Was fühlt ein Tier, wie lebt es und wie nimmt es seine Umwelt wahr? Um das herauszufinden, tritt Charles Foster ein faszinierendes Experiment an. Er schlüpft in die Rolle von fünf verschiedenen Tierarten: Dachs, Otter, Fuchs, Rothirsch und Mauersegler. Er haust in einem Bau unter der Erde, schnappt mit den Zähnen nach Fischen in einem Fluss und durchstöbert Mülltonnen auf der Suche nach Nahrung. Er schärft seine Sinne, wird zum nachtaktiven Lebewesen, beschreibt wie ein Weinkenner die unterschiedlichen »Terroirs« von Würmern und wie sich der Duft der Erde in den verschiedenen Jahreszeiten verändert. In die scharfsinnige und witzige Schilderung seiner skurrilen Erfahrungen lässt er wissenswerte Fakten einfließen und stellt sie in den Kontext philosophischer Themen. Letztendlich geht es dabei auch um die eine Frage: Was es bedeutet, Mensch zu sein.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
buecher-magazin.deCharles Foster hat versucht, das Leben von Dachs, Otter, Fuchs, Rothirsch und Mauersegler nachzustellen. Er grub einen Bau in die Erde, jagte Fische mit den Zähnen und labte sich am Weggeworfenen der Menschen. Seine Erfahrungen als Tier und sein Wissen als Tierarzt und Rechtsanwalt hat er in diesem faszinierenden Buch ausgebreitet - ein Kompendium biologischen, physikalischen und chemischen Wissens. Eine Zusammenstellung von Sinneseindrücken, wie man als Tier seine Umwelt tief in der Erde, im Wasser oder in der Luft erlebt. Mit diesem Buch lernt man mehr über Naturgeschichte, Neurowissenschaften und Psychologie als in zwölf Jahren Schulunterricht. Vor allem lernt man sich als Mensch neu kennen: mit seinem tierischen Erbe, mit seinen Begrenzungen, aber auch mit all den Möglichkeiten, die anderen Tieren nicht zur Verfügung stehen. Es liest Wanja Mues: Der Schauspieler mit der angenehmen Stimme liest zurückhaltend, prägnant, präzise - und tritt hinter Fosters Erfahrungen, Gedanken und Überlegungen zurück. Und gerade dadurch zieht er uns in tierische Verhältnisse, in das Leben dieser Tiere, in die Natur.
© BÜCHERmagazin, Michael Knoll (kn)
© BÜCHERmagazin, Michael Knoll (kn)
»Ein großartiges Buch« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20170319
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2017Wie ein Fuchs im Hinterhof
Der Tierarzt und Anwalt Charles Foster wühlte wie ein Dachs im Waldboden und trieb sich wie ein Fuchs in Städten herum - herausgekommen ist ein großartiges Buch
Füchse liegen tagsüber gern draußen. Zusammengerollt zu einem rot-, manchmal auch eher graubraunen Fellknäuel, kann man sie hierzulande, zumindest wenn man in Berlin wohnt, hinter oder zwischen Mülltonnen liegend in Hinterhöfen entdecken. Oft dösen sie auch in einem Stadtpark, nicht weit von den Sitzbänken entfernt, im Unterholz. Sie rühren sich höchstens, wenn ein Hund ohne Leine über die Wege läuft.
Wer also wissen will, wie ein Fuchs lebt, was er von seiner Umwelt wahrnimmt und welche Reize ihm als Sensationen erscheinen, muss sich nicht auf Wald-, Feld- und Wiesentouren begeben. Wer wirklich etwas über Füchse erfahren möchte, sollte davon sogar Abstand nehmen und lieber in den Städten ihren Spuren folgen. Denn Füchse leben mittlerweile in vielen Teilen Mitteleuropas vorrangig dort und sind offensichtlich auch zufrieden damit.
Es ist eine Entwicklung, die während des Zweiten Weltkriegs in England begann. Damals hatten englische Jäger sich um anderes als um die Fuchsjagd zu kümmern. Die Fuchspopulation wuchs dadurch so an, dass die Tiere sich neue Lebensräume suchen mussten. Sie fanden sie in den englischen Städten und gehören heute dort wie selbstverständlich zur ständigen Fauna dazu. Für sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch "Wie ich versuchte, als Tier zu leben" zog Charles Foster deshalb auch gar keinen anderen Lebensraum als jenen der Stadt in Betracht. "Meine Füchse waren in der Innenstadt zu Hause", schreibt er. "Also legte ich mich ohne Essen und Trinken im Londoner Stadtteil Bow in einen Hinterhof, entleerte Blase und Darm dort, wo ich war, wartete auf die Nacht und verhielt mich gegenüber den menschlichen Wesen in den Reihenhäusern ringsum feindselig - was mir nicht schwerfiel."
