrechen, liegt das nicht am Cliffhangerprinzip, sondern an Ehmers Gespür für Timing.
Die Sprache ist leicht, elegant und bildhaft, mal andeutend, mal drastisch genau. Nur selten verrutscht eine Metapher oder wird zu blumig. Natürlich gibt es auch Morde, Ermittlungen und eine Lösung, auch Liebe, Politik und ein paar Nazis, aber worauf es ankommt in dieser kleinen Rhapsodie der Großstadt, das ist die Atmosphäre.
Bei Wolfgang Kaes, dem gelernten Reporter und Journalisten, fehlt diese Leichtfüßigkeit. Dafür bekommt man die minutiöse Genauigkeit einer langen Recherche, die auch zu gewissen Redundanzen führt. Oder zumindest zu einem Mangel an Verdichtung. "Endstation" (Rowohlt, 432 S., br., 16,99 [Euro]) erzählt vom kaltgestellten Zielfahnder Thomas Mohr, den man nach einem dienstwegfernen Einsatz gegen einen Albaner-Paten zum Leiter und einzigen Mitarbeiter einer Abteilung für Cold Cases gemacht hat. Der erste Fall, den er sich vom Aktenstapel greift: der fünf Jahre zurückliegende Tod eines Studenten, bei dem die zuständigen Ermittler nicht nur geschlampt, sondern, wie Mohr schnell spürt, vorsätzlich nicht ermittelt haben.
Kaes' Vorbild für Mohr könnte, was Hartnäckigkeit und Obsessivität angeht, Michael Connellys Harry Bosch sein, auch wenn das Kölner Umland den Vergleich mit Los Angeles nicht aushält. Connellys Drive hat das Buch auch nicht, aber man bleibt dabei, weil sehr bald klar ist, dass hier nicht ein haarsträubend konstruierter Plot gelöst wird wie ein Sudoku-Rätsel, sondern dass sich Kaes mehr für lose Enden und Sackgassen, für die Fehlbarkeit und Unvollständigkeit jeder Ermittlung interessiert. So oft erlebt man das nicht.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Selim Özdogan, Kerstin Ehmer und Wolfgang Kaes
Der Schock kommt schnell, auf der zweiten Seite, und er trägt schwarze Jeans und Air Jordan 33. Siebzehn Jahre nach einem One-Night-Stand erfährt Nizar Benali, "Online-Detektiv" und Ex-Dealer, dass er einen Sohn hat: Lesane, benannt nach dem bürgerlichen Namen des erschossenen Rappers Tupac Shakur. Um das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn, um Drogenhandel im Darknet, um Rap, Familie, Loyalität und wie man am Ende dem Knast entgeht dreht sich alles in Selim Özdogans Kriminalroman "Der die Träume hört" (Edition Nautilus, 288 S., br., 18,- [Euro]).
Es ist ein hartes Buch, das aus seiner Härte nie eine Pose macht und sie schon gar nicht mit Coolness verwechselt. Die Sprache ist knapp und nicht um jeden Preis auf Milieu getrimmt, die Dialoge sind schnell, mal wie ein Schlagabtausch, mal wie das Passspiel beim Basketball, aus dem Özdogan auch die eine oder andere existentielle Metapher gewinnt. Nizar hatte mal davon geträumt, Profi zu werden, es hat nicht gereicht. Aber er hat es immerhin geschafft, aus Westmarkt wegzukommen, wo er in einer türkischstämmigen Pflegefamilie aufgewachsen ist. Es ist ein fiktiver Kiez, irgendwo im Ruhrgebiet, Oberhausen ist nicht weit. Nizar ist ein Kämpfer, der einstecken kann, er kennt die Tricks und Wege im Drogengeschäft, aber er ist nicht glücklich damit, sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe.
