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Als Froschkönig im Dubliner Finanzdistrikt: Paul Murrays sauber recherchierter Roman "Der gute Banker" erzählt aus dem Innern der irischen Bankenwelt und den Protestcamps davor.
Banker sind Stiefkinder der Literatur, und daran hat sich auch nach der letzten Finanzkrise wenig geändert. Das Hin- und Herschieben von Milliarden, die sich in virtuellen Räumen, Schein- und Leerverkäufen verflüchtigen, hat wenig erzählerischen Reiz. Außerdem brauchen die meisten Schriftsteller keinen Anlageberater und sind sogar noch stolz darauf, nichts von Swaps und Derivaten zu verstehen. Kein Wunder also, dass Lehman-Pleite, Euro- und Schuldenkrise bis heute noch nicht ihren Balzac gefunden haben.
Immerhin gibt es ein paar gelungene Romane, die in den Kopf des Monsters kriechen und den abstrakten, anonymen Banker als Menschen zeigen, etwa Kristof Magnussons "Das war ich nicht", Gudmundur Oskarssons "Bankster" oder John Lanchesters "Kapital", auch Thriller wie Robert Harris' "Angst" oder Martin Suters "Montecristo". Aber zu den Folgen des Neoliberalismus gehören vor allem Luftbuchungen wie Flore Vasseurs "Kriminelle Bande" oder Petros Markaris' Krisentrilogie, in denen der Banker zuverlässig der Mörder ist oder bald von Gläubigern und betrogenen Kunden ermordet wird.
Wo die Finanzkrise am heftigsten wütet, floriert wenigstens das Banker-in-der-Krise-Genre. Oskarsson und Magnusson sind Isländer, Markaris ist Grieche. Und Paul Murray ist Ire. Irland ist bis heute ein sicherer Hafen für Briefkastenfirmen und Steuersparmodelle, der Dubliner Finanzdistrikt Labor und Blase globaler Finanztransaktionen. Die Anglo Irish Bank etwa musste, weil "too big to fail", mit dreißig Milliarden Euro Steuergeldern gerettet werden. Irland war danach praktisch pleite, aber die Boni waren bald wieder auf alter Höhe.
In Murrays Roman "Der gute Banker"heißt die Anglo Irish nun Royal Irish Bank und wird mit staatlicher Hilfe von der kleinen, skrupellosen Investmentbank Bank of Torabundo geschluckt, in der Claude Martingale arbeitet. Der crazy frog aus Frankreich ist als Recherche-Analyst nur ein kleiner Fisch, aber wie die meisten seiner Kollegen hadert er mit sich und seinem Job. Das Leben selbst eines ausgebufften Bankers besteht nicht nur aus Geld, Sex und Koks; er denkt manchmal wie Occupy und weiß, was ein Simulacrum in der Kunst ist. Ish, die anthropologisch versierte Quereinsteigerin, schwärmt in der Mittagspause von der Tausch- und Geschenkökonomie der Eingeborenen von Kokomoko. In den oberen Etagen arbeitet unterdessen der durchgeknallte Jungspund Howie zusammen mit einem noch verrückteren russischen Mathematiker an Hedgefonds, die mit Hilfe "providentieller Antinomie" und nichteuklidischer Gleichungen "irrationale Renditen" generieren: Verluste, Pleiten und Katastrophen werden in todsichere Gewinne umgewandelt.
Murrays Geschichten aus dem Innern des Financial Service Districts und den Protestcamps davor sind, wenn nicht wahr, so doch gut erfunden und sauber recherchiert. Und Murray beherrscht die Kunst, komplexe Finanztransaktionen auf allgemein verständliche Witze, saftige Klischees und Alltagsmetaphern herunterzubrechen: "Wenn Sie zu einem Buchmacher gehen, dann ist das eine Wette. Wenn Sie irgendeinem Dreiundzwanzigjährigen in einem Armani-Anzug zweihunderttausend dafür bezahlen, dass er für Sie zum Schalter geht, dann ist das ein Derivat." Aber "Der gute Banker" verschafft nicht nur Einblicke in die Logik des entfesselten Finanzkapitals und die kaputten Seelen seiner Akteure, sondern ist auch und vor allem Metaliteratur: ein Selbstbildnis des modernen Schriftstellers im Spannungsverhältnis zwischen Schreiben und Leben, Kunst und Kommerz. Und nicht zuletzt eine romantische Komödie: Claude, der reiche, einsame Franzose in Dublin, liebt Ariadne, die arme griechische Kellnerin. Der Banker hat Geld und keine Freunde, die Kellnerin das Leben auf ihrer Seite.
Das Happy End der Euro-Krisen-Komödie wird nur ironisch angedeutet, aber auf den 526 Seiten davor lässt Paul Murray keine Gelegenheit aus, den alten Gegensätzen von Fiktion und Wirklichkeit, Künstlern und Bankern neue satirische Schlenker und tragikomische Facetten hinzuzufügen. Am Anfang steht eine augenzwinkernde Verbeugung vor James Joyce, dem Übervater aller Dublin-Literatur. Paul, ein erfolgloser Schriftsteller, bringt Claude mit dem Vorschlag in Verlegenheit, ihn zum Helden seines neuen Romans zu machen. Der langweilige, unscheinbare Banker im geschichts- und gesichtslosen Finanzdistrikt sei der neue Leopold Bloom, der "entwurzelte Jedermann" im mythischen Weltalltag, und er, Paul, werde das Menschliche im Innern der Maschine, das Konkrete im Zentrum goldener Abstraktionen zeigen: "Ich will etwas schreiben, das aufrichtig widerspiegelt, wie wir heute leben. Echtes, tatsächliches Leben, kein Elfenbeinturmgeschwätz, keine Literatur."
Tatsächlich aber will Paul die Bank ausrauben. Claude muss enttäuschen: In Investmentbanken gibt es keinen Safe. Paul hat noch einige andere Geschäftsideen, die krachend scheitern, etwa eine bizarre Kellnerinnen-Dating-App. Ausgerechnet seine dümmste Idee, das Märchen vom Banker als neuem Jedermann, verkauft sich dagegen grandios. Nur beim Titel "Der Anal-Analyst" sieht der begeisterte Lektor noch Verbesserungsbedarf.
So werden am Ende Literatur und Leben elegant ineinander verwoben und Claude und Ariadne unter tätiger Mithilfe Pauls auch. Murray, schon für "Skippy stirbt" (2011) als begnadeter Humorist gefeiert, verkauft seine Idee nicht unter Wert. Das sichtbare Bemühen, keine Pointe und keinen noch so derben Witz auszulassen, kann auf die lange Distanz schon mal ermüden. Aber alles in allem ist dieser "Gute Banker" der bislang beste Roman zur Krise. Finanzwesen und Literatur haben nämlich viel miteinander gemein: Märchen gehören zum Geschäftsmodell.
MARTIN HALTER
Paul Murray: "Der gute Banker". Roman.
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Antje Kunstmann Verlag, München 2016. 528 S., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
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