Vivant Denon, Direktor des Louvre in seiner allerersten Glanzzeit, war eine der schillerndsten Figuren Europas im Zeitalter der Französischen Revolution. Für seine große Liebe, die Kunst, tat er alles und war sich für nichts zu schade. Der Schriftsteller und Übersetzer Reinhard Kaiser erzählt hier zum ersten Mal Denons staunenswerte Lebensgeschichte – so lebendig und glänzend geschrieben, dass die Lektüre zu einer großen Verführung wird. "Ich bin in alledem nur der Mann, der zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort war", hat Denon bescheiden von sich gesagt und damit sein größtes Talent benannt, die Gunst der Stunde zu erkennen und Gelegenheiten, die sich ihm boten, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Denon verehrte die Kunst auf vielerlei Weise - aber nicht wie etwas Göttliches, etwas prinzipiell Unerreichbares, sondern so wie ein Mann eine Frau verehrt, die er zu besitzen begehrt. Seine Lebensgeschichte ist eine Geschichte der Kunst und der Epoche, in der er lebte, sie führt durch halb Europa und nach Ägypten, auf die Schlachtfelder der Napoleonischen Kriege und in die großen Kunstsammlungen der Zeit, nach Berlin, Kassel, Braunschweig, München, Wien und Schwerin, sowie immer wieder nach Venedig und Paris. Sie ist auch die Geschichte einer großen, in wundervollen Briefen dokumentierten Liebe, die die Wirren der Revolutionsepoche überdauerte. "Ich habe nicht studiert. Ich habe viel gesehen", meinte Denon. Reinhard Kaisers Buch ist eine Einladung, die Welt und das Leben mit den Augen dieses glücklichen Kunsträubers zu betrachten.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
In Frankreich müssen Schulkinder sich den Namen Vivant Denon Jahr um Jahr reinpauken, hierzulande war der Kunstsachverständige Napoleons außerhalb der Fachkreise lange Zeit unbekannt, weiß Rezensent Christian Demand. Reinhard Kaisers Denon-Biografie "Der glückliche Kunsträuber" soll endlich Abhilfe schaffen, so der Rezensent. Während die Jahre im Dienste Napoleons bestens dokumentiert sind, fehle es allerdings für Denons Jugend und beruflichen Werdegang an Quellen. Kaiser versucht sich dem jungen Italienreisenden deshalb über seine romantische Korrespondenz zu nähern, was immerhin eingeschränkte Skizzen erlaubt, erklärt der Rezensent. Die wirklich spannenden Jahre, in denen Denon Napoleon auf Feldzügen begleitete und nach Leibeskräften Kunstschätze konfiszierte, um die heimatlichen Museen zu bestücken, sind von Kaiser aber wunderbar detailliert beschrieben, lobt Demand.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016Mit Raubkunst kann man ein Spitzenmuseum füllen
Napoleons Kunstmanager: Reinhard Kaiser begleitet die turbulente Lebensgeschichte des Vivant Denon
Es gibt einen europäischen Hochadel der Kunstwerke: Leonardos "Mona Lisa" gehört dazu, der "Apollo von Belvedere", die Sixtinische Madonna und all die anderen Hauptattraktionen des Louvre, der Uffizien, der Berliner Museumsinsel und des "Metropolitan Museum". Vielleicht hundert bis zweihundert Werke (mehr sind es durchaus nicht) erregen das Interesse der zeitgenössischen internationalen Touristenströme. Jahrhundertelang aber - so lang wie das alte, feudale Europa existierte - bekamen nur wenige Privilegierte diese Skulpturen und Gemälde zu sehen.
Sie hingen und standen Auge in Auge mit ihren hochwohlgeborenen Besitzern in deren Schlössern, Landhäusern, Stadtpalästen und Kirchen. Napoleon Bonaparte, der während seiner kurzen Herrschaft über Kontinentaleuropa die politischen Verhältnisse des späten Absolutismus fast ganz nach Belieben durcheinanderwirbelte, verfuhr auch mit deren Kunstbesitz nicht anders. Seine Feldzüge gingen mit kulturellen Eroberungen einher. Schon die ägyptische Expedition war von Wissenschaftlern, Zeichnern, Lithographen begleitet. Die ägyptischen Altertümer wurden in einem bibliophilen Prachtband der europäischen Öffentlichkeit vorgestellt und begründeten nicht nur die wissenschaftliche Ägyptologie, sondern auch eine europäische Mode der Inneneinrichtung, der Architektur, der Malerei.
