Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Moritz Schularick kritisiert die staatlichen Pandemiemaßnahmen und bleibt dabei klare Kriterien schuldig
Dass die Bekämpfung der Pandemie ein gemischtes Bild der Leistungsfähigkeit von Politik und Verwaltung in Deutschland gezeigt hat, dürfte eine weitgehend geteilte Einschätzung sein. Man hat sich durchgewurschtelt. In vielen anderen Ländern lief und läuft es schlechter, aber in nicht wenigen auch besser. Für den bundesdeutschen Rationalnationalismus, der den Stolz auf das eigene Land an die Leistungsfähigkeit öffentlicher Institutionen bindet, ist es zu wenig, sich grosso modo im Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten wiederzufinden, Moritz Schularick, Professor für Makroökonomik an der Bonner Universität, wendet sich in seinem Buch der Aufarbeitung des Versagens und der Entwicklung von Reformkonzepten zu.
Dabei macht er die Mangelhaftigkeit staatlichen Handelns an verschiedenen kleineren und größeren Phänomenen fest: der zunächst ungenügenden Beschaffung von Impfstoff, der verzettelten Strategielosigkeit bei der Schließung und Öffnung von Institutionen, der fehlenden Erhebung von pandemierelevanten Daten oder der Unfähigkeit, Schulen technisch auszustatten. Ursachen dafür ergeben sich ebenso aus institutionellen Umständen wie aus Mentalitäten. Schularick zufolge fehlt es an einer konsequenten Organisation des Übergangs zwischen wissenschaftlicher Beratung und politischer Entscheidung, wie man sie etwa in Großbritannien finde, das als positives Gegenbeispiel im Buch eine wichtige Rolle spielt.
Schularick stellt diese Diagnosen in einen weiteren, vor allem wirtschaftspolitischen Kontext. Für ihn zeigten sich die Strukturprobleme des deutschen Krisenmanagements bereits in der Bewältigung der Eurokrise, wo es verzagt und kurzsichtig nur auf die eigene Ausgabenseite geschaut habe. So passt bei ihm der Umgang mit der Corona-Krise in ein allgemeineres Schema von zögerlichem Umgang mit öffentlichen Investitionen, namentlich in die Digitalisierung, zaghafter politischer Entscheidungsfindung in Krisensituation und hilfloser Regelfixiertheit. Dass es in Deutschland anders als in den Vereinigten Staaten mit dem New Deal keine prägende Erfahrung mit erfolgreichem staatlichen Krisenmanagement gibt, trage zum Problem bei. Diese Befindlichkeiten wurden durch die europäische Einbindung nicht kompensiert, sondern eher verschärft. Der beträchtliche wirtschaftliche Rückfall, den die EU sowohl gegenüber Amerika als auch gegenüber China verzeichnen muss, habe auch hier seine Ursache.
So anregend viele Beobachtungen sind und sosehr man der kritischen Gesamtdiagnose zustimmen mag, so unbefriedigend bleibt jedoch die Gesamtanlage des Buchs. Das liegt zunächst daran, dass die Diagnose mangelnden Krisenmanagements, auch wenn sie intuitiv überzeugend wirkt, nicht an klar definierten Kriterien festgemacht wird. Natürlich ist vieles schiefgelaufen, und natürlich gibt es Länder, in denen weniger Menschen an Covid-19 gestorben sind und/oder die sich wirtschaftlich schneller erholt haben. Kann man diese Unterschiede aber allein auf die Leistungen der öffentlichen Stellen zurückführen, und kann man diese Länder so einfach mit der Bundesrepublik vergleichen - und ist das überhaupt Schularicks Kriterium, der ja durchgehend Großbritannien als positive Folie benutzt, obwohl dort deutlich mehr Tote zu beklagen sind?
Unsicherheit bei der Kriterienbildung zeigt sich auch in einzelnen Diagnosen, etwa bei der Kritik an einer zu hohen Verregelung staatlichen Handelns. Man mag dem zustimmen, muss aber stutzen, wenn der Verfasser zugleich darüber klagt, dass es keine klare Regel für die Zuständigkeit bei der Pandemiebekämpfung gebe, um anschließend das in der Krise dominante Entscheidungsforum, nämlich die Konferenzen der Ministerpräsidenten (MPK) plus Bundeskanzlerin, zu kritisieren. Denn einerseits gibt es klare Zuständigkeiten für die Pandemiebekämpfung, andererseits diente die MPK als "flexible" Form gerade dazu, diese Regeln zu umgehen. So einfach scheint es mit der Kritik der Verregelung nicht zu sein: Am falschen Ort kann Flexibilität sehr ineffizient geraten. Solche Kritik wie auch die abschließende Forderung nach "Entbürokratisierung", der doch bereits manches Gesundheitsamt zum Opfer gefallen sein dürfte, leidet an fehlender Spezifik.
