Hat die Menschlichkeit noch eine Chance, wenn die Menschheit am Abgrund steht?
Eine junge Frau kämpft um ihr eigenes Leben und das ihres ungeborenen Kindes – in einer Welt, in der selbst auf die Naturgesetze kein Verlass mehr ist und die Angst vor der Katastrophe das Handeln der Menschen bestimmt.
Pulitzer Preisträgerin Louise Erdrich entwirft die furchteinflößende Vision einer düsteren Zukunft und zugleich eine bewegende, gegenwärtige Meditation über weibliche Autonomie und die Grundrechte des Menschen.
»Louise Erdrich konstruiert eine rasante und spannungsreiche Story. Es wird deutlich, dass die vielfach ausgezeichnete Autorin ihr Handwerk beherrscht.« Deutschlandfunk
»Louise Erdrich gehört zu den besten amerikanischen Autorinnen ihrer Zeit.« Philip Roth
Eine junge Frau kämpft um ihr eigenes Leben und das ihres ungeborenen Kindes – in einer Welt, in der selbst auf die Naturgesetze kein Verlass mehr ist und die Angst vor der Katastrophe das Handeln der Menschen bestimmt.
Pulitzer Preisträgerin Louise Erdrich entwirft die furchteinflößende Vision einer düsteren Zukunft und zugleich eine bewegende, gegenwärtige Meditation über weibliche Autonomie und die Grundrechte des Menschen.
»Louise Erdrich konstruiert eine rasante und spannungsreiche Story. Es wird deutlich, dass die vielfach ausgezeichnete Autorin ihr Handwerk beherrscht.« Deutschlandfunk
»Louise Erdrich gehört zu den besten amerikanischen Autorinnen ihrer Zeit.« Philip Roth
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Briefe an ein ungeborenes Kind
Eine Mischung aus Orwell, Huxley und "Jurassic Park": Louise Erdrich hat es in einem Endzeitroman auf Mütter abgesehen
Knapp 35 Jahre ist es her, dass die kanadische Autorin Margaret Atwood "The Handmaid's Tale" herausbrachte, den düsteren, eiskalt übermittelten Bericht aus einer albtraumhaften Zukunftswelt, in der weibliche Fruchtbarkeit und Sexualität einem selbstherrlichen Männerregime unterstellt sind und theokratisch-technokratisch kontrolliert werden. Diesem Roman gelang, was nur die besten Dystopien schaffen: im Zukunftsentwurf unsere Gegenwartsgesellschaft zu entschlüsseln und eine Momentaufnahme zu erstellen, die jedes Mal, wenn man sie wieder sieht - Atwoods Geschichte ist vielfach bearbeitet und verfilmt worden -, nur noch präziser und bezwingender erscheint. Was Mutterschaft bedeutet, wer eine Mutter ist, was daran körperlich und was sozial begründet sein mag, wie sich Familienbindungen und -muster wandeln, wenn Reproduktionsmedizin eingreift, und wie sich dabei der gesellschaftliche Zugriff auf die Frauenkörper, insbesondere schwangere, fortzeugt - das sind unbequeme Grundsatzfragen, denen wir uns dringend stellen müssen. Nun unternimmt es Louise Erdrich in ihrem sechzehnten Roman, solchen Fragen nachzugehen.
Cedar ist Mitte zwanzig und im vierten Monat schwanger. Sie lebt in Minneapolis als Tochter eines progressiven Ehepaars, "marktgesellschaftliche Trust-Fund-Liberale", die sie für ihre Adoptiveltern hält, da sie selbst, wie sie längst weiß, einer Ojibwe-Familie entstammt. In Erwartung ihres eigenen Kindes drängt es sie jetzt erstmals, ihre biologischen Eltern aufzusuchen. So fährt in ein Reservat, wo sie ihre Mutter, deren Ehemann, die Großmutter und eine Halbschwester trifft und zugleich ihr eigenes Herkunftsmilieu kennenzulernen beginnt. Doch diese prekäre Erkundung zwischen amerikanischem Mainstream und einer verdrängten indigenen Welt - ein Hauptinteresse der Autorin, die dazu starke und subtile Romane wie "Solange du lebst" (2009) vorgelegt hat -, wird hier von einem anderen Erzählinteresse überlagert: dem Entwurf einer apokalyptischen Endzeit, in der "die Weltgeschichte gerade rückwärts" läuft, und zwar im evolutionsbiologischen Sinn.
