Weltweit werden immer mehr Naturräume unter Schutz gestellt. Das klingt nach einem wichtigen Beitrag zur Rettung des Planeten. Doch in diesen Gebieten leben Millionen Menschen. Im globalen Süden wird den Ärmsten ein Großteil ihres fruchtbaren Ackerlandes weggenommen. Geht Artenvielfalt auf Kosten von Menschenrechten?
Simone Schlindwein hat mehr als ein Jahr im Kongo und in Uganda recherchiert. Sie berichtet davon, wie Nationalparks zu Festungen ausgebaut werden und hochgerüstete Wildhüter immer häufiger Gewalt gegen Indigene und örtliche Bauern anwenden. Als Geldgeber sind darin westliche Länder wie Deutschland verstrickt, deren Rüstungskonzerne zugleich von der Militarisierung des Naturschutzes profitieren. Dabei gäbe es zu westlichen Schutzkonzepten durchaus afrikanische Alternativen. Ein aufrüttelndes Buch.
Simone Schlindwein hat mehr als ein Jahr im Kongo und in Uganda recherchiert. Sie berichtet davon, wie Nationalparks zu Festungen ausgebaut werden und hochgerüstete Wildhüter immer häufiger Gewalt gegen Indigene und örtliche Bauern anwenden. Als Geldgeber sind darin westliche Länder wie Deutschland verstrickt, deren Rüstungskonzerne zugleich von der Militarisierung des Naturschutzes profitieren. Dabei gäbe es zu westlichen Schutzkonzepten durchaus afrikanische Alternativen. Ein aufrüttelndes Buch.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent David Klaubert lobt Simone Schlindweins Buch über die Konflikte um afrikanische Nationalparks für seine profunde Recherchebasis. Den Anspruch einer Bestandsaufnahme zum Thema erfüllt die Journalistin laut Klaubert mit ihrer Expertise und mit einem Rückblick auf die kolonialen Anfänge der Schutzgebiete. Wie die Parks immer mehr zu Hochsicherheitsgebieten und Ranger in Kriegswirren hineingezogen wurden, dokumentiert Schlindwein ebenso, so Klaubert anerkennend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2023Ein krankendes System
Natur- und Tierschutz ist wichtig. Aber in Afrika wird immer wieder das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Auf der Strecke bleiben die Menschen.
Mindestens dreißig Prozent der Erdoberfläche sollen bis 2030 unter Naturschutz gestellt werden. Darauf haben sich im vergangenen Dezember die Staaten bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal geeinigt. Bestehende Nationalparks sollen vergrößert und neue gegründet werden, um so die Zerstörung von Lebensraum und den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Ein ehrgeiziges Ziel und eine gute Nachricht. Doch auch die hat ihre dunkle Seite, wie die Journalistin Simone Schlindwein in ihrem Buch "Der grüne Krieg" beschreibt.
Am Beispiel mehrerer afrikanischer Nationalparks schildert Schlindwein, wie Menschen im Namen des Tier- und Pflanzenschutzes vertrieben und entwurzelt, ihrer Lebensgrundlagen beraubt, kriminalisiert, verschleppt und sogar getötet werden. Die Journalistin, die seit 2008 in Uganda lebt, greift dafür auf jahrelange eigene Recherchen zurück. Sie ist in Dörfer rund um die ugandischen Naturschutzgebiete gereist, aber auch in den Osten des Kongo, wo Rebellen, Milizen, korrupte Regierungstruppen, Wilderer und eine Holzkohlemafia ihr Unwesen treiben. So gelingt es Schlindwein zu zeigen, dass Berichte über brutale Übergriffe durch Wildhüter, die es im Lauf der Jahre immer wieder gab, keine Einzelfälle sind, sondern Symptome eines krankenden Systems. "Wir sehen immer mehr, dass die Ranger die Menschen wie Tiere behandeln", zitiert sie einen Menschenrechtsanwalt. "Und die Tiere im Kongo besser geschützt werden als wir Menschen."
