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Die Europaidee möglichst frei von jedem Dogma immer wieder neu auf ihre Realisierungsmöglichkeit zu prüfen, dies war das kontinuierliche Motiv des deutschen Exils. In intensiv geführten Debatten wurden tragfähige Konzepte entwickelt, die nach der Überwindung des Nationalsozialismus eine dauerhafte Befriedung Europas versprachen. In der politischen und gesellschaftlichen Isolation des Exils wurde Europa zum Inbegriff einer neuen, die Idee der Nation überwindenden Identität.

Produktbeschreibung


Die Europaidee möglichst frei von jedem Dogma immer wieder neu auf ihre Realisierungsmöglichkeit zu prüfen, dies war das kontinuierliche Motiv des deutschen Exils. In intensiv geführten Debatten wurden tragfähige Konzepte entwickelt, die nach der Überwindung des Nationalsozialismus eine dauerhafte Befriedung Europas versprachen. In der politischen und gesellschaftlichen Isolation des Exils wurde Europa zum Inbegriff einer neuen, die Idee der Nation überwindenden Identität.


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Autorenporträt
Boris Schilmar, geboren 1971, Historiker und Jurist, arbeitet derzeit in Düsseldorf als Rechtsanwalt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Trotz etlicher Kritikpunkte zeigt sich Rezensent Wolfgang Hardtwig insgesamt zufrieden mit Boris Schilmars Dissertation "Der Europadiskurs im deutschen Exil 1933-1945". Wie er berichtet, zeichnet der Autor nach, wie der Europadiskurs quer durch das politische Spektrum in Gang kam und sich gegen Ende des Exils Lösungsansätze für den europäischen Integrationsprozess entwickelten, in denen wesentliche Probleme der europäischen Nachkriegszeit vorgedacht wurden. "Völlig zu Recht" liege der Schwerpunkt von Schilmars Untersuchung bei den Exil-Sozialdemokraten der SoPaDe und bei den linkssozialistischen Gruppen, da im liberalen und bürgerlich-konservativen Lager zunächst nur wenige Intellektuelle über europäische Optionen im Kampf gegen Hitler nachdachten. Schilmars Stärke sieht Hardtwig vor allem in der "genauen und kenntnisreichen" ideengeschichtlichen Interpretation von Programmen, Denkschriften und publizistischen Quellen. Dagegen moniert er, dass Schilmar die Diskurs- "Formation" nur unzureichend bestimmt und auf eine Bewertung des Gewichts und des tatsächlichen politischen Einflusses der einzelnen Sprecher ganz verzichtet. Nur teilweise nachvollziehbar findet Hardtwig die abschließenden Reflexionen, in denen Schilmar nach der Tragfähigkeit und tatsächlichen Wirkung der im Exil entwickelten Europakonzepte fragt. Hardtwig kritisiert zudem, dass Schilmar zum Schluss von der Analyse einzelner Texte zu Einstellungen in der "deutschen Nachkriegsgesellschaft" springe und damit die Tatsache verwische, dass die europäische Einigung bis heute ein Elitenprojekt war. Abschließend hebt er jedoch hervor, dass man bei Schilmar viel über die Europa-Konzeptionen der Exilanten selbst erfährt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2004