Die Tier- und Pflanzenwelt, so heißt es, sei von genetischer Regression befallen, und auch die Menschen können nicht mehr auf herkömmlichen Fortpflanzungserfolg hoffen, denn "auf molekularer Ebene fänden Zeitsprünge vor- und rückwärts statt, und Mehrzeller wechselten seit Monaten zwischen verschiedenen Anpassungsstufen". Offenbar als Reaktion darauf ist in Amerika ein christlich-fundamentalistisches totalitäres Regime errichtet worden, das nicht nur alle Medienkanäle kontrolliert, sondern es gezielt auf gebärfähige Frauen und Schwangere abgesehen hat, um ungeborenes Leben in staatliche "Obhut" zu nehmen. Was mit den Neugeborenen passieren soll, bleibt offen. Klar ist nur, dass werdende Mütter einer regelrechten Jagd ausgesetzt sind, mit Kopfprämie gesucht, abtransportiert und kaserniert werden. So ergeht es bald auch Cedar. Durch Denunziation wird sie gefangen gesetzt; da ist sie im sechsten Monat.
Der Großteil des Romans gilt ihrem waghalsigen Fluchtversuch, den sie mit Hilfe klandestiner Unterstützer unternimmt, um dem Überwachungsapparat, dem eine nebulöse Figur namens "Mutter" vorzustehen scheint, irgendwie zu entkommen. Übermittelt wird uns die Geschichte in Form von tagebuchartigen Briefen, die Cedar an ihr ungeborenes Kind richtet - ein Hoffnungszeichen, so verzweifelt wie eine Flaschenpost.
Leider muss man sagen, dass auch eine kluge und erfahrene Erzählerin wie Erdrich mit diesem Projekt Schiffbruch erleidet. Die Vorsätze mögen noch so gut, die Vorbilder präsent, die Fragen drängend und die Anliegen ehrenwert sein: die erzählerische Umsetzung wirkt unentschieden, unplausibel und konfus. Ein Hauptproblem liegt darin, dass die Endzeitwelt und ihr Bedrohungspotential gar nicht anschaulich werden, genau davon aber leben Zukunftromane. Der Mix aus Orwell, Huxley und "Jurassic Park", versetzt mit reichlich Atwood, wirkt steril und fad. Dazu sind die Figuren schemenhaft, die Handlungsbögen kurzatmig, die ständigen Bildungszitate prätentiös, viele Erzähleffekte grell und drastisch, während manche Szenen in hemmungslosem Kitsch versinken: "Etwas setzt sich auf den Rand meiner Matratze, etwas Schwereloses, Konturloses, Beschützendes. Es ist ein gütiger Schatten. Vielleicht ein Engel. Magnetisch, zärtlich. Seine Liebe breitet sich über mich wie ein schwebendes Tuch, und wir schlafen miteinander ein."
Mit einem solchen Tuch möchte man auch dieses Buch diskret bedecken. Kommenden September nämlich, so hat Margaret Atwood angekündigt, wird ihre eigene Fortschreibung der "Handmaid's Tale" erscheinen.
TOBIAS DÖRING
Louise Erdrich:
"Der Gott am Ende der
Straße". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder.
Aufbau Verlag, Berlin 2019. 360 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Mischung aus Orwell, Huxley und "Jurassic Park": Louise Erdrich hat es in einem Endzeitroman auf Mütter abgesehen
Knapp 35 Jahre ist es her, dass die kanadische Autorin Margaret Atwood "The Handmaid's Tale" herausbrachte, den düsteren, eiskalt übermittelten Bericht aus einer albtraumhaften Zukunftswelt, in der weibliche Fruchtbarkeit und Sexualität einem selbstherrlichen Männerregime unterstellt sind und theokratisch-technokratisch kontrolliert werden. Diesem Roman gelang, was nur die besten Dystopien schaffen: im Zukunftsentwurf unsere Gegenwartsgesellschaft zu entschlüsseln und eine Momentaufnahme zu erstellen, die jedes Mal, wenn man sie wieder sieht - Atwoods Geschichte ist vielfach bearbeitet und verfilmt worden -, nur noch präziser und bezwingender erscheint. Was Mutterschaft bedeutet, wer eine Mutter ist, was daran körperlich und was sozial begründet sein mag, wie sich Familienbindungen und -muster wandeln, wenn Reproduktionsmedizin eingreift, und wie sich dabei der gesellschaftliche Zugriff auf die Frauenkörper, insbesondere schwangere, fortzeugt - das sind unbequeme Grundsatzfragen, denen wir uns dringend stellen müssen. Nun unternimmt es Louise Erdrich in ihrem sechzehnten Roman, solchen Fragen nachzugehen.
