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Robert Michels geht mit der SPD ins Gericht – mit der von 1907
Der Internationalismus war ein programmatisches Kennzeichen der deutschen Arbeiterbewegung und gehörte fest in ihr Geschichtsbild. Bereits für die Zeitgenossen war das internationalistische Credo der deutschen Arbeiterbewegung aber mehr Fassade als politische Substanz. Robert Michels, ein soziologischer Weltenbummler auf dem Weg von links nach rechts, selbst enttäuschter Sozialdemokrat mit weitergehenden Karrierewünschen, später dann Anhänger des Duce, formulierte 1907 eine dezidiert internationalistische Kritik an der deutschen SPD. Sie ist jetzt neben anderen kaum bekannten Texten von Timm Genett kommentiert und in der Reihe „Schriften zur europäischen Ideengeschichte” neu ediert worden (Robert Michels: Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande (1907), in: Timm Genett (Hrsg.): Robert Michels. Soziale Bewegungen zwischen Dynamik und Erstarrung. Essays zur Arbeiter-, Frauen- und nationalen Bewegung, (Schriften zur europäischen Ideengeschichte Bd. 2), Akademie Verlag 2008, Berlin 2008, 59,80 Euro). Wir kennen jetzt unter anderem ein erhellendes Detail, nämlich dass Michels der Partei Mussolinis nicht – wie zumeist behauptet - 1921 oder 1923, sondern erst am 6. Juni 1928 beitrat.
Die SPD galt zwar als beeindruckende Organisations- und Mobilisierungsmaschine für „Stimmzettelsiege”. Ihre Schwesterparteien wollten die Deutungshoheit der Genossen aus dem Lande von Marx und Engels jedoch nicht akzeptieren. Vor allem italienische und französische Sozialisten vermissten die politische Aktion – wie etwa nach der Wahlrechtsverschlechterung in Sachsen 1896. Statt dessen hüteten die deutschen Genossen das weitverzweigte Vereinsnetz von den sozialistischen Kinderfreunden bis zum Feuerbestattungsbund wie ihren Augapfel. Ein politischer Massenstreik konnte da nur schaden. Italienische Genossen machten sehr viel ausgiebiger vom Generalstreik Gebrauch. Die deutschen Genossen hielten sie für „gesetzesduselig”. Sie kannten noch nicht einmal den Text der Internationale, auch wenn sie fabelhafte Kongresse ausrichten konnten. So entstand das Bild einer SPD, die dem Gasmann gleicht. Wer sich mit Bienenfleiß „in die Spezialfragen der Fabrikinspektion und der Gewerbegerichte, des Rollmarkensystems in den Konsumvereinsläden und der Gasverbrauchskontrolle bei der kommunalen Gasbeleuchtung eingearbeitet hat”, verlor das große Ganze aus dem Blick. Die Genossen Gasableser, die nicht zündelten, waren für die Revolution unbrauchbar.
SIEGFRIED WEICHLEIN
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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