Schlindwein blickt zurück auf die Errichtung erster Schutzgebiete durch deutsche, britische und belgische Kolonialmächte - und wie dafür schon im 19. Jahrhundert Dörfer niedergebrannt, Viehhirten und Waldbewohner rücksichtslos vertrieben wurden. Die Menschen störten die europäische Vorstellung unberührter Wildnis. Auch Bernhard Grzimeks oscarprämierten Film "Serengeti darf nicht sterben" sieht Schlindwein in dieser Tradition, nämlich als "Appell zur Schaffung einer menschenleeren Zone ohne Nutztiere". Sie beschreibt, wie noch heute Massai in ihren Dörfern nahe der Serengeti von tansanischen Sicherheitskräften angegriffen und teils schwer verletzt werden, weil die Regierung neue Schutzgebiete ausweisen will. Safari- und Jagdtourismus gehören in Tansania zu den wichtigsten staatlichen Einnahmequellen.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf den Nationalparks des Kongo, bekannt für die stark gefährdeten Flachland- und Berggorillas, finanziert mit Millionen deutscher Entwicklungshilfe. Und seit Jahrzehnten Schauplatz verworrener, blutiger Konflikte. Auch für Journalisten kann es dort lebensgefährlich sein, umso verdienstvoller sind Schlindweins Recherchen, ihre Gespräche mit den Menschen, die in und um die Parks leben, mit Opfern, Zeugen, Anwälten und Aktivisten, aber auch mit Milizionären, überforderten Staatsanwälten und Rangern. Ein junger Mann, der immer davon geträumt hatte, wie schon sein Vater und sein Großvater als Wildhüter zu arbeiten, sagte ihr: "Anstatt Tiere zu schützen, haben sie mich zur Kampfmaschine gemacht."
Schlindwein beschreibt, wie die Nationalparks überall in Afrika hochgerüstet werden. Wildhüter erhalten Training von britischen Soldaten und israelischen Spezialeinheiten, Nachtsichtgeräte, Drohnen, gepanzerte Patrouillenfahrzeuge, Kalaschnikows und manche sogar Panzerfäuste. So sollen sie die Tiere schützen, aber auch sich selbst, gegen die Milizen, die die Nationalparks als Rückzugsgebiete nutzen, und gegen Wilderer, die angetrieben von der Nachfrage nach Elfenbein aus Asien immer professioneller und brutaler vorgehen.
Gerade im Kongo führte die Militarisierung aber auch dazu, dass die Ranger selbst in die Kriegswirren hineingezogen und Teil des Konflikts wurden. Schlindwein dokumentiert schwere Übergriffe auf die indigenen Anrainer der Parks, willkürliche Gewalt, Vergewaltigungen, Morde. Auch in Uganda. Außerdem, so zeigen Studien, fließt ein immer größerer Teil der finanziellen Hilfe des Westens in Training und Ausrüstung der Ranger. Statt die einheimische Bevölkerung in und um die Parks zu unterstützen und mit Projekten in den Naturschutz einzubeziehen, werden Zäune gebaut. Die Schutzgebiete würden zunehmend wie Festungen verteidigt, bilanziert eine Wissenschaftlerin, und die Menschen als Feinde betrachtet.
Schlindwein konfrontiert auch die Bundesregierung mit ihren Recherchen und den Vorwürfen - schließlich ist die einer der wichtigsten Geldgeber für Nationalparks in Afrika. Dabei wird das Dilemma greifbar, in dem die deutsche Naturschutzpolitik steckt, die einerseits darauf drängt, die gewaltsamen Übergriffe der Ranger aufzuarbeiten und die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren. Die andererseits aber abhängig ist von den jeweiligen Regierungen und korrupten Naturschutzbehörden. Und die, so der Hauptvorwurf, den nicht nur Schlindwein, sondern auch afrikanische Naturschützer und Wissenschaftler erheben, nach wie vor am "Konzept der menschenleeren Parks" festhalte.
