Rosemarie Hirte lebt ein ereignisloses Leben. Unverheiratet und kinderlos, mit biederem Aussehen, wenigen Bekannten und ohne besondere Hobbies kommt sie der Bezeichnung "alte Jungfer" recht nah. Das ändert sich schlagartig, als sie sich mit 52 Jahren zum ersten Mal ernsthaft verliebt. Der
Auserwählte ist Rainer Witold Engstern, Lehrer und Sachbuchautor, dem sie auf einer Lesung begegnet. Rosemarie…mehrRosemarie Hirte lebt ein ereignisloses Leben. Unverheiratet und kinderlos, mit biederem Aussehen, wenigen Bekannten und ohne besondere Hobbies kommt sie der Bezeichnung "alte Jungfer" recht nah. Das ändert sich schlagartig, als sie sich mit 52 Jahren zum ersten Mal ernsthaft verliebt. Der Auserwählte ist Rainer Witold Engstern, Lehrer und Sachbuchautor, dem sie auf einer Lesung begegnet. Rosemarie ist wild entschlossen: Diesen Mann muss sie haben!
Regelmäßig schleicht sie sich in seinen Vorgarten, um ihn heimlich zu beobachten. Eines Abends wird sie zufällig Zeugin einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner alkoholkranken Ehefrau. Im Affekt kommt es zu einer Schießerei, bei der Witolds Frau getroffen wird. Während der geschockte Witold einen Krankenwagen rufen will, kommen Rosemarie Schreckensvisonen von ihrem Angebeteten im Gefängnis. Das muss sie verhindern! Kurzerhand stürmt sie auf die Bildfläche, erschießt die Verletzte und lässt alles wie einen Überfall aussehen.
Der verstörte Witold ist seiner Retterin zwar dankbar, doch in Liebe will er nicht so recht entflammen. Aber Rosie gibt nicht auf. Die einstige alte Jungfer kennt nur noch ein Ziel und dafür geht sie über Leichen - im wahrsten Sinn des Wortes ...
Der Clou bei "Der Hahn ist tot" liegt in der Hauptperson, die den Leser sofort auf ihrer Seite hat. Rosemarie Hirte ist keine kaltblütige Mörderin. Sie ist lediglich eine einsame Frau, die urplötzlich eine Chance auf das langersehnte Glück wittert - und jenseits aller Vernunft darum zu kämpfen beginnt.
In lakonischem Tonfall erzählt Rosemarie die Ereignisse, die sie von einer harmlosen Versicherungsangestellten zur mehrfachen Mörderin werden ließen. Das Absurd-Witzige an der Handlung ist, dass Rosemarie nur durch unglückliche Umstände in diese mörderische Lage gerät. Sie ist eine Durchschnittsfrau, die an sich niemals jemandem etwas Böses wollte. Doch das jahrzehntelange Entbehren jeglicher glücklicher Beziehungen lässt sie mit einem Mal die Kontrolle verlieren, als sie ihre Chance zum Greifen nah sieht.
Man muss weder in Rosemaries Alter sein noch ihre Erfahrungen erlebt haben, um sich rasch mit ihr zu identifizieren oder doch zumindest Symapthie für diese Frau zu entwickeln, die sich von Herzen ihren Witold und nichts anderes wünscht. Doch jedes Mal, wenn sich ihre Chancen verbessert haben, wird ihr Glück vereitelt, meist in Gestalt einer Rivalin. Für Rosemarie gibt es da natürlich kein Pardon - denn sie weiß genau, dass dies wahrscheinlich ihre letzte Gelegenheit sein wird, jene heiß ersehnte Zweisamkeit zu erleben ...
Ingrid Noll weicht ab vom gängigen Krimi-Schema des bösen Mörders, der in typischer "Who-dunnit"-Manier vom Leser und Ermittler gleichermaßen erraten werden muss. Stattdessen konzentriert sie sich vollkommen auf die Täterin selber. Die Morde selber stehen nicht im Vordergrund, sie sind nur logische Konsequenz im Leben der Protagonistin. Rosemarie ist nicht gerne eine Mörderin, aber das Schicksal scheint ihr keine andere Möglichkeit zu geben. Ihr schnodderiger Tonfall und ihre selbstironischen Kommentare über ihre missglückte Liebeswerbung geben dem Roman den richtigen Pfiff.
Rosemarie Hirte ist die Antwort auf all die frustrierten, einsamen Frauen, die das große Glück in ihrem Leben verpasst haben und sich vor einem letzten Versuch, darum zu kämpfen, scheuen. Natürlich schießt Rosi auf ihrem Weg ein wenig übers Ziel hinaus - aber das Ergebnis ist ein ein wunderbar leicht geschriebener Roman, der auch beim wiederholten Lesen nichts von seinem Charme einbüßt.