Wenn Gott den Menschen den Krieg erklärt. Als Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt heute der Prager Fenstersturz im Mai 1618. Für die Zeitgenossen jedoch war ein anderes Ereignis ausschlaggebend. Als im Dezember desselben Jahres ein heller «Winterkomet» mit einem rutenförmigen Schweif am Himmel erschien, sahen sie in ihm die Prophezeiung eines schrecklichen Krieges, eine Botschaft Gottes, die nichts Gutes verhieß. Andreas Bähr verfolgt die vielstimmige Auseinandersetzung mit dem Kometen durch die Kriegszeit von 1618 bis 1648 hindurch und zeigt, wie stark die frühneuzeitliche Deutung von Welt durch den religiösen Glauben geprägt war. Die Zeichen göttlichen Zorns oder göttlicher Milde hatten Auswirkungen auf die irdischen Geschehnisse, Erscheinungen am Himmelszelt avancierten zu wichtigen Indikatoren für die Bewertung des Kriegsverlaufs. Dieses Buch wirft Schlaglichter auf den Dreißigjährigen Krieg aus der Perspektive derer, die angesichts der Gewalt und Unübersichtlichkeit ihrer Zeit im Winterkometen einen Orientierungspunkt fanden. Akteure ganz unterschiedlicher sozialer und konfessioneller Zugehörigkeit geraten in den Blick: Wir begegnen René Descartes beim «Ulmer Kometenstreit», der die frühneuzeitliche Verschränkung von Wissenschaft und Religion bezeugt, wir erleben in der Autobiographie Augustin Güntzers, wie der Schweifstern in den Alltag eines Kannengießers eingeht, erhalten Einblick in das Leben des Schuhmachers Hans Heberle, den der Anblick des Kometen zum Verfasser einer Kriegschronik werden ließ, und beobachten den berühmten Universalgelehrten Athanasius Kircher bei einer nächtlichen Vision - ein brillanter Brückenschlag zwischen Ereignis- und Mentalitätsgeschichte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2018Die Dämpfe des Kometen
Andreas Bähr über die Rolle von Himmelszeichen im Dreißigjährigen Krieg
Die Geschichtspublizistik eilt von einem Kriegsjubiläum zum nächsten. Kaum sind die Leser dem Grabenkrieg an der Somme entronnen, befinden sie sich schon in der Dresdner Bombennacht, und weiter geht die Reise zum Massaker von Magdeburg im Jahr 1631. Als besonders erfolgversprechend gelten dicke Bücher, in denen die kriegerische Vergangenheit als potentielle Zukunft erscheint. Herfried Münkler hat das gerade mit einer Monumentalbetrachtung des Dreißigjährigen Krieg vorgeführt (F.A.Z. vom 7. Oktober 2017).
Aber da kann man zum schweren Gepäck mit Gegenwartsbezug ein leichtes Komplement mit umso mehr historischem Tiefgang empfehlen. Der Berliner Historiker Andreas Bähr beschreibt in seinem Buch auf anschauliche Weise, wie der Krieg von damaligen Beobachtern und direkt Betroffenen erlebt und erklärt wurde. Bähr nimmt eine buchstäblich universale Perspektive ein: Er legt dar, wie Zeitgenossen das Geschehen am Himmel mit dem Geschehen auf Erden in Verbindung brachten. In ihren Augen war der Weg in, durch und aus dem Krieg vorgezeichnet in Kometen, Sternen oder Nordlichtern.
Wer in der Schule Schillers Wallenstein gelesen hat, der weiß um die damalige Sternenfixierung und ihre fatalen Folgen für einen der größten Kriegsprotagonisten. Tatsächlich war der Glaube an die kosmische Dimension des Krieges nicht auf das "einfache Volk" beschränkt. Im Gegenteil, gerade die avanciertesten Astronomen gehörten zu den eifrigsten Aposteln. Wie Bähr anhand eines reichen Quellenfundus aufzeigt, entwickelten Athanasius Kircher und Johannes Kepler, die man beide als forschende Kriegsflüchtlinge bezeichnen kann, elaborierte wissenschaftliche Erklärungen für den verheerenden Einfluss der Gestirne auf die Erde.
