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Neuerscheinung Für die eBook-Ausgabe völlig neu überarbeitet und in aktualisierter Rechtschreibung Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Gustav Hackedahl ein erfolgreicher Berliner Fuhrunternehmer, mit 30 Droschken und zahlreichen Angestellten. Er führt seine Firma mit preussischen Werten, streng gegen sich selbst und andere - auch gegen seine Familie. Neuen Dingen gegenüber nicht aufgeschlossen, verpasst Hackedahl nach dem Ersten Weltkrieg die Revolution des Transportwesens: Die Übernahme des Geschäfts durch Lastwagen und Automobile. Seine Starrköpfigkeit führt ihn in die Krise, so dass er Mitte…mehr

Produktbeschreibung
Neuerscheinung Für die eBook-Ausgabe völlig neu überarbeitet und in aktualisierter Rechtschreibung Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Gustav Hackedahl ein erfolgreicher Berliner Fuhrunternehmer, mit 30 Droschken und zahlreichen Angestellten. Er führt seine Firma mit preussischen Werten, streng gegen sich selbst und andere - auch gegen seine Familie. Neuen Dingen gegenüber nicht aufgeschlossen, verpasst Hackedahl nach dem Ersten Weltkrieg die Revolution des Transportwesens: Die Übernahme des Geschäfts durch Lastwagen und Automobile. Seine Starrköpfigkeit führt ihn in die Krise, so dass er Mitte der 20er Jahre seine Familie nicht mehr ernähren kann. Hackedahl beschließt - um auf die Situation seines Berufszweiges aufmerksam zu machen - eine spektakuläre Fahrt mit seiner Droschke. Der Roman beruht auf einer wahren Begebenheit.

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Autorenporträt
Hans Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen) (1883-1947) war einer der produktivsten deutschen Schriftsteller der 30er Jahre. In der Zeit des Nationalsozialismus lebte er als "unerwünschter Autor" zurückgezogen auf einem Anwesen in Mecklenburg. Einige seiner Bücher waren von den Nazis aber auch geduldet, weil sie die Weimarer Republik kritisierten, wodurch er persönlicher Verfolgung entging.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2020

Lebensecht und darum unbequem

Hans Falladas Roman "Der eiserne Gustav" gibt es nun in einer Neu-Edition, die gleich zwei ideologische Kompromissfassungen korrigieren soll.

Nachdem Joseph Goebbels 1937 den neuen Roman "Wolf unter Wölfen" von Hans Fallada gelesen hatte, notierte er im Tagebuch: "Ein tolles Buch . . . Der Junge kann was." Auf das nächste Projekt des Schriftstellers, der gegen Ende der Weimarer Republik zum Bestsellerautor geworden war, richteten sich dementsprechend große Erwartungen. Fallada sah es mit Beklommenheit: "In die Sonne Goebbelscher Gunst zu kommen - das schien mir ein Ikarus-Schicksal."

Dieses neue Projekt, "Der eiserne Gustav", sollte zunächst ein Film werden, eine Paraderolle für den gefeierten Schauspieler Emil Jannings. Allerdings sah sich Fallada außerstande, ein Exposé zu verfassen: "Ich kann nur erfinden, wenn ich schildern, wenn ich in die Breite gehen darf." Deshalb schrieb er einen umfangreichen Roman, den die Filmleute dann zum Drehbuch eindampfen sollten. Der Film mit Jannings wurde jedoch nie gedreht, obwohl Goebbels selbst noch Korrekturen von Fallada erzwungen hatte: einen Schluss, der auf eine Bekehrung der Hauptfiguren zum Nationalsozialismus hinauslief. So erschien "Der eiserne Gustav" 1938. Bereits in seinem Gefängnistagebuch von 1944 hat Fallada seinen Verdruss über den "nationalsozialistischen Schwanz" des Romans bekundet. Er wünschte sich eine Ausgabe ohne dieses Finale, zu der es zu seinen Lebzeiten - er starb 1947 - nicht mehr kam. Erst 1962 wurde der Roman in der DDR in neuer Form publiziert, nun ohne den "Nazi-Schwanz", allerdings wiederum mit ideologischen Beschädigungen. Der Herausgeber Günter Caspar kürzte auch zahlreiche weitere Passagen, die damals nicht mehr ins sozialistische Geschichtsbild passten.

Erst jetzt, im Zuge der internationalen Wiederentdeckung Falladas, ist der "Eiserne Gustav", so verspricht es der Verlag, "erstmals in der Originalfassung" zu lesen. Kein Zweifel: Die komplizierte Editionsgeschichte ist so spannend wie der Roman selbst, dessen rührselige Rühmann-Verfilmung aus dem Jahr 1958 lediglich auf fünfzig von knapp achthundert Seiten basierte. Bei der staunenden Lektüre erweist sich der Roman als großformatiges Krisenpanorama der Jahre zwischen 1914 und 1928.

