Mexiko, heute. Die beiden Journalisten Andrew und Carlos sollen eigentlich nur ein Routinestück über die Ölindustrie in Poza Rica, Veracruz, machen, wo ein amerikanischer Konzern groß einsteigt. Zufällig finden sie die furchtbar verstümmelte Leiche eines jungen Umweltaktivisten, Julían Gallardo. Während Carlos noch fotografiert, trifft die Guardia Civil ein und scheucht beide aus der Stadt. Trotz massiver Drohungen stellen die beiden weitere Nachforschungen an, bevor sie nach Mexico City zurückkehren. Als Carlos dort umgebracht wird, flieht Andrew außer Landes. Aber der Tod von Carlos, der nicht nur sein Kollege und Freund war, sondern auch sein Lover, lässt ihn nicht los. Er kehrt nach Poza Rica zurück und recherchiert die Geschichte von Julían Gallardo und bringt damit nicht nur Polizei, Militär und Kartelle gegen sich auf ...
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Knapp, aber sehr begeistert bespricht Sonja Hartl diesen Thriller des irischen Autors Tim MacGabhann, der sie hier mitten in einen Drogenkrieg in eine "heruntergekommene Erdölmetropole" im Osten Mexikos entführt. Zugleich liest die Kritikerin hier aber auch eine Art Reportage: Sie folgt dem schwulen irischen Reporter Andrew bei seinen Recherchen in mexikanischen Drogenkartellen und erfährt in der literarischen Form so manches, was eine bloße Reportage kaum hätte fassen können, meint sie. Dass es biografische Parallelen zwischen Held und Autor gibt, erhöht die Authentizität, schließt die Rezensentin, die das Buch nicht zuletzt wegen der "poetischen" und "atmosphärisch" dichten Beschreibungen empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2021Mexikos Teufelskreis kennt keinen Ausweg
Ein Reportageauftrag mit Folgen: Tim MacGabhann zeigt uns in "Der erste Tote" ein Land, in dem Gewalt regiert. Wer hier nach Wahrheiten sucht, ist in Todesgefahr.
Mexikanische Zeitungen, heißt es im Romandebüt von Tim MacGabhann, berichteten gern "neutral". Darunter versteht man den Hinweis auf eine ominöse Tätergruppe, die mit dem Satz "Die haben es getan" umschrieben werde: "Wenn jemand erschossen wird, lautet die Überschrift "Lo Tiotaron: Die haben ihn erschossen. Wenn eine Frau erstochen aufgefunden wird, La Acuchillaron: Die haben sie erstochen." Mit "die" sind in der Regel nicht die von der amerikanischen Unterhaltungsindustrie gern als Zugpferde eingespannten Drogenkartelle gemeint, sondern deren vermeintliche Gegenspieler - Militär und Polizei. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte der mexikanische Drogenkriegs-Fachmann Oswaldo Zavala unlängst, acht von zehn Angriffen gegen mexikanische Journalisten würden von staatlichen Akteuren begangen. Er nannte die Armee eine "Tötungsmaschine, die Gräuel und Menschenrechtsverbrechen begeht, auch an unschuldigen Zivilisten".
Es geht also in "Der erste Tote" weniger um ein Whodunit, denn das ist im Lichte des eingangs Beschriebenen ziemlich klar, es geht um die Abwesenheit von Wahrheit und damit um ein fundamentales Problem jeglicher Berichterstattung: "Klarheit ist Mangelware." Seit dem Jahr 2000 haben in Mexiko hundertzwanzig Journalisten ihre Suche nach Klarheit mit dem Leben bezahlt. Für die Presse gilt Mexiko als "tödlichstes Land der Welt", das berichtet auch die ARD. Gleiches gilt übrigens für einen anderen Berufsstand - Priester.
In diese Welt führt uns der 1989 in Irland geborene Tim MacGabhann in "Der erste Tote", dem zwei weitere Bände folgen sollen. Nach einem Studium im ostenglischen Norwich machte MacGabhann sein Sehnsuchtsland Mexiko zu seinem Hauptwohnsitz. Als Berichterstatter für englischsprachige Zeitungen ist er dem größten Problem der mexikanischen Gesellschaft nicht entkommen, im Gegenteil.
