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Friedrich Flick und sein expandierender Konzern in der Zeit des Nationalsozialismus
Friedrich Flick, 1883 geboren, machte dreimal Karriere. Vom Vorstandsmitglied eines kleinen Siegerländer Hüttenwerks 1915 brachte er es in der Weimarer Zeit zum Leiter des größten deutschen Konzernverbundes, der Vereinigten Stahlwerke. In der Weltwirtschaftskrise 1929 geriet er an den Rand des Ruins und entging dem Konkurs, indem er den Eindruck verbreitete, er verkaufe an Franzosen, wenn das Deutsche Reich nicht zugreife - und das Reich kaufte, zu überhöhtem Preis. In der Zeit des Nationalsozialismus expandierte sein Konzern sprunghaft. Anfang 1933 hatte er etwa 13000, zehn Jahre später rund 130000 Beschäftigte. Zugleich stieg seine Rohstahlproduktion von etwa 0,5 auf 2,5 Millionen Tonnen. Flick baute die um die Mitteldeutschen Stahlwerke und die Maxhütte gebildete Unternehmensgruppe zu einem der größten Montankonzerne Europas aus.
Bei Kriegsende waren rund 75 Prozent seines industriellen Besitzes verloren, der überwiegend in der Sowjetischen Besatzungszone lag. Auch im Westen schien mit der Entflechtung und den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen die Erfolgsgeschichte zu Ende. Flick wurde als Profiteur und Mitverantwortlicher des NS-Regimes zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1950 entlassen, gelang ihm mit dem Erlös aus dem entflechtungsbedingten Verkauf der Kohlenzechen der erneute Aufstieg zu einem der führenden Großindustriellen und zum reichsten Mann Deutschlands. Nach seinem Tod 1972 folgten Skandale, Prozesse, Erbstreitigkeiten und der Verkauf des Familienkonzerns.
Die publizistische Aufmerksamkeit für Flick eilte der geschichtswissenschaftlichen lange voraus. Das hat sich nun geändert. 2007 veröffentlichte Kim C. Priemel eine voluminöse Geschichte des Konzerns vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Nun hat das Institut für Zeitgeschichte mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Geschichte des Unternehmens im "Dritten Reich" erarbeitet, ergänzt um eine knappe Darstellung der Vor- und der Nachgeschichte und des Umgangs der Konzernführung mit der NS-Vergangenheit sowie um einen Anhang von rund zweihundert Seiten mit 47 Dokumenten. Weil es kein zentrales Firmenarchiv gibt, haben die Autoren Bestände aus 39 Archiven in fünf Staaten ausgewertet.
Das Ergebnis ist eine interessante, lesenswerte zeit- und unternehmensgeschichtliche Studie, weitgehend aus einem Guss. Darin fragen die Autoren nach den Grundsätzen und Strategien, Motiven und Zielen der Unternehmensführung und nach deren Kontrollstrukturen in der nationalsozialistischen Diktatur. Ferner untersuchen sie die strategische Kommunikation, die Beschaffung und Verteilung von Informationen sowie die Aushandlungsprozesse zwischen Konzernleitung und nationalsozialistischen Entscheidern. Schließlich fragen sie nach der Verantwortung: der juristischen "Aufarbeitung" von Zwangsarbeit, "Arisierungen" und Ausplünderung besetzter Gebiete, nach der Selbstwahrnehmung der Akteure sowie nach deren Verantwortung unter "den jetzt gültigen Normen".