Besonders aber ließ es sich der kaiserliche Erbe der Französischen Revolution angelegen sein, die bisher als fürstlicher Privatbesitz unzugänglichen Werke zu nationalisieren und allen seinen Untertanen zur Verfügung zu stellen. Schon der Nationalkonvent hatte das königliche Stadtschloss, den Louvre, zu einem Museum umgewandelt, das zu bestimmten Tagen öffentlich unentgeltlich zugänglich war und von den revolutionären Massen eifrig besucht wurde. Hier wurde der enteignete adelige Kunstbesitz zunächst der französischen Schlösser und Klöster, im Lauf der Koalitionskriege dann aber auch der europäischen Eroberungen Napoleons zusammengezogen, ausgestellt, magaziniert und erforscht. Die französische Kunstwissenschaft ist als Kollateralschaden der napoleonischen Kriegskunst entstanden.
Reinhard Kaiser, ein Spezialist für die geheimen Zentren des kulturellen Weltgeschehens, hat dem Altertumsmanager und Kunstberater Napoleons, jetzt eine zugleich wissenschaftlich gediegene, kulturgeschichtlich aufschlussreiche und unterhaltsame Biographie gewidmet: Baron Dominique Vivant Denon hat in seinem Leben so viel getan und bewirkt, dass man den Überblick verlieren kann. Die Turbulenz seiner Lebenszeit spiegelt sich in der Vielseitigkeit seiner Persönlichkeit.
Er arbeitete für Louis XVI. und Madame Pompadour, reiste mit Napoleon nach Ägypten und brachte auf eigene Kosten den erwähnten Dokumentationsband heraus, wurde der erste Direktor des Louvre und seiner regionalen Zweigmuseen, war ein begabter Zeichner und Kupferstecher, brillierte als Diplomat, Kunstkenner, Schriftsteller, Sammler, amtierte als Napoleons Requirierungskommissar in Europa und war sozusagen der erste französische Kulturminister.
Hauptquelle für sein Leben sind die zahllosen Briefe, die er zeitlebens an seinen "Lebensmenschen" Isabella Albrizzi-Teotochi zu richten pflegte, eine venezianische Salonnière, mit der er nie verheiratet war oder zusammenlebte, aber deren Porträt (von der Hand Élisabeth Vigée-Lebruns) so etwas wie das Zentrum seines Denkens und Fühlens gewesen zu sein scheint. Sein bald wieder untergegangenes Lebenswerk bestand darin, ein paar Jahre lang das bedeutendste Museum zu schaffen, das es je gegeben hat: den napoleonischen Louvre, der sich überall in Europa mit genau den Kunstwerken bereichern konnte, die für eine vollständige Erzählung der Kunstgeschichte auf höchster Qualitätsebene nötig waren.
Mindestens die Hälfte der napoleonischen Raubkunst - zu der auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor gehörte - blieb allerdings nach Bonapartes Sturz in Frankreich, bis heute. Dass Denon Lady Hamilton gut kannte, dass der Kontakt zu Napoleon über Joséphine Beauharnais zustande kam, dass er mit Goethe wie Stendhal befreundet und einer der berühmtesten ladies' men seiner Zeit war (der einen erotischen Roman schrieb), passt so sehr ins Bild, dass es das Klischee streift. Wenn es Vivant Denon nicht wirklich gegeben hätte, könnte man ihn für eine Erfindung Wolfgang Hildesheimers halten.
Der Ruhm von Kunstmanagern ist sehr vergänglich: In Deutschland ist er so gut wie unbekannt, in Frankreich allenfalls eine undeutliche Bildungserinnerung, nach der ein Pavillon des Louvre heißt. Mindestens drei Momente aus Denons Lebenswerk sind ins kollektive Unterbewusstsein europäischer Bildungsschichten eingegangen. Das erste ist die Entdeckung der "italienischen Primitiven", wie die Maler vor Raffael und Leonardo zur Zeit des Klassizismus hießen. Damals ist ein Gemälde von Cimabue in einem Requirierungskatalog mit einem Wert von sieben Franc verzeichnet gewesen.
