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Der Vatikan und der italienische Diktator Benito Mussolini: Interesse an einem Ausgleich
Liebhaber saftiger Details kommen nicht zu kurz in diesem Buch, das David Kertzer zu weiten Teilen aus Akten der faschistischen Spitzeldienste kompilierte. Den Rest besorgen die erotischen Erinnerungen der schreibfähigen Liebhaberinnen Mussolinis. Kertzer selbst erwähnt in seinem Nachwort 25 000 gesichtete oder kopierte Dokumente, eine Reihe von Mitarbeiter(inne)n und gut zehn Jahre Arbeit an dem Buch, das kaum wegen seiner literarischen Qualitäten mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Dafür werden die Leser mit einer Fülle unappetitlicher Details entschädigt. Die Hinrichtung des Mussolini-Schwiegersohns und Außenministers Italiens von 1936 bis 1943, des Grafen Ciano - "eine Schlachterei", so ein deutscher Diplomat -, schildert der Autor mit der gleichen hingebungsvollen Detailfreude wie den an den Füßen aufgehängten Mussolini und seine Freundin Clara Petacci, der eine mitleidige Seele den Jupe am Bein hochgebunden hatte. Aber kaum, "damit er nicht über ihren Kopf herunterhing", wie Kertzer erklärt.
Munter geht es dann weiter: Ein Papst, der an Durchblutungsstörungen litt. Ein Kardinal, der sich bei einem willigen Knaben etwas gedankenlos mit unverzollten Zigaretten bedankte. Ein italienischer König, der Adolf Hitler für geisteskrank und drogensüchtig hielt. Und der Erzbischof von Chicago (George Mundelen), der 1937 auf einer Diözesankonferenz vor seinem versammelten Klerus ausholte: "Vielleicht werden Sie fragen, wie es kommt, dass eine Nation von sechzig Millionen intelligenten Menschen sich in Furcht und Knechtschaft vor einem Ausländer, einem österreichischen Tapezierer und dazu einem schlechten, sowie ein paar Helfershelfern wie Goebbels und Göring beugt, die jeden Schritt im Leben des Volkes bestimmen."
"The Pope and Mussolini - The secret History of Pius XI and the Rise of Fascism in Europe", so der sehr viel präzisere Titel der Originalausgabe, ist über weite Strecken ein Buch über zwei Männer, die miteinander ins Geschäft kommen wollten. Mussolini, von Hause aus denkbar antiklerikal, war das klerikale Rom eine Messe wert. Dafür nahm er auch hin, dass seine noch etwas antiklerikalere Ehefrau eine spöttische Miene aufsetzte. Die Kirche half ihm, seine Macht zu konsolidieren. Der Klerus war nicht unfroh, nicht mehr länger verprügelt und zu Rizinusöl gezwungen zu werden. Der Papst war mehr daran interessiert, mit dem faschistischen Regime jenen Ausgleich zu finden, den ihm das liberale Bürgertum verweigert hatte. Dass er sich in seinem vehementen Antikommunismus mit der falschen Bewegung eingelassen hatte, realisierte er erst am Ende seines Lebens. Da war es zu spät.
Sein Nachfolger wurde der geschmeidige Eugenio Pacelli, dann Pius XII.: Auch er hatte keine größeren Probleme, sich mit dem Faschismus zu arrangieren. Dagegen war Pius XI. vehement antinazistisch und sehr verärgert über die knieweichen Reaktionen auf die Rheinland-Remilitarisierung im Jahr 1936 gewesen. Am meisten empörten Papst Pius XI. die wohlwollenden Reaktionen der österreichischen Bischöfe auf den "Anschluss" vom 15. März 1938. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Innitzer, wurde zu einem Widerruf gezwungen. Wie der deutsche Botschafter zu berichten wusste, sei der Text "dem Kardinal Innitzer mit einem Druck abgerungen worden, der nur als Erpressung bezeichnet werden kann".
Längst nicht alle im hohen Klerus artikulierten sich so unmissverständlich gegen die faschistischen Rassengesetze wie der Mailänder Kardinal Schuster in seiner Sonntagspredigt vom 13. November 1938, der von einem "Produkt neuheidnischer Ideologie, das niemals von der Kirche akzeptiert werden könne", sprach. Wie und unter welchen Einflüssen der in den Anfängen biologistisch nicht weiter belastete Faschismus sein antisemitisches Profil entwickelte und die Rassengesetzgebung in Italien einführte (und wie sich der Klerus dazu stellte), zählt sicher zu den gelungensten Kapiteln des Buches.
Dem Verlag gebührt ein Kompliment für die umfangreichen, sorgfältig ausgewählten Illustrationen. Und überhaupt für die anständige Ausstattung.
IGNAZ MILLER
David I. Kertzer: Der Erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. Theiss Verlag, Darmstadt 2016. 608 S., 38,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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