Eine Liebe, ungestüm wie ein Gewitter im Gebirge. Hoch oben in den Bergen, auf der steinernen Alp, lebt Stine mit ihrer Mutter und dem Knecht Severin. Stine hasst das Tal, niemals will sie weg von der Alp, sie liebt es, mit dem Schatten um die Wette zu laufen, der am Abend über den Grat kriecht. Doch der Berg zerfällt, Geröll hat die Wiesen bedeckt. Immer wieder werden Ziegen von Steinen erschlagen.Als das Geld allzu knapp wird, tritt sie einen Job in der Bar des nahen Grandhotels an. Dort trifft sie Bruno, den sie mit ihrem rauen Gesang und ihrer Wildheit verzaubert. Als Bruno zurück zu seiner Verlobten nach Genf fährt, besteigt Stine zum ersten Mal in ihrem Leben den Bus in die Stadt.Auf der Suche nach Bruno muss Stine lernen, sich in der Gegenwart der Hotelbars und der Großstadt zurechtzu finden. Was dann geschieht, ist ein Ausbruch aus ihrem Leben, das in der Zeit stehen geblieben ist, und ein Ausbruch von Gefühlen, die Stine bisher vollkommen fremd waren. Sie kämpft um ihre Liebe mit den Mitteln, die sie kennt, und zahlt einen bitteren Preis. Tim Krohns Bergnovelle erzählt die atmosphärische Geschichte einer wilden jungen Frau, in einer Sprache, die so klar und rau ist wie der Berg, auf dem die Stine lebt. Einfühlsam und drastisch zugleich zeichnet er eine Bergwelt, die in der Vergangenheit zu liegen scheint und über die doch ab und zu der Hubschrauber des Hotels hinwegfegt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2011Im Schmelzwassertümpel mit Melusine
Feine Fluchten: Tim Krohn schickt eine junge Ziegenhirtin von der Alm in die Niederungen der Zivilisation
Mit Märchen kennt der Wahlschweizer Tim Krohn sich aus. Zu seinen Lieblingen zählen Berggeister, Hexli und Alpgespenster, die er in den vergangenen Jahren vor allem in seinen Geschichten über die "Quatemberkinder" und "Vrenelis Gärtli" zu neuem Leben erweckt hat. Nun hat sich der unermüdliche Geschichtenerfinder der jungen und wilden Ziegenhirtin Stine angenommen, die unter schneebedeckten Gipfeln auf einer Alm zu Hause ist und dort am liebsten immer leben würde, im Einklang mit Geißen, Fels und Wetter.
Das aber wäre langweilig, und so macht Tim Krohn aus dem Naturkind Stine eine moderne Variante jener Melusinen und Undinen, die ja eigentlich im Wasser und nicht in den Bergen zu Hause sind und seit Jahrhunderten die Menschen heimsuchen, gutmütig, sehnsüchtig und doch voller Gefahr für die plumpen Männer, die ihrer Liebeskraft nicht gewachsen sind. So ergeht es auch Stine, die wirtschaftliche Nöte von der Alm herab- und in ein Grandhotel drängen. Dort verliebt sich das rauhe Kind der Berge in den so ganz und gar durchschnittlichen Bruno, der aus Genf stammt und die Begegnung mit der ungestümen Älplerin zunächst als willkommenes Abenteuer genießt. Stine aber will mehr, hofft auf das große Lebensglück und folgt ihrem Liebhaber bis in die noble Westschweiz, wo sie allerdings auf Brunos Verlobte trifft, die er ihr bislang verschwiegen hat. Stine, halb wahnsinnig vor Enttäuschung und Eifersucht, reagiert nicht anders, als es schon ihre sagenhaften Schwestern Undine und Melusine und manche Menschenkinder danach getan haben - zum Unglück des Mannes, der kaum weiß, wie ihm geschieht.