Für das Vorhaben von Foster, der eigentlich Tierarzt und Anwalt ist und in Oxford Ethik und Rechtsmedizin unterrichtet, war jener Tag ein guter. Denn er lehrte ihn etwas über das Leben als Fuchs. Das Problem war jedoch, dass das meiste, was ihm während seiner Zeit als Fuchs durch den Kopf ging, freilich keine Fuchsgedanken waren. Er musste sich immer wieder zwingen, sich in das Tier hineinzuversetzen. Doch Foster langweilte sich mitunter. Er sehnte sich nach Zerstreuung, für die ihm fast alles willkommen gewesen wäre, wie er schreibt: ein Buch, ein Gespräch, ja sogar eine Intrige. Dass bestimmte Tiere auch Langeweile empfinden können, beispielsweise ein Hund, der auf einem Autorücksitz wartet und lieber draußen spielen oder Hasen nachjagen würde, nimmt Foster zwar an. Für einen wilden Fuchs, der freiwillig in der Stadt lebt, schließt er Langeweile jedoch aus. Er bezweifelt, dass der Stress vollkommener Ereignislosigkeit für einen Fuchs genauso enervierend sei wie für ihn, Foster, selbst.
An dieser Stelle der Lektüre tritt - nicht zum ersten Mal - neben die Bewunderung für Fosters Ausführungen auch etwas Neid. Denn so voraussetzungsvoll und selbstverständlich kann man nur in angelsächsischen Ländern über Mensch-Tier-Verhältnisse und -Vergleiche schreiben. Es existiert dort unter anderem mit dem "Nature Writing" eine Schreibtradition, für die es selbstverständlich ist, dass ein Baum, ein Wald oder ein Tier in einem Text eben auch ein realer Baum oder ein reales Tier sein kann und nicht nur eine Metapher oder ein literarisch verbogenes Phantasiebild.
Auch deshalb kann Foster J. A. Bakers "Wanderfalken", das im englischen Original 1967, in der deutschen Übersetzung erstmals 2014 erschienen ist, als gefeiertes Buch vorstellen und als bekannt voraussetzen. In Deutschland funktioniert das nicht. Zwar hat Baker hier mit dem Filmemacher Werner Herzog und dem Büchner-Preisträger Marcel Beyer zwei in Natur- und Tierdingen ausgewiesene Kenner als Bewunderer. Doch in der Regel reagieren Literaturkritiker und Literaten, wenn man ihnen Baker empfiehlt, als wolle man ihnen ein faules Ei andrehen. Foster hingegen benennt ganz selbstverständlich Bakers Naturbeobachtungen als Vorbild und präzisiert gleichzeitig in Abgrenzung zu diesem sein eigenes Projekt. Baker hatte eine Passion für Wanderfalken entwickelt, als diese Mitte der sechziger Jahre bedingt durch das Insektengift DDT nur noch taube Eier legten und vor dem Aussterben standen. Einem Wanderfalken folgte er und porträtierte dessen Verhalten in Tagebucheinträgen in einer knappen, aber äußerst klaren Prosa und so umfänglich wie möglich. Bakers Ziel war, einen bald aussterbenden Vogel für die Nachwelt im Textporträt zu erhalten. Er wusste nicht, dass DDT verboten werden würde und Wanderfalken Städte wie New York oder Berlin entdecken würden, in denen sie heute gut leben können.
Durch seine täglichen Protokolle näherte sich Baker in einem Maße dem Wanderfalken an, dass er erst im Traum und dann auch in seinen täglichen Bewegungen selbst zum Wanderfalken wurde. Er zog daraus eine Lehre von der Selbstaufgabe als Mensch im Wanderfalken-Werden und erkannte eine höhere Moral in der Natur. Derartige Folgerungen lehnt Foster für sich ab. Denn wer zum Fuchs wird, kann nicht mehr über den Versuch schreiben, als Fuchs zu leben. Für Fosters Projekt ist die Abgrenzung zwischen dem Tier-Werden und dem Versuch, wie ein Tier zu leben, entscheidend. Und auch da schöpft er aus einer biographischen und literarisch-philosophischen Tradition, die so nicht überall gegeben ist.