Und so führt seine Geschichte mitten hinein in eine gewalttätige Welt, deren Ingredienzien sich der Autor nicht ausdenken muss. Andrew - er trägt Züge seines Erfinders - ist beruflich und privat mit dem bekannten Fotoreporter Carlos liiert. Bei einer Recherche in der Provinz Veracruz, einem Hotspot der Drogenkriminalität, stoßen die beiden auf den grässlich geschändeten Leichnam eines jungen Aktivisten. Am Fundort selbst werden sie von Polizisten der Guardia Civil (die im wirklichen Leben Fuerza Civil heißt) malträtiert, aber am Leben gelassen.
Carlos kann es trotz massivster Bedrohungen nicht dabei belassen; er macht sich auf die Suche nach Antworten, Andrew fährt zurück nach Mexiko City. Carlos wird er lebend nicht wiedersehen. Noch im Schockzustand der Todesnachricht wird Andrew klar, dass er das Land verlassen muss. In Uruguay nimmt er sich aus der Schusslinie, trifft eine Frau, die Trost und Zukunft verspricht.
Sie gibt ihm auch die Kraft, die Spur von Carlos' Mördern nicht kalt werden zu lassen. Es ist ein Einsatz mit hohem Risiko für Leib und Leben, und die komplett verwüstete Wohnung ist noch der kleinste Preis, den Andrew bei seiner Rückkehr zu zahlen hat. Zum Glück für den Reporter gibt es Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen schon alles genommen hat - Familie, Auskommen, Ehre. Einige haben den Mut, mit Andrew zu reden, Verbindungen herzustellen, Verbrecher zu identifizieren. In Poza Rica, einer ehemaligen Hochburg des Ölbooms nahe der Golfküste, regiert der wirtschaftliche Niedergang, Morde sind an der Tagesordnung, das Gesetz hat sich längst verabschiedet. Kartellkiller verkleiden sich mit Polizeiuniformen und konkurrieren mit der Staatsgewalt um Aufträge der Ölgesellschaft Pemex, die den letzten Ölvorräten mittels Fracking zu Leibe rückt.
Wer ihre Geschäfte stört, hat sein Leben verwirkt. Auslöser für die Niederschrift des Romans war ein Verbrechen um die Ecke von MacGabhanns Wohnung, das sich vor fünf Jahren zutrug, wie er im Anhang schildert: Eine Aktivistin, ihr Partner und ein Journalist wurden zusammen mit der unglücklicherweise anwesenden Putzfrau gefoltert, vergewaltigt und erschossen.
MacGabhann rechnet sein erzählerisches Verfahren dem Genre der "crónica" zu, einer Mischform aus Tatsachenroman, Sachbuch und Thriller - und einer "verzerrten Art, die Wahrheit zu sagen". Schreiben kann MacGabhann, er beherrscht Dialoge und versteht sich darauf, Atmosphäre zu evozieren: "Die Sonne an jenem Morgen war blassrot, rund und geschwollen wie der Kopf eines Kraken. Die sich verjüngenden roten Kondensstreifen hätten Fangarme sein können." Wenn er mit dem ersten Band nicht sein Pulver verschossen hat, könnte die Trilogie ein Klassiker werden.
HANNES HINTERMEIER
Tim MacGabhann: "Der erste Tote". Thriller.
Aus dem Englischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
275 S., br., 15,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Reportageauftrag mit Folgen: Tim MacGabhann zeigt uns in "Der erste Tote" ein Land, in dem Gewalt regiert. Wer hier nach Wahrheiten sucht, ist in Todesgefahr.
Mexikanische Zeitungen, heißt es im Romandebüt von Tim MacGabhann, berichteten gern "neutral". Darunter versteht man den Hinweis auf eine ominöse Tätergruppe, die mit dem Satz "Die haben es getan" umschrieben werde: "Wenn jemand erschossen wird, lautet die Überschrift "Lo Tiotaron: Die haben ihn erschossen. Wenn eine Frau erstochen aufgefunden wird, La Acuchillaron: Die haben sie erstochen." Mit "die" sind in der Regel nicht die von der amerikanischen Unterhaltungsindustrie gern als Zugpferde eingespannten Drogenkartelle gemeint, sondern deren vermeintliche Gegenspieler - Militär und Polizei. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte der mexikanische Drogenkriegs-Fachmann Oswaldo Zavala unlängst, acht von zehn Angriffen gegen mexikanische Journalisten würden von staatlichen Akteuren begangen. Er nannte die Armee eine "Tötungsmaschine, die Gräuel und Menschenrechtsverbrechen begeht, auch an unschuldigen Zivilisten".