Der Berliner Fuhrunternehmer Gustav Hackendahl ist ein Modernisierungsverlierer, doch in zehn Jahren werde niemand mehr von den "Benzinstinkern" reden, prophezeit der überzeugte Droschkenkutscher. Einerseits ist er mit seinem autoritären Charakter und seiner Vorliebe für militärische Strenge ein Geistesverwandter von Heinrich Manns Diederich Heßling aus "Der Untertan". Seine Kaisertreue führt ihn allerdings nicht herrlichen Zeiten entgegen, sondern in den Beinahe-Bankrott, weil er nach dem Kriegsausbruch seine dreißig Pferde weit unter Anschaffungspreis ans Militär verkaufen muss und später sein Vermögen in Kriegsanleihen verliert. Auf der anderen Seite ist Hackendahl eine viel sympathischere Gestalt als der unleidliche Opportunist Heßling. Anfangs mag er noch als Familienschreck erscheinen, der seinen Lieblingssohn Erich, nachdem der ihn bestohlen und eine Neigung zu teurer Vergnügungssucht offenbart hat, in einen Kellerverschlag sperrt. Später, je mehr ihm die Felle wegschwimmen, erweist er sich als formidabler Trotzkopf.

Doch der alte Hackendahl gibt sich weiter eisern, auch wenn dieses Eisen inzwischen ziemlich durchgerostet wirkt. Während der stolze Fuhrunternehmer sich 1914 noch um ein "frisiertes" Hochdeutsch bemühte, steigert sich der verarmte Droschkenkutscher der Nachkriegszeit immer mehr in seine chronisch beleidigt wirkende Berliner Mundart hinein, obwohl er doch ursprünglich ein Zugezogener aus Pasewalk ist: "Mit dem Balinern, det passt eben besser zu meine jeminderte Lebensumstände." Er stilisiert sich selbst zum Ur-Berliner Original, als das er schließlich auch seine legendäre Droschkenfahrt nach Paris unternimmt, bei der er von Hunderttausenden in den Städten unterwegs gefeiert wird. Die Fäden bei diesem Unternehmen zieht eine Boulevardzeitung, die das Ereignis, über das sie berichtet, selbst inszeniert - ein selbstreferentielles Medienspektakel.

"Der eiserne Gustav" ist ein bedeutender, reichhaltiger Zeitroman, beeindruckend vor allem durch Falladas Meisterschaft des lebensechten Dialogs. Aber ist er jetzt wirklich erstmals in der "Originalfassung" zu lesen? Der von Fallada (mit welch widerstreitenden Gefühlen auch immer) autorisierte Schluss von 1938 bleibt in der von der Germanistin Jenny Williams herausgegebenen Neuausgabe zum größeren Teil gestrichen - er hätte jedoch unbedingt in den Anhang gehört; soviel selbständiges Einschätzungsvermögen sollte man den Lesern zutrauen. Wieder eingefügt sind lediglich zwei politisch unverdächtige Abschnitte, die nun tatsächlich den denkbar überzeugendsten Abschluss des Romans bilden.

Ein noch größerer Gewinn ist, dass die in der DDR-Ausgabe von 1962 (und den ihr folgenden West-Ausgaben) unterdrückten Passagen nun wieder zu lesen sind. Günter Caspar sprach damals von der "Ausmerzung politischer Entgleisungen" und von Falladas "historischen Fehlurteilen". Das betraf Ausführungen über den "Schmach"-Frieden von 1918, über die fatalen Auswirkungen des Versailler Vertrags, über die Ruhr-Besetzung durch die Franzosen und die internationale Ächtung Deutschlands in den zwanziger Jahren. Der sozialistischen Korrektheit widersprachen Sätze über gewaltsame Ausschreitungen während der Novemberrevolution (die Matrosen würden "als Luderhaufen im Nazisinn" dargestellt, meinte Caspar) oder eine abschätzige Beurteilung Karl Liebknechts. Regelmäßig wurden auch Passagen gestrichen, in denen die bitteren Erfahrungen der Figuren symbolisch gleichgesetzt werden mit dem kollektiven Schicksal der Nation, die Fallada in Hass und "Bruderstreit" versinken sah. Caspar war der Auffassung, dass all diese Passagen der Vorbereitung des "Nazi-Schlusses" dienen würden. Ob sie von Fallada tatsächlich erst zu diesem Zweck später eingefügt wurden, lässt sich jedoch kaum erweisen; ein Originalmanuskript des Romans ist nicht erhalten.

