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James Romm führt durch die turbulenten Jahre nach dem Tod Alexanders des Großen
Wie zu lesen war, soll die beliebte Fantasy-Serie "Game of Thrones" nach acht Staffeln enden. Drehbuchautoren auf der Suche nach neuem Stoff ist ein Rückgriff in die Geschichte zu raten, genauer: in die Ereignisse nach dem Tod Alexanders des Großen. Johann Gustav Droysen nannte in seinem epochemachenden Werk über den Hellenismus diese Phase das Zeitalter der Diadochen. James Romm hat jetzt dessen erste Jahre neu erzählt. Er spannt den Bogen von den letzten Lebenstagen Alexanders im Juni 323 bis zum gewaltsamen Tod der letzten Blutsverwandten des größten der makedonischen Argeaden fünfzehn Jahre später.
Es ist eine von den Bedingungen her ungemein komplizierte, zudem nur in vielen Brechungen überlieferte Geschichte, die Romm in kurzen, mit Zeit, Ort und jeweiligen Hauptakteuren überschriebenen Kapitel fassbar zu machen sucht. Alexander hatte ein riesiges, heterogenes Reich hinterlassen, dazu ein dynastisches Vakuum mit zahlreichen Optionen: Es gab einen geistig behinderten Halbbruder, Philipp mit Beinamen Arrhidaios, dann seinen eigenen ungeborenen Sohn aus der Verbindung mit einer baktrischen Prinzessin, Alexander, eine leibliche Schwester Alexanders, Kleopatra, ferner Adea, eine junge, ehrgeizige Enkelin von Alexanders Vater Philipp, sowie natürlich dessen Witwe Olympias, die Mutter des Welteroberers.
Vor allem aber hatten makedonische Tradition und die gemeinsam vollbrachte Eroberung Asiens eine Kriegerelite aus sieben adligen "Leibwächtern" und einem weiteren Kreis von Offizieren hervorgebracht, die gelernt hatten, wie militärische Führungskraft, Skrupellosigkeit und Geld eine Welt zu stürzen und eine neue zu schaffen vermochten. Vielleicht um die historische Fallhöhe zu vergrößern, schreibt der am Bard College in New York lehrende Autor demgegenüber Alexander erneut die in der Forschung längst ad acta gelegte Vision eines einzigen multiethnischen Weltstaates zu, geprägt von dezentraler Herrschaft und kultureller Verschmelzung, die jedoch keiner seiner Gefährten geteilt habe. Doch das ist der einzige Schwachpunkt des Buches.
Geschichte wird unter Romms kundigen Händen zur puren Handlung: Schlachten und Scharmützel, Großmut und Gemetzel, große Szenen von Zerwürfnis und Versöhnung, gefälschte Briefe und gebrochene Versprechen und immer wieder das Ringen um die Loyalität der zunehmend entwurzelten Soldaten. Für Mord als vorbeugende Gefahrenabwehr gab es sogar ein eigenes griechisches Wort: prophtasia. Illoyale Kämpfer werden von Elefanten zu Tode getrampelt; als bizarre Charge betritt ein gewisser Archias kurzzeitig die Bühne, seines Zeichens Kopfgeld- und Verbanntenjäger, der "Bluthund Antipaters".
Es ist unmöglich, den Gang der Dinge hier auch nur zu skizzieren. Sehr allgemein gilt: Die Idee einer gemeinsamen Herrschaft über das gesamte Reich, bis wieder eine dynastische Regierung möglich sei, wurde bald abgelöst von dem Bestreben der Akteure, größere Teile - bevorzugt ganz Europa oder Asien - zu gewinnen und dann zu sehen, was noch im Lostopf war. Den im Rückblick erfolgreichsten Weg beschritt früh Ptolemaios, indem er zielstrebig Ägypten an sich brachte - und den Leichnam Alexanders des Großen als politisches Kapital gleich dazu.
Im raschen Wechsel der Ereignisse und Schauplätze wird mit einzelnen Akteuren vertraut gemacht: Antipater und Antigonos der Einäugige, das umkämpfte und in zwei Parteien zerrissene Athen, die berühmten Silberschilde, eine Elitetruppe aus Veteranen, loyal in einer Zeit, in der Verrat Hochkonjunktur hatte, zugleich eine "unkontrollierbare Bande von Superkriegern". Schließlich Eumenes, die vielleicht interessanteste Gestalt der Diadochen der ersten Generation. Als Grieche und anfänglich Nichtmilitär doppelter Außenseiter, wurde er "aus Fortunas tiefstem Keller in die Beletage hinaufkatapultiert" und agierte im letzten Abschnitt seiner Laufbahn als einsamer und geschickter "Consigliere ohne Capo". Romm bescheinigt ihm den eigenartigsten, aussichtslosesten und unwahrscheinlichsten Griff nach der Macht, den irgendeiner von Alexanders Gefährten unternommen hatte. Ein griechischer Kommandeur, der mit einer asiatischen Reitertruppe das makedonische Königshaus gegen makedonische Rivalen verteidigte - auch das war eine der vielen Paradoxien in der neuen, vulkanischen Welt, die Alexander hinterlassen hatte. Die geniale Idee des Eumenes, in bedrängter Lage den leeren Thron des Königs und dessen Insignien in einem Zelt als Kultort zur Festigung von Loyalität und Zusammenhalt aufzustellen, gibt dem Buch seinen Titel.
Es ist dies auch die Geschichte der Achtzigjährigen, für die ein Altenteil kein Thema war, oder von Vätern und ihren scheinbar aus der Art geschlagenen Söhnen. Ohne die Flegeljahre des Hellenismus auf einen alles erklärenden Begriff bringen zu wollen, finden sich immer wieder erhellende Beobachtungen: wie sich Geld in Macht umsetzen ließ, welchen Regeln der Pokertisch der Heiratspolitik gehorchte, zu den hellenistischen Armeen als professionalisierte, internationalisierte und überdimensionierte Klone des Alexanderheeres.
Wer in den Königsgräbern der Makedonen in Vergina tatsächlich liegt, bleibt umstritten. Doch Romms These dazu erscheint als Vollendung seines Gemäldes folgerichtig: Indem Kassander, der schon die Mutter Alexanders hatte töten lassen, wen auch immer zusammen mit den Insignien des alten makedonischen Königshauses begrub, zog er einen endgültigen Strich unter diese Dynastie. Die neuen Könige mussten ganz auf eigenen Füßen stehen und untereinander ausmachen, wem die Macht gehören sollte. Und niemand anders als Alexander soll sterbend die Parole dazu ausgegeben haben: dem Stärksten.
UWE WALTER
James Romm: "Der Geist auf dem Thron". Der Tod Alexanders des Großen und der mörderische Kampf um sein Erbe.
Aus dem Amerikanischen von Karl Heinz Siber. Verlag C. H. Beck, München 2016. 352 S., Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Uwe Walter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. September 2016
"James Romm erzählt (...) alte Geschichte spannend wie einen Krimi."
Münchner Merkur, 08. September 2017