Frontmatter -- Inhaltsverzeichnis -- 1. Einleitung -- Teil I: Das römisch-pagane Keuschheitsgebot -- 2. Zur Konstruktion des Weiblichen in der römischen Gesellschaft -- 3. Vincula iuris ¿ Vom Fremdzwang zum Selbstzwang -- 4. Der leibliche Aspekt: Die medizinischen Quellen -- 5. Kultische Keuschheit: Die Vestalinnen -- 6. Virgines Vestae und Virgines Dei ¿ Vergleich und Überleitung -- Teil II: Christliche Askese im Westen des Römischen Reiches -- 7. Erstes und zweites Jahrhundert -- 8. Das dritte Jahrhundert -- 9. Zusammenfassung und Ausblick -- 10. Abkürzungen -- 11. Quellen- und Literaturverzeichnis -- 12. Namenregister
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.1998Wer die Moral untergrub, wurde lebendig begraben
Ines Stahlmann erforscht die Vorgeschichte weiblicher Keuschheit und Askese im weströmischen Reich
Zweierlei will das - entsetzlich teure - Buch: Es will die Vorbedingungen herausarbeiten, unter denen sich die asketische geschlechtliche Enthaltsamkeit unter den christlichen Frauen der westlichen Spätantike durchgesetzt hat, und es will die Frage entscheiden, ob es sich dabei um einen Zugewinn an weiblicher Autonomie oder um eine Variante männlicher Repression gehandelt habe. Die Vorbedingungen sieht die Autorin darin, daß schon seit der frühen römischen Kaiserzeit die äußere Überwachung durch den Appell an die weibliche Selbstdisziplin ersetzt worden sein soll, was unter anderem daran zu sehen sei, daß nun auch Frauen der Sittengesetzgebung unterworfen waren; dieser Wandel habe mit der allgemeinen staatlichen Entwicklung korrespondiert, die durch die Konzentrierung der Macht im Kaisertum Individualisierungstendenzen freigesetzt habe. Der Alternative zwischen größerer Autonomie oder größerer Repression setzt die Autorin einen "Dritten Weg" entgegen: Das Ausmaß des Zwanges sei gleichgeblieben, nur habe es sich von außen nach innen verlagert.
Diesen reichlich abstrakten Fragen samt ihren Antworten wird durch eine Fülle konkreter Einzeluntersuchungen nachgegangen. Schon für die vorchristliche Zeit heißt es, daß hinsichtlich des Umgangs mit der generell für triebhaft und schwach angesehenen Frau zwei Konzepte einander abgelöst hätten. Die Überwachung sei dem Erziehungskonzept gewichen, und da man die Jungfrauen für besonders form-und erziehbar gehalten habe, sei das Jungfräulichkeitsideal entstanden. Strafdrohungen hinsichtlich sittlichen Fehlverhaltens hätten in der römischen Kaiserzeit auch Frauen betroffen, was darauf hindeute, daß diese zunehmend als selbstverantwortlich angesehen worden seien.
Auch an medizinisch-gynäkologischen Schriften sei dieser allmähliche Wandel abzulesen, insofern nämlich zunächst ein natürliches Geschlechtsleben als gesund angesehen wurde, während man später auch der Enthaltsamkeit positive Wirkungen zuschrieb. Besonders eindrucksvoll ist das Vestalinnen-Kapitel, in dem gezeigt wird, daß es hier - natürlich - nicht auf die individuellen Wirkungen der Keuschheit ankam, sondern daß die Enthaltsamkeit der Vestalinnen eine Garantie für das Wohlergehen des Staates bieten sollte; so ist auch die grausame Strafe des Lebendigbegrabenwerdens bei einem Verstoß gegen das Keuschheitsgebot zu erklären.
