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Eine Biographie des Grafen von Saint Germain entpuppt sich als Remake
Er war eine der seltsamsten Gestalten des an seltsamen Gestalten nicht eben armen 18. Jahrhunderts. Manche hielten ihn für einen unehelichen Sohn der Königin Maria-Anna von Spanien (1667-1740). Als seine Erzeuger wurden wahlweise ein jüdischer Bankier, ein spanischer Offizier und ein verirrter Jesuit gehandelt. Andere waren überzeugt, er sei ein Bastard des portugiesischen Königs. Er selbst kultivierte das Gerücht, der älteste Sohn des ungarischen Fürsten Ferenc II. Rákóczi (1676-1735) zu sein. Der transsilvanische Herrscher hatte sich mit den Habsburgern angelegt. Man kolportiert, er habe seinen Stammhalter als Kind heimlich nach Florenz in die Obhut des letzten Medici gegeben.
Dichtung oder Wahrheit? Bis heute weiß es niemand. Verlässliche Spuren des vorgeblichen Fürstensohnes tauchen erstmals 1745 in London auf. Dort wirkt er als Komponist und Musiker. Jetzt hat er auch einen Namen. Graf von Saint Germain nennt er sich. Und obschon diesem Namen noch zahlreiche andere folgen, wird er unter ersterem berühmt-berüchtigt; mal als Geheimdiplomat, mal als Goldmacher, mal als Unternehmer und vor allem als Glücksritter.
Tatsächlich scheiden sich an Saint Germain die Geister. Schon die Urteile seiner Zeitgenossen schwanken zwischen Extremen. Er gilt als charmant und zugleich herablassend, als gelehrt, als wortgewaltig und dennoch verschlossen. Unermesslich reich und gleichwohl Asket soll er gewesen sein. Höchstens wie ein Fünfundvierzigjähriger soll er ausgesehen haben, als er in Wahrheit die hundert schon überschritten hatte.
Der Graf pflegt seinen Nimbus und seine Adepten. Er verkehrt in den besten Kreisen. Die Pompadour ist ihm gewogen. Im Siebenjährigen Krieg macht Ludwig XV. ihn zu seinem persönlichen Emissär. Saint Germain soll helfen, Frankreichs Kredit im Ausland zu sichern. Der Graf jedoch scheitert, fällt in Ungnade. Er wird Alchemist, stellt Farben her und versucht sich als Goldmacher. Als auch das misslingt, scheint sein Ruf ruiniert. Irgendwann, so heißt es, sei er nach Russland geflohen.
Sesshaft wird der rastlose Mann erst fünf Jahre vor seinem Tod. 1779 hat er den Prinzen Karl von Hessen-Kassel kennengelernt. Der Prinz ist Freimaurer und hat alchemistische Neigungen. Im verschlafenen Eckernförde an der Ostsee richtet er Saint Germain das letzte Labor ein. Noch einmal versucht der Graf, den Stein der Weisen zu finden. Er stirbt 1784, geplagt von Altersschwäche, Rheumaattacken und verdüstertem Gemüt.
Allerdings bleibt der Graf Legende. Schon kurz nach seinem Tod wird er wieder gesehen. Angeblich auf Freimaurerkongressen in Wilhelmsbad und Paris. Theo- und Anthroposophen gilt er als "aufgestiegener Meister" und Reinkarnation des "hohen Eingeweihten" Christian Rosencreutz. Und seit 2010 widmen ihm alerte Esoteriker regelmäßig Kongresse, auf denen Medien "Lichtkanäle" zu ihm aufbauen und seine Worte durch "Channelling" empfangen.
Da freut es, wenn ein Buch erscheint, das als "einzige moderne, wissenschaftlich fundierte Biographie" über den Grafen beworben wird und Licht ins Dunkel zu bringen verspricht. Für so etwas besteht Bedarf. Der Historiker Thomas Freller hat das Buch geschrieben. Wirklich neue Erkenntnisse liefert es nicht. Aber das Leben seines Protagonisten schildert Freller anschaulich, und wenn man die Irrungen und Wirrungen in der Biographie des Grafen bedenkt, so ist das eine durchaus beachtliche Leistung.
Irritiert ist der Leser trotzdem. Der eigentlichen Biographie stellt Freller einen langen Text voran, der von den "Nachtseiten" der Aufklärung handelt. Von allerlei Scharlatanen, Wunderheilern und Teufelsaustreibern ist da die Rede. Gewiss ist das interessant. Aber zielführend ist es nicht. Warum geht es seitenlang um den Magnetiseur Franz Anton Mesmer, wenn doch Saint Germain der Titelheld ist? Und warum um den Exorzisten Gassner? Mit dem hatte der Graf ganz und gar nichts zu tun.
Des Rätsels Lösung findet, wer eine Suchmaschine bemüht. Schon 2006 hat Freller ein Buch veröffentlicht, das "Magier, Fälscher, Abenteurer" heißt. Auch der Graf spielt darin eine Rolle, wenn auch nur als einer unter mehreren Akteuren. Die Einleitung von damals hat Freller lediglich kosmetisch verändert ins neue Buch übernommen. Und schlimmer noch: Auch die Biographie des Grafen ist nichts anderes als ein Remake von 2006. Aus den achtzig Seiten sind zwar hundertvierzig plus ziemlich unübersichtlicher Endnoten geworden. Das liegt jedoch nur daran, dass Freller seinen Text mit überlangen Zitaten aus einer bekannten Quellensammlung zu Saint Germain buchstäblich aufgeblasen und damit auf Monographiestärke gebracht hat. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Gewiss ist es nicht verboten, bei sich selbst abzuschreiben. Man nennt das zweite und womöglich überarbeitete Auflage. Frellers Buch jedoch fehlt jeder Hinweis auf seine Vorgeschichte. Auch der Verlag hatte offenbar keinen Schimmer. Von einer früheren Veröffentlichung sei nie die Rede gewesen, heißt es dort. Und mal im Netz recherchiert? Wohl kaum. Oder vielleicht doch. Aber womöglich hat der Graf auch bei Google die Finger im Spiel.
PETER RAWERT
Thomas Freller: "Der Graf von Saint Germain". Alchemist oder Hochstapler? Eine Biographie.
Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2015. 248 S., geb., 24,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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