Vor allem konnten die Säuberungen des Textes das ideologische Problem, das Caspar sah, nur oberflächlich beheben. Denn es gibt viele Szenen, die gut mit einem Schluss vereinbar sind, in dem die Figuren Rettung aus ihren sozialen Nöten beim aufsteigenden Nationalsozialismus suchen. Das ist aber nicht dem Opportunismus Falladas geschuldet, sondern seiner (schon vor 1933) überaus kritischen Darstellung der Weimarer Republik. Heinz, der jüngste Sohn des "eisernen Gustav" und der eigentliche Sympathieträger des Romans, absolviert eine Banklehre, wird entlassen, findet zwischenzeitlich noch einmal eine Stelle in einer kleinen Betrüger-Bank (eines von vielen furiosen Kapiteln), bis er demütigende Jahre als Dauerarbeitsloser durchstehen muss. Die Tochter Eva verfällt einem perfiden Zuhälter und versinkt in den Abgründen von Prostitution und Kriminalität, was bei aller kolportagehaften Melodramatik von Fallada mit fiebriger Intensität und einer tiefen Vertrautheit mit Situationen der Hörigkeit geschildert wird. Der hedonistische Erich verkehrt im Milieu der Schieber und Inflationsgewinnler, bevor er bei Spekulationen auf die sinkende Mark seine Millionen auf einen Schlag wieder verliert.

Zweifellos war Falladas düstere Darstellung der zwanziger Jahre kompatibel mit manchen nationalsozialistischen Narrativen, wozu auch gehört, dass er Börsenhändler in Amsterdam Jiddisch sprechen lässt. Andere Aspekte des Romans liegen wiederum völlig quer zum nationalsozialistischen Menschenbild, vor allem seine imponierendste weibliche Gestalt, Ottos Gefährtin Tutti, bei der sich der Körpermakel mit außergewöhnlicher Charakterstärke verbindet. Ideologie und Politik sind Falladas Erzählkunst letztlich äußerlich; entscheidend ist sein phänomenales literarisches Einfühlungsvermögen. Er ist ein Menschenkenner, Menschenversteher allerersten Ranges. Und das zeigt "Der eiserne Gustav" in beeindruckender Fülle.

WOLFGANG SCHNEIDER

Hans Fallada: "Der eiserne Gustav". Roman.

Hrsg. und mit einem Nachwort von Jenny Williams. Aufbau Verlag, Berlin 2019. 831 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2019