Foster kann die Frage nach dem Bewusstsein der von ihm porträtierten Tiere bloß streifen. Er gesteht sich ein, dass er keine Ahnung hat, wie er damit umgehen soll. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zu Erlebnisperspektiven des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel und dessen ironischer Frage: "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?", weiß Foster, dass wir nicht sagen können, ob bestimmte Tiere ein Bewusstsein haben oder nicht. Für Fosters Fragen nach dem Leben der Tiere ist das aber auch nicht erheblich. Er will sich den Tieren vor allem über ihre Physiologie und die Wahrnehmung von Landschaften annähern. Sein Programm orientiert er dabei an den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft. Für jedes wählt er ein passendes Tier aus; für das Wasser den Otter, für das Feuer den Fuchs, für die Luft den Mauersegler und für die Erde den Dachs und den Rothirsch. Für die Erforschung der beiden Letzteren bringt Foster eine zwiespältige Voraussetzung mit. Denn bevor er sich dem Leben der Tiere zuwandte, war er ein leidenschaftlicher Jäger - also ein Spezialist ihres vorzeitigen Todes. In einer biographischen Notiz dazu verschweigt er die abstumpfende Wirkung des Jägerdaseins für das Mitempfinden zu Lebewesen nicht. Doch er ist klug und eloquent genug, um auch aus diesem, eher dunklen, Kapitel seiner Biographie einen emanzipatorischen Funken zu schlagen. Die Jagd an sich sei es nicht, die abstumpft, sondern eher deren moderne Ausprägung, die einen aus kilometerweiter Entfernung mit Präzisionsgewehren auf Vegetarier wie Hirsche schießen lasse. Nicht umsonst sei die Jagd bei schriftlosen Völkern vom Spurensuchen bis zur Auswahl der zu erlegenden Tiere eine Sache der Schamanen und damit immer auch eingebunden in rituelle wie spirituelle Verfahren, von denen man nach wie vor lernen könne. Beispielsweise etwas über die Träume von Dachsen.
Nachdem Foster sich wie walisische Dachse in die Erde eingegraben hat, über den Boden gekrochen ist, Laub, Regenwürmer, Beeren und alles, was sonst noch auf Dachshöhe in der Dachswelt für Hände, Augen und Mund erreichbar ist, untersucht hat, macht er sich Gedanken über das Sozialleben der Dachse. In Wales leben sie nämlich viel geselliger als in Weißrussland. Der Grund ist die An- oder Abwesenheit von Wölfen. In Wales gibt es keine Wölfe mehr - neben dem Menschen sind sie der Hauptfeind der Dachse. Foster folgert daraus, "wenn sich durch den Wechsel des Hauptfressfeindes so etwas Grundlegendes wie das Gemeinschaftsleben ändert, wäre anzunehmen, dass sich auch die Träume verändern". Das Traumleben eines Dachses müsse die emotionalen Farben eines Waldes widerspiegeln, und ein Wald mit Wölfen sei nur rot oder schwarz. Foster weiß natürlich, dass er sich mit solchen Spekulationen bei professionellen Biologen disqualifiziert. Er kennt aber einen guten Naturforscher, der solche Überlegungen selbst anstellte, dem jedoch auch kein darwinistischer Reduktionismus an Universitäten eingebleut worden war. Der Forscher hieß Charles Darwin.
CORD RIECHELMANN
Charles Foster: "Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben". Piper, 288 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Tierarzt und Anwalt Charles Foster wühlte wie ein Dachs im Waldboden und trieb sich wie ein Fuchs in Städten herum - herausgekommen ist ein großartiges Buch
Füchse liegen tagsüber gern draußen. Zusammengerollt zu einem rot-, manchmal auch eher graubraunen Fellknäuel, kann man sie hierzulande, zumindest wenn man in Berlin wohnt, hinter oder zwischen Mülltonnen liegend in Hinterhöfen entdecken. Oft dösen sie auch in einem Stadtpark, nicht weit von den Sitzbänken entfernt, im Unterholz. Sie rühren sich höchstens, wenn ein Hund ohne Leine über die Wege läuft.
Wer also wissen will, wie ein Fuchs lebt, was er von seiner Umwelt wahrnimmt und welche Reize ihm als Sensationen erscheinen, muss sich nicht auf Wald-, Feld- und Wiesentouren begeben. Wer wirklich etwas über Füchse erfahren möchte, sollte davon sogar Abstand nehmen und lieber in den Städten ihren Spuren folgen. Denn Füchse leben mittlerweile in vielen Teilen Mitteleuropas vorrangig dort und sind offensichtlich auch zufrieden damit.