Das frühe Christentum kannte natürlich das eheliche Keuschheitsgebot, nicht aber das verselbständigte Jungfräulichkeitsideal und die Askese - es wehrte sich sogar gegen deren Aufkommen. Das geschah auch deshalb, weil Asketinnen durch übertriebenes Prunken mit ihrer Enthaltsamkeit in der Gemeinde Unfrieden stifteten. Umgekehrt wetterte der heißblütig-temperamentvolle Kirchenvater Tertullian nach Ansicht der Autorin wohl nur deshalb gegen weiblichen Schmuck und überhaupt gegen die Sichtbarkeit des weiblichen Körpers, weil er selber allzu entzündlich veranlagt gewesen sei. Freilich nahm auch ohne ihn die asketische Bewegung so zu, daß sie von der Kirche und den Kirchenschriftstellern nicht nur immer mehr beachtet, sondern auch immer mehr anerkannt wurde. Sie verlieh den Frauen mehr Freiheit und Unabhängigkeit, so daß die Kirche sich vor der Notwendigkeit sah, sie zu integrieren. Das geschah dann im vierten Jahrhundert, aber das liegt außerhalb des Zeitrahmens des Buches.
Gewiß ist es richtig, das Aufkommen der Askese in Zusammenhang mit der zunehmenden Individualisierung zu sehen, die schon am Ende der Republik zu verzeichnen ist. Insofern hat das Buch eine zutreffende Grundthese, wenngleich der Kausalnexus zwischen beiden eher schwach auszumachen ist; bei diesem flüchtigen Gegenstand kann das freilich nicht anders sein. Allerdings ist das gezeichnete Bild in wesentlichen Aspekten unvollständig, weil es die männliche Askese wegläßt und weil es nur den Westen des Reiches behandelt. Im Zeitalter der gender studies hätten Frauen- und Männerwelt zusammen gesehen werden sollen. Immerhin stammt die Askese aus dem Osten, und die ersten berühmten Asketen waren Männer, die dann von westlichen vornehmen Damen auf ihren theologischen Bildungsreisen angestaunt wurden. Richtig aber ist, daß es sich bei der weiblichen Askese deshalb nicht um männliche Repressionen von seiten der Kirche gehandelt hatte, weil die Askesebewegung ja von unten kam und zunächst negativ bewertet wurde, und richtig ist auch, daß die damit verbundene größere Autonomie eben durch Zwang gegen sich selbst erkauft werden mußte.
An einzelnen nicht ganz unwichtigen Punkten ist Kritik zu üben. Wenn die Autorin sagt, "Triebhaftigkeit und Schwäche" seien "als der Frau wesenseigene Charakteristika" angesehen worden, so übersieht sie bei dieser allzu generellen Behauptung, daß in juristischen Texten, auf die sie sich bezieht, sogar Unverständnis dafür geäußert wird, daß Frauen keine öffentlichen Ämter einnehmen konnten. Auch die - geringen - Einschränkungen, denen die Frauen im Rechtsverkehr unterlagen, können durchaus zu ihrem Schutz oder jedenfalls zum Schutz ihres Vermögens bestanden haben, weil Frauen weniger praktische Erfahrungen hatten. Wenn die Autorin zudem außer Texten auch die soziale Wirklichkeit einbezogen hätte, dann hätte sich bei den vielen selbständigen und wohlhabenden Frauen der späten Republik und der hohen Kaiserzeit gezeigt, daß diese Frauen weder schwach waren noch so angesehen wurden.
Der Gegenstand, den Ines Stahlmann aber ganz überwiegend klug und kompetent behandelt, ist nicht ohne Tragik. Richtig hebt sie hervor, daß die ersten Frauenbiographien der Antike denjenigen Frauen galten, die sich durch spektakuläre asketische Leistungen auszeichneten. Man muß nicht der heute im Schwange befindlichen und widerwärtigen trivialisierten Pansexualität anhängen, um zu beklagen, daß es ausgerechnet diese Einschränkungen der natürlichen und schönen Geschlechtlichkeit waren, die Frauen solche Anerkennung verschafften. Von der Mutter der vornehmen Asketin Melania der Jüngeren berichtet ihr Biograph, sie sei beim ersten Anblick ihrer Tochter nach langen Jahren der Askese ob deren unverkennbarer Heiligkeit in Tränen ausgebrochen; ich bin der Überzeugung, daß es Tränen der Verzweiflung darüber waren, welch schrecklichen Anblick ihre Tochter nun bot. Oder, um es ganz anachronistisch mit Goethes Worten aus der "Braut von Korinth" zu sagen: "Opfer fallen hier, / Weder Lamm noch Stier, / Aber Menschenopfer unerhört." WOLFGANG SCHULLER
Ines Stahlmann: "Der gefesselte Sexus". Weibliche Keuschheit und Askese im Westen des Römischen Reiches. Akademie Verlag, Berlin 1997. 242 S., geb., 280,- DM.