Das zweite ist Denons frühe Wertschätzung außereuropäischer Kunst, die mit Goethes Idee der Weltliteratur zu korrespondieren scheint. Die fortdauerndste Fernwirkung von Denons Lebensarbeit jedoch scheint die Entstehung jenes Adelskalenders unübertrefflicher Spitzenwerke zu sein, die jeder Gebildete kennen muss. Paradoxerweise ist auch diese ewige Hitparade visueller Bildung ein Ergebnis des napoleonischen Kunstraubs. "If you want to steal, steal from the best" - wer Kunst klaut, will sicher sein, dass es sich auch gelohnt hat. Die bis heute gültigen Rangordnungen des Kunstadels sind in ebender Zeit ausgearbeitet worden, als die ständischen Rangunterschiede zwischen den Menschen abgeschafft werden sollten.
STEPHAN WACKWITZ
Reinhard Kaiser: "Der
glückliche Kunsträuber". Das Leben des Vivant Denon.
C.H. Beck Verlag, München 2016. 399 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Napoleons Kunstmanager: Reinhard Kaiser begleitet die turbulente Lebensgeschichte des Vivant Denon
Es gibt einen europäischen Hochadel der Kunstwerke: Leonardos "Mona Lisa" gehört dazu, der "Apollo von Belvedere", die Sixtinische Madonna und all die anderen Hauptattraktionen des Louvre, der Uffizien, der Berliner Museumsinsel und des "Metropolitan Museum". Vielleicht hundert bis zweihundert Werke (mehr sind es durchaus nicht) erregen das Interesse der zeitgenössischen internationalen Touristenströme. Jahrhundertelang aber - so lang wie das alte, feudale Europa existierte - bekamen nur wenige Privilegierte diese Skulpturen und Gemälde zu sehen.
Sie hingen und standen Auge in Auge mit ihren hochwohlgeborenen Besitzern in deren Schlössern, Landhäusern, Stadtpalästen und Kirchen. Napoleon Bonaparte, der während seiner kurzen Herrschaft über Kontinentaleuropa die politischen Verhältnisse des späten Absolutismus fast ganz nach Belieben durcheinanderwirbelte, verfuhr auch mit deren Kunstbesitz nicht anders. Seine Feldzüge gingen mit kulturellen Eroberungen einher. Schon die ägyptische Expedition war von Wissenschaftlern, Zeichnern, Lithographen begleitet. Die ägyptischen Altertümer wurden in einem bibliophilen Prachtband der europäischen Öffentlichkeit vorgestellt und begründeten nicht nur die wissenschaftliche Ägyptologie, sondern auch eine europäische Mode der Inneneinrichtung, der Architektur, der Malerei.
Besonders aber ließ es sich der kaiserliche Erbe der Französischen Revolution angelegen sein, die bisher als fürstlicher Privatbesitz unzugänglichen Werke zu nationalisieren und allen seinen Untertanen zur Verfügung zu stellen. Schon der Nationalkonvent hatte das königliche Stadtschloss, den Louvre, zu einem Museum umgewandelt, das zu bestimmten Tagen öffentlich unentgeltlich zugänglich war und von den revolutionären Massen eifrig besucht wurde. Hier wurde der enteignete adelige Kunstbesitz zunächst der französischen Schlösser und Klöster, im Lauf der Koalitionskriege dann aber auch der europäischen Eroberungen Napoleons zusammengezogen, ausgestellt, magaziniert und erforscht. Die französische Kunstwissenschaft ist als Kollateralschaden der napoleonischen Kriegskunst entstanden.
Reinhard Kaiser, ein Spezialist für die geheimen Zentren des kulturellen Weltgeschehens, hat dem Altertumsmanager und Kunstberater Napoleons, jetzt eine zugleich wissenschaftlich gediegene, kulturgeschichtlich aufschlussreiche und unterhaltsame Biographie gewidmet: Baron Dominique Vivant Denon hat in seinem Leben so viel getan und bewirkt, dass man den Überblick verlieren kann. Die Turbulenz seiner Lebenszeit spiegelt sich in der Vielseitigkeit seiner Persönlichkeit.