Es ist eine Entwicklung, die während des Zweiten Weltkriegs in England begann. Damals hatten englische Jäger sich um anderes als um die Fuchsjagd zu kümmern. Die Fuchspopulation wuchs dadurch so an, dass die Tiere sich neue Lebensräume suchen mussten. Sie fanden sie in den englischen Städten und gehören heute dort wie selbstverständlich zur ständigen Fauna dazu. Für sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch "Wie ich versuchte, als Tier zu leben" zog Charles Foster deshalb auch gar keinen anderen Lebensraum als jenen der Stadt in Betracht. "Meine Füchse waren in der Innenstadt zu Hause", schreibt er. "Also legte ich mich ohne Essen und Trinken im Londoner Stadtteil Bow in einen Hinterhof, entleerte Blase und Darm dort, wo ich war, wartete auf die Nacht und verhielt mich gegenüber den menschlichen Wesen in den Reihenhäusern ringsum feindselig - was mir nicht schwerfiel."
Für das Vorhaben von Foster, der eigentlich Tierarzt und Anwalt ist und in Oxford Ethik und Rechtsmedizin unterrichtet, war jener Tag ein guter. Denn er lehrte ihn etwas über das Leben als Fuchs. Das Problem war jedoch, dass das meiste, was ihm während seiner Zeit als Fuchs durch den Kopf ging, freilich keine Fuchsgedanken waren. Er musste sich immer wieder zwingen, sich in das Tier hineinzuversetzen. Doch Foster langweilte sich mitunter. Er sehnte sich nach Zerstreuung, für die ihm fast alles willkommen gewesen wäre, wie er schreibt: ein Buch, ein Gespräch, ja sogar eine Intrige. Dass bestimmte Tiere auch Langeweile empfinden können, beispielsweise ein Hund, der auf einem Autorücksitz wartet und lieber draußen spielen oder Hasen nachjagen würde, nimmt Foster zwar an. Für einen wilden Fuchs, der freiwillig in der Stadt lebt, schließt er Langeweile jedoch aus. Er bezweifelt, dass der Stress vollkommener Ereignislosigkeit für einen Fuchs genauso enervierend sei wie für ihn, Foster, selbst.
An dieser Stelle der Lektüre tritt - nicht zum ersten Mal - neben die Bewunderung für Fosters Ausführungen auch etwas Neid. Denn so voraussetzungsvoll und selbstverständlich kann man nur in angelsächsischen Ländern über Mensch-Tier-Verhältnisse und -Vergleiche schreiben. Es existiert dort unter anderem mit dem "Nature Writing" eine Schreibtradition, für die es selbstverständlich ist, dass ein Baum, ein Wald oder ein Tier in einem Text eben auch ein realer Baum oder ein reales Tier sein kann und nicht nur eine Metapher oder ein literarisch verbogenes Phantasiebild.
Auch deshalb kann Foster J. A. Bakers "Wanderfalken", das im englischen Original 1967, in der deutschen Übersetzung erstmals 2014 erschienen ist, als gefeiertes Buch vorstellen und als bekannt voraussetzen. In Deutschland funktioniert das nicht. Zwar hat Baker hier mit dem Filmemacher Werner Herzog und dem Büchner-Preisträger Marcel Beyer zwei in Natur- und Tierdingen ausgewiesene Kenner als Bewunderer. Doch in der Regel reagieren Literaturkritiker und Literaten, wenn man ihnen Baker empfiehlt, als wolle man ihnen ein faules Ei andrehen. Foster hingegen benennt ganz selbstverständlich Bakers Naturbeobachtungen als Vorbild und präzisiert gleichzeitig in Abgrenzung zu diesem sein eigenes Projekt. Baker hatte eine Passion für Wanderfalken entwickelt, als diese Mitte der sechziger Jahre bedingt durch das Insektengift DDT nur noch taube Eier legten und vor dem Aussterben standen. Einem Wanderfalken folgte er und porträtierte dessen Verhalten in Tagebucheinträgen in einer knappen, aber äußerst klaren Prosa und so umfänglich wie möglich. Bakers Ziel war, einen bald aussterbenden Vogel für die Nachwelt im Textporträt zu erhalten. Er wusste nicht, dass DDT verboten werden würde und Wanderfalken Städte wie New York oder Berlin entdecken würden, in denen sie heute gut leben können.