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Ines Stahlmann erforscht die Vorgeschichte weiblicher Keuschheit und Askese im weströmischen Reich
Zweierlei will das - entsetzlich teure - Buch: Es will die Vorbedingungen herausarbeiten, unter denen sich die asketische geschlechtliche Enthaltsamkeit unter den christlichen Frauen der westlichen Spätantike durchgesetzt hat, und es will die Frage entscheiden, ob es sich dabei um einen Zugewinn an weiblicher Autonomie oder um eine Variante männlicher Repression gehandelt habe. Die Vorbedingungen sieht die Autorin darin, daß schon seit der frühen römischen Kaiserzeit die äußere Überwachung durch den Appell an die weibliche Selbstdisziplin ersetzt worden sein soll, was unter anderem daran zu sehen sei, daß nun auch Frauen der Sittengesetzgebung unterworfen waren; dieser Wandel habe mit der allgemeinen staatlichen Entwicklung korrespondiert, die durch die Konzentrierung der Macht im Kaisertum Individualisierungstendenzen freigesetzt habe. Der Alternative zwischen größerer Autonomie oder größerer Repression setzt die Autorin einen "Dritten Weg" entgegen: Das Ausmaß des Zwanges sei gleichgeblieben, nur habe es sich von außen nach innen verlagert.
Diesen reichlich abstrakten Fragen samt ihren Antworten wird durch eine Fülle konkreter Einzeluntersuchungen nachgegangen. Schon für die vorchristliche Zeit heißt es, daß hinsichtlich des Umgangs mit der generell für triebhaft und schwach angesehenen Frau zwei Konzepte einander abgelöst hätten. Die Überwachung sei dem Erziehungskonzept gewichen, und da man die Jungfrauen für besonders form-und erziehbar gehalten habe, sei das Jungfräulichkeitsideal entstanden. Strafdrohungen hinsichtlich sittlichen Fehlverhaltens hätten in der römischen Kaiserzeit auch Frauen betroffen, was darauf hindeute, daß diese zunehmend als selbstverantwortlich angesehen worden seien.
Auch an medizinisch-gynäkologischen Schriften sei dieser allmähliche Wandel abzulesen, insofern nämlich zunächst ein natürliches Geschlechtsleben als gesund angesehen wurde, während man später auch der Enthaltsamkeit positive Wirkungen zuschrieb. Besonders eindrucksvoll ist das Vestalinnen-Kapitel, in dem gezeigt wird, daß es hier - natürlich - nicht auf die individuellen Wirkungen der Keuschheit ankam, sondern daß die Enthaltsamkeit der Vestalinnen eine Garantie für das Wohlergehen des Staates bieten sollte; so ist auch die grausame Strafe des Lebendigbegrabenwerdens bei einem Verstoß gegen das Keuschheitsgebot zu erklären.
Das frühe Christentum kannte natürlich das eheliche Keuschheitsgebot, nicht aber das verselbständigte Jungfräulichkeitsideal und die Askese - es wehrte sich sogar gegen deren Aufkommen. Das geschah auch deshalb, weil Asketinnen durch übertriebenes Prunken mit ihrer Enthaltsamkeit in der Gemeinde Unfrieden stifteten. Umgekehrt wetterte der heißblütig-temperamentvolle Kirchenvater Tertullian nach Ansicht der Autorin wohl nur deshalb gegen weiblichen Schmuck und überhaupt gegen die Sichtbarkeit des weiblichen Körpers, weil er selber allzu entzündlich veranlagt gewesen sei. Freilich nahm auch ohne ihn die asketische Bewegung so zu, daß sie von der Kirche und den Kirchenschriftstellern nicht nur immer mehr beachtet, sondern auch immer mehr anerkannt wurde. Sie verlieh den Frauen mehr Freiheit und Unabhängigkeit, so daß die Kirche sich vor der Notwendigkeit sah, sie zu integrieren. Das geschah dann im vierten Jahrhundert, aber das liegt außerhalb des Zeitrahmens des Buches.