Kepler zufolge hatte der im Titel des Buches genannte "Winterkomet", der im Jahr des Kriegsausbruchs von Ende November an für fast zwei Monate mit bloßem Auge erkennbar war, katastrophale Folgen für die Menschen, weil die Erde auf ihrer Umlaufbahn den Orbit des Kometen gekreuzt habe. Kepler bezeichnete die kosmische Kreuzung als "locus infectus" und berechnete den Zeitpunkt der Ansteckung auf den Anfang Dezember 1618, wenige Tage nachdem der Komet mit seinem schwefligen Schweif am 25. November die Stelle passiert habe. Zu den Konsequenzen der planetarischen Kontamination gehörte für Kepler die tödliche Seuche auf dem Kriegsschauplatz Böhmen, die 1619 unter den kaiserlichen und böhmischen Soldaten wütete. Damit, so der berühmte Astronom, "significirte" der Komet den Krieg nicht nur, er "efficirte" ihn direkt.
Andere Beobachter des Kometen bezogen die Himmelserscheinung auf neue Kriegsübel, und als die Kaskade der militärischen Konfrontationen nach drei Jahrzehnten ein offizielles Ende fand, gab es Autoren wie den Jeßnitzer Bürgermeister Joachim Rese, der das gesamte Kriegsgeschehen schon im Winterkometen von 1618 angekündigt sah. Dazu verkürzte Rese die Dauer der Himmelserscheinung im Nachhinein von "etzliche Monath" auf genau "30 Tage", wobei jeder Tag als göttliches Zeichen für die bevorstehende Prüfung der irdischen Sünder zu verstehen sei. Rückwärtsgewandte Propheten wie Rese leisteten damit einen kleinen Beitrag dazu, dass der Krieg offiziell als "Dreißigjähriger" in die Geschichte einging.
Besonders gelungen an Bährs Buch ist, dass seine Protagonisten nicht als ewiggestrige Exoten, sondern als janusköpfige Figuren erscheinen, die zugleich in heilsgeschichtlichen und empirischen Kategorien dachten. Kepler ist dafür das beste Beispiel. Seine astronomischen Durchbrüche waren mit seinen astrologischen Ambitionen aufs engste verwoben, und als er 1619 "De cometis libelli tres" publizierte, präsentierte er neben der kosmologischen Infektionslehre auch neue Berechnungen zur "Bewegung" der Kometen, mit denen er das astronomische Verständnis der Himmelskörper markant erweiterte.
Im Schlusskapitel über das "Nachleben" seiner kosmologischen Kriegsdeuter schlägt Bähr einen Bogen zum Beginn des Ersten Weltkriegs, wo Soldaten im September und Oktober 1914 einen neuen "Kriegskometen" am Himmel beobachten konnten. Es gab Kommentatoren, die sofort auf den Winterkometen von 1618 verwiesen, und im Jahr darauf verschickten deutsche Frontsoldaten Feldpostkarten, auf denen Christus, der Komet und der Satz stand: "Herr vergieb ihnen!" Die Kosmologie wurde hier zu einem Instrument der nationalistischen Propaganda: Die Sünder befinden sich allesamt auf der anderen Seite der Front. Der Komet auf der Karte verkündet Gottes Zorn über die Franzosen, denen die mit Pickelhauben geschmückten Gräber im Vordergrund zur Last gelegt werden. Heilsgeschichte fließt in Nationalgeschichte über, und so erhält das Kriegsgeschehen von Neuem einen höheren Sinn.
CASPAR HIRSCHI
Andreas Bähr: "Der grausame Komet".
Himmelszeichen und
Weltgeschehen im
Dreißigjährigen Krieg.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 304 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Andreas Bähr über die Rolle von Himmelszeichen im Dreißigjährigen Krieg
Die Geschichtspublizistik eilt von einem Kriegsjubiläum zum nächsten. Kaum sind die Leser dem Grabenkrieg an der Somme entronnen, befinden sie sich schon in der Dresdner Bombennacht, und weiter geht die Reise zum Massaker von Magdeburg im Jahr 1631. Als besonders erfolgversprechend gelten dicke Bücher, in denen die kriegerische Vergangenheit als potentielle Zukunft erscheint. Herfried Münkler hat das gerade mit einer Monumentalbetrachtung des Dreißigjährigen Krieg vorgeführt (F.A.Z. vom 7. Oktober 2017).
Aber da kann man zum schweren Gepäck mit Gegenwartsbezug ein leichtes Komplement mit umso mehr historischem Tiefgang empfehlen. Der Berliner Historiker Andreas Bähr beschreibt in seinem Buch auf anschauliche Weise, wie der Krieg von damaligen Beobachtern und direkt Betroffenen erlebt und erklärt wurde. Bähr nimmt eine buchstäblich universale Perspektive ein: Er legt dar, wie Zeitgenossen das Geschehen am Himmel mit dem Geschehen auf Erden in Verbindung brachten. In ihren Augen war der Weg in, durch und aus dem Krieg vorgezeichnet in Kometen, Sternen oder Nordlichtern.
