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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Lange nichts gehört aus Xinjiang: Die Lage der turksprachigen Einwohner ist so schlecht wie eh und je.
Von Julia C. Schneider
Wäre die Frequenz, wie häufig über bestimmte Themen in den Medien berichtet wird, Maßstab dafür, wie aktuell diese sind, scheint Mathias Bölingers Buch fast aus der Zeit gefallen. Berichteten Medien noch bis Sommer 2022 zumindest ab und an über Xinjiang, sucht man heute fast vergeblich nach Informationen, wie sich die Situation uigurischer, kasachischer, kirgisischer, usbekischer und tadschikischer Einwohner der Region entwickelt hat. Das mag daran liegen, dass seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie kaum noch Wissen aus erster Hand nach außen dringt. In seinem Buch vergegenwärtigt Bölinger die Situation der Menschen in Xinjiang, die dem chinesischen Überwachungs- und Unterdrückungssystem im Alltag und in Zwangslagern ausgesetzt sind. Es ist jedoch mehr als eine weitere wichtige, aber letztlich hilflose Aufzählung der staatlich organisierten Grausamkeiten gegen Uiguren und andere, wie sie schon früher vorgelegt wurden. Stattdessen ist es eine sehr hilfreiche historische Einbettung der aktuellen Ereignisse. Wenn die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) heute behauptet, Xinjiang gehöre bereits seit mehr als 2000 Jahren zu China, betreibt sie politisch motivierte Geschichtsklitterung. Eine seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschende chinesisch-nationalistische Historiographie macht es der KPCh jedoch leicht, dieses Narrativ zu propagieren. Seit Gründung der Volksrepublik 1949 kamen die turksprachigen Einwohner Xinjiangs immer weiter unter Druck, sich der chinesischen Mehrheit anzupassen. Dabei ist wirkliche Assimilation selbst bei perfekter Beherrschung der chinesischen Sprache unmöglich, werden doch Uiguren und andere nichtchinesische Ethnien weiterhin als minderwertig angesehen. Ausgehend von einem generellen, rassistisch motivierten Überlegenheitsgefühl seitens der Regierung, aber auch der chinesischen Bevölkerung gegenüber Angehörigen nichtchinesischer Minderheiten mündet die Eskalationsspirale über eine immer aggressivere Assimilationspolitik darin, dass der Staat beginnt, "die Gesellschaften, die Kultur, die Identität der muslimischen Turkvölker in Xinjiang zu vernichten". Wenn der Parteisekretär Xinjiangs, Chen Quanguo, der zusammen mit Zhu Hailun, Sekretär des Parteikomitees für Politik und Justiz Xinjiangs, das Lagersystem geplant und aufgebaut hat, sagt: "Brecht ihre Wurzeln, Ahnenreihen, Verbindungen, brecht ihren Ursprung", dann ist klar, was das Ziel der Überwachung, Masseninhaftierungen und Folterungen sowie der gewaltsamen Geburtendezimierung und des Kinderentzuges ist, Strategien, die seit 2016 verfolgt werden. Als die chinesische Regierung merkte, dass sie gegenüber dem - vor allem westlichen - Ausland die Existenz der Lager weder leugnen noch sie erfolgreich als "Ausbildungszentren" (Chinas Euphemismus für die Lager) verkaufen konnte, benannte sie einige offenbar in Gefängnisse um. Parallel dazu stieg die Anzahl der gerichtlichen Verurteilungen von Uiguren wegen politischer Vergehen stark an. Die Verurteilten waren häufig Lagerinsassen, deren Internierungen damit im Nachhinein legalisiert wurden. Allerdings wurden auch Chen Quanguo und Zhu Hailun, die Architekten der "uigurischen Katastrophe", die seit 2021 auf der Sanktionsliste der USA stehen (Zhu auch auf der der EU), aus Xinjiang versetzt. Dennoch gehen die Repressionen weiter. Dies wird sich nur durch andauernde Aufmerksamkeit des Auslands sowie nachhaltigen politischen Druck, auch auf Unternehmen wie VW und BASF, die auf Druck Chinas in Xinjiang investiert haben, um ihr Geschäft nicht zu gefährden, ändern. Lassen Aufmerksamkeit und Druck nach, gibt es für die KPCh keinen Anlass, ihre Strategie in Xinjiang grundlegend zu überdenken. Mathias Bölinger: Der Hightech-Gulag. Chinas Verbrechen gegen die Uiguren. C.H. Beck Verlag, München, 2023. 256 S., 18,- Euro.
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Deutschlandfunk, Steffen Wurzel
"Bölinger skizziert nicht nur detailreich die Orwell'sche Logik der paranoiden chinesischen Parteipolitik, er zeichnet auch die Vorgeschichte all dessen sehr genau nach."
Falter, Julia Kospach
"Mathias Bölinger hat zahlreiche Augenzeugen befragt und zeigt an ihren Geschichten und anhand der neuesten Leaks, wie ständige Angst, Festnahmen, Verhöre, psychische und physische Folter die Menschen zermürben."
SR2, Kai Schmieding
"Zwangssterilisierungen, Abhörgeräte, das systematische Sammeln von biometrischen Daten -und der Tigerstuhl: In seinem Buch zeichnet Mathias Bölinger die totale Überwachung der uigurischen Minderheit nach."
Die Presse, Duygu Özkan
"Eine sehr hilfreiche historische Einbettung der aktuellen Ereignisse."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Julia C. Schneider
"'Der Hightech-Gulag' bewegt sich zwischen einer klaren Analyse der Geschehnisse in Xinjiang und einer politischen Handlungsaufforderung."
taz, Till Schmidt
"Ein sehr guter Start für Leute, die in das Thema tiefer einsteigen wollen."
Einmischen! Politik Podcast, Jenny Günther
"Fügt dem bereits Bekannten, wenn gleich quasi Unvorstellbaren, noch einige wichtige Aspekte hinzu ... Es gelingt ihm überdies, skrupulös recherchierte Einzelschicksale in einen größeren Zusammenhang einzubetten."
Internationale Politik, Marko Martin
"Ein kurzweiliger Einstieg für alle, die sich bisher nicht viel mit dem Thema beschäftigt haben."
Kleine Zeitung, Andreas Edler-Retter
"Der Journalist hat über Jahre immer wieder in China recherchiert und auch Interviews mit Menschen geführt, die die Umerziehungslager überlebt haben."
Deutschlandfunk Kultur Lesart, Christian Rabhansl