Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Die Nationalstaaten werden es nicht richten: Jeremy Rifkin hat einen Plan, wie die glokale, digital vernetzte, grüne Welt gelingt. Ein Land lobt er besonders.
In der Klimapolitik prallen einmal mehr Welten aufeinander: Auf der einen Seite steht die Forschung, die ermittelt, wie weit die Temperaturen steigen dürfen, bis es für die Menschheit gefährlich wird. Sie definiert Budgets für den Ausstoß von Kohlendioxid, die nur um den Preis überschritten werden können, dass sich die Lebensbedingungen auf der Erde für lange Zeiträume massiv verschlechtern. Auf der anderen Seite steht die Politik mit ihrer Vorliebe für den Interessenausgleich. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Logik auf den Punkt gebracht, als sie das von Experten als nutzlos eingestufte "Klimapaket" ihrer Regierung rechtfertigte: "Politik ist das, was möglich ist."
Doch beim Klimawandel geht es im Kern nicht darum, welche Gegenmaßnahmen politisch möglich sind, sondern um das, was passieren und für Jahrhunderte nicht mehr zu ändern sein wird. Mit Merkels Satz kann man deshalb vielleicht "ungeduldige Teenager" zu beruhigen versuchen, wie die Anhänger von "Fridays for Future" gerne tituliert werden, aber nicht CO2-Moleküle, die in der Atmosphäre Wärme einsammeln, die sonst ins Weltall entwichen wäre.
Jeremy Rifkin ist ein Mann, der seit Jahrzehnten versucht, zwischen den beiden Welten zu vermitteln. Inzwischen vierundsiebzig Jahre alt, tut er das nicht mit dem jugendlichen Elan von "Fridays for Future", sondern als routinierter Redner auf Konferenzen, Chef der Foundation on Economic Trends in Washington und Berater von Regierungen. Rifkin verbindet einen sehr amerikanischen, nämlich unerschütterlichen Optimismus samt Liebe zur jeweils neuesten Zukunftstechnologie mit einer sehr europäischen Hingabe zu Themen von Umwelt- und Naturschutz, Energiewende und Demokratisierung.
In seinem neuen Buch "Der globale Green New Deal" schließt Rifkin nahtlos an die Themen seiner früheren Bücher an: Damit die Menschheit und mit ihr die freie Marktwirtschaft nicht in eine existentielle soziale und ökologische Krise stürzt, brauche es grundlegende Veränderungen, und zwar jetzt. Der nötige Transformationsprozess wird in Europa schon länger und in den Vereinigten Staaten spätestens seit dem Einzug der neuen, linksorientierten Demokraten um Alexandria Ocasio-Cortez in das Repräsentantenhaus als "Green New Deal" bezeichnet. Das bezieht sich auf den "New Deal", bei dem zwischen 1933 und 1938 der damalige amerikanische Präsident Franklin Roosevelt durch aktives staatliches Handeln einschneidende Wirtschafts- und Sozialreformen durchsetzte.
Der "Green New Deal", den Rifkin in seinem Buch beschreibt, hat zum Ziel, dass innerhalb der nächsten Jahre hundert Prozent des Stroms aus sauberen regenerativen Ressourcen stammen, das nationale Stromnetz, die Bausubstanz und die Verkehrsinfrastruktur einem ökologischen Upgrade unterzogen werden und umweltfreundliche Technologien neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze in einer ergrünten Wirtschaft schaffen.
Neu sind diese Ziele nicht - unter dem Namen "Green Economy" gab es vor etwa einem Jahrzehnt schon einmal eine Welle, bei der sich Großkonzerne wie Siemens und General Electrics zu diesen Zielen bekannten. Doch darum ist es stiller geworden, die Beharrungskräfte haben zugenommen. Rifkin hält dem entgegen, dass die alte fossile Wirtschaftsweise auch ohne Klimapolitik bereits zum Untergang verurteilt ist, denn die Kosten für die Erzeugung von Wind- und Solarstrom sind rapide gesunken, Ökostrom wird billiger als Fossilstrom: "Die Vereinigten Staaten, gegenwärtig der größte Ölproduzent der Welt, geraten damit unweigerlich zwischen die Mühlen sinkender Preise für nachhaltige Energien, Peak Oil sowie der negativen Auswirkungen aus der Häufung gestrandeter Anlagewerte in der Ölindustrie", schreibt Rifkin. Er rechnet mit dem Zusammenbruch der Fossilwirtschaft spätestens 2028.