Cedar ist Mitte zwanzig und im vierten Monat schwanger. Sie lebt in Minneapolis als Tochter eines progressiven Ehepaars, "marktgesellschaftliche Trust-Fund-Liberale", die sie für ihre Adoptiveltern hält, da sie selbst, wie sie längst weiß, einer Ojibwe-Familie entstammt. In Erwartung ihres eigenen Kindes drängt es sie jetzt erstmals, ihre biologischen Eltern aufzusuchen. So fährt in ein Reservat, wo sie ihre Mutter, deren Ehemann, die Großmutter und eine Halbschwester trifft und zugleich ihr eigenes Herkunftsmilieu kennenzulernen beginnt. Doch diese prekäre Erkundung zwischen amerikanischem Mainstream und einer verdrängten indigenen Welt - ein Hauptinteresse der Autorin, die dazu starke und subtile Romane wie "Solange du lebst" (2009) vorgelegt hat -, wird hier von einem anderen Erzählinteresse überlagert: dem Entwurf einer apokalyptischen Endzeit, in der "die Weltgeschichte gerade rückwärts" läuft, und zwar im evolutionsbiologischen Sinn.
Die Tier- und Pflanzenwelt, so heißt es, sei von genetischer Regression befallen, und auch die Menschen können nicht mehr auf herkömmlichen Fortpflanzungserfolg hoffen, denn "auf molekularer Ebene fänden Zeitsprünge vor- und rückwärts statt, und Mehrzeller wechselten seit Monaten zwischen verschiedenen Anpassungsstufen". Offenbar als Reaktion darauf ist in Amerika ein christlich-fundamentalistisches totalitäres Regime errichtet worden, das nicht nur alle Medienkanäle kontrolliert, sondern es gezielt auf gebärfähige Frauen und Schwangere abgesehen hat, um ungeborenes Leben in staatliche "Obhut" zu nehmen. Was mit den Neugeborenen passieren soll, bleibt offen. Klar ist nur, dass werdende Mütter einer regelrechten Jagd ausgesetzt sind, mit Kopfprämie gesucht, abtransportiert und kaserniert werden. So ergeht es bald auch Cedar. Durch Denunziation wird sie gefangen gesetzt; da ist sie im sechsten Monat.
Der Großteil des Romans gilt ihrem waghalsigen Fluchtversuch, den sie mit Hilfe klandestiner Unterstützer unternimmt, um dem Überwachungsapparat, dem eine nebulöse Figur namens "Mutter" vorzustehen scheint, irgendwie zu entkommen. Übermittelt wird uns die Geschichte in Form von tagebuchartigen Briefen, die Cedar an ihr ungeborenes Kind richtet - ein Hoffnungszeichen, so verzweifelt wie eine Flaschenpost.
Leider muss man sagen, dass auch eine kluge und erfahrene Erzählerin wie Erdrich mit diesem Projekt Schiffbruch erleidet. Die Vorsätze mögen noch so gut, die Vorbilder präsent, die Fragen drängend und die Anliegen ehrenwert sein: die erzählerische Umsetzung wirkt unentschieden, unplausibel und konfus. Ein Hauptproblem liegt darin, dass die Endzeitwelt und ihr Bedrohungspotential gar nicht anschaulich werden, genau davon aber leben Zukunftromane. Der Mix aus Orwell, Huxley und "Jurassic Park", versetzt mit reichlich Atwood, wirkt steril und fad. Dazu sind die Figuren schemenhaft, die Handlungsbögen kurzatmig, die ständigen Bildungszitate prätentiös, viele Erzähleffekte grell und drastisch, während manche Szenen in hemmungslosem Kitsch versinken: "Etwas setzt sich auf den Rand meiner Matratze, etwas Schwereloses, Konturloses, Beschützendes. Es ist ein gütiger Schatten. Vielleicht ein Engel. Magnetisch, zärtlich. Seine Liebe breitet sich über mich wie ein schwebendes Tuch, und wir schlafen miteinander ein."
Mit einem solchen Tuch möchte man auch dieses Buch diskret bedecken. Kommenden September nämlich, so hat Margaret Atwood angekündigt, wird ihre eigene Fortschreibung der "Handmaid's Tale" erscheinen.
TOBIAS DÖRING
Louise Erdrich:
"Der Gott am Ende der
Straße". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder.
Aufbau Verlag, Berlin 2019. 360 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main