Die materialreiche Darstellung zeigt Flick als Unternehmer, dessen Ziel es stets war, sehr rasch zu expandieren. Dazu ließ er sich auf die verbrecherische Politik der Nationalsozialisten ein, nutzte sie und versuchte, sie ein Stück weit auch selbst zu steuern. Davon profitierte er, stieß aber auch an Grenzen - zum einen durch den Vorrang, den die "Reichswerke Hermann Göring" insbesondere in den annektierten und besetzten Ländern Osteuropas genossen, zum andern durch die polykratische Struktur des Herrschaftssystems. Diese begünstigte seinen Einfluss und begrenzte ihn zugleich. 1937 trat er in die NSDAP ein - Nationalsozialist aus Geschäftsinteresse. Von der "Arisierungspolitik" profitierte Flick in drei wichtigen Fällen: Hochofenwerk Lübeck 1937; Kohlewerke des tschechischen Industriellen Julius Petschek 1938, die er im Zusammenspiel mit den Behörden übernahm; und Braunkohlegruben von Ignatz Petschek, die er 1939 im Rahmen einer Absprache mit den "Reichswerken Hermann Göring" gegen Steinkohlezechen an der Ruhr tauschte. Ferner war der Einsatz von Zwangsarbeitern ein wichtiger Faktor seines Erfolgs. Im Krieg waren bald mehr als die Hälfte der Flickschen Belegschaften Zwangsarbeiter: überwiegend sowjetische und italienische Kriegsgefangene sowie "Ostarbeiter". Auch - vorwiegend jüdische - KZ-Häftlinge wurden eingesetzt. Die Autoren beschreiben eindringlich deren Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Flick war ein industrieller Latecomer: Außenseiter, Selfmademan und paternalistischer Autokrat. Er vereinigte in seiner Person die Funktionen des Generaldirektors, Aufsichtsratsvorsitzenden und Großaktionärs. Atypisch war auch sein Unternehmen: Es gab kein dominierendes Kernunternehmen wie bei Krupp und Siemens, sondern auf Flick zugeschnittene verschachtelte Holdinggesellschaften in den Bereichen Kohle, Eisen, Stahl und Weiterverarbeitung - einen um die Eisen- und Stahlherstellung herum aufgebauten rohstofforientierten Mischkonzern mit dezentraler Standortstruktur, vornehmlich in Mittel- und Süddeutschland. Was war Flicks Erfolgsgeheimnis? An erster Stelle die Fähigkeit, Informationen früher als andere zu gewinnen, sie zum eigenen Vorteil zu synthetisieren und gewinnbringend die eigene Sicht der Dinge zu kommunizieren. Dazu schuf Flick ein vorzügliches Informationssystem. Er pflegte intensiv Kontakte, informierte und desinformierte, spendete, korrumpierte. Dies verband sich mit einem betrieblichen Leitungssystem, das auf Vertrauen zu einem sehr kleinen Kreis loyaler Berater beruhte und sich auf geschickte Zusammenarbeit mit Banken, Regierungsvertretern und NS-Größen wie Hermann Göring und Wilhelm Keppler sowie Konkurrenten wie Paul Pleiger, Chef der "Reichswerke Hermann Göring", stützte. Flick erkannte Chancen früh und verfolgte sie, angepasst an die jeweiligen Machtverhältnisse - ein offenbar bedenkenloser Netzwerker.
Flick positionierte sich mehr als andere Schwerindustrielle, die sich ebenfalls im Rüstungsgeschäft engagierten, als Partner des NS-Staates und richtete seinen Konzern an dessen Erwartungen aus. Die Geschichte seines Konzerns ist auch die einer Parallelisierung der Unternehmens- mit der NS-Politik. Die Umwandlung der Spitzenholding in eine Personalgesellschaft 1937, die Friedrich Flick KG, sollte den Familieneinfluss dauerhaft sichern - und sie entsprach dem NS-Leitbild der Familiengesellschaft. Die Ausrichtung des Konzerns auf binnenwirtschaftliche Selbstversorgung mit Roh- und Brennstoffen korrespondierte - als "Konzernautarkie" - mit der NS-Autarkiepolitik. Die Expansion in die besetzten Gebiete Ost- und Westeuropas ab 1938 ging mit der NS-Wirtschaftspolitik parallel.
Im "Fall 5" der Nürnberger Prozesse und in der Bundesrepublik stellte sich Flick als Opfer staatlichen Zwangs dar - eine Strategie, die lange aufging und nun von der Forschung dekonstruiert wird. Dabei zeigt sich, dass er zwar kein Prototyp der deutschen Schwerindustriellen war, dass aber die Geschichte Flicks und seines Konzerns in der NS-Zeit manchen paradigmatischen Zug aufweist. Flick war weder Hexenmeister, der die nationalsozialistischen Geister nach seiner kapitalistischen Pfeife tanzen ließ, noch Opfer staatlichen Zwangs, sondern in spezifischer Art von beidem etwas: Akteur und Getriebener in komplexen Interaktionen, des Machterhalts und der Machterweiterung wegen. Dies nüchtern und differenziert herausgearbeitet zu haben ist das Verdienst dieser methodisch und empirisch überzeugenden Studie.
GÜNTHER SCHULZ.
Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim C. Priemel/Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008. 1018 S., 64,80 .
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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