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Das Portrait eines Dorfes, die Erinnerung an eine Kindheit und Jugend: Wolfgang Hardtwig, bis 2010 Professor für Neuere Geschichte in Berlin, lässt mit seinen Erinnerungen an Reit im Winkl eine untergegangene Welt auferstehen. Eine Welt, die sich ihm vor allem als ein großes Abenteuer darbot, mit manchen Härten und vielen Erlebnissen auf dem Land, die heute geradezu exotisch anmuten. Der Hof in den Bergen ist das Refugium seiner Familie. Als die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg in München zu bedrohlich wurden, beschloss die Familie, in den Bauernhof bei Reit im Winkl umzuziehen, den der…mehr

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Produktbeschreibung
Das Portrait eines Dorfes, die Erinnerung an eine Kindheit und Jugend: Wolfgang Hardtwig, bis 2010 Professor für Neuere Geschichte in Berlin, lässt mit seinen Erinnerungen an Reit im Winkl eine untergegangene Welt auferstehen. Eine Welt, die sich ihm vor allem als ein großes Abenteuer darbot, mit manchen Härten und vielen Erlebnissen auf dem Land, die heute geradezu exotisch anmuten. Der Hof in den Bergen ist das Refugium seiner Familie. Als die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg in München zu bedrohlich wurden, beschloss die Familie, in den Bauernhof bei Reit im Winkl umzuziehen, den der Großvater 1932 gekauft hatte. Als Meister präziser Erzählung schildert er mit feinem Humor die Jahre seiner Kindheit und Jugend auf dem Hof. Er erzählt vom bäuerliche Leben rundum, von Schule, Kirche und Politik zwischen Tradition und Moderne. Das Land, das Dorf, der Hof - auch dies ein Raum, in dem sich bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft formierte. Mit diesem Buch legt Wolfgang Hardtwig ein Stück "intellektueller Heimatliteratur" vor, in ihrer Art neu und wegweisend. Zugleich berichtet er über Prägungen aus der Familiengeschichte, in denen sich die künftige Entscheidung für den Beruf des Historikers vorbereitet. "Erzählen lässt sich davon auf verschiedene Weise: als bloßer Bericht über die Abfolge von Ereignissen, als breite Schilderung des Lebens und seiner Buntheit, als Gespinst von Reflexionen, die mehr oder weniger fest an zwei Angelpunkten in der Zeit, Anfang und Ende, befestigt sind; schließlich als diskursives Erzählen, das nach Ursachen und Wirkungen fragt." - Wolfgang Hardtwig

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Autorenporträt
Wolfgang Hardtwig, 1944 in Reit im Winkl geboren, war Professor für Neuere Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur politischen Kulturgeschichte. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Kultur- und Sozialgeschichte Deutschlands vom 16. bis 20. Jahrhundert sowie die Geschichte der Geschichtsschreibung und Geschichtstheorie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2022

Beim Oberwirt wurde Politik gemacht
Der Historiker Wolfgang Hardtwig schreibt über sein Aufwachsen in einem bayrischen Dorf und dabei ein Stück deutsche Gesellschaftsgeschichte

Wolfgang Hardtwig hat ein bemerkenswertes Buch über sich selbst geschrieben. "Der Hof in den Bergen" sind die Erinnerungen eines 1944 in der oberbayerischen Provinz geborenen emeritierten Geschichtsprofessors - er lehrte von 1991 bis 2009 an der Berliner Humboldt-Universität -, die gleichermaßen Auskunft geben über die Sozialgeschichte des ländlichen Bayerns in den Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahren wie über den Autor selbst.

Die Einleitung wartet sogleich mit der prägendsten Figur in Hardtwigs Leben auf, dem Großvater mütterlicherseits, Eduard Hamm. Er war Politiker der linksliberalen DDP, 1924 Reichswirtschaftsminister, Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelstages, seit 1934 Mitglied des oppositionellen Sperr-Kreises, im Herbst 1944, kurz vor Hardtwigs Geburt, im Gestapogefängnis Lehrter Straße in Berlin zu Tode gekommen. Der Großvater hatte den Hof, der dem Buch seinen Namen gibt, 1932 gekauft. Als die Bombennächte in München bedrohlich wurden, zog die Familie dorthin.