Durch seine täglichen Protokolle näherte sich Baker in einem Maße dem Wanderfalken an, dass er erst im Traum und dann auch in seinen täglichen Bewegungen selbst zum Wanderfalken wurde. Er zog daraus eine Lehre von der Selbstaufgabe als Mensch im Wanderfalken-Werden und erkannte eine höhere Moral in der Natur. Derartige Folgerungen lehnt Foster für sich ab. Denn wer zum Fuchs wird, kann nicht mehr über den Versuch schreiben, als Fuchs zu leben. Für Fosters Projekt ist die Abgrenzung zwischen dem Tier-Werden und dem Versuch, wie ein Tier zu leben, entscheidend. Und auch da schöpft er aus einer biographischen und literarisch-philosophischen Tradition, die so nicht überall gegeben ist.
Foster kann die Frage nach dem Bewusstsein der von ihm porträtierten Tiere bloß streifen. Er gesteht sich ein, dass er keine Ahnung hat, wie er damit umgehen soll. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zu Erlebnisperspektiven des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel und dessen ironischer Frage: "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?", weiß Foster, dass wir nicht sagen können, ob bestimmte Tiere ein Bewusstsein haben oder nicht. Für Fosters Fragen nach dem Leben der Tiere ist das aber auch nicht erheblich. Er will sich den Tieren vor allem über ihre Physiologie und die Wahrnehmung von Landschaften annähern. Sein Programm orientiert er dabei an den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft. Für jedes wählt er ein passendes Tier aus; für das Wasser den Otter, für das Feuer den Fuchs, für die Luft den Mauersegler und für die Erde den Dachs und den Rothirsch. Für die Erforschung der beiden Letzteren bringt Foster eine zwiespältige Voraussetzung mit. Denn bevor er sich dem Leben der Tiere zuwandte, war er ein leidenschaftlicher Jäger - also ein Spezialist ihres vorzeitigen Todes. In einer biographischen Notiz dazu verschweigt er die abstumpfende Wirkung des Jägerdaseins für das Mitempfinden zu Lebewesen nicht. Doch er ist klug und eloquent genug, um auch aus diesem, eher dunklen, Kapitel seiner Biographie einen emanzipatorischen Funken zu schlagen. Die Jagd an sich sei es nicht, die abstumpft, sondern eher deren moderne Ausprägung, die einen aus kilometerweiter Entfernung mit Präzisionsgewehren auf Vegetarier wie Hirsche schießen lasse. Nicht umsonst sei die Jagd bei schriftlosen Völkern vom Spurensuchen bis zur Auswahl der zu erlegenden Tiere eine Sache der Schamanen und damit immer auch eingebunden in rituelle wie spirituelle Verfahren, von denen man nach wie vor lernen könne. Beispielsweise etwas über die Träume von Dachsen.
Nachdem Foster sich wie walisische Dachse in die Erde eingegraben hat, über den Boden gekrochen ist, Laub, Regenwürmer, Beeren und alles, was sonst noch auf Dachshöhe in der Dachswelt für Hände, Augen und Mund erreichbar ist, untersucht hat, macht er sich Gedanken über das Sozialleben der Dachse. In Wales leben sie nämlich viel geselliger als in Weißrussland. Der Grund ist die An- oder Abwesenheit von Wölfen. In Wales gibt es keine Wölfe mehr - neben dem Menschen sind sie der Hauptfeind der Dachse. Foster folgert daraus, "wenn sich durch den Wechsel des Hauptfressfeindes so etwas Grundlegendes wie das Gemeinschaftsleben ändert, wäre anzunehmen, dass sich auch die Träume verändern". Das Traumleben eines Dachses müsse die emotionalen Farben eines Waldes widerspiegeln, und ein Wald mit Wölfen sei nur rot oder schwarz. Foster weiß natürlich, dass er sich mit solchen Spekulationen bei professionellen Biologen disqualifiziert. Er kennt aber einen guten Naturforscher, der solche Überlegungen selbst anstellte, dem jedoch auch kein darwinistischer Reduktionismus an Universitäten eingebleut worden war. Der Forscher hieß Charles Darwin.
CORD RIECHELMANN
Charles Foster: "Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben". Piper, 288 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Aufregend, genial, verrückt. Ein ungewöhnliches Meisterwerk.« Financial Times