Schlindwein gelingt es in ihrem Buch eindrücklich, das Versprechen aus dem Vorwort zu erfüllen, eine "Bestandsaufnahme der derzeitigen Konfliktlage rund um die Nationalparks" abzuliefern. Etwas knapp fällt ihr Fazit aus. Sie bezieht sich darin auf einen UN-Bericht, der festgestellt hat, dass die Biodiversität in Gebieten, die von einheimischen Bevölkerungsgruppen betreut werden, weniger rasch zurückgeht als anderswo. Sie reißt die Forderungen afrikanischer Ökologen an, auf "altgediente, afrikanische Konzepte" zurückzugreifen, die traditionelle Wertschätzung der Menschen in Afrika für die Natur und die Wildtiere anzuerkennen und sie einzubeziehen, statt sie zu vertreiben und auszusperren. Schlindwein nennt Beispiele von Nationalparks, in deren Verwaltung die indigenen Gemeinschaften einbezogen werden, etwa im Ebo-Wald in Kamerun. Darüber hätte man nach all den erschreckenden Schilderungen zuvor gerne mehr gelesen.
DAVID KLAUBERT
Simone Schlindwein : Der grüne Krieg. Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat.
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 256 S., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Natur- und Tierschutz ist wichtig. Aber in Afrika wird immer wieder das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Auf der Strecke bleiben die Menschen.
Mindestens dreißig Prozent der Erdoberfläche sollen bis 2030 unter Naturschutz gestellt werden. Darauf haben sich im vergangenen Dezember die Staaten bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal geeinigt. Bestehende Nationalparks sollen vergrößert und neue gegründet werden, um so die Zerstörung von Lebensraum und den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Ein ehrgeiziges Ziel und eine gute Nachricht. Doch auch die hat ihre dunkle Seite, wie die Journalistin Simone Schlindwein in ihrem Buch "Der grüne Krieg" beschreibt.
Am Beispiel mehrerer afrikanischer Nationalparks schildert Schlindwein, wie Menschen im Namen des Tier- und Pflanzenschutzes vertrieben und entwurzelt, ihrer Lebensgrundlagen beraubt, kriminalisiert, verschleppt und sogar getötet werden. Die Journalistin, die seit 2008 in Uganda lebt, greift dafür auf jahrelange eigene Recherchen zurück. Sie ist in Dörfer rund um die ugandischen Naturschutzgebiete gereist, aber auch in den Osten des Kongo, wo Rebellen, Milizen, korrupte Regierungstruppen, Wilderer und eine Holzkohlemafia ihr Unwesen treiben. So gelingt es Schlindwein zu zeigen, dass Berichte über brutale Übergriffe durch Wildhüter, die es im Lauf der Jahre immer wieder gab, keine Einzelfälle sind, sondern Symptome eines krankenden Systems. "Wir sehen immer mehr, dass die Ranger die Menschen wie Tiere behandeln", zitiert sie einen Menschenrechtsanwalt. "Und die Tiere im Kongo besser geschützt werden als wir Menschen."
Schlindwein blickt zurück auf die Errichtung erster Schutzgebiete durch deutsche, britische und belgische Kolonialmächte - und wie dafür schon im 19. Jahrhundert Dörfer niedergebrannt, Viehhirten und Waldbewohner rücksichtslos vertrieben wurden. Die Menschen störten die europäische Vorstellung unberührter Wildnis. Auch Bernhard Grzimeks oscarprämierten Film "Serengeti darf nicht sterben" sieht Schlindwein in dieser Tradition, nämlich als "Appell zur Schaffung einer menschenleeren Zone ohne Nutztiere". Sie beschreibt, wie noch heute Massai in ihren Dörfern nahe der Serengeti von tansanischen Sicherheitskräften angegriffen und teils schwer verletzt werden, weil die Regierung neue Schutzgebiete ausweisen will. Safari- und Jagdtourismus gehören in Tansania zu den wichtigsten staatlichen Einnahmequellen.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf den Nationalparks des Kongo, bekannt für die stark gefährdeten Flachland- und Berggorillas, finanziert mit Millionen deutscher Entwicklungshilfe. Und seit Jahrzehnten Schauplatz verworrener, blutiger Konflikte. Auch für Journalisten kann es dort lebensgefährlich sein, umso verdienstvoller sind Schlindweins Recherchen, ihre Gespräche mit den Menschen, die in und um die Parks leben, mit Opfern, Zeugen, Anwälten und Aktivisten, aber auch mit Milizionären, überforderten Staatsanwälten und Rangern. Ein junger Mann, der immer davon geträumt hatte, wie schon sein Vater und sein Großvater als Wildhüter zu arbeiten, sagte ihr: "Anstatt Tiere zu schützen, haben sie mich zur Kampfmaschine gemacht."
