Morgen wird alles besser: An dieser Parole erkennt man seit der Aufklärung die Anhänger des sozialen Fortschritts, während die der Finsternis bellen, daß früher alles besser gewesen sei. Die einen setzen auf Wissenschaft und Technik, damit Freiheit, Wohlstand, Bildung und Schönheit sich mehren, die anderen auf Tradition, Blut, Boden, Familie, Vaterland und sonstigen Urväterhausrat, damit alles nicht noch schlimmer werde, als es ohnehin schon ist. Dieses Buch behauptet, daß jede Zeit, jede Handlung, jeder Gedanke tatsächlich mehr Möglichkeiten der Selbstverbesserung enthält, als man auf den ersten Blick sieht. Den inneren Zusammenhang dieser verborgenen Freiheitsgrade nennt das Buch »Implex«. Das Wort bezeichnet ein Modell, mit dem man erklären kann, wie Fortschritt in den Mühen tatsächlicher Menschen verwirklicht wird. Es macht verständlich, warum nur Epochen, die sich bestimmte Irrtümer erlauben, auch bestimmte Wahrheiten finden können, und es zeigt, daß die Aufklärung der Gegenwart Werkzeuge der Emanzipation vererbt hat, von denen sie selbst gar nichts wußte. Es verdeutlicht schließlich, was an dieser Lehre und anderen praktischen und theoretischen Hinterlassenschaften der historischen Linken wertvoll bleibt - bis heute. Auf dem Weg zu diesen Resultaten unternimmt das Buch Reisen durch realistische Forschung und phantastische Kunst, stellt bekannte und unbekannte Revolutionen, Kriege, Formen des Unrechts und des Widerstands dar und öffnet die Sicht auf Zeitabschnitte, von denen gar nicht so leicht zu entscheiden ist, ob sie Zukunft sind, Vergangenheit oder Gegenwart.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Selbst Rudolf Walther, durchaus kein Gegner linker Diskurse, mag in diesem Buch von Dietmar Dath und Barabara Kirchner kaum etwas Positives sehen. Im Gegenteil, Punkt für Punkt arbeitet er die ihm bereiteten Zumutungen ab, von denen die "verquaste Syntax" noch die geringste sei. Dabei ist ihm der von den Autoren stark gemachte Gedanke ganz sympathisch, dass durch die Frühaufklärung der "soziale Fortschritt" denkbar wurde und somit Ungerechtigkeit ihre Rechtfertigung verloren habe. Aber was die beiden Autoren daraus machen, findet Walther schauderhaft. Und mit welchem "Imponiergehabe", mit welchem "Manifestschreibergestus" sie durch die Philosophiegeschichte hecheln, findet er frech. Vereinfachungen und Verkürzungen wirft er ihnen vor, ob sie nun David Hume behandeln, Ernst Bloch oder Pierre Bourdieu. Die "Geschichtsklitterung", mit der sie den von Robespierre und Lenin propagierten Terror den "Feinden der Revolution" in die Schuhe schieben, quittiert der Rezensent da nur noch mit Kopfschütteln - aber durchaus auch mit einem Gegenbeleg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2012DIETMAR DATH, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, und Barbara Kirchner, Schriftstellerin und Professorin für theoretische Chemie in Leipzig, haben mit "Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee" einen Roman in Begriffen vorgelegt, der die Idee, dass morgen alles besser wird, nicht auf den Müll werfen will, nur weil heute nicht alles besser ist als gestern. Von den Revolutionen, Kriegen und Künsten der Neuzeit sagt das Buch, dass ihnen mehr Chancen auf anderes Leben innewohnen, als je hätten ergriffen werden können, und dass es stets mehrere Sorten Fortschritt gibt, die einander ermöglichen, aber auch blockieren: den technischen, den sozialen, den politischen, den ästhetischen und einige, für die bislang noch keine Namen da sind - weswegen das Buch auch ein Versuch ist, einige solcher Namen zu erfinden und auszuprobieren. (Dietmar Dath / Barbara Kirchner: "Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee." Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 880 S., br., 29,90 [Euro].)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Der >Roman in Begriffen<, so hat ein Kritiker das Buch Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee einmal ironisch genannt, ist in den Feuilletons als größenwahnsinnig angefeindet worden. Wenn größenwahnsinnig bedeutet, sich noch eine andere Gesellschaftsordnung vorstellen zu können als den globalisierten Kapitalismus, dann haben Dietmar Dath und Barbara Kirchner ein erhellendes, ungemein gebildetes Aufklärungsbuch vorgelegt.«