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Emine Sevgi Özdamar ergeht sich in milder Melancholie
Zwischen Deutschland und der Türkei gibt es eine Tür. Sie heißt Deutschlandtür und ist bekannt aus Emine Sevgi Özdamars Theaterstück und gleichnamiger Erzählung "Karagöz in Alamania". Der Weg in das Gastarbeiterparadies und zurück in die Heimat ist im wesentlichen der Schritt durch diese Tür, deren Pförtner die Farben des Bundesgrenzschutzes tragen. Keine fließenden Übergänge mildern den Kulturschock, man ist hier, oder man ist da. Die Erzählung findet sich in Özdamars erstem Buch, der Erzählsammlung "Mutterzunge", und Türen ziehen sich durch ihr gesamtes literarisches Werk, in ihrem ersten Roman, für den sie den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten hat, sind sie bereits im ausführlichen Titel präsent.
Diese sprunghafte Geographie, die sich aus dem Austausch von Wegen durch Türen ergibt, prägt auch "Der Hof im Spiegel". In ihrem neuen Buch wechselt die Autorin zwischen den Ländern und den Zeiten, als wären es isolierte Orte, zwischen denen man hin und her springen kann. Die in dem Band gesammelten Texte halten einerseits eine biographisch-anekdotische Rückschau, deren Zentrum der als traumatisch erlebte Tod der Mutter ist. Sie ergeben aber auch subjektive Momentaufnahmen Europas. Kein Europa des Reisens, des Übergangs, sondern der Zustände an bestimmten Punkten. Länder verdichten sich auf die Städte, in denen die Autorin gelebt hat, wie Berlin, Istanbul oder Amsterdam, die Städte wiederum auf einzelne Orte. Ein solcher Ort kann ein altes Fahrrad auf einem zugefrorenen Kanal sein oder zwei Plastikstühle in einem Straßencafé.
So läßt die Autorin Stationen ihres Lebens im zeitlichen wie räumlichen Sinn in Texten aufleben, die größtenteils in den letzten Jahren für verschiedene Zeitungen geschrieben wurden. Diese Herkunft hat zur Folge, daß sie sich nicht wirklich zu einem größeren Ganzen formen lassen wollen. Die fälschlich als "Erzählungen" untertitelte Sammlung präsentiert sich schon in ihrer Form als Flickwerk, wenn sich der rote Faden vor allem anhand der wörtlichen Wiederholungen ergibt. Wo dies fehlt, bleiben die Rückblicke getrennt voneinander, auch das Leben findet, zumindest in der Erinnerung, nur punktuell und sprunghaft statt.
Es besteht kein Zweifel, daß Özdamar schon aufgrund ihrer Biographie etwas zu erzählen hat, mit dem Leben zwischen der Türkei, den beiden deutschen Staaten und zwei Sprachen. Gerade diese Verdoppelung der Perspektive hat sie von Anfang an genutzt, um ihre Geschichten künstlerisch zu gestalten. All das findet sich auch in diesem Buch, doch gibt es darin weder den Willen zur inneren Geschlossenheit noch die anarchische und herausfordernde Sprachkraft, die ihre früheren Werke auszeichnet. Wut und Ärger sind milder Melancholie gewichen.
Viele Motive und Gedanken sind schon aus ihren früheren Werken bekannt, manche Formulierungen kehren wie Beschwörungsformeln wieder, verlieren jedoch als Selbstzitat erheblich an poetischer Kraft. Der titelgebende Spiegel ist dabei das stärkste poetische Bild des Buches, weil er einmal mehr die verschobene Wahrnehmung der verdoppelten Identität Özdamars kennzeichnet. In diesem Text versammeln sich die Toten mit den Lebenden im Spiegel der Erzählerin, durch den sie den Hof beobachtet. Spiegel und Erzählung werden so eins, Deutschland und die Türkei treffen sich darin genauso wie Vergangenheit und Gegenwart. Die Begegnungen außerhalb des Spiegels können dagegen weniger überzeugen, wenn einander unbekannte wundersame Menschen sich unvermittelt Persönlichstes aus ihrem Leben erzählen. "Der Hof im Spiegel" ist ein neuer Trakt in Emine Sevgi Özdamars bedeutendem literarischen Haus, doch ist es eher ein etwas verschämter und nicht ganz stilechter Anbau. Er besitzt viele Türen, aber wenig verbindende Korridore.
SEBASTIAN DOMSCH
Emine Sevgi Özdamar: "Der Hof im Spiegel". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 132 S., br., 15,50 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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