Eigentlich geht es in dem Buch aber um Aufbau, nicht Kollaps, nämlich um neue, dezentrale Systeme für Stromtransport und -speicherung, um schnelle Datennetze, die ökologisch optimierte Städte miteinander verbinden, um vernetzte Verkehrsmittel, die Mobilität ohne die Verschwendungen des fossilen Individualverkehrs neu organisieren.
Zu den Überraschungen zählt, dass Rifkin nicht so sehr die Nationalstaaten als treibende Kräfte identifiziert, sondern eher Kommunen. Dass sich im "Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie" weltweit über neuntausend Städte und Kommunalregierungen zum Aufbau nachhaltiger Kommunen und zum Kampf gegen den Klimawandel zusammengefunden haben, zählt für ihn zu den größten Hoffnungszeichen. Durchweg interessant ist es, wenn Rifkin von Modellprojekten erzählt, an denen er selbst in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France, in der Region Rotterdam und in Luxemburg beteiligt war: Dort begleiten Bürgerräte die Transformationsprozesse und arbeiten mit den gewählten Kommunalparlamenten zusammen. Diese Räte erproben neue Formen kommunaler Demokratie und Wirtschaft, Rifkin schwärmt von einem "Umstieg von der Globalisierung auf die Glokalisierung".
Zweite überraschende Kraft der Erneuerung ist für Rifkin ein durch und durch kapitalistischer Akteur: Pensionsfonds, die 2017 mit 41,3 Billionen Dollar der größte Investmentpool der Welt gewesen seien. Dass sie ihr Geld zunehmend aus der Fossilwirtschaft abziehen und in umweltfreundliche Unternehmen investieren, zählt Rifkin zu den wichtigsten Faktoren für den nahenden Kollaps der alten Strukturen.
Lesern, die sich schon länger mit Umweltpolitik befassen, werden in dem Buch zwar wenig Neues finden. Zu oft wiederholt Rifkin in ihm längst bekannte Konzepte. Bei wem allerdings das Interesse am Thema neu erwacht ist, der kann sich hier schnell einen Überblick über die Baustellen verschaffen - und auch lernen, wie lange schon versucht wird, die Wirtschaft grundlegend zu ändern. Bei der Lektüre muss man tapfer gegen einen Strom von Schlagwörtern aus dem Vokabular eines Innovationsberaters ankämpfen. Es lohnt sich aber, dafür zu erfahren, dass die Jugendlichen von "Fridays for Future" mitnichten die Einzigen sind, die für grundlegende Veränderungen eintreten, sondern wichtige, aber weniger sichtbare Verbündete rund um den Globus haben. Rifkin spart nicht an Warnungen, aber letztlich präsentiert er sich als Optimist: "Die Menschheit bewegt sich in Richtung einer glokalen, digital vernetzten grünen Welt."
Allerdings könnte der Kontrast zwischen den Erwartungen, die Rifkin dabei vor allem auf Deutschland und die Europäische Union projiziert, und der aktuellen politischen Lage nicht größer sein. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Klimawandel zu einer ihrer Top-Prioritäten gemacht und muss erst noch beweisen, wie ernst sie es damit meint. Rifkins Buch handelt aber insbesondere von einem Deutschland, das sich an die Spitze der weltweiten Bewegung für nachhaltiges Wirtschaften setzt. Diese Rolle haben zumindest Angela Merkel und ihre große Koalition mit dem "Klimapaket" vorerst aufgegeben. Rifkinds überschwängliches Lob auf Deutschland liest sich da nun eher wie ein Appell.
CHRISTIAN SCHWÄGERL.
Jeremy Rifkin: "Der globale Green New Deal". Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert - und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann.
A. d. Engl. von Bernhard Schmid. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2019. 395 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main