Ohne genaue Bestimmung von Leistungskriterien ist es auch nicht einfach, Ursachen und Verantwortlichkeiten zu benennen. Ein Hauptproblem scheint Schularick in wirtschaftspolitischen Vorstellungen zu sehen, die sich gegenüber staatlichen Investitionen skeptisch zeigen. Genannt werden hier aber weder politische Parteien noch wissenschaftliche Kollegen. Da bleibt dem Verfasser am Ende nur, einen "Mentalitätswandel" zu fordern, also an die Unbestimmtheit der Verantwortlichkeit ein unbestimmtes Lösungsrezept anzuschließen.
Schließlich wird das zu Recht als wichtig hervorgehobene Verhältnis zwischen Politik, Verwaltung und Wissenschaft im Buch bemerkenswert schlicht rekonstruiert. Schularick unterstützt eine Strategie, die auf konsequente Lockdowns setzt. Darin kann man ihm zustimmen. Die politische Erfolglosigkeit dieser Strategie führt er auf einen Zurechnungsfehler zurück: Während sich klar belegen lasse, dass die wirtschaftlichen Einbußen durch die Verbreitung des Virus selbst verursacht würden, habe eine schlecht informierte Politik diese Einbußen auf die Schließungen zurückgeführt. Derart desorientiert, sei sie in Fehlentscheidungen geschlittert.
Schularick berücksichtigt bei dieser Überlegung freilich nicht, dass der politische Prozess nicht nur widerspruchsreich beraten wurde, sondern bei seinen Entscheidungen auch andere als wirtschaftliche Faktoren zu berücksichtigen hatte. Für den Verfasser lässt sich das Problem der Vielstimmigkeit der Wissenschaften durch die richtige Organisation der Politikberatung einfach herausfiltern. Dass seine eigenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen auf den Widerspruch gerade vieler seiner deutschen Kollegen stoßen dürften, bleibt unerwähnt. Vielleicht würde eine Organisation nach britischem Vorbild die wissenschaftliche Beratung vereinheitlichen. Vielleicht würde dabei aber sein eigener Beitrag verloren gehen. Das wäre schade. CHRISTOPH MÖLLERS.
Moritz Schularick: "Der entzauberte Staat". Was Deutschland aus der Pandemie lernen muss.
C. H. Beck Verlag, München 2021. 140 S., br., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Handelsblatt, Julian Olk
"Teils provokante(s), aber sehr lesenswerte(s) Buch." Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tillmann Neuscheler
"Moritz Schularick, 46, ist einer von gar nicht so vielen deutschen Volkswirten, die bei Institutionen und Fachkollegen außerhalb Europas sehr gefragt sind. (...) Jetzt hat er Deutschlands Reaktion auf die Pandemie untersucht - und die Fähigkeit, den nächsten Herausforderungen von Globalisierung bis Klimaschutz zu begegnen."
Süddeutsche Zeitung, Alexander Hagelüken
"Tiefgründig, analytisch, aufklärerisch."
Handelsblatt, Claudia Panster
"Schularicks Analyse (...) fordert auch im Hinblick auf Herausforderungen wie den Klimawandel mehr Mut und Leistungsfähigkeit."
Hamburger Abendblatt, Thomas Andre
"Moritz Schularick verlangt angesichts der Erfahrungen in der Covid-Pandemie ein "Upgrade" für den Staat. Um unter Unsicherheit verlässlich handeln zu können, sind bessere Daten, engere Vernetzung mit der Wissenschaft, leistungsfähige Verwaltung sowie öffentliche Interventions- und Investitionsbereitschaft nötig."
Falter, Markus Marterbauer
"ein großer Gewinn mit vielen klugen Einsichten, Gedanken und Hintergründe"
Handelsblatt, Martin Greive
© Perlentaucher Medien GmbH