Anstand und Erbsenpü
Hans Falladas „Der eiserne Gustav“ erschien 1938 mit einem erzwungenen „Nazi-Schwanz“ und
1962 vielfach gekürzt im Aufbau-Verlag. Eine Neuausgabe verspricht die „Originalfassung“
VON JENS BISKY
Wenn Automobile die Straßen verstopfen, werden Kutscher auf neue Weise interessant. Als Statthalter einer entschwindenden Welt gewinnen sie poetischen Reiz. Diesen Effekt macht sich 1928 der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann zunutze. Begleitet von der B.Z. am Mittag und allerlei Reklamerummel fuhr er mit seinem Pferd Grasmus von Wannsee nach Paris. Man empfing ihn überall mit Blumen und Jubel, in Dortmund, heißt es, begrüßten ihn 200 000 Menschen. Als er am 4. Juni in Paris eintraf, sich vor dem Eiffelturm und im „Moulin Rouge“ fotografieren ließ, war er berühmt, ein Zeitungsstar.
Der Schauspieler Emil Jannings, in den späten Dreißigerjahren auf der Suche nach einer neuen Rolle, verfiel auf den prominenten Droschkenkutscher, und es gelang ihm, Hans Fallada von seiner Idee zu überzeugen. Der Vierundvierzigjährige hatte mit „Kleiner Mann – was nun?“ einen kolossalen Bucherfolg gehabt, auch sein gerade erschienener Inflationsroman „Wolf unter Wölfen“ verkaufte sich gut. Nach einigen Besprechungen in einer Suite des vornehmen Berliner Hotels Kaiserhof wurde man einig, Falladas Verleger Ernst Rowohlt unterschrieb am 13. November 1937 einen Vertrag mit der Tobis. Der Autor, der rauschhaft schrieb, stürzte sich, Zigarette um Zigarette rauchend, in die Arbeit, Ende November hatte er 210 Druckseiten zu Papier gebracht. Einen „kleinen Nervenknax“ Anfang Dezember überwand er rasch, noch vor Weihnachten waren 450 Druckseiten niedergeschrieben.
Wenn heute vom „eisernen Gustav“ die Rede ist, haben viele Heinz Rühmann vor Augen, der den Droschkenkutscher aus Wannsee 1958 spielte. Doch der rührselige Film hat mit Hans Falladas Roman nichts zu tun, in dem die Frankreichreise ohnehin nur geringen Raum einnimmt. Das achte Kapitel – „Fahrt nach Paris“ – umfasst in der 738 Seiten umfassenden Erstausgabe von 1938 knapp siebzig Seiten und hinterlässt einen sehr viel geringeren Eindruck als das vorhergehende Geschehen. Fallada erzählt vom Kutscher Gustav Hackendahl und seinen fünf Kindern, von den Schicksalen einer Berliner Familie zwischen 1914 und 1933.
Vor allem deswegen interessierte sich Joseph Goebbels für das Projekt. Am Neujahrstag 1938 schrieb Emil Jannings einen Brief an seinen Autor Fallada. Er berichtete ihm von einem Besuch auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden. Hitler sei begeistert „von der Idee unseres deutschen Schicksalsfilms … Auch Minister Dr. Goebbels wartet mit Spannung auf Ihr Buch.“
Am 30. Januar 1938 vollendete Hans Fallada das erste Manuskript seines Romans. Er wollte ihn – vertragswidrig – mit der Paris-Fahrt enden lassen. Das hätte es ihm erspart, die letzten Jahre der Weimarer Republik darzustellen und sich irgendwie zur nationalsozialistischen Bewegung zu verhalten. Ende Februar war das Typoskript fertig, die Rowohlt-Lektoren Franz Hessel und Friedo Lampe empfahlen Kürzungen und Milderung einiger besonders krasser Szenen. Fallada nahm das Typoskript wieder vor, überarbeitete es, Anfang Juni ging es in den Druck.
Doch Goebbels war nicht zufrieden und wies den Schauspieler Jannings zurecht. Unter dem 23. Juli 1938 notierte er im Tagebuch: „Aussprache mit Jannings. Ich halte ihm alle Schwächen seines Filmmanuskripts vor. Er ist zwar widerborstig, fasst sich dann doch. Das Ende wird gänzlich umgearbeitet und positiver gestaltet. Ich diktiere selbst einen neuen Schluss. Der sitzt nun aber.“
Hans Fallada sträubte sich, gab dann aber nach und schrieb einen neuen Schluss. Gut 250 Druckseiten erhielt Rowohlt Anfang September. Wenige Wochen nach den Pogromen des 9. November 1938 erschien die Buchausgabe. Der Sympathieträger des Romans, Heinz, der Sohn des Kutschers, findet darin zur NSDAP, und der alte Hackendahl steht aus Anstand einigen Nazis gegen feige Angreifer bei. „Also denn: mit euch!“, sagt er den Nationalsozialisten.
Der „Schicksalsfilm“ ist nie gedreht worden, aber Falladas Roman blieb präsent, jedoch ohne „Nazi-Schwanz“, wie der Autor sein neues Ende nannte. Es fehlte in einer zu Tode lektorierten Neuausgabe, die in den Fünfzigern in der Bundesrepublik erschien. Es fehlte auch in der sorgsam lektorierten Ausgabe, die Günter Caspar für den Ost-Berliner Aufbau-Verlag erarbeitete, wo sie 1962 erschien. In dieser Gestalt kennt man Falladas Roman seither. Aber diese Fassung enthält „politisch motivierte Eingriffe“, die „in ihrer Gesamtwirkung die Glaubwürdigkeit, Komplexität und erzählerische Qualität des Werkes erheblich beschneiden“. Das behauptet die Fallada-Biografin und Herausgeberin Jenny Williams. Sie hat für ihre Neuausgabe den Romantext neu erstellt. Dass der Verlag dafür mit „erstmals in der Originalfassung“ wirbt, ist freilich eine ärgerlich vollmundige Behauptung. Philologisch ehrlich wäre es, zuzugeben, dass wir die „Originalfassung“ nicht kennen, da weder Manuskript noch Typoskript überliefert sind. Daher war Jenny Williams, wie sie zugibt, „auf Rückschlüsse, sekundäre Hinweise und Analogien angewiesen“.