Wer in der Schule Schillers Wallenstein gelesen hat, der weiß um die damalige Sternenfixierung und ihre fatalen Folgen für einen der größten Kriegsprotagonisten. Tatsächlich war der Glaube an die kosmische Dimension des Krieges nicht auf das "einfache Volk" beschränkt. Im Gegenteil, gerade die avanciertesten Astronomen gehörten zu den eifrigsten Aposteln. Wie Bähr anhand eines reichen Quellenfundus aufzeigt, entwickelten Athanasius Kircher und Johannes Kepler, die man beide als forschende Kriegsflüchtlinge bezeichnen kann, elaborierte wissenschaftliche Erklärungen für den verheerenden Einfluss der Gestirne auf die Erde.
Kepler zufolge hatte der im Titel des Buches genannte "Winterkomet", der im Jahr des Kriegsausbruchs von Ende November an für fast zwei Monate mit bloßem Auge erkennbar war, katastrophale Folgen für die Menschen, weil die Erde auf ihrer Umlaufbahn den Orbit des Kometen gekreuzt habe. Kepler bezeichnete die kosmische Kreuzung als "locus infectus" und berechnete den Zeitpunkt der Ansteckung auf den Anfang Dezember 1618, wenige Tage nachdem der Komet mit seinem schwefligen Schweif am 25. November die Stelle passiert habe. Zu den Konsequenzen der planetarischen Kontamination gehörte für Kepler die tödliche Seuche auf dem Kriegsschauplatz Böhmen, die 1619 unter den kaiserlichen und böhmischen Soldaten wütete. Damit, so der berühmte Astronom, "significirte" der Komet den Krieg nicht nur, er "efficirte" ihn direkt.
Andere Beobachter des Kometen bezogen die Himmelserscheinung auf neue Kriegsübel, und als die Kaskade der militärischen Konfrontationen nach drei Jahrzehnten ein offizielles Ende fand, gab es Autoren wie den Jeßnitzer Bürgermeister Joachim Rese, der das gesamte Kriegsgeschehen schon im Winterkometen von 1618 angekündigt sah. Dazu verkürzte Rese die Dauer der Himmelserscheinung im Nachhinein von "etzliche Monath" auf genau "30 Tage", wobei jeder Tag als göttliches Zeichen für die bevorstehende Prüfung der irdischen Sünder zu verstehen sei. Rückwärtsgewandte Propheten wie Rese leisteten damit einen kleinen Beitrag dazu, dass der Krieg offiziell als "Dreißigjähriger" in die Geschichte einging.
Besonders gelungen an Bährs Buch ist, dass seine Protagonisten nicht als ewiggestrige Exoten, sondern als janusköpfige Figuren erscheinen, die zugleich in heilsgeschichtlichen und empirischen Kategorien dachten. Kepler ist dafür das beste Beispiel. Seine astronomischen Durchbrüche waren mit seinen astrologischen Ambitionen aufs engste verwoben, und als er 1619 "De cometis libelli tres" publizierte, präsentierte er neben der kosmologischen Infektionslehre auch neue Berechnungen zur "Bewegung" der Kometen, mit denen er das astronomische Verständnis der Himmelskörper markant erweiterte.
Im Schlusskapitel über das "Nachleben" seiner kosmologischen Kriegsdeuter schlägt Bähr einen Bogen zum Beginn des Ersten Weltkriegs, wo Soldaten im September und Oktober 1914 einen neuen "Kriegskometen" am Himmel beobachten konnten. Es gab Kommentatoren, die sofort auf den Winterkometen von 1618 verwiesen, und im Jahr darauf verschickten deutsche Frontsoldaten Feldpostkarten, auf denen Christus, der Komet und der Satz stand: "Herr vergieb ihnen!" Die Kosmologie wurde hier zu einem Instrument der nationalistischen Propaganda: Die Sünder befinden sich allesamt auf der anderen Seite der Front. Der Komet auf der Karte verkündet Gottes Zorn über die Franzosen, denen die mit Pickelhauben geschmückten Gräber im Vordergrund zur Last gelegt werden. Heilsgeschichte fließt in Nationalgeschichte über, und so erhält das Kriegsgeschehen von Neuem einen höheren Sinn.
CASPAR HIRSCHI
Andreas Bähr: "Der grausame Komet".
Himmelszeichen und
Weltgeschehen im
Dreißigjährigen Krieg.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 304 S., geb., 19,95 [Euro].
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