Wolfgang kam auf dem Hof zur Welt, der Vater stieß im Sommer 1945 nach seiner Zeit bei der Wehrmacht und amerikanischer Internierung dazu, zumindest wochenends. Unter der Woche weilte er in München, wo er als Privatdozent Geophysik lehrte. Der Großvater war so präsent wie tot. Seine Witwe trug jeden Tag Schwarz, seine Tochter, Hardtwigs Mutter, flüsterte ihrem Sohn ein, er müsse so werden wie er, wodurch Hamm zur "historisch-moralische[n] Last" für Hardtwig geworden sei - so seine Selbstdeutung, die mit der 2018 erschienenen Biographie über den Großvater ihren Anfang nahm und im vorliegenden Buch ihre Fortsetzung findet.

Die ersten Kapitel nehmen uns mit auf den Baierhof ("Boarhof") in Oberbichl, zweihundert Meter östlich der deutsch-österreichischen Grenze. Wir erfahren von einer Kindheit im landwirtschaftlichen Rhythmus der Jahreszeiten, beschwerlichem Kartoffelstecken, Heuen und Schneeschaufeln, katholischer Volksfrömmigkeit, strapaziösen Schulwegen und der ländlichen Sozialstruktur insgesamt.

Die bot einerseits, flexibler als urbane Kleinfamilien, Platz für allerlei Menschen, für Knecht Louis etwa, der eines Tages Anfang der Fünfzigerjahre aus dem Nichts auftauchte, nach Arbeit fragte und daraufhin einige Jahre blieb, bis er ebenso plötzlich wieder verschwand. Andererseits waren die Strukturen starr: Kleinbauern und Knechte gingen, entsprechend ihrer Position in der sozialen Hierarchie, in den Gasthof zum Löwen; beim Oberwirt hingegen ereigneten sich die großen Bauernhochzeiten und die Wahlveranstaltungen der CSU. Solche Einblicke sind mit ethnographischem Mehrwert zu lesen, bestätigen aber nur ein Bild, das aus Studien zur ländlichen Welt hinlänglich vertraut ist. Noch interessanter ist das Buch deshalb dann, wenn es um Wolfgang Hardtwig selbst geht.

Hardtwigs Mutter, als promovierte Philologin zuerst Nachhilfelehrerin im Dorf und später Leiterin von Bildungsreisen, ließ ihrem Sohn eine "ständisch fundierte Umgangserziehung" angedeihen, deren "unablässiger Erziehungs- und Bildungsdruck" ihn in der sechsten Klasse zum notorischen Schulschwänzer samt Sitzenbleiben machte. Im Hause Hardtwig verbanden sich Musik, Literatur und ein Ethos gegenseitiger Unterstützung mit der "Selbstgewissheit der herrschenden Klasse".

Der Vater war ein Kind der Habsburgermonarchie, 1903 als Sohn eines oft versetzten k.u.k.-Postbeamten geboren, mit einer akademischen Karriere, die heute unter #IchBinHanna firmieren würde, und für die so wahrgenommene finanzielle Prekarität des bürgerlichen Lebensentwurfs verantwortlich. Es reichte für Wäscherin und Urlaubsreisen, um aber am Skilager teilnehmen zu können, mussten die Hardtwigs um Unterstützung aus dem schulischen Hilfsfonds bitten. Er sei der "bloß angeheiratete und noch dazu österreichische Ehemann aus den unteren Ständen" geblieben und "bäuerisch", "präbürgerlich" im Gegensatz zur "schöngeistigen" Mutter gewesen.

Alle Bekannten stammten aus dem Umfeld der Mutter, und diese waren es auch, die beim Autor das Bewusstsein ausbildeten, "von der Familie her etwas Besonderes zu sein". Dieses Familiennarrativ wurde fortgeschrieben, indem etwa Hardtwigs jugendliche Flottenbegeisterung mit den Worten "das hat er vom Onkel Max" goutiert wurde, dem jüngeren Bruder des Großvaters, Marineoffizier und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg, wohingegen er von der väterlichen Familie besser nichts hatte.