Gewiß ist es richtig, das Aufkommen der Askese in Zusammenhang mit der zunehmenden Individualisierung zu sehen, die schon am Ende der Republik zu verzeichnen ist. Insofern hat das Buch eine zutreffende Grundthese, wenngleich der Kausalnexus zwischen beiden eher schwach auszumachen ist; bei diesem flüchtigen Gegenstand kann das freilich nicht anders sein. Allerdings ist das gezeichnete Bild in wesentlichen Aspekten unvollständig, weil es die männliche Askese wegläßt und weil es nur den Westen des Reiches behandelt. Im Zeitalter der gender studies hätten Frauen- und Männerwelt zusammen gesehen werden sollen. Immerhin stammt die Askese aus dem Osten, und die ersten berühmten Asketen waren Männer, die dann von westlichen vornehmen Damen auf ihren theologischen Bildungsreisen angestaunt wurden. Richtig aber ist, daß es sich bei der weiblichen Askese deshalb nicht um männliche Repressionen von seiten der Kirche gehandelt hatte, weil die Askesebewegung ja von unten kam und zunächst negativ bewertet wurde, und richtig ist auch, daß die damit verbundene größere Autonomie eben durch Zwang gegen sich selbst erkauft werden mußte.
An einzelnen nicht ganz unwichtigen Punkten ist Kritik zu üben. Wenn die Autorin sagt, "Triebhaftigkeit und Schwäche" seien "als der Frau wesenseigene Charakteristika" angesehen worden, so übersieht sie bei dieser allzu generellen Behauptung, daß in juristischen Texten, auf die sie sich bezieht, sogar Unverständnis dafür geäußert wird, daß Frauen keine öffentlichen Ämter einnehmen konnten. Auch die - geringen - Einschränkungen, denen die Frauen im Rechtsverkehr unterlagen, können durchaus zu ihrem Schutz oder jedenfalls zum Schutz ihres Vermögens bestanden haben, weil Frauen weniger praktische Erfahrungen hatten. Wenn die Autorin zudem außer Texten auch die soziale Wirklichkeit einbezogen hätte, dann hätte sich bei den vielen selbständigen und wohlhabenden Frauen der späten Republik und der hohen Kaiserzeit gezeigt, daß diese Frauen weder schwach waren noch so angesehen wurden.
Der Gegenstand, den Ines Stahlmann aber ganz überwiegend klug und kompetent behandelt, ist nicht ohne Tragik. Richtig hebt sie hervor, daß die ersten Frauenbiographien der Antike denjenigen Frauen galten, die sich durch spektakuläre asketische Leistungen auszeichneten. Man muß nicht der heute im Schwange befindlichen und widerwärtigen trivialisierten Pansexualität anhängen, um zu beklagen, daß es ausgerechnet diese Einschränkungen der natürlichen und schönen Geschlechtlichkeit waren, die Frauen solche Anerkennung verschafften. Von der Mutter der vornehmen Asketin Melania der Jüngeren berichtet ihr Biograph, sie sei beim ersten Anblick ihrer Tochter nach langen Jahren der Askese ob deren unverkennbarer Heiligkeit in Tränen ausgebrochen; ich bin der Überzeugung, daß es Tränen der Verzweiflung darüber waren, welch schrecklichen Anblick ihre Tochter nun bot. Oder, um es ganz anachronistisch mit Goethes Worten aus der "Braut von Korinth" zu sagen: "Opfer fallen hier, / Weder Lamm noch Stier, / Aber Menschenopfer unerhört." WOLFGANG SCHULLER
Ines Stahlmann: "Der gefesselte Sexus". Weibliche Keuschheit und Askese im Westen des Römischen Reiches. Akademie Verlag, Berlin 1997. 242 S., geb., 280,- DM.
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