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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Andrea Maria Schenkel verfällt wieder einem echten Verbrechen
Der Bichel ist gewandt mit Worten. Wenn der Viehhändler in der Kneipe seine Geschichten erzählt, hängen die Menschen an seinen Lippen. Nur manchen fällt auf, dass er es anscheinend genießt, sein Publikum zu manipulieren. Er hat Freude daran, die Menschen hinters Licht zu führen, und wenn er lächelt, tut das zwar sein Mund, nie aber seine Augen. Doch das fällt den Frauen nicht auf, die der Bichel in sein Haus einlädt. Er verspricht ihnen, in die Zukunft blicken zu können dank eines Zauberwerkzeugs, des mystischen Erdspiegels.
Sie kommen und bringen ihre schönsten Kleider mit, denn das ist eine der Bedingungen, damit der Zauber gelingen kann. Einmal in der abgedunkelten Stube des Bichels angelangt, nimmt es mit ihnen schnell ein Ende, denn der Bichel ist nicht nur ein geschickter Manipulator, er ist auch ein Serienmörder.
Andrea Maria Schenkel ist für ihren Roman "Der Erdspiegel" zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Abermals widmet sie sich einem historisch verbürgten Kriminalfall. Schon in ihrem Debüt "Tannöd", das zum Millionenbestseller wurde, sowie in drei weiteren Romanen ("Kalteis", "Finsterau" und "Täuscher") hatte sie sich von realen historischen Fällen inspirieren lassen. Zuletzt folgte mit "Als die Liebe endlich war", in dem sie eine Geschichte jüdischer Auswanderer in Amerika erzählte, ein Ausflug außerhalb des Kriminalgenres. Der blieb jedoch kurz, denn "Der Erdspiegel" taucht abermals in die Untiefen realer Kriminalfälle ab und referiert auf den Fall eines Serienmörders in der Nähe von Regensburg um das Jahr 1811.
"Berichte über Kriminalfälle zogen schon vor über zweihundert Jahren Leser an, und daran hat sich bis heute nichts geändert", schreibt Schenkel in ihrer Danksagung und verweist auf die Aufzeichnungen des Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm von Feuerbach, in dessen Textsammlung "Merkwürdige Criminal-Rechtsfälle" von 1811 sich der Fall des Andreas Bichel fand. Schenkel verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "True Crime", die in den vergangenen Jahren besonders in der Welt der Podcasts für das Erzählen "echter" Kriminalfälle in Mode kam.
Schenkel tappt leider mit ihrem Buch auch in genau jene Falle, in die viele der "True Crime"-Formate laufen: Die Faszination für den Täter und seine Verbrechen ist die Motivation für das Erzählen der Geschichte. Es geht hier nicht um die gesellschaftlichen oder psychologischen Umstände, die zu den Taten führten. Auch die Opfer sind nur Vehikel zum Erzählen der grausigen Geschichte.
Die Autorin pflegt nicht nur sprachlich einen einfachen Stil, sie verharrt auch bei ihrer Fiktionalisierung an der Oberfläche, entwirft die Frauen, die der Bichel tötet, nicht als Charaktere, umreißt Schauplätze nur als grobe Skizzen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die blutigen Verbrechen. Großen Raum nimmt die ausführliche Beschreibung der zerstückelten Leichen ein, als Ermittler sie ausgraben - über mehrere Seiten suhlt sich der Text in blutigen Details. Man hätte sich mehr Ideenreichtum und einen tiefgründigen Perspektivwechsel auf die Frauen auf den restlichen Seiten des Buches gewünscht. MARIA WIESNER
Andrea Maria
Schenkel: "Der Erdspiegel". Roman.
Kampa Verlag, Zürich 2023. 192 S., geb., 22,- Euro.
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