Zwar reflektiert Hardtwig, "im Kategoriensystem der Mutter befangen" gewesen zu sein, und setzt Formulierungen wie die "Besseren" oder die "kleinen Leute" mitunter, aber nicht durchgängig, in Anführungszeichen. Sein Verhältnis zu diesem Koordinatensystem bleibt jedoch unklar. Wir erfahren nichts über Ausbruchsversuche, im Gegenteil lesen wir von einer Jugendliebe, die nicht ohne Folgen blieb, allerdings nur hinsichtlich des Musikgeschmacks "wie es sich in unseren Kreisen Mitte der 1960er Jahre noch gehörte".

Hardtwig reiht sich mit diesem Buch in die jüngere Selbsthistorisierung west-deutscher Historikerinnen und Historiker ein, die um die Jahrtausendwende unter anderem mit Lutz Niethammer, Barbara Duden, Jürgen Reulecke und Barbara Stambolis' Forschungsprojekt zu westdeutschen Geschichtsprofessoren des Jahrgangs 1943 begann. "Der Hof in den Bergen" erscheint in diesem Kontext als weitere Figuration weiblich dominierter vaterloser Familienverhältnisse, in diesem Fall nur eben großvaterloser. Die Frage, wie Kindheit und Jugend verlaufen wären, wäre der Großvater da gewesen, zieht sich so durch Hardtwigs Lebensbeschreibung, wie sie Jürgen Reuleckes (und anderer) Leben als "Söhne ohne Väter" strukturierte. Interessant ist also, warum dieser untergründige Großvatermythos dafür sorgen konnte, dass der lebende Vater "als Vorbild ausfiel", wie er es für den jungen Hardtwig tat - und was das über die gesellschaftlichen Machtverhältnisse dieser Zeit sagt.

Das Buch lohnt die Lektüre, denn es ist Quelle und Analyse zugleich. Es offenbart langlebige Strukturen im deutschen Bildungsbürgertum, die die alte Bundesrepublik prägten und im ländlichen Nachkriegsbayern gute Konservierungsbedingungen vorfanden. Zahlreiche Aspekte der Geistes- und Gesellschaftsgeschichte entwirrt die Feder des Historikers. Anderes spricht aufgrund der Grenzen, die die Personalunion von Untersuchendem und Untersuchungsgegenstand mit sich bringt, implizit aus dem Text: der selbstverständliche Bezugsrahmen der Nation etwa, die spezifisch männliche Sozialisation oder auch das Spannungsverhältnis zwischen kritischer Reflexion und tiefer Verinnerlichung des bürgerlichen Habitus. Gerade deshalb aber stellt Wolfgang Hardtwig mit diesen autobiographischen Reflexionen unter Beweis, weit über seine Lehrtätigkeit hinaus ein produktiver Historiker seines Faches und für sein Fach zu bleiben. VERONIKA SETTELE

Wolfgang Hardtwig: "Der Hof in den Bergen". Eine Kindheit und Jugend nach 1945.

Vergangenheitsverlag, Berlin 2022. 300 S., geb., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr angerührt ist Gustav Seibt vom autofiktionalen Roman des 1944 geborenen Kultur- und Geschichtstheoretikers Wolfgang Hardtwig. Alles, was er über die dörfliche Kindheit in den Nachkriegsjahren erzählt und historisch reflektiert, zeichnet für den Rezensenten das Bild einer schwierigen, kargen Zeit. Nachdenklich, liebevoll und spannend, so Seibt, schreibe Hardtwig in einer "matt schimmernden Prosa" über seine bildungsbürgerliche Familie, die sich in Bayern ansiedelte und die er auch als sozialkulturgeschichtliche Studie über die ländliche Gesellschaft der jungen Bundesrepublik gelesen hat. Obwohl der Roman Nazi-Zeit und Krieg thematisiert, lassen Hardtwigs Erinnerungen den Rezensenten angesichts der heutigen überflutenden Sinneseindrücke nostalgisch seufzen.

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