Es geht also in "Der erste Tote" weniger um ein Whodunit, denn das ist im Lichte des eingangs Beschriebenen ziemlich klar, es geht um die Abwesenheit von Wahrheit und damit um ein fundamentales Problem jeglicher Berichterstattung: "Klarheit ist Mangelware." Seit dem Jahr 2000 haben in Mexiko hundertzwanzig Journalisten ihre Suche nach Klarheit mit dem Leben bezahlt. Für die Presse gilt Mexiko als "tödlichstes Land der Welt", das berichtet auch die ARD. Gleiches gilt übrigens für einen anderen Berufsstand - Priester.
In diese Welt führt uns der 1989 in Irland geborene Tim MacGabhann in "Der erste Tote", dem zwei weitere Bände folgen sollen. Nach einem Studium im ostenglischen Norwich machte MacGabhann sein Sehnsuchtsland Mexiko zu seinem Hauptwohnsitz. Als Berichterstatter für englischsprachige Zeitungen ist er dem größten Problem der mexikanischen Gesellschaft nicht entkommen, im Gegenteil.
Und so führt seine Geschichte mitten hinein in eine gewalttätige Welt, deren Ingredienzien sich der Autor nicht ausdenken muss. Andrew - er trägt Züge seines Erfinders - ist beruflich und privat mit dem bekannten Fotoreporter Carlos liiert. Bei einer Recherche in der Provinz Veracruz, einem Hotspot der Drogenkriminalität, stoßen die beiden auf den grässlich geschändeten Leichnam eines jungen Aktivisten. Am Fundort selbst werden sie von Polizisten der Guardia Civil (die im wirklichen Leben Fuerza Civil heißt) malträtiert, aber am Leben gelassen.
Carlos kann es trotz massivster Bedrohungen nicht dabei belassen; er macht sich auf die Suche nach Antworten, Andrew fährt zurück nach Mexiko City. Carlos wird er lebend nicht wiedersehen. Noch im Schockzustand der Todesnachricht wird Andrew klar, dass er das Land verlassen muss. In Uruguay nimmt er sich aus der Schusslinie, trifft eine Frau, die Trost und Zukunft verspricht.
Sie gibt ihm auch die Kraft, die Spur von Carlos' Mördern nicht kalt werden zu lassen. Es ist ein Einsatz mit hohem Risiko für Leib und Leben, und die komplett verwüstete Wohnung ist noch der kleinste Preis, den Andrew bei seiner Rückkehr zu zahlen hat. Zum Glück für den Reporter gibt es Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen schon alles genommen hat - Familie, Auskommen, Ehre. Einige haben den Mut, mit Andrew zu reden, Verbindungen herzustellen, Verbrecher zu identifizieren. In Poza Rica, einer ehemaligen Hochburg des Ölbooms nahe der Golfküste, regiert der wirtschaftliche Niedergang, Morde sind an der Tagesordnung, das Gesetz hat sich längst verabschiedet. Kartellkiller verkleiden sich mit Polizeiuniformen und konkurrieren mit der Staatsgewalt um Aufträge der Ölgesellschaft Pemex, die den letzten Ölvorräten mittels Fracking zu Leibe rückt.
Wer ihre Geschäfte stört, hat sein Leben verwirkt. Auslöser für die Niederschrift des Romans war ein Verbrechen um die Ecke von MacGabhanns Wohnung, das sich vor fünf Jahren zutrug, wie er im Anhang schildert: Eine Aktivistin, ihr Partner und ein Journalist wurden zusammen mit der unglücklicherweise anwesenden Putzfrau gefoltert, vergewaltigt und erschossen.
MacGabhann rechnet sein erzählerisches Verfahren dem Genre der "crónica" zu, einer Mischform aus Tatsachenroman, Sachbuch und Thriller - und einer "verzerrten Art, die Wahrheit zu sagen". Schreiben kann MacGabhann, er beherrscht Dialoge und versteht sich darauf, Atmosphäre zu evozieren: "Die Sonne an jenem Morgen war blassrot, rund und geschwollen wie der Kopf eines Kraken. Die sich verjüngenden roten Kondensstreifen hätten Fangarme sein können." Wenn er mit dem ersten Band nicht sein Pulver verschossen hat, könnte die Trilogie ein Klassiker werden.
HANNES HINTERMEIER
Tim MacGabhann: "Der erste Tote". Thriller.
Aus dem Englischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
275 S., br., 15,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein knapper und sprachlich sowie stilistisch origineller Thriller.« Sonja Hartl Deutschlandfunk Kultur 20201218