Er arbeitete für Louis XVI. und Madame Pompadour, reiste mit Napoleon nach Ägypten und brachte auf eigene Kosten den erwähnten Dokumentationsband heraus, wurde der erste Direktor des Louvre und seiner regionalen Zweigmuseen, war ein begabter Zeichner und Kupferstecher, brillierte als Diplomat, Kunstkenner, Schriftsteller, Sammler, amtierte als Napoleons Requirierungskommissar in Europa und war sozusagen der erste französische Kulturminister.
Hauptquelle für sein Leben sind die zahllosen Briefe, die er zeitlebens an seinen "Lebensmenschen" Isabella Albrizzi-Teotochi zu richten pflegte, eine venezianische Salonnière, mit der er nie verheiratet war oder zusammenlebte, aber deren Porträt (von der Hand Élisabeth Vigée-Lebruns) so etwas wie das Zentrum seines Denkens und Fühlens gewesen zu sein scheint. Sein bald wieder untergegangenes Lebenswerk bestand darin, ein paar Jahre lang das bedeutendste Museum zu schaffen, das es je gegeben hat: den napoleonischen Louvre, der sich überall in Europa mit genau den Kunstwerken bereichern konnte, die für eine vollständige Erzählung der Kunstgeschichte auf höchster Qualitätsebene nötig waren.
Mindestens die Hälfte der napoleonischen Raubkunst - zu der auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor gehörte - blieb allerdings nach Bonapartes Sturz in Frankreich, bis heute. Dass Denon Lady Hamilton gut kannte, dass der Kontakt zu Napoleon über Joséphine Beauharnais zustande kam, dass er mit Goethe wie Stendhal befreundet und einer der berühmtesten ladies' men seiner Zeit war (der einen erotischen Roman schrieb), passt so sehr ins Bild, dass es das Klischee streift. Wenn es Vivant Denon nicht wirklich gegeben hätte, könnte man ihn für eine Erfindung Wolfgang Hildesheimers halten.
Der Ruhm von Kunstmanagern ist sehr vergänglich: In Deutschland ist er so gut wie unbekannt, in Frankreich allenfalls eine undeutliche Bildungserinnerung, nach der ein Pavillon des Louvre heißt. Mindestens drei Momente aus Denons Lebenswerk sind ins kollektive Unterbewusstsein europäischer Bildungsschichten eingegangen. Das erste ist die Entdeckung der "italienischen Primitiven", wie die Maler vor Raffael und Leonardo zur Zeit des Klassizismus hießen. Damals ist ein Gemälde von Cimabue in einem Requirierungskatalog mit einem Wert von sieben Franc verzeichnet gewesen.
Das zweite ist Denons frühe Wertschätzung außereuropäischer Kunst, die mit Goethes Idee der Weltliteratur zu korrespondieren scheint. Die fortdauerndste Fernwirkung von Denons Lebensarbeit jedoch scheint die Entstehung jenes Adelskalenders unübertrefflicher Spitzenwerke zu sein, die jeder Gebildete kennen muss. Paradoxerweise ist auch diese ewige Hitparade visueller Bildung ein Ergebnis des napoleonischen Kunstraubs. "If you want to steal, steal from the best" - wer Kunst klaut, will sicher sein, dass es sich auch gelohnt hat. Die bis heute gültigen Rangordnungen des Kunstadels sind in ebender Zeit ausgearbeitet worden, als die ständischen Rangunterschiede zwischen den Menschen abgeschafft werden sollten.
STEPHAN WACKWITZ
Reinhard Kaiser: "Der
glückliche Kunsträuber". Das Leben des Vivant Denon.
C.H. Beck Verlag, München 2016. 399 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein Genuss und absolut empfehlenswert"
Kunstbulletin, September 2016
"Wer sich in dieses Buch versenkt, wird, zumindest für die Dauer der Lektüre, gleichfalls glücklich sein"
Tilman Krause, Literarische Welt, 25. Juni 2016
Kunstbulletin, September 2016
"Wer sich in dieses Buch versenkt, wird, zumindest für die Dauer der Lektüre, gleichfalls glücklich sein"
Tilman Krause, Literarische Welt, 25. Juni 2016