Erhalten hat sich das Deckblatt der neuen Schlussseiten, auf dem Fallada schrieb: „Der Romantext bleibt unverändert bis: Schreibmaschinen-Manuskript Seite 815, Fahen 306, Unterkapitel 15 ausschliesslich“. Dennoch hatte Günter Caspar auch in den früheren Kapiteln Passagen getilgt, die ihm allzu sehr der NS-Propaganda gegen die Weimarer Republik zu entsprechen schienen. Es ist richtig, diese Auslassungen rückgängig zu machen.
Allerdings übersieht Jenny Williams, wie anschlussfähig Falladas Bild des Niedergangs in Revolution und Republik, seine durchgehend negative Schilderung der Sozialdemokraten für die NS-Propaganda war. Der „Nazi-Schwanz“ wurde dem Autor aufgezwungen, aber die Konversionsgeschichte, die er erzählt, fügt sich nahezu bruchlos in das Romangeschehen. Hans Fallada war ein Erfolgsautor im Dritten Reich, in dessen letzten Jahren arbeitete er an einem von Goebbels gewünschten, antisemitischen Werk über den Barmat-Kutisker-Skandal, der 1924 die junge Demokratie erschüttert hatte. „Der eiserne Gustav“ erschien 1940 in London verständlicherweise ohne den Nazi-Schluss: „Iron Gustav“. Was aber spricht 2019 dagegen, die „neuen Schlussseiten“, die als einzige überliefert sind, und den „Nazi-Schwanz“ der Buchausgabe von 1938 sowie andere Text-Zeugen in einem dokumentarischen Anfang zu veröffentlichen? Die Absicht, eine von den Entstehungsbedingungen als Propagandageschichte absehende „Originalfassung“ zu erstellen, ihr vermutete Intentionen des Autors zugrunde zu legen, wirkt philologisch naiv und erspart den Lesern historische Reflexion.
Und doch ist man froh, dass der Roman mit einem informativen Nachwort neu ediert wurde. Es ist ein Kolportageroman, in dem politische Meinungen, Gestank, Erbsenpü, krumme Geschäfte und hohe Ideale zusammenkommen, ein Zeitpanorama voller interessanter Figuren und Szenen, die man so schnell nicht wieder vergisst.
Gustav Hackendahl ist ein Mann des wilhelminischen Kaiserreichs, der seine Familie herumkommandiert, wie er es beim Militär gelernt hat. Seinen Kindern versucht er jene „Grundsätze einzuimpfen, durch die er, wie er meinte, zum Erfolg gekommen war: Fleiß, Pflichtgefühl, unbedingte Rechtlichkeit, Unterordnung unter den Willen eines Höheren – heiße er nun Gott, Kaiser oder Gesetz“. Er scheitert damit, noch bevor mit Kriegsbeginn die Welt untergeht, in der Pflichterfüllung noch geholfen hat. Sein Sohn Otto hat heimlich ein Kind mit der buckligen Schneiderin Tutti, einer der stärksten Frauengestalten in Falladas Werk. Sohn Erich liebt das gute Leben, verlottert, wird Spekulant. Die Tochter Eva geht einem Ganoven und Zuhälter ins Garn, der sie zurichtet und versklavt. Eine andere Tochter macht als Krankenschwester Karriere und will, grenzenlos kaltherzig, von den Eltern nichts mehr wissen. Und dann ist da der Sohn Heinz, der in den Wirren seinen Weg sucht, arbeitslos wird, keinen Ausweg sieht und vor die Hunde zu gehen droht. Im erzwungenen Schluss findet er Selbstachtung, Kameradschaft und Anstand unter Berliner Nationalsozialisten.
Jenny Williams lässt ihre Fassung des Romans mit dem Tod der Mutter enden. Ganz am Schluss sitzt Hackendahl im Stall und denkt an seinen Schimmel, der 1914 ein ungewolltes Wettrennen gegen ein Automobil verlor und danach einen Knacks weghatte. „Auch Hackendahl hat ein Rennen gemacht, er hat ein Lebensrennen gemacht über eine weite Strecke – und nun döst er wie sein niedergebrochener Schimmel im Stall, einen verlorenen Strohhalm im Munde!“ Ein echter Fallada-Schluss, aber ob der Roman so enden sollte, können wir nicht wissen.
Für das Honorar von der Tobis hat sich Hans Fallada einen Ford V8 Tudor gekauft, ein Cabriolet.
Hans Fallada: Der eiserne Gustav. Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jenny Williams. Aufbau-Verlag, Berlin 2019. 831 S., 26 Euro.
Goebbels wartete mit Spannung
auf das Buch, es sollte mit
Emil Jannings verfilmt werden
„Auch Hackendahl hat ein
Rennen gemacht, er hat
ein Lebensrennen gemacht …“
Postkarte zum Andenken an die Fahrt des Kutschers Gustav Hartmann, 1928. Er war das Vorbild für Falladas „eisernen Gustav“.
Foto: picture alliance / arkivi
E.O. Plauen: Hans Fallada
Foto: akg images
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