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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Drogenprohibition: Norman Ohler erzählt Episoden aus der Geschichte von LSD. Helena Barop führt eindrücklich vor Augen, welche Motive den
War on Drugs bis heute antreiben.
Von Benedikt Sarreiter
Von Benedikt Sarreiter
Im April dieses Jahres schrieb Markus Söder auf Twitter: "Die Ampel ist grundlegend auf dem Irrweg. Drogenlegalisierung ist einfach der falsche Weg. Karl Lauterbach schlägt als Gesundheitsminister ernsthaft die Gründung von Drogen-Clubs vor. Das löst keine Probleme, sondern schafft neue . . ." Auf dem CDU-Parteitag ein halbes Jahr zuvor hatte er vor Verhältnissen wie bei "Kinder vom Bahnhof Zoo" gewarnt. In der Tradition der vernebelnden Rhetorik der Drogenprohibition verknüpfte er verschiedene Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Wirkungen. Cannabis steht dann plötzlich auf der gleichen Stufe wie Heroin. Dazu gesellt sich Panikmache: Drogenklubs! Bahnhof Zoo! Bilder von Jugendlichen im Drogenelend keimen auf, die mit der Realität nur sehr wenig zu tun haben.
Söder präsentiert sich als aufrechter Kämpfer gegen "die Macht der Drogen". Wie sinnlos dieser Kampf ist, wessen Geistes Kind er ist und welche brutalen Auswirkungen er hatte und hat, beschreiben zwei neue Bücher. Das eine, "Der stärkste Stoff" von Norman Ohler, konzentriert sich dabei auf die wechselhafte Geschichte von LSD, das andere, "Der große Rausch" von Helena Barop, auf die ideologischen Grundlagen des War on Drugs, der in den Siebzigerjahre begann, dessen Wurzeln aber sehr viel tiefer reichen.
Das Buch von Ohler knüpft an dessen Bestseller "Der totale Rausch" aus dem Jahr 2017 an. In ihm erzählt der Berliner Autor die Geschichte des Methamphetamins Pervetin im Dritten Reich und von Hitlers Opioidsucht. Pervetin, heute als Crystal Meth bekannt, war damals Volksdroge und Aufputschmittel für die Blitzkrieger der Wehrmacht. Das Buch liest sich selbst wie im Rausch. Denn Ohler versteht es, einer Erzählung Geschwindigkeit zu geben, weiß, wie man Cliffhanger platziert und den Leser beim Text hält.
So ist es auch bei seinem neuem Buch. Es setzt direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin ein. Die Stadt ist zerstört, aber die Drogen sind noch da. Der Schwarzmarkt blüht, und die Vertreter der amerikanischen Besatzungsmacht schaffen es nicht, ihn einzudämmen. So lassen sie sich von ehemaligen Gestapo-Mitgliedern beraten, wie man effizient Drogengebrauch hemmt. Harry J. Anslinger, der mächtige und schon damals berüchtigte Chef des Federal Bureau of Narcotics, schreckten die grausamen NS-Anti-Drogengesetze nicht, vielmehr bewunderte er deren mörderische Durchschlagskraft. Ohler weist darauf hin, dass auf diesem Wege Nazi-Ideologie in die sich später international entfaltende Drogenpolitik Einlass fand, die von Anslinger mitgestaltet wurde.
Vom Nachkriegsdeutschland verlagert sich Ohlers Fokus nach Basel zum Chemiekonzern Sandoz. Dort veränderte der Chemiker Arthur Stoll durch seine Forschung mit dem Mutterkornpilz - er hatte 1918 das Hauptalkaloid des Getreideparasiten Ergotamin isoliert - die Strategie des Unternehmens. Aus Ergotamin wurden zahlreiche lukrative Medikamente entwickelt, etwa gegen Migräne oder als Wehen auslösendes Mittel. Mutterkorn war allerdings ein rares Gut. Deswegen zog Sandoz eine landwirtschaftliche Zucht des Parasiten im industriellen Ausmaß hoch.
Ohler stützt sich in diesen Passagen auf Beat Bächis eindrucksvolles Buch "LSD auf dem Land" (F.A.Z. vom 15. Januar 2021), in dem er die Entwicklung von Sandoz vom Farbenhersteller zum Agrar- und Pharmakonzern nachzeichnet und wie dadurch Albert Hofmanns Entdeckung von LSD möglich wurde. Denn der Sandoz-Chemiker arbeitete ebenfalls mit den Alkaloiden des Mutterkorns und entwickelte so eher aus Zufall eine der potentesten psychoaktiven Substanzen der Welt. Wie Bächi recherchierte Ohler im Archiv von Sandoz und berichtet im Buch unter anderem von einer Verbindung Stolls zur CIA über einen Mittelsmann mit NS-Vergangenheit.
Von hier aus wendet er sich den verschiedenen Karrieren zu, die LSD im zwanzigsten Jahrhundert machte. Als hoffnungsvolles Medikament in der psychedelischen Therapie, als chemische Waffe und Wahrheitsserum für Militärs und Geheimdienste und letztlich als bewusstseinserweiternde Partydroge der Hippies. Besonders reizvoll war für Ohler offensichtlich die Verknüpfung CIA - LSD. Im Zentrum des Buches stehen die nicht selten menschenverachtenden Versuche des Geheimdienstes, die unter dem Projekt MK Ultra in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durchgeführt wurden. Die Geschichten über mit LSD versetzte Drinks in Bordellen, über US-Bürger, die unwissend unter LSD gesetzt wurden, über mitunter grausame CIA-Psychedelik-Programme an Kliniken wurden schon oft erzählt. Etwa von Errol Morris in seiner Netflix-Dokuserie "Wermut", von Michael Pollan in seinem Bestseller "Verändere dein Bewusstsein" (F.A.Z. vom 16. März 2019) und in zahlreichen Artikeln. Ohler gewinnt diesen Geschichten keine neuen Seiten ab.