Das alles erzählt Tim Krohn, der sich früher gern eines komplizierten Kunst-Dialekts bediente, in schlichten Sätzen. Als moderner, gar postmoderner Märchenerzähler zieht er dabei viele Register: er streift die Ökologie und den Marxismus, schließlich sind es die Folgen des Klimawandels, welche die naturverbundene Stine ins Tal treiben, wo sie ihre Arbeitskraft ans Grandhotel verkaufen muss. Dazu gesellt sich ein Schuss Erotik, denn Stine weiß, wie sie sich Lust verschaffen kann, die sie auf der Alm mit dem wortkargen Sennen Severin schon vielfach erlebt hat. Das Ganze verbindet Krohn mit einem Exkurs zum Thema Feminismus, denn seine Heldin ist selbstbewusst genug, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, und fast deutet sich die Möglichkeit einer segensreichen Frauenfreundschaft an, als Stine auf Brunos Verlobte trifft. Am Ende aber obsiegt die Logik der alten Märchen und Sagen - genauso wie die des Menschlich-Allzumenschlichen: Denn Stine lockt den untreuen Bruno ins Wasser, in die kühlen Tiefen eines Schmelzwassertümpels, wie es sich für eine alpine Melusine gehört.
In seinem knappen Nachwort lässt Tim Krohn durchklingen, dass es für die schroffe Schöne aus den Bergen womöglich ein Vorbild in seinem realen Leben gegeben habe und dass es wiederum eine Hoteldirektorin gewesen sei, welche die Erzählung bei ihm in Auftrag gegeben habe. Aber auch eine solch ausgewogene Mischung von persönlicher Betroffenheit und gewissenhafter Auftragserledigung gehört wohl zu den Mystifikationen eines Märchenerzählers, der sich nur höchst kontrolliert in seine Karten blicken lässt. Und es darüber hinaus gern in der Schwebe hält, ob hinter aller kalkulierten Ironie nicht doch archaische Kräfte am Werk sind, die sich unserer Rationalität entziehen. Die wunderbar harschen und expressiven Illustrationen von Laura Jurt verleihen Stines Geschichte besondere Anschaulichkeit. Und wer an Märchen seine Freude hat, ganz egal, ob sie an romantischen Gewässern oder modernen Almwiesen spielen, wird das schmale Buch gewiss in einem Zug durchlesen.
SABINE DOERING
Tim Krohn:
"Der Geist am Berg".
Illustriert von Laura Jurt. Verlag Galiani, Berlin 2010. 79 S., geb., 13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Feine Fluchten: Tim Krohn schickt eine junge Ziegenhirtin von der Alm in die Niederungen der Zivilisation
Mit Märchen kennt der Wahlschweizer Tim Krohn sich aus. Zu seinen Lieblingen zählen Berggeister, Hexli und Alpgespenster, die er in den vergangenen Jahren vor allem in seinen Geschichten über die "Quatemberkinder" und "Vrenelis Gärtli" zu neuem Leben erweckt hat. Nun hat sich der unermüdliche Geschichtenerfinder der jungen und wilden Ziegenhirtin Stine angenommen, die unter schneebedeckten Gipfeln auf einer Alm zu Hause ist und dort am liebsten immer leben würde, im Einklang mit Geißen, Fels und Wetter.
Das aber wäre langweilig, und so macht Tim Krohn aus dem Naturkind Stine eine moderne Variante jener Melusinen und Undinen, die ja eigentlich im Wasser und nicht in den Bergen zu Hause sind und seit Jahrhunderten die Menschen heimsuchen, gutmütig, sehnsüchtig und doch voller Gefahr für die plumpen Männer, die ihrer Liebeskraft nicht gewachsen sind. So ergeht es auch Stine, die wirtschaftliche Nöte von der Alm herab- und in ein Grandhotel drängen. Dort verliebt sich das rauhe Kind der Berge in den so ganz und gar durchschnittlichen Bruno, der aus Genf stammt und die Begegnung mit der ungestümen Älplerin zunächst als willkommenes Abenteuer genießt. Stine aber will mehr, hofft auf das große Lebensglück und folgt ihrem Liebhaber bis in die noble Westschweiz, wo sie allerdings auf Brunos Verlobte trifft, die er ihr bislang verschwiegen hat. Stine, halb wahnsinnig vor Enttäuschung und Eifersucht, reagiert nicht anders, als es schon ihre sagenhaften Schwestern Undine und Melusine und manche Menschenkinder danach getan haben - zum Unglück des Mannes, der kaum weiß, wie ihm geschieht.
