Der Galaterbrief spricht vornehmlich Menschen an, die der in ihnen wirkenden Sehnsucht nach Jesus Christus schon nachgegeben und bereits Erfahrungen in der Nachfolge des Herrn haben. Dabei werden sie den grundlegenden Fragen nach Geboten Gottes, Gehorsam, Glaube an Jesus, Freiheit, Schwachheit des Fleisches und der Unmöglichkeit, Gott im Fleisch zu gehorchen, schon längst begegnet sein und in den Ausführungen des Apostels im Brief ein äußerst bekanntes und unverlierbares Thema gleichsam wiederfinden. Eben dadurch vermag eine neutestamentliche Schrift wie der Galaterbrief eine bis ins Letzte nicht zu beschreibende Hilfe sein, die alles historische, theologische, linguistische und wie auch immer philosophische Explizieren transzendiert, überschreitet: irgendwie beginnt der lebendige Christus, über den das Johannesevangelium bezeugt, dass er im Heiligen Geist zu seinen Jüngern kommt und bei bei ihnen bleibt, im Inneren des Lesers zu sprechen, und der Text wandelt sich sozusagen vom bloßen antiken Komplex überlieferter Buchstaben und in ihnen gefangener Gedanken zu einem Medium, durch das der Leser den historisch bezeugten Christus des Paulus als lebendigen Christus hic et nunc, hier und jetzt zu erfahren vermag. Der Christus des Paulus ist kein vornehmlich historisches Subjekt, sondern der Lebendige jenseits aller Historie, der so lebendig ist, dass er nicht verfehlt werden kann, wenn man sich einmal auf ihn einlässt. Der Text ist nicht bloßer Bericht, bloße Geschichte, bloße Narration irgendwelcher antiker Subjekte mit einem bestimmten Glauben. Vielmehr ist er der Ruf, mit dem lebendigen Herrn zu reden und sich mit ihm zu verbinden, damit das, was im Brief erscheint, verständlich werde als Geschehen, welches auch in und mit demjenigen geschieht, der sich auf Jesus Christus (Paulus benutzt oft den Ausdruck Christus Jesus) einlässt. Dann nämlich kommt das lebendige Wort in den Gläubigen, und nach dem Johannesevangelium ist das lebendige Wort niemand und nichts anderes als der lebendige Jesus Christus...