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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zwei autobiographische Zeit- und Liebesbilder: Sybil Gräfin Schönfeldts "Er und ich" und Helga Schuberts "Der heutige Tag"
Sie und er sind ein Jahrgang: 1927. Sybil Gräfin Schönfeldt und Johannes Helm, die eine Autorin, der andere der reale Mann hinter der Romanfigur Derden in Helga Schuberts Roman "Der heutige Tag". Die Autorin letzteren Werks ist 13 Jahre jünger, geboren 1940.
Die Berührungspunkte oder Parallelen zwischen den beiden Autorinnen sind sogar noch eklatanter. Beide haben nach langer Ehe eine Doppelbiographie vorgelegt, mit der sie über sich und ihren Mann Auskunft geben. Beide sind berufstätig, haben ihren eigenen Kopf, sehen in ihrem Partner einen Menschen aus Fleisch und Blut, keinen Prinzen aus einschlägigen Filmen, und zeichnen auf dieser gut geprüften Grundlage ein sehr anrührendes Bild von ihrem Miteinander.
Beide sind durchaus kritisch gegenüber dem eigenen Staat, Schubert pikt die Stasi-Bespitzelung auf, Schönfeldt die Kontinuitäten nach 1945. Die beiden Werke fügen sich damit auch zu einer Doppelbiographie der zwei deutschen Staaten zusammen - was zu den Unterschieden führt.
Beide Autorinnen haben durchaus anders gelagerte Temperamente. Die im letzten Jahr verstorbene Schönfeldt berichtet deutlich unprätentiöser, während Schubert letztlich ihr Anliegen nicht verhehlt: Sie möchte mit Literatur praktische Lebenshilfe leisten und auf diese Weise einen anderen Teil ihrer Erfahrung weitergeben: In ihrem Band über Tschechow räumt sie freiheraus ein, eine seiner Kurzgeschichten habe ihr in jungen Jahren geholfen, "den kleinen lebensrettenden Schritt vor dem Abgrund zurückzuweichen." Sie nimmt sich nicht nur die Länge, sondern auch den Inhalt der Geschichte "Gram" zu Herzen, "die Menschenfreundlichkeit und das Wissen um die gefährliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Kummer, dem Gram eines Gegenübers, die er nur leise und vorsichtig andeutet." In der Folge gewichtet Schönfeldt die Zeit stärker, Schubert die (mitmenschliche) Liebe.
Bei Schönfeldt geht es immer wieder um die nach 1945 drängenden Fragen. Da mussten aus dem Exil zurückgekehrte Journalisten "aus Befehlsempfängern denkende Menschen" machen. Diese Bewusstseinsarbeit ist für sie von grundlegender Bedeutung, denn ihr Mann Heinrich hat mütterlicherseits jüdische Vorfahren, die sich bis auf Moses Mendelssohn zurückverfolgen lassen, Antisemitismus zieht sich als roter Faden durch den Text - und die Weigerung, neben einem "alten Nazi" wie Hans Baumann zu sitzen, durch Schönfeldts Leben. (Ein wenig erstaunt angesichts dieser resoluten Offenheit, dass sie kaum auf die Kontinuitäten eingeht, die das Leben der gehobenen Kreise oder des Adels prägen, denen sie auch selbst angehörte. Nur in ihren Übersetzungen hat sie gekonnt gestichelt: "Übrigens, man ist der Edle Erwin Lampe von Löffel" - Worte, die sie dem Hasen aus Saxbys "Die Abenteuer von Eduard Speck" in den Mund legt.)
Schubert stellt die Pflege Derdens in den Vordergrund, denn die Pflege ihres Mannes Johannes ist es, die ihren Alltag prägt. Dadurch rückt der eigene Tod buchstäblich in greifbare Nähe. "Auch jetzt als alte Frau, dachte ich plötzlich, habe ich ja noch richtige Lebensaufgaben zu lösen", vor allem die, ihren inneren Frieden zu finden. Trost findet sie selbst in ihrem Glauben, der ihr für ihr Verhalten klare Leitlinien an die Hand gibt: lebensbeendende Maßnahmen verbieten sich von selbst. "Was für eine Anmaßung gegenüber der Schöpfung, dachte ich." Ihr Alltag wird geprägt durch den Balanceakt, den die Pflege dementer Menschen darstellt. In die an den Kräften zehrende Routine muss immer wieder ein improvisierter Wechsel von Rolle und Szene integriert werden. Wenn Derden im Februar Weihnachten feiern will, bitte. Schwieriger wird es bei der größten Herausforderung in solchen Pflegefällen: nicht mehr wiedererkannt zu werden. Für die Sechzehnjährige war es kein Problem, wenn die Oma in ihr die eigene, längst tote ältere Schwester gesehen hat. "Aber Derden ist ein Teil von mir, das ist etwas anderes als damals am Ende der elften Klasse, als meine Welt weit war und das Leben noch vor mir." (Sie meistert mit ihrem Glauben auch das, was gelegentlich zu sentenzenhaften Aussagen führt.)
Und ein letzter Punkt, der die Ehen beider Autorinnen vergleichbar macht: Sie suchen in ihrem Mann nicht nach dem eigenen Spiegelbild, sondern sind sich der Unterschiede klar bewusst, tolerieren sie, lieben womöglich gerade sie. Das Alter ist zu nennen, die Religionszugehörigkeit oder Geldverhältnisse. Die seit dem Faschismus vernarbte Haut des einen, die glatte der anderen. Für beide Frauen ist es nicht die erste Beziehung, für Schubert sogar die zweite Ehe. Alle vier achten auf ihre Eigenständigkeit. Schönfeldt hält für das Kriegsende fest, ihr Mann marschierte mit einem Mal "allein, und es war ihm nur recht. Kein Leben mehr in der Masse, allein. Allein in der großen Stille des Sommers."
Beide Frauen wissen um Zufälle im Leben, vor allem Schönfeldt beschreibt plastisch etliche Bereits-damals-hätten- wir-uns-Situationen, in denen Heinrich und sie sich schon hätten kennenlernen können. Nun ist es ein Zufall, dass ihre Werke fast zeitgleich erschienen sind. Sie stellen freilich nicht unbedingt eine intellektuelle Offerte dar. Profunde Überlegungen, die zum eigenen Nachdenken einladen, finden sich kaum. Ihren Reiz gewinnen sie durch die warmherzige Art, mit der die beiden Frauen das eigene Leben Revue passieren lassen. Es ist ein Blick zurück in Dankbarkeit für die Zufälle im eigenen Leben. Schönfeldt hält es explizit fest. Eine frühere jüdische Freundin ihres Mannes hatte ihm geraten, das Land der Mörder zu verlassen. "Er ist geblieben, sonst wäre zumindest mein Leben anders verlaufen." CHRISTIANE PÖHLMANN
Sybil Gräfin Schönfeldt: "Er und ich".
Erinnerungen.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2023. 264 S., geb., 26,- Euro.
Helga Schubert:
"Der heutige Tag". Ein Stundenbuch der Liebe.
Dtv, München 2023. 272 S., geb., 24,- Euro.
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