Das Buch zur Krise: Der tragikomische Roman eines Lebens ohne Geld Parsifal hätte nie gedacht, dass seine Zeit irgendwann enden würde. Er starb früh und naiv. Auch Hiob mochte von seinem Glauben nicht abfallen. Ähnlich Joachim Lottmanns Erzähler, ein leidlich erfolgreicher Bohémien aus Berlin, der seinen eigenen Abstieg höchst interessiert und mit sonnigem Gemüt verfolgt - bis ihn nur noch ein Wunder retten kann. »Ohne darüber je nachzudenken, war für mich die erste und letzte aller Wahrheiten, dass feine Menschen über Geld weder redeten noch groß nachdachten«, behauptet der Held zu Anfang. Nach einer Trennungssache lebt er mit einer zeitgemäß prolligen Bitch-Schlampe zusammen und arbeitet - wie alle in der digitalen Bohème - umsonst für irgendeine Online-Zeitung. Hochstapeln, Zeche prellen, satt essen an kalten Buffets, das sind so seine gängigen und äußerst amüsant erzählten Überlebenstechniken. Totale Verarmung, Ausgeschlossensein, ja selbst soziale Ächtung nimmt er sportlich und mit Galgenhumor. Es muss sich doch um eine Durststrecke handeln, die irgendwann wieder zu Ende geht - denkt selbst der Leser viel zu lange. Doch alle Hoffnungen erweisen sich als Luftbuchungen. Barbarischer Hunger und immer härtere Demütigungen plagen ihn, der lebenslang trainierte Optimismus bleibt ihm allmählich im Halse stecken - wie dem Leser das Lachen. Wie einst Hiob seinen Glauben, verliert der Held seine sonnige Weltsicht aus den Jahren des boomenden Turbokapitalismus. Gerade in dem Moment, da er aufgibt, crasht die Finanzwelt und läuft die Geschichte auf seltsame Weise rückwärts: Wie durch ein Wunder kehrt bei ihm das Geld zurück - und damit die Anerkennung, das Essen, sogar seine Ex-Frau. Während die Weltwirtschaftskrise alle ins Elend reißt, fährt er wie ein Geisterfahrer Richtung Glück - und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Joachim Lottmanns tragikomisches Stationendrama aus der Neuen Armut zeichnet das Psychogramm der Krise - und ist das Buch zum Rezessionsjahr!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2009Penners Bruder
Als der Pop-Schriftsteller Joachim Lottmann vor ein paar Jahren in der Versenkung verschwand, verlor die Berliner Kultur-Mitte einen ihrer infamsten Chronisten. Nur wollte dies zunächst niemandem auffallen, so beschäftigt wie alle waren. Dabei hat Lottmann mit seinem literarischen Alter Ego Johannes Lohmer nur unbezahlten Urlaub genommen. Man kann auch sagen, er war ganz unten, trank Lidl-Schnaps, schnorrte Sprit, Textilien und Psychopharmaka, vagabundierte mit seinem Unterschichten-Bettschatz durch die Nacht ohne einen Cent in der Tasche, verlassen und verschmäht von einer opportunistischen Intellektuellenclique. Jetzt ist Lottmann zurück, hat einen Schlüsselroman geschrieben und dabei wie immer gleich das ganze Schloss aufgebohrt. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein unflätig und entwickeln, wenn sie ins Fratzenhafte verrutschen, poetischen Eigensinn. Ob Matthias Matussek wirklich so langsam speist "wie ein Greis"; ob Holm Friebe sich mit ceausescuhaften Bauplänen ruiniert hat: Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, wovon diese Branchen-Revue Kunde tut, liegt die Berliner Republik in ihren letzten Zügen. Die Krise zieht ihre Jünger ("bitte innerlich mitschreiben") in den Abgrund, nur Lohmer wird infolge eines astronomischen Vorschusses nach oben gespült und erlebt einen zweiten Frühling. Und das verirrte Medienvolk? Es ist gerichtet! - Ist gerettet! Joachim Lottmann hat dem arroganten Mob vergeben und zahlt nun seine Zeche. (Joachim Lottmann: "Der Geldkomplex". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 351 S., br., 9,95 [Euro].) teut
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als der Pop-Schriftsteller Joachim Lottmann vor ein paar Jahren in der Versenkung verschwand, verlor die Berliner Kultur-Mitte einen ihrer infamsten Chronisten. Nur wollte dies zunächst niemandem auffallen, so beschäftigt wie alle waren. Dabei hat Lottmann mit seinem literarischen Alter Ego Johannes Lohmer nur unbezahlten Urlaub genommen. Man kann auch sagen, er war ganz unten, trank Lidl-Schnaps, schnorrte Sprit, Textilien und Psychopharmaka, vagabundierte mit seinem Unterschichten-Bettschatz durch die Nacht ohne einen Cent in der Tasche, verlassen und verschmäht von einer opportunistischen Intellektuellenclique. Jetzt ist Lottmann zurück, hat einen Schlüsselroman geschrieben und dabei wie immer gleich das ganze Schloss aufgebohrt. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein unflätig und entwickeln, wenn sie ins Fratzenhafte verrutschen, poetischen Eigensinn. Ob Matthias Matussek wirklich so langsam speist "wie ein Greis"; ob Holm Friebe sich mit ceausescuhaften Bauplänen ruiniert hat: Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, wovon diese Branchen-Revue Kunde tut, liegt die Berliner Republik in ihren letzten Zügen. Die Krise zieht ihre Jünger ("bitte innerlich mitschreiben") in den Abgrund, nur Lohmer wird infolge eines astronomischen Vorschusses nach oben gespült und erlebt einen zweiten Frühling. Und das verirrte Medienvolk? Es ist gerichtet! - Ist gerettet! Joachim Lottmann hat dem arroganten Mob vergeben und zahlt nun seine Zeche. (Joachim Lottmann: "Der Geldkomplex". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 351 S., br., 9,95 [Euro].) teut
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»Der Reiz der Lottmann'schen Prosa liegt in ihrer Verschmitztheit.« Falter