Rette sich wer kann in die neue Zeit: das war 1945, nach zwölf Jahren Nazi-Herrschaft, die Devise von Millionen Deutschen. Im Frühjahr des Jahres 1945 befanden sich in Deutschland weite Bereiche des Tausendjährigen Reiches der Nationalsozialisten in allgemeiner Auflösung. Während für die deutschen Soldaten noch Durchhalteparolen bis zur letzten Patrone ausgegeben wurden, verschwanden hohe NS-Funktionäre und KZ-Führer tauchten unter. Ab 1946 setzte eine Fluchtwelle von SS-Tätern und Nationalsozialisten nach Übersee ein und erreichte 1948/49 ihren Höhepunkt. Eine Besonderheit stellte die Rattenlinie Nord dar, da diese nicht aus Europa heraus führte, sondern nach Schleswig-Holstein in Richtung Flensburg verlief, KZ-Kommandanten, SS-Angehörige, hohe Nazifunktionäre erreichten zu Hunderten die Stadt. Hier gab es für sie neue Ausweispapiere und neue Uniformen. Aus Massenmördern wurden einfache Soldaten. Begünstigt durch das alliierte Interesse an einer funktionsfähigen Polizei fanden nach 1945 zahlreiche SS- und Gestapo-Funktionäre bei der Kriminalpolizei eine neue berufliche Existenz. Die bestehenden Netzwerke und alten Seilschaften der Nazis funktionierten zuverlässig. Die Justizbehörden entwickelten sich ebenfalls zu Tummelplätzen für ehemalige NS-Funktionäre. Belastete Juristen hatten im Westen kaum strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten, die meisten der schon in der NS-Zeit tätigen Juristen im höheren Justizdienst machten weiter Karriere. Die Justiz sprach sich selbst frei. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit wurde von den meisten Deutschen rundweg abgelehnt - eine Vergangenheitsbewältigung fand so gut wie gar nicht statt. Die Phase des Übergangs vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik wies geradeso Kontinuitäten im Bereich der politischen Funktionsträger auf. Die Karriere von Heinz Reinefarth, Bürgermeister von Westerland auf Sylt, sucht in der Bundesrepublik Deutschland ihresgleichen, denn Reinefarth war der einzige ehemalige SS-General, der jemals in einen deutschen Landtag einzog. Etliche vergangenheitspolitische Skandale erschütterten Schleswig-Holstein, neben dem Fall Reinefarth die Fälle Lautz, Schlegelberger, Oberheuser, Catel und Heyde-Sawade. Schleswig-Holstein sorgte mit seinem braunen Erbe überregional und international für Aufsehen und für Schlagzeilen, die seinen Ruf als brauner Sumpf oder braunes Naturschutzgebiet begründeten. Die angestrebte Entnazifizierung der jungen Bundesrepublik war gescheitert.
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