Und er weiß: "Wir würden Westmarkt nie aus unseren Knochen und Köpfen kriegen." Aber seine Straßentauglichkeit ist nützlich, weil sein Sohn richtig Mist gemacht hat und bei einem örtlichen Großdealer verschuldet ist. Dass er ihn da wieder herausholen will, obwohl das sehr riskant und sein Sohn nicht gerade kooperativ ist, betrachtet Nizar als eine Art Wiedergutmachung, von der er sich bis zum Schluss nicht abbringen lässt.
Dass Kerstin Ehmer mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Berlin eine Bar betreibt, dass sie als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat, ist ihrem Buch "Die schwarze Fee" (Pendragon, 400 S., br., 18,- [Euro]) gut bekommen. Nicht nur, weil es meist die richtigen Getränke gibt, vom Absinth bis zum Champagner, sondern vor allem, weil sie ein gutes Auge hat für Details, die eine Szene, ein Milieu auf einen Schlag beleuchten und so das Berlin der zwanziger Jahre aufleben lassen. Das Elend, die Armut, den Dreck einer Hinterhauswohnung im Wedding, die von Syphilis zerfressenen Körper auf einer Station im Krankenhaus, die Kneipen russischer Emigranten oder das Restaurant im Adlon.
Trotz Volker Kutscher und "Babylon Berlin", trotz der Inflation historischer Kriminalromane über die Weimarer Republik wird man der Szenerie bei Ehmer nicht überdrüssig. Was auch daran liegt, dass sie sich nicht auf die Perspektive ihres Kommissars Ariel Spiro beschränkt, der schon in "Der weiße Affe" aus Wittenberge in die Hauptstadt kam. Ehmer erzählt, wie man bei Filmen gern sagt, eher character driven als plot driven, mit einer Dringlichkeit, die sich durch das historische Präsens ergibt. So wird der Roman zu einer lockeren Montage verschiedener Perspektiven. Über jedem Kapitel steht der Name der zentralen Person, und wenn die Szenen oft schnell abbrechen, liegt das nicht am Cliffhangerprinzip, sondern an Ehmers Gespür für Timing.
Die Sprache ist leicht, elegant und bildhaft, mal andeutend, mal drastisch genau. Nur selten verrutscht eine Metapher oder wird zu blumig. Natürlich gibt es auch Morde, Ermittlungen und eine Lösung, auch Liebe, Politik und ein paar Nazis, aber worauf es ankommt in dieser kleinen Rhapsodie der Großstadt, das ist die Atmosphäre.
Bei Wolfgang Kaes, dem gelernten Reporter und Journalisten, fehlt diese Leichtfüßigkeit. Dafür bekommt man die minutiöse Genauigkeit einer langen Recherche, die auch zu gewissen Redundanzen führt. Oder zumindest zu einem Mangel an Verdichtung. "Endstation" (Rowohlt, 432 S., br., 16,99 [Euro]) erzählt vom kaltgestellten Zielfahnder Thomas Mohr, den man nach einem dienstwegfernen Einsatz gegen einen Albaner-Paten zum Leiter und einzigen Mitarbeiter einer Abteilung für Cold Cases gemacht hat. Der erste Fall, den er sich vom Aktenstapel greift: der fünf Jahre zurückliegende Tod eines Studenten, bei dem die zuständigen Ermittler nicht nur geschlampt, sondern, wie Mohr schnell spürt, vorsätzlich nicht ermittelt haben.
Kaes' Vorbild für Mohr könnte, was Hartnäckigkeit und Obsessivität angeht, Michael Connellys Harry Bosch sein, auch wenn das Kölner Umland den Vergleich mit Los Angeles nicht aushält. Connellys Drive hat das Buch auch nicht, aber man bleibt dabei, weil sehr bald klar ist, dass hier nicht ein haarsträubend konstruierter Plot gelöst wird wie ein Sudoku-Rätsel, sondern dass sich Kaes mehr für lose Enden und Sackgassen, für die Fehlbarkeit und Unvollständigkeit jeder Ermittlung interessiert. So oft erlebt man das nicht.
PETER KÖRTE
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