Das alles erzählt Tim Krohn, der sich früher gern eines komplizierten Kunst-Dialekts bediente, in schlichten Sätzen. Als moderner, gar postmoderner Märchenerzähler zieht er dabei viele Register: er streift die Ökologie und den Marxismus, schließlich sind es die Folgen des Klimawandels, welche die naturverbundene Stine ins Tal treiben, wo sie ihre Arbeitskraft ans Grandhotel verkaufen muss. Dazu gesellt sich ein Schuss Erotik, denn Stine weiß, wie sie sich Lust verschaffen kann, die sie auf der Alm mit dem wortkargen Sennen Severin schon vielfach erlebt hat. Das Ganze verbindet Krohn mit einem Exkurs zum Thema Feminismus, denn seine Heldin ist selbstbewusst genug, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, und fast deutet sich die Möglichkeit einer segensreichen Frauenfreundschaft an, als Stine auf Brunos Verlobte trifft. Am Ende aber obsiegt die Logik der alten Märchen und Sagen - genauso wie die des Menschlich-Allzumenschlichen: Denn Stine lockt den untreuen Bruno ins Wasser, in die kühlen Tiefen eines Schmelzwassertümpels, wie es sich für eine alpine Melusine gehört.
In seinem knappen Nachwort lässt Tim Krohn durchklingen, dass es für die schroffe Schöne aus den Bergen womöglich ein Vorbild in seinem realen Leben gegeben habe und dass es wiederum eine Hoteldirektorin gewesen sei, welche die Erzählung bei ihm in Auftrag gegeben habe. Aber auch eine solch ausgewogene Mischung von persönlicher Betroffenheit und gewissenhafter Auftragserledigung gehört wohl zu den Mystifikationen eines Märchenerzählers, der sich nur höchst kontrolliert in seine Karten blicken lässt. Und es darüber hinaus gern in der Schwebe hält, ob hinter aller kalkulierten Ironie nicht doch archaische Kräfte am Werk sind, die sich unserer Rationalität entziehen. Die wunderbar harschen und expressiven Illustrationen von Laura Jurt verleihen Stines Geschichte besondere Anschaulichkeit. Und wer an Märchen seine Freude hat, ganz egal, ob sie an romantischen Gewässern oder modernen Almwiesen spielen, wird das schmale Buch gewiss in einem Zug durchlesen.
SABINE DOERING
Tim Krohn:
"Der Geist am Berg".
Illustriert von Laura Jurt. Verlag Galiani, Berlin 2010. 79 S., geb., 13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Voll des Lobes ist Sabine Doering für Tim Krohns schönes Büchlein "Geist am Berg". Ein Märchen aus unseren Tagen hat die Kritikerin gelesen, die Krohns Qualitäten als "postmoderner Märchenerzähler" bereits unter Beweis gestellt und auch hier bestätigt findet. Heldin der Geschichte ist die Alpenschönheit Stine, wie Doering mitteilt. Von ihrem Almidyll ins Tal hinabgestiegen, verliebt sie sich in einen Städter, dem sie blindlings ins mondäne Genf folgt und dort unverhofft mit dessen Verlobter konfrontiert wird. Ihre Rache, vollzogen in einem trüben Gewässer, weist Stine in den Augen der Rezensentin letztlich aber weniger als Bergfee denn als Wassernymphe aus - Undine und Melusine lassen grüßen. Zum Spiel mit dem Mythos geselle sich dann noch so manch tagesaktueller Diskurs etwa aus den Bereichen Ökologie, Marxismus oder Feminismus, staunt die Rezensentin. Und gerade jener zwischen Archaik und Postmoderne hergestellte Beziehungsreichtum ist es, der Doering ins Schwärmen kommen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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