Geografie? Wirtschaft? Geschichte?
Boris Schilmar untersucht, wie im Exil während der NS-Herrschaft Europa-Gedanken Gestalt annahmen
Das Projekt der „Vereinigten Staaten von Europa” hat es schwer im Moment - auf dem Höhepunkt einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte. Widersprüche und Schwachstellen im künftigen Institutionengefüge, die Rücksichtslosigkeit, mit der nationale Wirtschaftsinteressen durchgesetzt werden, Widerstände gegen Zentralbürokratie und gegen nationale Souveränitätsverluste - das alles stimmt skeptisch gegenüber der Nachhaltigkeit der bisherigen europapolitischen Erfolge. Ausnahmsweise sollte hier jedoch die Geschichte als „Mittel gegen die Resignation” (Nietzsche) angerufen werden. Sie kann die unterschiedlichen nationalen Entwicklungspfade zu transnationalem Gemeinschaftsbewusstsein und zu nationalen Souveränitätsverzichten rekonstruieren und dabei Lernprozesse aufzeigen, wie sie vielgestaltiger, widersprüchlicher und dramatischer kaum gedacht werden können. Politische Lernprozesse setzen die Erfahrung des Scheiterns alter Konzepte voraus. An solchen Erfahrungen ist in der Gegenwart kein Mangel. Es lohnt also, die vergangene Zukunft europapolitischer Überlegungen in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu rekapitulieren.
Fernziel und Katastrophe
Boris Schilmar zeichnet in seiner Münsteraner Dissertation detailliert quer durch das politische Spektrum von den Kommunisten bis zu Hermann Rauschning und Otto Strasser nach, wie sich der Europadiskurs nach einer langen Anlaufphase intensivierte und wie sich gegen Ende des Exils Lösungsansätze für den europäischen Integrationsprozess entwickelten, in denen wesentliche Probleme der europäischen Nachkriegszeit vorgedacht wurden. Am Anfang stand der Erste Weltkrieg, der drei in ihrer Intensität ganz neue „Motivationsstränge” in die Europadebatte brachte: den Wunsch, den kontinentalen und den Weltfrieden zu institutionalisieren; Überlegungen zu einer europäischen Wirtschaftseinheit; und einen gemeinsamen antibolschewistischen Abwehrreflex.
Trotz einer Konjunktur des Europagedankens in den ersten Jahren nach dem Krieg blieben solche Ideen bis 1933 letztlich chancenlos, weil sich die europäischen Mächte in den Turbulenzen der Zwischenkriegszeit in die Scheinsicherheit nationalstaatlicher Souveränität zurückzogen und weltpolitisch ihren Machtverlust gegenüber den USA und der aufsteigenden Sowjetunion noch nicht akzeptiert hatten. Auch nach 1933 verharrte die Europadiskussion in der deutschen Emigration zunächst in Status-quo-Denken. Man fand, dass der Völkerbund als transnationale Organisation versagt habe, und man war ideologisch fixiert - auf der Linken auf den absoluten Primat klassenpolitischer Lösungsstrategien, auf der Rechten auf den Vorrang nationaler Machtpolitik.
Am frühesten und weitesten wagte sich die SPD vor, die 1925 in ihrem Heidelberger Programm als einzige Partei der Weimarer Republik die „Vereinigten Staaten von Europa” als Fernziel forderte - mit erheblicher Langzeitwirkung bis in die Exiljahre hinein. Der Schwerpunkt von Schilmars Untersuchung liegt völlig zu Recht bei den Überlegungen bei den Exil-Sozialdemokraten der SoPaDe und bei den linkssozialistischen Gruppen. Im liberalen und bürgerlich-konservativen Lager dachten zunächst nur Intellektuelle wie Heinrich Mann und Leopold Schwarzschild und Linkskatholiken wie Hubertus Prinz zu Löwenstein oder Walter Dirks über europäische Optionen im Kampf gegen Hitler nach.
Erst seit 1938 nahm das Nachdenken über Europa wirklich Fahrt auf, ausgelöst durch drei Katastrophenerfahrungen: das Münchner Abkommen, das das Vertrauen in die Widerstandskraft der westlichen Demokratien gegenüber dem Naziregime erschütterte; den Hitler-Stalin-Pakt von 1939/40, der viele Sozialisten des nichtkommunistischen Exils für föderalistische Europakonzeptionen empfänglich machte; und schließlich die Schreckensvision eines faschistischen Europa, einer „Neuordnung Europas aus Rasse und Raum”.
Wirkungslose Ideen?
Schilmar zeigt, wie sich der anfangs häufig bloß geografisch gefasste Europabegriff politisierte, wie das Modell eines vernetzten Wirtschaftsraumes entstand und wie schließlich bei den Emigranten ein „kollektiver Erfahrungsraum” Europa mit verbindenden Traditionen Gestalt gewann. Schilmars Stärke liegt in der genauen und kenntnisreichen ideengeschichtlichen Interpretation von Programmen, Denkschriften und publizistischen Quellen.
Die Diskurs-„Formation” hingegen wird nur unzureichend bestimmt, auf eine Bewertung des Gewichts und des tatsächlichen politischen Einflusses der einzelnen Sprecher ganz verzichtet. Ein Missgriff ist die Formel „Widerstand durch Planung 1933-1937”, sie rückt die ideenpolitischen Konzepte zu nahe an konkrete Staatsstreichplanungen im Reich heran. Die abschließenden Reflexionen, in denen Schilmar nach der Tragfähigkeit und tatsächlichen Wirkung der im Exil entwickelten Europakonzepte fragt, sind nur teilweise nachzuvollziehen. Die These, dass die „Europavorstellungen des deutschen Exils politisch wirkungslos” geblieben seien, ist zwar im Blick auf die europapolitischen Hauptakteure in den fünfziger Jahren nicht falsch, geht aber von einem allzu verkürzten politik- und institutionengeschichtlichen Ansatz aus und wird den eigenen Befunden des Autors nicht gerecht.
Auch hätte Schilmar besser auf die allzu pauschalen Räsonnements über das defizitäre aktuelle Europabewusstsein und Europagefühl verzichtet, bei denen er den Zusammenhang mit seinen ideengeschichtlichen Analysen ganz aufgibt. Sinnvoller wäre es gewesen, die Vermittlungsebene zwischen Ideen und Praxis, die Meinungsbildung in Parteien, Verbänden, Presse genauer auszuleuchten.
Immerhin bietet Schilmar die Möglichkeit, über die Kurzbiografien der Emigranten im Anhang die weitere politische Tätigkeit wichtiger Diskursteilnehmer zumindest ansatzweise zu verfolgen. Für die Geschichte der Bundesrepublik ist es ja von erheblicher Bedeutung, was Linkssozialisten oder Sozialdemokraten wie Willi Eichler, Willy Brandt, Waldemar von Knoeringen, Heinz Kühn oder Erich Ollenhauer in der Emigration europapolitisch gedacht haben, selbst wenn sie an der Gründung der europäischen Institutionen nicht direkt beteiligt waren.
Schilmar springt zum Schluss von der Analyse einzelner Texte zu Einstellungen in der „deutschen Nachkriegsgesellschaft” und verwischt damit die Tatsache, dass die europäische Einigung bis heute ein Elitenprojekt war, dessen Entwicklungslogik vor allem auf der Ebene kleiner Gruppen von politischen Akteuren zu erschließen ist. Über die Europa-Konzeptionen der Exilanten selbst jedoch, ihren zunehmenden Realitätsbezug und Pragmatismus und über die historischen Schubkräfte hinter dieser produktiven und tiefgreifenden Neuorientierung erfährt man bei Schilmar viel.
WOLFGANG HARDTWIG
BORIS SCHILMAR: Der Europadiskurs im deutschen Exil 1933-1945. R. Oldenburg Verlag, München 2004, 406 S., 49,80 Euro.
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"Schilmar hat eine in der Quellenlage umfassende und im Urteil weitgehend sichere Grundlage geschaffen." Wolfried Loth in: Historische Zeitschrift, 281/2005 "Schilmar hat ein kluges, klares, anregendes Buch geschrieben." Reinhard Mehring in: H-Soz-u-Kult, Mai 2005