Schlindwein beschreibt, wie die Nationalparks überall in Afrika hochgerüstet werden. Wildhüter erhalten Training von britischen Soldaten und israelischen Spezialeinheiten, Nachtsichtgeräte, Drohnen, gepanzerte Patrouillenfahrzeuge, Kalaschnikows und manche sogar Panzerfäuste. So sollen sie die Tiere schützen, aber auch sich selbst, gegen die Milizen, die die Nationalparks als Rückzugsgebiete nutzen, und gegen Wilderer, die angetrieben von der Nachfrage nach Elfenbein aus Asien immer professioneller und brutaler vorgehen.
Gerade im Kongo führte die Militarisierung aber auch dazu, dass die Ranger selbst in die Kriegswirren hineingezogen und Teil des Konflikts wurden. Schlindwein dokumentiert schwere Übergriffe auf die indigenen Anrainer der Parks, willkürliche Gewalt, Vergewaltigungen, Morde. Auch in Uganda. Außerdem, so zeigen Studien, fließt ein immer größerer Teil der finanziellen Hilfe des Westens in Training und Ausrüstung der Ranger. Statt die einheimische Bevölkerung in und um die Parks zu unterstützen und mit Projekten in den Naturschutz einzubeziehen, werden Zäune gebaut. Die Schutzgebiete würden zunehmend wie Festungen verteidigt, bilanziert eine Wissenschaftlerin, und die Menschen als Feinde betrachtet.
Schlindwein konfrontiert auch die Bundesregierung mit ihren Recherchen und den Vorwürfen - schließlich ist die einer der wichtigsten Geldgeber für Nationalparks in Afrika. Dabei wird das Dilemma greifbar, in dem die deutsche Naturschutzpolitik steckt, die einerseits darauf drängt, die gewaltsamen Übergriffe der Ranger aufzuarbeiten und die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren. Die andererseits aber abhängig ist von den jeweiligen Regierungen und korrupten Naturschutzbehörden. Und die, so der Hauptvorwurf, den nicht nur Schlindwein, sondern auch afrikanische Naturschützer und Wissenschaftler erheben, nach wie vor am "Konzept der menschenleeren Parks" festhalte.
Schlindwein gelingt es in ihrem Buch eindrücklich, das Versprechen aus dem Vorwort zu erfüllen, eine "Bestandsaufnahme der derzeitigen Konfliktlage rund um die Nationalparks" abzuliefern. Etwas knapp fällt ihr Fazit aus. Sie bezieht sich darin auf einen UN-Bericht, der festgestellt hat, dass die Biodiversität in Gebieten, die von einheimischen Bevölkerungsgruppen betreut werden, weniger rasch zurückgeht als anderswo. Sie reißt die Forderungen afrikanischer Ökologen an, auf "altgediente, afrikanische Konzepte" zurückzugreifen, die traditionelle Wertschätzung der Menschen in Afrika für die Natur und die Wildtiere anzuerkennen und sie einzubeziehen, statt sie zu vertreiben und auszusperren. Schlindwein nennt Beispiele von Nationalparks, in deren Verwaltung die indigenen Gemeinschaften einbezogen werden, etwa im Ebo-Wald in Kamerun. Darüber hätte man nach all den erschreckenden Schilderungen zuvor gerne mehr gelesen.
DAVID KLAUBERT
Simone Schlindwein : Der grüne Krieg. Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat.
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 256 S., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Schlindwein gelingt es in ihrem Buch eindrücklich, das Versprechen aus dem Vorwort zu erfüllen, eine 'Bestandsaufnahme der derzeitigen Konfliktlage rund um die Nationalparks' abzuliefern.« David Klaubert Frankfurter Allgemeine Zeitung 20231024