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Paula Fox folgt in ihrem Roman "Gott der Alpträume" den Zufällen des Lebens.
Von Monika Maron
Helen Bynum, 23 Jahre alt, verlässt im Frühjahr 1941 ihren kleinen Heimatort im Staat New York, um auf Wunsch ihrer Mutter in New Orleans nach ihrer Tante Lulu zu suchen. Helen findet Lulu sturzbetrunken in ihrem Bett, das in einem verkommenen alten Ballsaal steht. Sie findet auch eine Arbeit, ein Zimmer, neue Freunde und eine Liebe. Das wäre in knapper Form der Inhalt von Paula Fox' Roman "Der Gott der Alpträume", wenn man ihn denn erzählen müsste oder wollte, was aber eigentlich keinen Sinn hätte, weil der Zauber dieses Buches nicht in seiner resümierbaren Geschichte liegt.
Als Helen aufbricht, ist ihr Vater, der schon dreizehn Jahre zuvor die Familie verlassen hatte, gerade gestorben, der törichte Traum der Mutter, ihr Mann würde eines Tages zu ihr zurückkehren, zerbrochen, und auch Lulus Karriere als Schauspielerin ist in Unglück und Alkohol verendet. Aber Helens Leben beginnt. Sie berauscht sich an der Fremde und am Fremdsein, am ersten Erkennen einer unbekannten Welt.
"Ich fühlte eine völlige Fremdheit mir selbst gegenüber; selbst meine Stimme (. . .) schien mir nicht zu gehören. Und dieser Zauber der Fremdheit, der die Eigenart tiefen Denkens besaß, dessen Gegenstand ich bewusst nicht erfassen konnte, dauerte den ganzen Weg und zurück an, als ich meinen Koffer die wenigen Treppenstufen hinauftrug in mein neues Zimmer."
Paula Fox' Erzählen folgt den Zufällen, die Helens Leben leiten, und wie für Helen fügt sich für den Leser allmählich das Bild der Stadt und der Zeit: wenn die Freundin Nina demonstrativ von dem Brunnen für Schwarze trinkt und damit einen Skandal verursacht; wenn Claude, der homosexuelle Freund aus reichem Hause, vom kriminellen Clan seines Geliebten erschlagen wird. Oder auch nur, wenn Helen den Roman "Adolphe" von Benjamin Constant zunächst für ein Buch über Hitler hält, weil fern in Europa der Krieg grollt.
Es scheint, als hätte Paula Fox das Leben ungefiltert auf ihre Heldin losgelassen, als hätte jede Erfahrung und jede Begegnung ihren Grund nur in sich selbst, als bezögen die Gespräche und Assoziationen ihre Berechtigung nur aus dem Augenblick. Diese Monate in New Orleans, fern der schwierigen Mutter, sind der Anfang von Helen Bynums eigenem Leben, es hätte auch ein anderer sein können, aber es war dieser, der den Fortgang ihres Lebens geprägt haben wird. Die Begegnung mit dem Dichter Gerald Boyd und seiner Freundin Catherine, die Brutalität der Delta-Bewohner, die Hoffnungslosigkeit ihrer Tante Lulu. Das Buch verführt, an den eigenen Lebensanfang zu denken, als man selbst, wie Helen, Madeleine für nichts anderes als einen Mädchennamen hielt und noch nicht für ein Gebäck, das zum Erinnern animiert, als alles in der Welt neu war und man selbst noch vom Rausch in den Schrecken fiel und vom Schrecken in den Rausch.
"Ich schauderte, als ich einen Moment lang die unerbittlichen Kräfte von Zeit und Verlust empfand", sagt Helen. Dreißig Seiten vor dem Ende des Romans überspringt Paula Fox sechsundzwanzig Jahre. Helen ist Lehrerin an einer New Yorker Privatschule und Len, der Geliebte aus der Zeit in New Orleans, ihr Ehemann. Ein glückliches Ende, könnte man glauben, bis Helen erfährt, dass im Fundament ihrer größten Liebe und ihrer tiefsten Freundschaft schon der Verrat vermauert war.
Am Ende haben die Linien, die ziellos gezogen schienen, doch ein Muster ergeben. Am Ende wird man doch eine Geschichte gelesen haben und sich fragen: Wie hat sie das bloß gemacht?
Die Übersetzung von Susanne Röckel allerdings fordert vom Leser zuweilen eine hohe sprachliche Toleranz, was, wie der Vergleich mit "Luisa" in der Übersetzung von Alissa Walser beweist, nicht am Original liegen muss.
Paula Fox: "Gott der Alpträume". Roman. C.-H.-Beck-Verlag, 286 Seiten, 19,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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