Was soll's, könnte man da freilich sagen, ist ja schließlich aufregend zu lesen. Aber in der Feststellung der Wiederholung steckt eher ein Bedauern. Denn die Suche nach der mind-control drug durch die CIA hat dazu beigetragen, den Ruf von LSD nachhaltig zu beschädigen. Indem man immer wieder auf sie hinweist, wird er nicht unbedingt besser, was einen vorurteilsfreien Einsatz der Substanz auf dem therapeutischen Feld bis heute erschwert. Und es befindet sich in "Der stärkste Stoff" am Ende eine zweite, ganz andere Geschichte. Ohlers Mutter ist an Demenz erkrankt, es gibt Hinweise darauf, dass LSD die Symptome der Krankheit besänftigen kann. Er verabreicht ihr mit ihrem Einverständnis die Substanz in Mikrodosis, und ihre Beschwerden scheinen sich tatsächlich nach wiederholter Einnahme zu bessern. Hier hätte die Basis für ein anderes Buch gelegen. Ohler hätte mit seinen Recherche-Fähigkeiten die aktuelle LSD-Forschung erkunden und nach ihrem wirklichen Potential in der Demenzforschung fahnden können. So wirkt das Buch unentschieden und vom Kalkül getrieben, eine Fortsetzung des früheren Bestsellers zu verfassen.
Stringenter ist Helena Barops "Der große Rausch". Die Freiburger Historikerin beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Geschichte der Drogenprohibition. Ihr Buch legt in umfassender Klarheit dar, welch eisernes Gerüst aus Vorurteilen, Klischees und heuchlerischer Tugendhaftigkeit die übliche Denkweise über Drogen und deren Konsum bis in die Gegenwart bestimmt. Barop beginnt ihre Analyse im neunzehnten Jahrhundert, als zuerst die Romantiker und dann auch Menschen abseits des Kunstmilieus Medikamente als Rauschmittel entdeckten. Zuerst den painkiller Opium, später das Lokalanästhetikum Kokain, Morphium und das als Hustensaft vermarktete Heroin. Die lange legalen Substanzen entführten sie in nicht gekannte Zauberwelten, schenkten ihnen Ruhe oder Euphorie. Die Pillen und Tinkturen galten als Wundermittel, bis einige Konsumenten eine Abhängigkeit entwickelten. Vor allem in den USA breiteten sich Suchtleiden aus, was gegen Ende des Jahrhunderts zu ersten Rufen nach einer Behebung des "Drogenproblems" führte. Aus Rauschmitteln wurden Rauschgifte.
Barop seziert nun die Lösungsansätze für dieses Problem und bringt die Motive ihrer Verfechter ans Licht. Um Gesundheitsschutz und Hilfe für Süchtige ging es dabei nur peripher, eine erheblich größere Rolle spielten Rassismus und Puritanismus. Es begann mit dem Verbot des Opiumrauchens in San Francisco im Jahr 1875, mit dem besonders chinesische Einwanderer sich entspannten. Der Gesetzgeber befürchtete, die reinen Seelen der amerikanischen Jugend würden in chinesischen Opiumhöhlen verdorben werden. Laudanum und Opiumtinkturen, die besonders weiße Frauen durch den Tag brachten, waren aber weiter legal. Die Art der Einnahme erwies sich also als strafbar, nicht die Substanz. Es wurde demnach mit zweierlei Maß gemessen. Die Härte der Bestrafung richtete sich danach, welcher Bevölkerungsgruppe man angehörte. Ein Muster, das sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts wiederholte. Über Kokain - die Droge wurde zu Beginn des Jahrhunderts vor allem von Afroamerikanern konsumiert - hieß es plötzlich, sie mache extrem gewalttätig und, Barop zitiert die "New York Times", "immun gegen Schusswaffen". Horrorgeschichten sollten die Bevölkerung in Panik versetzen, die Konsumenten wurden moralisch abgewertet.
Eine solche Denkweise war keine amerikanische Eigenart, sondern auch in Europa verbreitet, doch nirgends wurden die Gesetze strenger durchgesetzt. Außerdem drängten die USA darauf, ihren Drogenkampf international zu forcieren, weil sie so entscheidenden Einfluss auf die Erzeugerländer gewinnen konnten. Nach Nixons 1971 ausgerufenen "War on Drugs" und dem Eindruck der drogengeschwängerten Sechzigerjahre kopierten viele Länder die amerikanischen Law-and-Order-Methoden. Auch Deutschland.
Fast fünfzig Jahre später weichen die betonharten Strukturen langsam auf, wie etwa die Legalisierungsbestrebungen für Cannabis der Ampelkoalition zeigen. Der abwertende Blick auf Süchtige, die Angst vor angeblichen Horrordrogen wie Heroin oder Crystal Meth und das Leid, das der War on Drugs jeden Tag erzeugt, bleiben aber weiter erhalten. Nach der Lektüre von Helena Barops Buch denkt man über Drogenverbote und über unsere Erzählungen von Substanzkonsum und -missbrauch anders nach. Insbesondere für Politiker und Drogenbeauftragte ist "Der große Rausch" Pflichtlektüre.
Norman Ohler: "Der stärkste Stoff". Psychedelische Drogen: Waffe, Rauschmittel, Medikament.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 272 S., Abb., geb., 24,- Euro.
Helena Barop: "Der große Rausch". Warum Drogen kriminalisiert werden. Eine globale Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute.
Siedler Verlag, München 2023. 304 S., geb., 26,- Euro.
Erscheint am 25. Oktober.
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